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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 16.03.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 2007/05
Rechtsgebiete: TVG, Rationalisierungsschutzabkommen für das Bankgewerbe


Vorschriften:

TVG § 1
Rationalisierungsschutzabkommen für das Bankgewerbe § 3

Entscheidung wurde am 09.01.2008 korrigiert: das Verkündungsdatum wurde korrigiert
Werden aus Gründen der Produktivitäts-Steigerung insgesamt sechs von achtzehn Filialen eines Bankinstituts mit der Maßgabe geschlossen, dass die Kunden von fünf geschlossenen Filialen künftig in anderen ortsnahen Filialen mitbetreut, hingegen der Kundenstamm der sechsten Filiale an ein dort ansässiges Bankinstitut übertragen werden soll, steht dies der Beurteilung als einheitliche Maßnahme der wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation nicht entgegen.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.09.2005 - 1 Ca 234/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Fahrtkosten auf der Grundlage des Rationalisierungsschutzabkommens für das Bankgewerbe.

Die Klägerin ist seit dem 01.04.1974 als Kundenberaterin im Service beim beklagten Kreditinstitut beschäftigt, welches im Sauerland mit Sitz in M2xxxxxx einen Geschäftsbetrieb mit einer Reihe von Filialen führt. Bis zur Schließung der Filiale F1xxxxxxx zum 31.12.2003 war die Klägerin in der dortigen Filiale tätig. In der Folgezeit - ab dem 23.02.2004 - wurde sie in den Filialen B2xxxx und R2xxxxxx eingesetzt. Für den Weg zur Arbeit benutzt die Klägerin ihr Privatfahrzeug. Auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung erhielt die Klägerin für drei Monate eine Fahrtkostenerstattung. Für den Folgezeitraum (17.08.2004 bis 16.05.2005) macht die Klägerin weitere Ansprüche auf Fahrtkostenerstattung auf der Grundlage des Rationalisierungsschutzabkommens geltend. Inwiefern es sich bei der Schließung der Filiale F1xxxxxxx für sich genommen oder im Zusammenhang mit weiteren fünf Filialschließungen im selben zeitlichen Zusammenhang um eine Rationalisierungs-maßnahme im Sinne des Tarifvertrages handelt, ist unter den Parteien streitig.

Die tarifliche Regelung enthält insoweit in § 3 folgende Begriffsbestimmung

Rationalisierungsmaßnahmen i.S. dieses Tarifvertrages sind wesentliche Änderungen der Arbeitstechnik oder der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, sofern diese zu Versetzungen, Herabgruppierungen oder Kündigungen führen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Schließung der Filiale F1xxxxxxx sei insbesondere unter Berücksichtigung der von der Beklagten verfassten Mitteilung vom 16.05.2003 (Bl. 46 d.A.) als Teil eines einheitlichen Rationalisierungskonzeptes anzusehen. Die dort angesprochene Restrukturierung des Filialnetzes mit dem Ziel der Produktivitätserhöhung durch Verschlankung der Strukturen, Kostenreduzierung durch Schließung von Filialen, Aufbau eines Außendienstes usf. betreffe in gleicher Weise die Schließung der Filiale F1xxxxxxx wie auch die zeitgleich oder kurzfristig danach umgesetzte Schließung weiterer kleiner Filialen. Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, im Gegensatz zu den übrigen Filialschließungen gehe es in Bezug auf die Filiale F1xxxxxxx nicht um eine Straffung der Arbeitsorganisation in der Weise, dass die Kunden künftig in nahegelegenen anderen Filialen weiterbetreut würden, vielmehr sei die Besonderheit zu beachten, dass die vormals in der Filiale F1xxxxxxx betreuten Kunden auf die - an diesem Ort ebenfalls mit einer Filiale vertretene - V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx übergeleitet werden sollten. Damit werde der Vorgabe des Bundesverbandes der Volks- und Raiffeisenbanken entsprochen, Doppelpräsenzen von Volksbanken an einem Ort zu vermeiden. Ohnehin habe die Filiale F1xxxxxxx räumlich außerhalb des hauptsächlichen Geschäftsgebiets gelegen, welches sich - in etwa dem Verlauf der Ruhr folgend - von W2xxxxxxxxxxxxx über B2xxxx, O3xxxxx, B3xxxxx, M2xxxxxx, B4xxx, S9xxxxx, A2xxxxxx bis N2xxxx erstrecke. Schon aus diesem Grunde sei die Schließung der Filiale F1xxxxxxx keineswegs Teil einer behaupteten "Gesamtstrategie". Bereits im Jahre 1999 sei nämlich die Schließung der Filiale F1xxxxxxx nebst Übertragung des Kundenstammes auf die V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx erwogen worden, wohingegen der Entschluss zur Straffung des Filialnetzes und zur Schließung weiterer fünf Filialen erst im Frühjahr 2003 getroffen worden sei. Damit fehle es aber hinsichtlich der Schließung der Filiale F1xxxxxxx mit nur einem Mitarbeiter am Merkmal der "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation.

Durch Urteil vom 15.09.2005 (Bl. 74 ff.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung von Fahrtkostenerstattung in Höhe von 853,20 € und 842,40 € nebst Zinsen verurteilt. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, unter Berücksichtigung des an die Mitarbeiter gerichteten Schreibens vom 16.05.2003 stelle sich die Schließung der Filiale B5x F1xxxxxxx nicht als Einzelmaßnahme dar, sondern stehe mit der Schließung der weiteren fünf Filialen in Zusammenhang und unterfalle aus diesem Grunde dem Rationalisierungsschutzabkommen. Die Neuordnung des Filialnetzes stelle insgesamt eine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation dar. Nicht anders als die übrigen Filialschließungen diene auch die Schließung der Filiale F1xxxxxxx der Beseitigung veralteter und zu teurer Strukturen, insgesamt gehe es bei den Filialschließungen um eine Straffung der Arbeitsorganisation mit dem Ziel einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit. Allein die Tatsache, dass die Schließung der Filiale F1xxxxxxx bereits im Jahre 1999 im Hinblick auf die dortige Doppelpräsenz in Erwägung gezogen worden sei, ändere nichts daran, dass die Schließung auch dieser Filiale nach den eigenen Erklärungen der Beklagten als Teil eines Gesamtkonzeptes angesehen werden müsse. Die Notwendigkeit, die von einer Filial-Schließung betroffenen Mitarbeiter anderen Filialen zuzuordnen und die bislang betreuten Kunden einer anderen Filiale der Beklagten oder einer anderen V1xxxxxxx zuzuordnen, belege die wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation. Dies gelte erst recht bei einer Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung aller Filialschließungen mit sechs von achtzehn Filialen.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils zum Vorliegen einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht pauschal auf die Anzahl der geschlossenen Zweigstellen abgestellt, ohne hierbei die Tatsache zu berücksichtigen, dass infolge der Schließung der Filiale F1xxxxxxx mit der Klägerin allein eine von etwa 160 Arbeitnehmern betroffen sei. Auch im Hinblick auf den Kundenstamm der Filiale F1xxxxxxx komme der getroffenen Maßnahme keine Bedeutung zu. Hierzu weist die Beklagte auf den Umstand hin, dass der V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx die Übernahme der vertraglichen Beziehungen zu 960 Kunden mit einem Basisvolumen von ca. 5,5 Millionen €uro angeboten worden sei, wovon diese tatsächlich ein Volumen von ca. 2,8 Millionen €uro übernommen habe. Im Verhältnis zum Gesamtvolumen der Kundenbeziehungen der Beklagten mit ca. 643 Millionen €uro trete die Bedeutung des Kundenstamms F1xxxxxxx vollständig zurück. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht bei der vorgenommenen "Gesamtbetrachtung" die Besonderheit unberücksichtigt gelassen, dass es in Bezug auf die Filiale F1xxxxxxx nicht um eine Straffung des Filialnetzes unter Aufrechterhaltung der Kundenbeziehungen gehe, vielmehr sei wegen der bestehenden Doppelpräsenz der Geschäftsbereich entsprechend eingeschränkt worden. Im Unterschied hierzu stelle die Schließung der anderen kleineren Filialen keinen Rückzug aus der Fläche dar, sondern diene allein der Bereinigung der einzelnen Filialzuständigkeiten. Auch aus dem Schreiben der Beklagten an ihre Mitarbeiter vom 16.05.2003 könne der angeblich einheitliche Charakter der Maßnahme im Sinne einer "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation nicht hergeleitet werden. Das genannte Schreiben belege deutlich die unterschiedliche Motivation und Umsetzung der beabsichtigten Maßnahmen, so dass von einem "einheitlichen Konzept" keine Rede sein könne. Auch wenn es möglicherweise zutreffe, dass der Aufsichtsrat sowohl die Schließung der Filiale F1xxxxxxx als auch die weitere Straffung des Filialnetzes zeitgleich in einer Aufsichtsratssitzung beschlossen habe, könne hieraus nicht auf einen einheitlichen Charakter der Maßnahmen geschlossen werden. Jedenfalls in Bezug auf die Filiale F1xxxxxxx fehle es dementsprechend an einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation, so dass für die begehrte Fahrtkostenerstattung keine Rechtsgrundlage bestehe.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Arnsberg vom 15.09.2005 -1 Ca 234/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens als zutreffend. Soweit die Beklagte angebliche Besonderheiten der Schließung der Filiale F1xxxxxxx aus dem Gesichtspunkt der "Doppelpräsenz" herleiten wolle, könne dies schon deshalb nicht überzeugen, weil an zahlreichen weiteren Standorten ebenfalls derartige Doppelpräsenzen - etwa zu Filialen der V1xxxxxxx A2xxxxxx-S9xxxxx, der V1xxxxxxx B2xxxx oder der S10xxx-Bank O4xxxxxxx - bestünden, ohne dass dieser Gesichtspunkt zu Filialschließungen geführt habe. Übergreifender Gesichtspunkt der Filialschließungen sei vielmehr der Umstand, dass durchweg nur Filialen mit geringer Personalstärke von der Umstrukturierungsmaßnahme betroffen gewesen seien. In Anbetracht der Tatsache, dass im Bankgeschäft die Präsenz in der Fläche besondere Bedeutung besitze, könne die Reduzierung des Filialnetzes um 33% - unabhängig von der Zahl der betroffenen Mitarbeiter - nicht als unwesentlich angesehen werden. Nicht nur für die betroffenen Kunden, sondern auch für die beschäftigten Mitarbeiter bedeute dies eine wesentliche Änderung im Hinblick auf die bestehende Arbeitsorganisation, wie etwa an dem Umstand deutlich werde, dass die Beklagte für Kunden, welche künftig größere Entfernungen zur nächsten Filiale zurückzulegen hätten, einen kostenlosen Bargeldservice nach Hause eingerichtet habe.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

In Überstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil kann die Klägerin die Zahlung von Fahrtkosten auf der Grundlage der Tarifvereinbarung zur Absicherung von Arbeitsplätzen und Einkommen bei Rationalisierungsmaßnahmen (Rationalisierungsschutzabkommen) verlangen.

Die Versetzung der Klägerin aus Anlass der Schließung der Filiale F1xxxxxxx beruht nämlich auf einer Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Tarifvertrages. Auch wenn die Schließung der Einzelfiliale F1xxxxxxx für sich genommen die fraglichen Tarifmerkmale nicht erfüllt (1), ergibt sich doch unter Einbeziehung der weiteren fünf Filialschließungen, welche ihrerseits mit einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation einhergehen (2), dass bei der auf den Betrieb insgesamt bezogenen Betrachtung unter den hier vorliegenden Umständen von einer einheitlichen Maßnahme der wesentlichen "Änderung der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens" im Tarifsinne auszugehen ist (3).

1. Die Schließung der Filiale F1xxxxxxx allein kann allerdings nicht als wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation im Tarifsinne aufgefasst werden.

a) Richtig ist zwar, dass mit der Aufgabe der Filiale F1xxxxxxx und der Neuordnung der bestehenden Kundenbeziehungen eine Änderung der Arbeitsorganisation einhergeht, indem jedenfalls diejenigen Kunden, welche von der V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx nicht übernommen wurden, sondern weiterhin Kunden der Beklagten geblieben sind, nunmehr von den Mitarbeitern anderer Filialen mitbetreut werden. Demgegenüber ist die Tatsache, dass die Beklagte an sich bestrebt war, sämtliche Kunden der Filiale F1xxxxxxx abzugeben und sich dementsprechend ersatzlos aus diesem Einzugsbereich zurückzuziehen, für die rechtliche Beurteilung nicht entscheidend. Dementsprechend kann offenbleiben, ob etwa in der vollständigen Aufgabe der Geschäftsbeziehungen zu den Kunden der vormaligen Filiale F1xxxxxxx eine Änderung der Arbeitsorganisation im Tarifsinne läge.

b) Bezogen allein auf die Schließung der Filiale F1xxxxxxx fehlt es aber am Merkmal der "wesentlichen" Änderung. Sowohl nach dem Umsatz der Filiale F1xxxxxxx als auch nach der Anzahl der beschäftigten Mitarbeiter sind wesentliche Auswirkungen der Maßnahme auf die bestehende Arbeitsorganisation nicht erkennbar. Dies gilt auch, wenn nicht auf die Anzahl der betroffenen Mitarbeiter, sondern auf den Einfluss der Maßnahme auf die Größe des Filialnetzes abgestellt wird. In seiner Entscheidung vom 26.09.2001 - 4 AZR 540/00 - hat das Bundesarbeitsgericht weder einen Abbau der Belegschaft mit 40 von 260 Arbeitnehmern noch die Schließung von fünf von 63 Filialen als wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation angesehen, ohne allerdings hier feste Grenzen aufzustellen und die für die Beurteilung maßgeblichen Gesichtspunkte näher auszuführen. Für den vorliegenden Fall kann in der Schließung einer von 18 Filialen unter Einbeziehung der vorstehenden Ausführungen jedenfalls keine wesentliche Änderung der Arbeitsorganisation angenommen werden.

2. Die Schließung der weiteren fünf Filialen erfüllt demgegenüber, auch wenn es sich insoweit um kleinere Filialen handelt, den Begriff der Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Tarifvertrages.

a) Der Begriff der Arbeitsorganisation umfasst dabei das betriebliche Ordnungsgefüge für die im Betrieb arbeitenden Menschen, wobei sich die konkrete Arbeitsorganisation aus dem vorgegebenen Aufbau des einzelnen Betriebs ergibt und die Gliederung der Abteilungen, der Verteilung der Zuständigkeiten, die Zentralisierung oder Dezentralisierung usw. beinhaltet (so die Kommentierung zum Rationalisierungsschutzabkommen, 5. Aufl., § 3 RSA Anm. b).

b) Unter welchen Voraussetzungen bereits der reine Personalabbau als Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Tarifvertrages anzusehen und hierfür gegebenenfalls als Maßstab auf die Zahlenangaben des § 17 KSchG zurückzugreifen ist, bedarf keiner Entscheidung. Auch ohne Berücksichtigung der Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer ergibt sich nämlich eine Änderung der Arbeitsorganisation schon daraus, dass die konkrete Arbeitsorganisation durch die Entscheidung, ob die Kunden in einer ortsnahen Filiale betreut oder - insgesamt bzw. für spezielle Bankgeschäfte - auf eine größere Filiale verwiesen werden, unmittelbare Auswirkungen auch auf die Abwicklung der Arbeit der im Kundengeschäft eingesetzten Arbeitnehmer hat. Die bislang in einer Filiale betreuten Kunden werden zwar weiterhin - wie aus der Kundeninformation vom 08.10.2003 (Bl. 155 d.A.) ersichtlich - möglichst von dem vertrauten Mitarbeiter betreut, die Eingliederung von Kundenbeziehung und Mitarbeiter geht jedoch mit einer entsprechenden Änderung der Arbeitsorganisation in der entsprechend vergrößerten Filiale einher.

c) Für die Frage, inwiefern die Änderung der Arbeitsorganisation als wesentlich anzusehen ist, müssen die besonderen Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden. Vorliegend geht es um eine Volksbank mit räumlich weit ausgedehntem und zum Teil auch ländlich strukturiertem Einzugsbereich. Dies erfordert für die ortsnahe Kundenbetreuung ein entsprechend verzweigtes Netz von Filialen, welche u.U. nur über einen relativ kleinen Kundenkreis und eine entsprechend geringe Mitarbeiterzahl verfügen. Dementsprechend wirkt sich die Straffung des Filialnetzes sowohl auf die Kundenbeziehung als auch auf die Organisation der Arbeit weitaus stärker aus, als dies etwa auf das Filialnetz eines großstädtischen Bankinstituts zutrifft. Die Eingliederung kleinerer Filialen in größere Organisationseinheiten hat zugleich Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie und Aufgabenverteilung. Vorliegend geht es mit der Schließung fünf kleinerer Filialen zwar nicht um eine vollständige Zentralisierung des Bankgeschäfts oder gar um eine Umwandlung einer Filialbank in ein Bankinstitut ohne Außenstellen. Dies ändert aber nichts an den dargestellten Auswirkungen auf die bestehende Arbeitsorganisation und an dem Umstand, dass - anders als bei isolierter Betrachtung der Verhältnisse der Filiale F1xxxxxxx - hier etwa ein Drittel des Filialbestandes eingespart wird mit der Folge, dass in zahlreichen - nunmehr vergrößerten - Filialen die Arbeitsorganisation entsprechenden Veränderungen unterliegt. Anders als im Falle der Betriebsänderung gemäß § 111 BetrVG erfordert die Rationalisierungsmaßnahme im Tarifsinn keine "grundlegende" Änderung der Betriebsorganisation. Mit der Beschränkung auf "wesentliche" Änderungen soll vielmehr allein zum Ausdruck gebracht werden, dass nicht jede noch so geringfügige Änderung der Arbeitsabläufe, auch wenn sie im Einzelfall Versetzungen o.ä. zur Folge hat, Ansprüche nach dem Rationalisierungsschutzabkommen auslösen soll. Die Straffung des Filialnetzes im ländlichen Bereich um nahezu ein Drittel erfüllt unter diesen Umständen das Merkmal der "wesentlichen" Änderung der Arbeitsorganisation.

3. Die Kammer folgt im Ergebnis auch der rechtlichen Beurteilung des Arbeitsgerichts zum Vorliegen einer einheitlichen Rationalisierungsmaßnahme, welche - neben der Schließung der fünf weiteren Filialen - auch die Schließung der Filiale F1xxxxxxx umfasst. a) Allein die Tatsache, dass bei isolierter Betrachtung eine vom Arbeitgeber vorgenommene Änderung der Arbeitsorganisation nicht das tarifliche Merkmal der "Wesentlichkeit" erfüllt, weil etwa die Schließung einer einzelnen Filiale in Bezug auf die Gesamtorganisation nur unbedeutend erscheint, schließt es nicht aus, dass durch die Zusammenfassung mehrerer, u.U. unterschiedlich motivierter und ausgestalteter Organisationsänderungen doch die Bedeutung einer wesentlichen Änderung der Arbeitsorganisation und damit einer Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Tarifvertrages erreicht wird. Auch bei einer Vielzahl von Filialschließungen werden in der Regel für die zugrundeliegenden unternehmerischen Entscheidungen die individuellen Gegebenheiten der betroffenen Einheit entscheidend sein, ohne dass damit eine zusammenfassende Beurteilung als Rationalisierungsmaßnahme ausscheidet. Dies mag etwa die Frage betreffen, ob bestimmte Bankgeschäfte nur in der Zentrale oder in größeren (eventuell erst durch die Straffung des Filialnetzes vergrößerten) Filialen erledigt werden oder ob die Zusammenlegung von Filialen allein Änderungen in personeller Hinsicht - mit Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation - nach sich zieht. Wollte man im Hinblick auf die individuellen Besonderheiten einzelner Filialen die Frage nach dem Vorliegen einer Rationalisierungsmaßnahme jeweils auf die einzelne Einheit beziehen, liefe dies auf eine Atomisierung der Arbeitsorganisation hinaus und würde so den vom Tarifvertrag angestrebten Rationalisierungsschutz weitestgehend entwerten. Dement-sprechend kann auch die Tatsache, dass die Kunden der betroffenen Filialen jeweils mit unterschiedlich gestalteten Schreiben über die anstehenden Veränderungen informiert worden sind, nicht dazu führen, dass lediglich eine Vielzahl unwesentlicher Änderungen der Arbeitsorganisation vorliegt.

b) Ebenso wenig steht einer zusammenfassenden Beurteilung der durchgeführten Filialschließungen die Tatsache entgegen, dass die Überlegungen zur Schließung der Filiale F1xxxxxxx bereits seit längerer Zeit im Raum standen, hingegen die Straffung des Filialnetzes im Übrigen erst in jüngerer Zeit Gegenstand entsprechender Rationalisierungserwägungen war. Ersichtlich sind die Vorüberlegungen zur Schließung der Filiale F1xxxxxxx im Hinblick auf die dortige Doppelpräsenz seit dem Jahre 1999 nicht zeitnah umgesetzt worden, vielmehr muss mangels abweichender Angaben davon ausgegangen werden, dass die endgültige Entscheidung zur Umsetzung dieser Maßnahme erst zu demselben Zeitpunkt getroffen worden ist, als auch die Entscheidung über die Schließung der weiteren Filialen anstand. Auf Befragen hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, es könne durchaus zutreffen, dass die Entscheidung des Aufsichtsrates über sämtliche im fraglichen Zeitraum anstehende Filialschließungen in einer Sitzung des Aufsichtsrates beschlossen worden sei; hierauf komme es aus rechtlichen Gründen nicht an, weshalb von weiterem Vortrag abgesehen werde. Auch wenn die Frage der zeitlich einheitlichen Entschließung des Aufsichtsrates für sich genommen nicht dafür entscheidend sein kann, ob die durchgeführten Änderungen der Arbeitsorganisation insgesamt als wesentlich anzusehen sind, liegt hierin doch immerhin ein Indiz dafür, dass nicht etwa sukzessive mehrere voneinander vollständig unabhängige Schritte zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens ergriffen wurden, vielmehr die Maßnahmen sich als Teil eines Gesamtkonzeptes darstellen.

Dies deckt sich zugleich mit dem Inhalt der Mitarbeiterinformation vom 16.05.2003, in welcher ebenfalls die durchgeführten Maßnahmen unter dem Oberbegriff einer Restrukturierung des Filialnetzes aufgeführt sind.

c) Richtig ist allerdings, dass die Organisationsänderung, welche die Filiale F1xxxxxxx betrifft, sich von den übrigen Filialschließungen dadurch unterscheidet, dass das Bankgeschäft am Standort F1xxxxxxx von Seiten der Beklagten letztlich aufgegeben werden soll, wohingegen die Kundenbeziehungen hinsichtlich der übrigen geschlossenen Filialen aufrechterhalten bleiben und - unter Änderung der Arbeitsorganisation - zusätzlich in den nahegelegenen größeren Filialen weitergepflegt werden sollen. Abgesehen davon, dass der vollständige Rückzug aus F1xxxxxxx allein das Neugeschäft betrifft, wohingegen ein Teil der Bestandskunden der vormaligen Filiale F1xxxxxxx der Beklagten - wenn auch eher unfreiwillig - erhalten geblieben sind, weil die V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx an einer vollständigen Übernahme des Kundenstammes nicht interessiert war, stehen die aufgeführten Besonderheiten der Einbeziehung in eine übergreifende Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Rationalisierungstarifvertrages nicht entgegen. Geht man im Anschluss an die bereits zitierte Kommentierung des Rationalisierungsschutzabkommens davon aus, dass sich die konkrete Arbeitsorganisation, um deren Änderung es geht, nicht etwa auf den Arbeitsplatz, eine einzelne Abteilung oder unselbständige Betriebsteile, sondern auf den vorgegebenen Aufbau des Betriebes mit seiner Gliederung der Abteilungen einschließlich der Zentralisierung oder Dezentralisierung von Aufgaben bezieht, so kann das Vorliegen einer Änderung der Arbeitsorganisation nicht schon damit verneint werden, durch die Schließung der Filiale falle diese mit ihrer Arbeitsorganisation vollständig weg, so dass für eine Änderung kein Raum sei. Bezogen auf den Betrieb der Bank insgesamt bedeutet dies, dass zum Aufbau der Arbeitsorganisation nicht allein die Zuordnung des vorhandenen Kundenstamms und einzelner Geschäftszweige zu Abteilungen und Filialen gehört, vielmehr ist die betriebliche Arbeitsorganisation auch betroffen, wenn etwa der Geschäftsbetrieb durch Eröffnung weiterer Filialen in und außerhalb des bisherigen räumlichen Geschäftsgebiets erweitert oder umgekehrt bestehende Filialen im Sinne eines Rückzuges aus der Fläche geschlossen werden, sei es mit dem Ziel der Zentralisierung, sei es im Sinne einer Neubestimmung des räumlichen Geschäftsgebiets unter Aufgabe bestehender Kundenkontakte - etwa in vereinbarter "Gebietsaufteilung" mit verbundenen oder konkurrierenden Unternehmen. Demgemäß kann auch die Schließung unrentabler Filialen mit der "Veräußerung" des bislang dort betreuten Kundenstamms als Teil einer umfassenden Änderung der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens angesehen werden. Auch im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs wird eine Maßnahme, bei welcher sich der Arbeitgeber aus wirtschaftlichen Gründen zum Wegfall bestimmter betrieblicher Funktionen oder zur Schließung von Abteilungen entschließt, als Rationalisierungsmaßnahme in dem Sinne verstanden, die entsprechenden Arbeitsplätze seien "wegrationalisiert". Neben dem Gesichtspunkt der "rationelleren Arbeitsweise", welche vornehmlich Änderungen der Arbeitstechnik betrifft, ist nach allgemeinem Sprachgebrauch wie auch nach der Begriffsbestimmung des § 3 des Rationalisierungsschutzabkommens danach die ersatzlose Schließung unrentabler Arbeitseinheiten als Änderung der Arbeitsorganisation zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens anzusehen.

d) Nach alledem rechtfertigen allein die unterschiedlichen Gründe wie auch die unterschiedlichen Auswirkungen der einzelnen Filialschließungen es nicht, bei der Anwendung des Rationalisierungsschutzabkommens bei einer entsprechenden Einzelbetrachtung stehen zu bleiben. Vielmehr sprechen das einheitliche Ziel, durch Verschlankung des Filialnetzes eine Produktivitätserhöhung zu erreichen, des weiteren die einheitliche Außendarstellung der "Restrukturierungsmaßnahmen" gegenüber Mitarbeitern und Kundschaft sowie schließlich die äußere Einheit der vom Aufsichtsrat zeitgleich beschlossenen Maßnahmen dafür, auf die Gesamtkonzeption der Organisationsänderung abzustellen, welche - mit durchaus verschiedenartigen Maßnahmen - dem gesetzten Ziel dient, "das Schiff V1xxxxxxx Sauerland auf einen zukunftsorientierten Kurs zu bringen".

Auch die Beklagte selbst spricht im Schreiben vom 16.05.2003 von der "Umsetzung" einer zuvor festgelegten Strategie, als deren nächste Stufe die "Restrukturierung des Filialnetzes" durchgeführt werde. Die einzelnen Maßnahmen, nämlich der Verkauf der Filiale F1xxxxxxx an die V1xxxxxxx S6xxxxxxxxxxx sowie die Schließung der weiteren genannten Filialen wird mit den Worten "das bedeutet ..." als Umsetzung der beschlossenen Restrukturierungsmaßnahme dargestellt. Dem Schreiben vom 16.05.2003 sind zwar die unterschiedlichen Formen der gewählten Maßnahmen zu entnehmen. Davon, dass die Schließung der Filiale F1xxxxxxx hiermit nichts zu tun habe, wie die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit geltend macht, enthält das Schreiben vom 16.05.2003 keinerlei Anhaltspunkte. Auch bei der Darstellung der Auswirkungen der aufgeführten Maßnahmen auf die betroffenen Mitarbeiter wird die schriftsätzlich vorgetragene Differenzierung zwischen den Maßnahmen nicht erkennbar, vielmehr wird betont, dass alle (von den Filialschließungen) betroffenen Mitarbeiter zur Bewältigung der Aufgaben benötigt werden. Dies setzt denknotwendig Änderungen der Arbeitsorganisation zur Integration der betroffenen Kräfte voraus, wobei es für die betroffenen Mitarbeiter keinen Unterschied macht, ob die geschlossene Filiale unter Beibehaltung des Kundenstammes oder unter Übertragung des Kundenstammes auf ein anderes Bankinstitut erfolgt.

4. Zusammenfassend muss nach alledem von einer übergreifenden, keinesfalls auf die Filiale F1xxxxxxx beschränkten Änderung der Arbeitsorganisation ausgegangen werden, welche sich aus den dargestellten Gründen als Rationalisierungsmaßnahme im Sinne des Tarifvertrages darstellt. Nach § 6 des Tarifvertrages stehen der Klägerin auf dieser Grundlage die begehrten Fahrtkosten zu. Über die Berechnung der Klageforderung besteht unter den Parteien kein Streit.

II

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

III

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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