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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 19.05.2008
Aktenzeichen: 8 Sa 288/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 2
BetrVG § 102
1. Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB bei ersichtlich überflüssigen Aufklärungsmaßnahmen

a) Verteidigt sich der im Automobilwerk tätige, zu einer Verdachtskündigung angehörte AN gegenüber dem Vorwurf eines versuchten Diebstahls mit dem Einwand einer Personenverwechselung, so wird der Lauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht durch zusätzliche Aufklärungsmaßnahmen gehemmt, mit denen der konkrete Wert der angeblich beim AN vorgefundenen Kfz-Teile (Anlasser) sowie deren Herkunft aus laufender Produktion oder Lager geklärt werden soll.

b) Überlässt der Arbeitgeber die Aufklärung auffälliger Sachverhalte einem eigenständig handelnden Ermittlungsdienst, ohne sicher zu stellen, dass in Zweifelsfällen Rückfrage bei der für Kündigungen zuständigen Personalabteilung gehalten wird, so liegt hierin ein eigenes Organisationsverschulden mit der Folge, dass sich der Arbeitgeber so behandeln lassen muss, als habe er Kenntnis vom Kündigungssachverhalt zu einem Zeitpunkt vor Durchführung der überflüssigen Aufklärungsmaßnahmen erlangt.

2. Mängel der Betriebsratsanhörung bei fehlenden Angaben zum Lauf der Zwei-Wochen-Frist

Die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist Teil des Kündigungsgrundes, so dass die für den Lauf der Kündigungsfrist maßgeblichen Tatsachen dem Betriebsrat im Zuge des Anhörungsverfahrens gemäß § 102 BetrVG mitgeteilt werden müssen.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 29.08.2007 - 5 Ca 1510/07 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1951 geborene und seit dem Jahre 1981 in der Automobilfabrik der Beklagten als Transportgerätefahrer beschäftigte Kläger gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch fristlose Kündigung vom 18.06.2007.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte auf den Vortrag, gegenüber dem Kläger bestehe der dringende und nicht anderweitig auszuräumende Verdacht eines Diebstahlversuchs. Am Abend des 18.05.2007 sei der Kläger unter Mitführung einer Plastiktüte von einem Werkschutzmitarbeiter angetroffen und zur Rede gestellt worden. Nachdem der Werkschutzmitarbeiter in der Plastiktüte scharfkantige Teile ertastet habe, sei der Kläger weggerannt und habe im Zuge der Verfolgung die mitgeführte Tüte, in welcher sich u.a. ein Bosch-Anlasser im Wert von ca. 142,-- € befunden habe, mit den Worten: "Das ist nicht meine Tüte" zwischen zwei parkenden Autos geworfen. Bei seiner Anhörung durch den Ermittlungsdienst am 21.05. und 24.05.2007 habe der Kläger den gesamten Hergang und insbesondere das Mitführen einer Plastiktüte bestritten, was indessen in Anbetracht der gegensätzlichen Schilderung des Werkschutzmitarbeiters sowie weiterer Umstände vollkommen unglaubwürdig sei. Nach Übersendung des Ermittlungsberichts vom 06.06.2007 (Bl. 32 ff. d.A.) an die Personalabteilung und nach erneuter persönlicher Anhörung des Klägers am 12.06.2007 unterrichtete die Beklagte den Betriebsrat mit schriftlicher Kündigungsvoranzeige vom 30.06.2007 (Bl. 30 ff. d.A.) über die beabsichtigte Kündigung und sprach nach Eingang der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats vom 15.06.2007 (Bl. 6 d.A.) die angegriffene Kündigung erfolgt aus.

Demgegenüber hat der Kläger den gesamten Kündigungssachverhalt bestritten und vorgetragen, zu keinem Zeitpunkt habe er die besagte Plastiktüte bei sich geführt, was der ihn begleitende Kollege N1 im Zuge seiner Vernehmung durch den Ermittlungsdienst auch bestätigt habe. Da auch die vom Werkschutzmitarbeiter gegebene Wegbeschreibung den Realitäten nicht entspreche, könne sich der Kläger dessen Aussage in keiner Weise erklären. Unabhängig von der fehlenden Berechtigung des Kündigungsvorwurfs scheitere die angegriffene Kündigung jedenfalls an der Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB, da nicht ersichtlich sei, inwiefern von Seiten des Ermittlungsdienstes oder der Personalabteilung nach Abschluss der Anhörungen vom 24.05.2007 Anlass bestanden habe, mit dem Ausspruch der Kündigung abzuwarten.

Durch Urteil vom 29.08.2007 (Bl. 56 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Fassung der Klageanträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.06.2007 nicht aufgelöst worden sei. Ferner ist die Beklagte verurteilt worden, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandschutzverfahrens als Stapler- und Schlepperfahrer weiter zu beschäftigen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, die Beklagte habe die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Zwar habe die kündigungsbefugte Personalabteilung Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erst nach Vorlage des Ermittlungsberichts vom 06.06.2007 erhalten. Unter den vorliegenden Umständen müsse sich die Beklagte indessen die Verzögerung der Sachverhaltsaufklärung durch den Ermittlungsdienst zurechnen lassen. Aus welchem Grunde der Leiter des Ermittlungsdienstes B5 nach Abschluss der Anhörung vom 24.05.2007 mit der Erstellung des Abschlussberichts vom 06.06.2007 noch rund 12 Tage gewartet habe, sei nicht ersichtlich. Da die Beklagte ihrerseits auch keine Angaben dazu gemacht habe, durch welche Organisationsmaßnahmen - etwa Vorgaben für die Arbeitsweise des Ermittlungsdienstes - die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist gewährleistet werde, müsse von einem entsprechenden Organisationsdefizit ausgegangen werden, so dass sie sich nicht darauf berufen könne, erst durch Vorlage des Ermittlungsberichts Kenntnis vom Kündigungssachverhalt erhalten zu haben.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung tritt die Beklagte dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils entgegen, die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei versäumt. Richtig sei zwar, dass am 24.05.2007 die Befragung des Klägers, seines Begleiters N1 sowie des Werkschutzmitarbeiters D5 abgeschlossen gewesen sei. Anschließend sei Herr B5 als Leiter des Ermittlungsdienstes indessen keineswegs untätig gewesen, vielmehr sei es erforderlich gewesen, den Wert der in der Tüte befindlichen Teile zu ermitteln und deren Herkunft - als aus der aktuellen Produktion oder dem Lagerbestand mit Teilen früherer Modelle stammend - zu verifizieren und der Frage nachzugehen, ob der Kläger bei seiner Tätigkeit auf derartige Teile Zugriff habe. Dies habe insofern auch den Interessen des Klägers gedient, als sich aus den Ermittlungen gegebenenfalls eine Entlastung des Klägers hätte ergeben können. Erst am 05.06.2007 seien diese Ermittlungen abgeschlossen gewesen, von einer vorwerfbaren Verzögerung könne keine Rede sein. Selbst wenn man aber die Erforderlichkeit der nach dem 24.05.2007 durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen in Zweifel ziehe und von einer dem Ermittlungsdienst anzulastenden Verzögerung ausgehe, könne diese nicht der Beklagten angelastet werden. Vielmehr habe die Beklagte durch ausreichende Organisationsmaßnahmen, insbesondere die Verfahrensanweisung für die Zusammenarbeit von Werkschutz und Ermittlungsdienst hinreichend klare Vorgaben für die zügige Durchführung von Ermittlungen aufgestellt. In Anbetracht von ca. 250 gemeldeten Vorgängen pro Jahr diene die Zwischenschaltung des Ermittlungsdienstes der Entlastung der Personalabteilung, an welche etwa nur zehn Prozent der zunächst gemeldeten Vorgänge weitergeleitet würden. Aufgabe des Ermittlungsdienstes sei es dementsprechend, erforderliche Ermittlungen mit der gebotenen Eile durchzuführen, worauf der langjährig als Leiter der Ermittlungsabteilung tätige Herr B5 auch wiederholt hingewiesen worden sei. In der Vergangenheit habe es insoweit auch keine Beanstandungen gegeben, so dass kein Anlass zu zusätzlichen Organisationsmaßnahmen bestanden habe. Entgegen dem Standpunkt des Klägers komme es auch nicht darauf an, dass dem Betriebsrat die vorstehend geschilderten Aufklärungsmaßnahmen aus dem Zeitraum zwischen dem 24.05. und 06.06.2007 nicht ausdrücklich mitgeteilt worden seien, vielmehr handele es sich beim diesbezüglichen Vorbringen um eine zulässige Erläuterung bzw. Konkretisierung des aus der Betriebsratsanhörung ersichtlichen Sachverhalts.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 29.08.2007 - 5 Ca 1510/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines Vorbringens als zutreffend und führt aus, der zweitinstanzliche Vortrag der Beklagten zu weiteren Ermittlungsmaßnahmen nach dem 24.05.2007 werde in tatsächlicher Hinsicht bestritten und sei rechtlich unerheblich. In Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei den in der Plastiktüte vorgefundenen Teilen ersichtlich um werthaltige Opel-Teile, nicht hingegen um Schrott o.ä. gehandelt habe, habe es keiner weiteren Ermittlungen von Seriennummer, Wert o.ä. bedurft. Da sich der Kläger auch keineswegs damit verteidigt habe, die fraglichen Teile stammten nicht aus dem Betrieb, habe auch kein Anlass zu hierauf bezogenen Nachforschungen und zur Frage etwaiger Zugriffsmöglichkeiten des Klägers bestanden. Die nach dem 24.05.2007 angeblich durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen seien danach weder objektiv erforderlich gewesen, noch habe die Beklagte bzw. der Ermittlungsdienst derartige Maßnahmen für erforderlich halten dürfen. Die Verantwortung für die hierdurch bewirkte Verzögerung der Kündigungsangelegenheit treffe auch keineswegs allein den Leiter des Ermittlungsdienstes, vielmehr fehle es ersichtlich an geeigneten Organisationsmaßnahmen der Beklagten selbst. Allein der Umstand, dass Herr B5 ganz allgemein auf die Dringlichkeit von Aufklärungsmaßnahmen hingewiesen worden sei und in der Vergangenheit diesbezüglich keine Beanstandungen aufgetreten seien, ändere nichts daran, dass die Entscheidung, welche Aufklärungsmaßnahmen mit welcher zeitlichen Intensität durchzuführen seien, nicht ausnahmslos vom Ermittlungsdienst getroffen werden könnten. Im Übrigen sei die Beklagte mit ihrem Vortrag zu den angeblich durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen ohnehin präkludiert, da der Betriebsrat hierüber nicht unterrichtet worden sei.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil ist das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hat.

1. Die Beklagte hält dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils entgegen, die erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen seien mit der Anhörung der Beteiligten vom 24.05.2007 nicht ausgeschöpft gewesen, vielmehr habe sie weitere Aufklärungsmaßnahmen für erforderlich halten dürfen, welche bis zum 05.06.2007 angedauert hätten.

a) Was zunächst die Wertermittlung der in der Plastiktüte vorgefundenen Teile betrifft, könnte dem Standpunkt der Beklagten allein für den Fall gefolgt werden, dass dem Wert der Teile irgendeine Relevanz für die Kündigungsentscheidung der Beklagten bzw. die zu erwartende gerichtliche Auseinandersetzung um die Berechtigung der Kündigung zukommen würde. Dies träfe sicherlich zu bei der Entwendung von Gegenständen geringen Werts oder bei der Abgrenzung von werthaltigen Teilen zu Schrottmaterial. Demgegenüber ist es auch für den Laien offensichtlich, dass ein elektrischer Anlasser (Neuteil) als Wertgegenstand anzusehen ist, dessen Entwendung ohne jede Diskussion die fristlose Kündigung rechtfertigt.

b) Ebenso wenig überzeugt der Vortrag der Beklagten zur erforderlichen Verifizierung der vorgefundenen Teile. Gleich ob es sich um Teile aus der laufenden Produktion oder um Ersatzteile für früher produzierte Automobile handelte, bestand auf der Grundlage der durchgeführten Anhörungen kein Anlass zu der Annahme, der Kläger wolle sich gegenüber dem erhobenen Vorwurf des Diebstahlversuchs damit verteidigen, er habe die fraglichen Teile von zu Hause mitgebracht oder anderweitig erworben, im Betrieb seien derartige Teile gar nicht vorhanden bzw. unterlägen weder seinem Zugriff noch dem Zugriff anderer Mitarbeiter.

c) In welchem Umfang der Arbeitgeber innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB Aufklärungsmaßnahmen für erforderlich erachten darf, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden. Unter Berücksichtigung der Erfahrungstatsache, dass ein fristlos entlassener Arbeitnehmer nicht selten im Kündigungsschutzprozess mit neuem Verteidigungsvorbringen hervortritt, kann es dem Arbeitgeber zwar nicht von vornherein versagt sein, vor Ausspruch der Kündigung seine Aufklärungsmaßnahmen auch auf solche Umstände auszudehnen, mit welchen einer möglichen "nachgebesserten" Verteidigung des Arbeitnehmers entgegen gewirkt werden soll. Dies kann indessen nur insoweit gelten, als aus der Sicht des verständigen Arbeitgebers das Risiko eines wechselnden Verteidigungsvorbringens reicht. Nachdem der Kläger und sein Kollege N1 bei ihrer Anhörung eine eindeutige Stellungnahme in dem Sinne abgegeben hatten, der Kläger habe gar keine Plastiktüte bei sich geführt, wäre ein Wechsel des Verteidigungsvorbringens in dem Sinne, die Plastiktüte auf dem Werksgelände gefunden oder die hierin enthaltenen Teile anderweitig erworben zu haben, offensichtlich ungeeignet, um der ausgesprochenen Verdachtskündigung ihre Grundlage zu entziehen. Dann lag aber die von der Beklagten vorgetragene "Verifizierung" der entwendeten Teile ersichtlich außerhalb des zur Aufklärung Gebotenen. Soweit die Beklagte demgegenüber darauf hinweist, dass sich durch die Ermittlungen gegebenenfalls auch ein den Kläger entlastender Sachverhalt hätte ergeben können, lag dies unter den konkreten Umständen ausgesprochen fern.

d) Geht man dementsprechend davon aus, dass die vom Leiter des Ermittlungsdienstes B5, nach dem 24.05.2007 durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen nicht mehr als erforderlich angesehen werden konnten, so führt dies allerdings nicht unmittelbar zur Versäumung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB, da nicht Herr B5, sondern allein die Personalabteilung zum Ausspruch einer Kündigung berechtigt war. Entgegen dem Standpunkt des Klägers kommt auch eine Zurechnung der durch Herrn B5 veranlassten zeitlichen Verzögerung entsprechend § 278 BGB nicht in Betracht, vielmehr kann die nach dem Gesetz maßgebliche Kenntnis des Kündigungsberechtigten allein unter dem Gesichtspunkt eines eigenen arbeitgeberseitigen Organisationsverschuldens auf den Zeitpunkt vorverlagert werden, zu welchem der Kündigungsberechtigte bei mängelfreier Organisation Kenntnis vom Kündigungsgrund erhalten hätte.

Die Einrichtung eines selbständig arbeitenden Ermittlungsdienstes als solche kann allerdings nicht beanstandet werden, vielmehr belegt der Vortrag der Beklagten, nach welchem nur zehn Prozent der jährlich gemeldeten 250 Vorfälle zur Personalabteilung gelangen, dass ein sachlicher Bedarf für eine "Vorabklärung" besteht. Ebenso wenig kann beanstandet werden, dass die Beklagte die Durchführung der für erforderlich gehaltenen Ermittlungen dem erfahrenen Mitarbeiter B5 überlässt, welcher seinerseits zwar nicht über spezielle juristische Kenntnisse verfügt, wohl aber über die Dringlichkeit kündigungsrelevanter Ermittlungsmaßnahmen informiert ist. Wie indessen die vorliegende Fallgestaltung zeigt, stellt sich die Frage des Umfangs der Ermittlungen nicht allein als reine Zweckmäßigkeitsfrage dar, vielmehr bedarf es entsprechend dem voranschreitenden Zeitablauf der verständigen Würdigung und Abwägung, ob und welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen noch als geeignet und sinnvoll anzusehen sind bzw. von welchen weiteren denkbaren Aufklärungsmaßnahmen Abstand genommen werden sollte, weil die hieraus zu gewinnenden Erkenntnisse in der konkreten Kündigungsangelegenheit keine Relevanz besitzen. Im Einzelfall kann danach die Einschätzung, ob weitere Ermittlungsmaßnahmen abgewartet werden sollen oder aber die vorliegenden Informationen zur "Kenntnis" im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB genügen, eine juristische Bewertung anhand der in Rechtsprechung und Literatur erstellten Grundsätze erfordern. Da entsprechende Rechtskenntnisse beim Leiter des Ermittlungsdienstes nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden können, bedarf es dementsprechend einer organisatorischen Absicherung in dem Sinne, dass in Zweifelsfällen Rückfrage bei der Personalabteilung zu halten ist, wenn auf der Grundlage der bisherigen Tatsachenfeststellungen eine außerordentliche Kündigung ernsthaft in Betracht kommt, weitere Ermittlungen allein noch der Absicherung gegen einen befürchteten Wechsel des Verteidigungsvorbringens dienen sollen und mit der weiteren Aufklärung eine nennenswerte zeitliche Verzögerung verbunden ist. Unterstellt man eine entsprechende Organisationsanweisung und hätte der Leiter des Ermittlungsdienstes sich zeitnah zum Abschluss der Anhörung vom 24.05.2007 an die Personalabteilung unter Darstellung der vorhandenen Erkenntnisse mit der Frage gewandt, ob zunächst noch eine Verifizierung der fraglichen Teile vorgenommen werden solle, so erscheint ausgeschlossen, dass die in der Personalabteilung der Beklagten tätigen und mit den hier maßgeblichen Fragen vertrauten Fachkräfte die Erklärung abgegeben hätten, der Ermittlungsdienst solle zunächst noch im einzelnen Wert und Herkunft der Teile ermitteln.

e) Ohne die vom Arbeitgeber gewählte Arbeitsorganisation - der Einrichtung eines selbständig handelenden Ermittlungsdienstes - wäre unter regulären Umständen kaum vorstellbar, dass ein derart bedeutsamer Vorgang nicht zeitnah der Personalabteilung gemeldet worden wäre. In Anbetracht der Betriebsgröße und der Vielzahl von Ermittlungsangelegenheiten mag es zwar noch im Rahmen der betriebsorganisatorischen Gestaltungsfreiheit liegen, von einer zeitnahen Einbeziehung der Personalabteilung auch in ersichtlich bedeutsamen Fällen abzusehen. Im Hinblick darauf, dass damit der Personalabteilung jedwede Kontrolle über die gebotene zügige Ermittlung des Kündigungssachverhalts entzogen ist, bedarf es dann aber jedenfalls der Aufstellung bestimmter Regeln, nach welchen der Ermittlungsdienst in Zweifelsfragen Rückfrage zu halten hat. Die - im Einzelfall schwierig zu beantwortende - Frage, ob und welche weiteren Aufklärungsmaßnahmen noch geboten sind und Aussicht bieten, die bereits ermittelten Verdachtstatsachen abzusichern, kann nicht abschließend auf eine betriebliche Stelle übertragen werden, welche mit den maßgeblichen rechtlichen Problemen nicht vertraut ist.

2. Aber selbst wenn man - abweichend von der vorstehenden Begründung - dem Standpunkt der Beklagten folgt, der Leiter des Ermittlungsdienstes habe die nach dem 24.05.2007 durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen noch für erforderlich halten dürfen, im Übrigen liege jedenfalls auf Seiten der Beklagten kein eigenes Organisationsverschulden vor, ist zu beachten, dass der diesbezügliche Tatsachenvortrag der Beklagten nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung gewesen ist und aus diesem Grunde nicht zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt werden kann.

a) Die Beklagte hat zwar den Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ausführlich informiert und ihm hierbei zusammen mit der Kündigungsvoranzeige vom 13.06.2007 den Ermittlungsbericht vom 06.06.2007 sowie die Unterlagen über die Anhörung der Beteiligten vom 21.05., 24.05. und 12.06.2007 vorgelegt, nicht hingegen umfasst der mitgeteilte Sachverhalt auch diejenigen Tatsachen, aus denen die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 KSchG folgt. Eine diesbezügliche Unvollständigkeit der Betriebsratsunterrichtung führt indessen - wie der Kläger zutreffend vorträgt - nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG, vielmehr gilt dies nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts allein für den Fall der bewussten Irreführung des Betriebsrats. Hierzu hat der Kläger ausdrücklich klargestellt, dass er eine solche Irreführung nicht behaupteten will.

b) Von der Frage der Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG zu unterscheiden ist der Gesichtspunkt der Präklusion solcher Tatsachen, welche nicht Gegenstand der Betriebsratsanhörung waren. Da es sich bei der Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB um einen Teil des materiellrechtlichen Kündigungsgrundes handelt, gehört zur vollständigen Unterrichtung des Betriebsrats die nachvollziehbare Darstellung derjenigen Tatsachen, aus denen der Betriebsrat ohne eigene Ermittlung den Zeitpunkt nachvollziehen kann, zu welchem der Arbeitgeber von den Kündigungstatsachen Kenntnis erhalten hat (APS-Koch, 3. Aufl., § 102 BetrVG Rn 129).

(1) Aus der schriftlichen Betriebsratsunterrichtung sowie den beigefügten Unterlagen ist zwar für den Betriebsrat unschwer zu erkennen, dass der maßgebliche Vorfall am 18.05.2007 stattgefunden hat und zeitnah die Anhörung des Klägers, des Werkschutzmitarbeiters sowie des Mitarbeiters N1 im Zeitraum bis zum 24.05.2007 stattgefunden haben. Weiter ist erkennbar, dass der Abschlussbericht des Ermittlungsdienstes vom 06.06.2007 stammt und der Kläger sowie Herr N1 von der Personalabteilung am 12.06.2007 befragt worden sind. Ob der Zeitraum zwischen dem 24.05.2007 und dem 06.06.2007 unbenutzt verstrichen ist, weil etwa eine weitere Bearbeitung des Vorgangs wegen Arbeitsüberlastung o.ä. nicht erfolgen konnte, der Vorgang versehentlich unbearbeitet geblieben ist oder ob - wie die Beklagte hier vorträgt - weitere Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt wurden, lässt sich der Betriebsratsanhörung nicht entnehmen. Ohne entsprechende Angaben war damit aber der Betriebsrat nicht in die Lage versetzt, sich ein zuverlässiges Bild davon zu verschaffen, ob im Zeitpunkt der Einleitung des Kündigungsverfahrens das Kündigungsrecht des Arbeitgebers möglicherweise bereits infolge Fristablaufs verloren war.

(2) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Unterrichtung des Betriebsrats über den Zeitpunkt der Kenntniserlangung und entsprechender Aufklärungsmaßnahmen auch nicht unter Hinweis auf die Grundsätze der sog. "subjektiven Determination" der Kündigungsgründe für entbehrlich gehalten werden. Zwar ist der Arbeitgeber darin frei, auf welche Gründe er die beabsichtigte Kündigung stützen und welche Tatsachen er zur Begründung der Kündigung anführen will. Aus dieser Dispositionsbefugnis folgt indessen nicht das Recht, zum Kündigungsgrund gehörende Tatsachen wegzulassen.

(3) Schließlich kann der Prozessvortrag zu den zusätzlichen Aufklärungsmaßnahmen auch nicht als bloße Konkretisierung oder Erläuterung des dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungssachverhalts angesehen werden, vielmehr lässt erstmals der Prozessvortrag der Beklagten einen Bezug zur Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist erkennen.

Mit Rücksicht auf die Tatsache, dass an die Durchführung der Betriebsratsanhörung nicht dieselben strengen Anforderungen wie an die substantiierte Darlegung der Kündigungsgründe im Prozess zu stellen sind, bestehen zwar keine Bedenken dagegen, dass der Arbeitgeber im Verhältnis zum Betriebsrat die für die Kündigung maßgeblichen Gesichtspunkte in knapper, aber nachvollziehbarer Form darstellt; insbesondere die Beifügung von Unterlagen oder Beweismitteln ist hierzu nicht erforderlich. Je nach den Umständen wird sich aus dem Zusammenhang auch eine konkludente Mitteilung kündigungsrelevanter Umstände entnehmen lassen, so insbesondere hinsichtlich negativer Tatbestandsmerkmale (Fehlen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe bei verhaltensbedingter Kündigung; Fehlen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeit bei der betriebsbedingter Kündigung). Teilt der Arbeitgeber die von ihm durchgeführte Sozialauswahl mit, so liegt hierin zugleich die konkludente Erklärung, andere Arbeitnehmer seien in den Kreis vergleichbarer Arbeitnehmer nicht aufzunehmen. Gibt der Prozessvortrag des Arbeitnehmers sodann Anlass zu ergänzendem Vortrag, lässt sich dieser ohne weiteres als Konkretisierung und Erläuterung der zuvor konkludent mitgeteilten negativen Tatsachen auffassen.

Diese Grundsätze der konkludenten Unterrichtung des Betriebsrats über kündigungsrelevante Umstände lassen sich indessen auf die Wahrung der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht übertragen. In der Mitteilung an den Betriebsrat, der Arbeitnehmer habe seine Pflichten schwerwiegend verletzt oder sei einer solchen Pflichtverletzung jedenfalls dringend verdächtig, so dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar sei, kann nicht zugleich die stillschweigende Erklärung gesehen werden, der Kündigungssachverhalt sei dem Kündigungsberechtigten nicht länger als zwei Wochen bekannt. Die Wahrung der Zwei-Wochen-Frist ist zwar - wie vorstehend ausgeführt - als Teil des Kündigungsgrundes anzusehen; die Versäumung der Zwei-Wochen-Frist indiziert zwingend die fehlende Unzumutbarkeit der Fortführung des Arbeitsverhältnisses. Dieser Zusammenhang vermag jedoch nichts daran zu ändern, dass der "wichtige Grund" an die Verwirklichung der Pflichtverletzung, die Versäumung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB hingegen an einen zeitlich späteren Vorgang anknüpft. Damit kann aber die Mitteilung des Arbeitgebers an den Betriebsrat, der Arbeitnehmer habe zu einem bestimmten Zeitpunkt einen wichtigen Grund zur Kündigung gegeben, nicht zugleich im Sinne einer stillschweigenden Unterrichtung gewürdigt werden, die Kenntnis vom Kündigungssachverhalt liege nicht länger als zwei Wochen zurück. Allein für den Fall, dass der mitgeteilte Zeitpunkt des Kündigungsereignisses bei Einleitung des Anhörungsverfahrens weniger als zwei Wochen zurückliegen, versteht sich die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist von selbst. Ergibt sich demgegenüber aus den mitgeteilten Daten, dass der Kündigungssachverhalt (einschließlich der mitgeteilten Anhörung des Arbeitnehmers) länger als zwei Wochen zurückliegt, so kann im Zuge der Betriebsratsanhörung nicht einfach unterstellt werden, der verstrichene Zeitraum sei zu weiteren erforderlichen Aufklärungsmaßnahmen genutzt worden.

Jedenfalls unter Berücksichtigung der hier maßgeblichen Umstände und der Einlassung des Klägers war für den Betriebsrat anhand der vorgelegten Unterlagen weder die Notwendigkeit noch die tatsächliche Durchführung zusätzlicher Ermittlungen erkennbar. Damit handelt es sich aber bei dem Prozessvortrag der Beklagten zu den nach dem 24.05.2007 durchgeführten Aufklärungsmaßnahmen nicht um eine bloße Erläuterung zuvor stillschweigend mitgeteilter Umstände. Hat aber der diesbezügliche Prozessvortrag unberücksichtigt zu bleiben, fehlt es an der erforderlichen Unterrichtung des Betriebsrats zur Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB.

II

Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung steht dem Kläger auch der verfolgte Weiterbeschäftigungsanspruch zu. Die zwischen den Parteien vereinbarte vorläufige Weiterbeschäftigung ist ausdrücklich allein zur Abwendung der Zwangsvollstreckung erfolgt und aus diesem Grunde für Zulässigkeit und Begründetheit des Beschäftigungsantrages ohne Belang.

III

Die Kosten der erfolglosen Berufung hat die Beklagte zu tragen.

IV

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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