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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.01.2009
Aktenzeichen: 8 Sa 1304/08
Rechtsgebiete: MTV für die beim bfw Beschäftigten


Vorschriften:

MTV für die beim bfw Beschäftigten
Abgrenzung zu BAG, 13.02.2002, 5 AZR 604/00, NZA 2003, 49
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 12.06.2008 - 1 Ca 2804/07 - abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 383,68 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 14.12.2007 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Höhe einer tariflichen Beihilfeleistung bei längerer Erkrankung des Arbeitnehmers und insbesondere um die Frage, ob das bezogene Krankengeld mit dem Brutto- oder Nettobetrag auf die Beihilfeleistung anzurechnen ist.

Der Kläger ist seit dem Jahre 1996 in dem von der Beklagten betriebenen Berufsförderungswerk als Ausbilder beschäftigt. Die Beklagte wendet auf die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten den "Tarifvertrag für die Beschäftigten der Berufsfortbildungswerk Gemeinnützige Bildungseinrichtung des DGB GmbH (bfw)" an. Dieser sieht in § 20 im Falle längerer Erkrankung die Zahlung einer Beihilfe vor, auf welche das bezogene Krankengeld in der Weise anzurechnen ist, dass der/die Beschäftigte höchstens die Nettobezüge seines regelmäßigen, monatlich zu zahlenden Arbeitsentgeltes erhält.

Aufgrund eines Unfalls war der Kläger vom 21.07.2007 bis zum 14.10.2007 arbeitsunfähig erkrankt. Nach Ablauf des gesetzlichen Entgeltfortzahlungszeitraums erhielt der Kläger von der Krankenkasse ein kalendertägliches Krankengeld in Höhe von 70,47 € brutto bzw. 61,65 € netto. Mit Schreiben vom 24.09.2007 (Bl. 6 d.A.) teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Zahlung der tariflichen Beihilfe scheide unter den vorliegenden Umständen aus, da das kalendertägliche Krankengeld mit seinem Bruttobetrag das als Beihilfe zu zahlende kalendertägliche Nettoentgelt übersteige.

Der Kläger ist der Auffassung, nach dem Tarifvertrag sei allein das Nettokrankengeld auf die vorgesehene Beihilfeleistung anzurechnen. Damit ergebe sich eine kalendertäglich zu beanspruchende Beihilfeleistung von 8,72 €. Für 44 Kalendertage ermittelt der Kläger dementsprechend einen Betrag von 383,68 €. Dies ist die Klageforderung.

Durch Urteil vom 13.06.2008 (Bl. 54 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlich vorgetragenen Sachverhalts und der Fassung des Klageantrages Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 13.02.2002 - NZA 2003, 49 ff.) sei bei der Auslegung des Tarifvertrages der Umstand zu berücksichtigen, dass durch die Belastung des Krankengeldes mit Sozialversicherungsbeiträgen eine Tariflücke entstanden sei. Ohne entsprechende Neuregelung durch die Tarifparteien könne aber nicht davon ausgegangen werden, dass die sich hieraus ergebende Mehrbelastung einseitig dem Arbeitgeber aufzuerlegen sei.

Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und führt aus, die vom Arbeitsgericht zitierte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betreffe allein eine tarifliche Regelung, welche darauf gerichtet sei, den Unterschiedsbetrag zwischen Krankengeld und Nettoeinkommen auszugleichen. Insoweit möge die Auffassung zutreffen, dass vom Arbeitgeber eine Aufstockung des Zuschusses zum Ausgleich der auf das Krankengeld zu entrichtenden Abzüge nicht gefordert werden könne. Demgegenüber schulde der Arbeitgeber nach der hier maßgeblichen tariflichen Vorschrift keinen Zuschuss, sondern sehe eine Beihilfeleistung in Höhe der vollen Nettobezüge vor, wobei sich der Arbeitnehmer allein das empfangene Krankengeld - und zwar folgerichtig in Höhe des tatsächlich empfangenen Nettobetrages - anrechnen lassen müsse.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 13.06.2008 - 1 Ca 2804/08 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 383,68 € zuzüglich Zinsen, die 5% über dem jeweiligen Basiszins liegen, zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis als zutreffend und führt aus, nicht anders als nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.02.2002 müsse auch hier die Tatsache Berücksichtigung finden, dass die Belastung des Krankengeldes durch Sozialversicherungsbeiträge nicht ohne tarifliche Neuregelung zu einer Mehrbelastung des Arbeitgebers führen könne. Ein hinreichender Anhaltspunkt für den Rechtsstandpunkt der Beklagten ergebe sich insoweit schon aus dem Tarifvertrag selbst, welcher mit der Formulierung, dass der Beschäftigte "höchstens" die Nettobezüge seines regelmäßig monatlich zu zahlenden Arbeitseinkommens erhalte, erkennen lasse, dass dem Arbeitnehmer keineswegs seine Nettobezüge garantiert seien, diese vielmehr allein eine Bezugsgröße darstellten, von welcher die Leistung der Krankenkasse - mit dem Bruttobetrag - abzuziehen seien.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist begründet.

Sie führt unter Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung zu antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

I

Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers ist die Vorschrift des § 20 MTV, welche vereinbarungsgemäß auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis Anwendung findet und wie folgt lautet:

"§ 20 Beihilfeleistungen bei Krankheit und Heilverfahren

(1) Nach einer Gesamtbeschäftigungszeit von mindestens drei Jahren werden bei gesetzlich geregelter Arbeitsverhinderung durch Krankheit oder Heilverfahren ab Beginn der siebten Woche der Arbeitsverhinderung die Nettobezüge des regelmäßigen, monatlich zu zahlenden Arbeitsentgelts als Beihilfe wie folgt gewährt:

bei einer Gesamtbeschäftigungszeit

von über 3 Jahren - für 7 Wochen,

von über 10 Jahren - für 20 Wochen,

von über 15 Jahren - für 33 Wochen,

jedoch nicht über die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses hinaus.

(2) Auf die Beihilfe gem. Abs. 1 sind Leistungen einer Krankenkasse oder Krankenversicherung, zu der das bfw Arbeitgeberanteile aufgrund gesetzlicher, vertraglicher oder freiwilliger Grundlage gezahlt hat, in der Weise anzurechnen, dass der/die Beschäftigte höchstens die Nettobezüge seines regelmäßigen, monatlich zu zahlenden Arbeitsentgelts erhält.

(3).....

(4)....."

1. Wie sich aus Wortlaut und Systematik der genannten tariflichen Regelung ergibt, hat der Arbeitnehmer unter den genannten Voraussetzungen eine Beihilfeleistung zu beanspruchen, welche der Höhe nach den regelmäßigen Nettobezügen entspricht. Anders als nach einer tariflichen Regelung, welche darauf gerichtet ist, dem Arbeitnehmer allein einen Zuschuss zum gesetzlichen Krankengeld zu gewähren und bei welcher sich folgerichtig die Frage stellt, inwiefern die nachträglich eingeführte Belastung des Krankengeldes mit Sozialversicherungsbeiträgen dazu führt, dass der Arbeitgeber dies durch einen höheren Zuschuss zum Krankengeld auszugleichen hat (vgl. BAG, 13.02.2002, 5 AZR 604/00 zur Auslegung des MTV Einzelhandel NRW), ist nach dem hier maßgeblichen Tarifvertrag das Leistungsversprechen des Arbeitgebers auf Gewährung der "Nettobezüge" gerichtet, welche im Sinne des regelmäßigen, monatlich zu zahlenden Arbeitsentgelts definiert sind. Welchen Betrag der Arbeitnehmer regelmäßig als Netto-Arbeitsentgelt erhält, ist indessen von Höhe und Ausgestaltung des Krankengeldes im Sinne einer Brutto- oder Nettoleistung unabhängig. Auswirkungen hat die Höhe des Krankengeldes bzw. dessen Belastung mit Sozialversicherungsbeiträgen allein mittelbar, und zwar insofern, als sich der Arbeitnehmer nach § 20 Abs.2 MTV die Leistungen der Krankenkasse anrechnen lassen muss.

2. Ob die Anrechnung des Krankengeldes in Höhe des Brutto- oder Nettobetrages zu erfolgen hat, ist in der genannten Vorschrift nicht ausdrücklich bestimmt. Wie sich indessen aus der Formulierung im Tarifvertrag ergibt, die Anrechnung erfolge "in der Weise", dass der Arbeitnehmer höchstens die Nettobezüge des regelmäßigen monatlichen Arbeitsentgelts erhalten soll, dient die Anrechnungsklausel allein dem Ziel, eine Überzahlung des Arbeitnehmers zu vermeiden. Ohne die Anrechnungsregelung erhielte der Arbeitnehmer im Falle längerer Erkrankung mit Krankengeld und tariflicher Beihilfe deutlich mehr als bei regulärer Arbeit bzw. während des sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraums. Eine Überzahlung wird aber bereits dadurch vermieden, dass derjenige Betrag angerechnet wird, der dem Arbeitnehmer tatsächlich zufließt und ihm - wie das laufend gezahlte Netto-Arbeitsentgelt - zum Bestreiten des Lebensunterhalts zur Verfügung steht. Wenn dem Arbeitnehmer auch im Falle längerer Erkrankung "die ....Nettobezüge als Beihilfe.... gewährt" werden sollen, um ihn vor einer Schmälerung seiner Einnahmen und einem Absinken des Lebensstandards zu bewahren, folgt hieraus ohne weiteres, dass die tariflich vorgesehene Anrechnung des Krankengeldes oder anderer Leistungen nur in dem Umfang in Betracht kommt, wie dies zur Vermeidung einer Überzahllung erforderlich ist.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten folgt auch aus der Verwendung des Begriffs "höchstens" in Abs. 2 der Vorschrift nichts anderes. Da die Höhe der zu beanspruchenden Leistungen in § 20 Abs. 1 MTV durch den regelmäßigen Nettoverdienst definiert ist, besteht der eigenständige Regelungsgehalt des § 20 Abs. 2 MTV allein darin, die Anrechnung der Leistung der Krankenkasse anzuordnen. Die weitere Formulierung über die Anrechnungsmodalitäten ("in der Weise...") dient danach allein der Klarstellung, nicht hingegen wird durch die tarifliche Anrechnungsregelung des Abs. 2 die in Abs. 1 vorgesehene Bemessung der Beihilfe am regelmäßigen Nettoverdienst infrage gestellt. Im Übrigen macht der Umstand, dass die tarifliche Vorschrift des § 20 MTV bereits vor Einführung der Beitragspflicht zur Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung für das Krankengeld bestand, deutlich, dass die tarifliche Verwendung des Begriffs "höchstens" keinesfalls von den Tarifparteien mit dem Ziel verwendet worden sein kann, eine für möglich gehaltene Belastung des Krankengeldes mit Sozialversicherungsbeiträgen in dem Sinne zu regeln, dass für diesen Fall der Arbeitnehmer eben nicht - wie in § 20 Abs. 1 MTV vorgesehen - eine Beihilfe in Höhe der Nettobezüge erhält.

4. Geht man in Übereinstimmung mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 13.02.2002 davon aus, dass tarifliche Regelungen über die Gewährung eines Krankengeldzuschusses durch die Belastung des Krankengeldes mit Sozialversicherungsbeiträgen lückenhaft geworden sind und folgt man dem Bundesarbeitsgericht weiter in der Beurteilung, dass das Untätigbleiben der Tarifparteien in einem solchen Fall in dem Sinne zu würdigen ist, dass die Tarifparteien dem Arbeitgeber keine Aufstockung des versprochenen Zuschusses auferlegen wollten, so ergibt sich für die hier vorliegende Regelung einer am Nettoeinkommen orientierten tariflichen Beihilfeleistung unter Anrechnung des Krankengeldbezuges, dass die Tarifparteien die gesetzliche Neuregelung über die Belastung des Krankengeldes mit Sozialversicherungsbeiträgen zum Anlass hätten nehmen können, um dem Arbeitgeber die Mehrbelastung zu ersparen, welche sich daraus ergibt, dass zur Aufrechterhaltung der nach § 20 Abs. 1 MTV versprochenen Beihilfeleistung in Höhe des Nettoentgelts höhere Aufwendungen erforderlich sind, weil der dem Arbeitnehmer zufließende und nach Abs. 2 anrechenbare Betrag um den Betrag der gesetzlichen Abzüge auf das Krankengeld vermindert ist. Tatsächlich ist die genannte tarifliche Vorschrift indessen unverändert geblieben. Die Tarifparteien haben weder die dem Arbeitnehmer zugesagte Beihilfeleistung gekürzt noch die in § 20 Abs. 2 MTV vorgesehene Anrechnungsregelung modifiziert. Dementsprechend geht es hier nicht um eine Aufstockung der tariflich versprochenen Leistung, vielmehr führt die unveränderte Beibehaltung der tariflichen Anrechnungsregelung dazu, dass der Arbeitgeber wirtschaftlich stärker belastet ist, als es seiner ursprünglichen Kalkulation entsprach.

Für eine gerichtliche Anpassung der tariflichen Anrechnungsregelung fehlt aber eine ausreichende rechtliche Grundlage. Dementsprechend muss es damit sein Bewenden haben, dass sich der Kläger allein das ihm zugeflossene (Netto-)Krankengeld anrechnen lassen muss. Allein auf diese Weise erreicht die in § 20 Abs. 1 MTV zugesagte Beihilfe das vorgesehene Niveau der regelmäßigen Nettobezüge.

5. Gegen die Berechnung der Klageforderung sind keine Bedenken zu erkennen.

II

Zinsen stehen dem Kläger seit Rechtshängigkeit zu.

III

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist.

IV

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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