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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.09.2006
Aktenzeichen: 8 Sa 437/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Der dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG zustehende Beurteilungsspielraum ist überschritten, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer schematischen Anwendung der sog. "Hammer Tabelle" die Tatsache unberücksichtigt lässt, dass ein 50 Jahre alter ungelernter Arbeitnehmer im Verhältnis zu einem 31 Jahre alten vergleichbaren Arbeitnehmer schlechtere Aussichten hat, eine neue Anstellung zu finden. Allein die längere Betriebszugehörigkeit des jüngeren Arbeitnehmer von zehn gegenüber sieben Jahren kann den Gesichtspunkt der deutlich schlechteren Arbeitsmarktchancen des älteren Arbeitnehmer nicht kompensieren.
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 27.01.2006 - 1 Ca 1165/05 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand:

Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1954 geborene, verheiratete und gegenüber seiner 14 Jahre alten Tochter unterhaltspflichtige Kläger, welcher seit dem Jahre 1998 im Betrieb der Beklagten als Produktionshelfer gegen einen Stundenlohn von 12,01 € brutto beschäftigt ist, gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung vom 29.08.2005 mit Wirkung zum 31.10.2005. Ferner macht der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits geltend.

Die angegriffene Kündigung stützt die Beklagte, welche sich mit der Herstellung von Küchenmöbeln befasst und rechnerisch ca. 150 Arbeitnehmer beschäftigt, auf den Vortrag, mit Rücksicht auf einen Umsatzrückgang und die hierdurch bedingte mangelnde Auslastung der Beschäftigten sei die Entscheidung getroffen worden, zwei Montagebänder zusammenzulegen und hierbei zwei Helferarbeitsplätze abzubauen. Im Zuge der auf den Kreis der Helfer ausgedehnten Sozialauswahl - der Klägers selbst war nicht am Montageband, sondern als Packer an Platz 7071 tätig - sei die getroffene Auswahlentscheidung auf den Kläger sowie den ebenfalls entlassenen Arbeitnehmer N3xxxxxx gefallen, wobei sich die Beklagte bei der Sozialauswahl in etwa an das Punkteschema der sog. Hammer Tabelle angelehnt habe. Dementsprechend seien pro Jahr der Betriebszugehörigkeit vier Punkte, für den Familienstand (verheiratet) fünf Punkte und für jedes Kinder laut Lohnsteuerkarte fünf Punkte in Ansatz gebracht worden. Für das Lebensalter sieht das angewandte Punkteschema eine Staffelung dergestalt vor, dass bis zum Alter von 20 Jahren kein Punkt vergeben wird, bis zum Alter von 30 Jahren wird ein Punkt und ansteigend bis zu einem Alter von 56 Jahren werden bis zu fünf Punkte (insgesamt, d. h. nicht pro Lebensjahr) in Ansatz gebracht.

Entsprechend der Liste zur Sozialauswahl Bl. 24 d.A. ergab sich damit für den Kläger auf der Grundlage einer Betriebszugehörigkeit von sieben Jahren (28 Punkte), seines Familienstandes - verheiratet, 1 Kind - (zusammen 10 Punkte) und seines Alters von fünfzig Jahren (3 Punkte) eine Gesamtzahl von 41 Punkten. Der ebenfalls entlassene Mitarbeiter N3xxxxxx erreicht nach der dargestellten Tabelle 34,5 Punkte.

Der Kläger hält die angegriffene Kündigung für unwirksam, bestreitet insoweit die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sowie die behaupteten betriebsbedingten Gründe und macht ferner geltend, die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl entspreche nicht den gesetzlichen Vorgaben. Das vom Arbeitgeber verwendete Punkteschema berücksichtige einseitig die Dauer der Betriebszugehörigkeit und messe dem Lebensalter nur unzureichende Bedeutung zu. Dementsprechend sei die Sozialauswahl insbesondere im Verhältnis zu den jüngeren Arbeitnehmern K5xxxxx, K4xxxxx und E4xxx zu beanstanden, deren Sozialdaten wie folgt lauten:

K5xxxxx Alter 40 Jahre, Betriebszugeh. 11 Jahre, verh. 51 Punkte

K4xxxxx Alter 31 Jahre, Betriebszugeh. 10 Jahre, verh., 1 Kind, 52 Punkte

E4xxx Alter 33 Jahre, Betriebszugeh. 12 Jahre, verh., 55 Punkte.

Durch Urteil vom 27.01.2006 (Bl. 42 ff. d. A.), auf welches des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die angegriffene Kündigung vom 29.08.2005 nicht beendet worden ist. Weiter ist die Beklagte zur arbeitsvertragsgemäßen Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsstreits verurteilt worden. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, unabhängig von der Frage der ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung und unabhängig davon, ob die von der Beklagten behaupteten betriebsbedingten Gründe vorlägen, scheitere die Wirksamkeit der Kündigung jedenfalls am Gesichtspunkt der fehlerhaften Sozialauswahl. Das von der Beklagten angewandte Punkteschema müsse nämlich als unwirksam und damit unanwendbar angesehen werden, da es die nach dem Gesetz maßgeblichen Auswahlgesichtspunkte nicht gleichwertig berücksichtige, sondern dem Lebensalter eine vollkommen untergeordnete Bedeutung beimesse. Wie sich etwa beim Vergleich eines 20jährigen und eines 50jährigen Arbeitnehmers zeige, werde der Altersunterschied nur mit drei Punkten, hingegen bereits ein Jahr der Betriebszugehörigkeit mit vier Punkten berücksichtigt. In Anbetracht der Tatsache, dass es für einen älteren Arbeitnehmer ungleich schwerer sei, nach der Entlassung einen neuen Arbeitsplatz zu finden als für einen jüngeren Arbeitnehmer, werde mit einem solchen Auswahlschema der dem Arbeitgeber zustehende Beurteilungsspielraum überschritten. Berücksichtige man demgegenüber in angemessener Weise auch das Lebensalter, so müsse der Kläger im Verhältnis zu den Mitarbeitern K4xxxxx, E4xxx und K5xxxxx als schutzwürdiger angesehen werden.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens gegen den Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils, die getroffene Sozialauswahl verstoße gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG. Das Gesetz verlange allein eine ausreichende Berücksichtigung der sozialen Gesichtspunkte. Der sich hieraus ergebende Beurteilungsspielraum sei auf der Grundlage des angewandten Punkteschemas jedenfalls nicht überschritten, vielmehr habe die Beklagte sämtliche im Gesetz genannten Auswahlgesichtspunkte bei ihrer Sozialauswahl berücksichtigt. Entgegen dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils könne auch nicht beanstandet werden, dass bei der getroffenen Sozialauswahl dem Gesichtspunkt der Betriebszugehörigkeit deutlich mehr Gewicht als dem Lebensalter beigemessen worden sei. Jedenfalls in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit seien nämlich sowohl jüngere als auch ältere Arbeitnehmer mit dem Risiko belastet, auf dem Arbeitsmarkt keine neue Stelle zu finden. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass das verwendete Punkteschema zu einer übermäßigen Betonung der Betriebszugehörigkeit führe und zur Korrektur des angeblichen Mangels die Betriebszugehörigkeit etwa nur mit einem statt mit vier Punkten pro Beschäftigungsjahr in Ansatz gebracht werde, sei die vorgenommene Auswahlentscheidung jedenfalls im Ergebnis vom gesetzlichen Beurteilungsspielraum gedeckt, da sich auch auf dieser Grundlage lediglich eine geringfügige Punktedifferenz (K4xxxxx 21 Punkte, E4xxx 19 Punkte, K5xxxxx 18 Punkte, Kläger 20 Punkte) ergebe. Eine verbindliche Orientierung an der rechnerisch ermittelten Punktezahl sei nach der gesetzlichen Regelung gerade nicht gefordert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Herford abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.

I

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die angegriffene Kündigung nicht beendet worden.

In Übereinstimmung mit dem Urteil des Arbeitsgerichts hält die von der Beklagten durchgeführte Sozialauswahl der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Auch unter Beachtung des dem Arbeitgeber zustehenden Beurteilungsspielraums muss hier im Ergebnis von einem Verstoß gegen die Vorschrift des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ausgegangen werden.

1. Die Beklagte hat sich bei ihrer Auswahlentscheidung an einem Punkteschema orientiert, welches die im Gesetz verbindlich genannten Auswahlgesichtspunkte sämtlich berücksichtigt. Die Verwendung eines derartigen Auswahlschemas zur Vorauswahl begegnet unter diesen Umständen keinen rechtlichen Bedenken. Dies gilt unabhängig davon, dass es sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschl. v. 26.07.2005 - 1 ABR 29/04 - AP Nr. 43 zu § 95 BetrVG 1972) bei einem derartigen Punkteschema um eine Auswahlrichtlinie im Sinne des § 95 BetrVG handelt, so dass dem Betriebsrat entsprechende Mitbestimmungsrechte zustehen. Der Verstoß gegen das diesbezügliche Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats führt jedoch weder zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung noch zur Annahme einer fehlerhaften Sozialauswahl, sondern allein dazu, dass es für die gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl beim Prüfungsmaßstab der "ausreichenden

Berücksichtigung" der maßgeblichen Auswahlkriterien verbleibt, nicht hingegen der für mitbestimmte Auswahlrichtlinien nach § 1 Abs. 4 KSchG vorgesehene privilegierte Prüfungsmaßstab der "groben Fehlerhaftigkeit" zur Anwendung gelangt.

2. Wie das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner Entscheidung vom 24.03.1983 - AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung - ausgeführt hat, begründet die Verwendung von Punktesystemen zur Prüfung der Sozialauswahl jedenfalls die Gefahr einer schematischen Handhabung, welche für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keinen hinreichenden Spielraum lässt. Auch wenn nach der jetzt maßgeblichen Gesetzesfassung die Überprüfung der Sozialauswahl allein noch anhand der vier genannten Grundkriterien zu erfolgen hat, ändert dies nichts daran, dass eine schematische, fest an einem Punktesystem ausgerichtete Sozialauswahl die erforderliche Richtigkeitsgewähr nicht bieten kann. Gerade weil es an einer gesetzlichen Gewichtung der für die Sozialauswahl maßgeblichen Kriterien fehlt, kann die Entscheidung, welcher Arbeitnehmer letztlich nach den Regeln der Sozialauswahl zur Entlassung auszuwählen ist, nur auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung erfolgen. Unter Berücksichtigung der erforderlichen "Feinjustierung" der Sozialauswahl bestehen damit allein gegen eine Vorauswahl nach einem - gegebenenfalls mitbestimmten - abstrakten Punktesystem keine Bedenken, zumal auf diese Weise am ehesten dem Einwand vorgebeugt werden kann, die Auswahl sei unsystematisch oder gar willkürlich mit dem Ziel der Entlassung missliebiger Arbeitnehmer durchgeführt worden. Eine strikte Bindung oder auch Selbstbindung des Arbeitgebers an das schematisch gefundene Ergebnis der Vorauswahl muss unter diesen Umständen ausscheiden.

3. Unter Beachtung dieser begrenzten Funktion von Punktetabellen zur Vorauswahl bedarf es keiner abstrakten Erwägungen, ob schon das hier verwendete Schema, welches sich an der in der Praxis - neben anderen Punktesystemen - verbreiteten "Hammer Tabelle" orientiert, als solches als unausgewogen anzusehen ist, etwa weil es ersichtlich die Dauer der Betriebszugehörigkeit stark betont und die übrigen Auswahlkriterien nur mit deutlich geringerer Wertigkeit berücksichtigt. Gegenstand der rechtlichen Beurteilung im Kündigungsschutzprozess ist im Hinblick auf die Frage der Sozialauswahl die vom Arbeitgeber getroffenen Auswahlentscheidung im Sinne eines bestimmten Auswahlergebnisses, nicht hingegen die Richtigkeit oder Fehlerhaftigkeit der getroffenen Auswahlüberlegungen. Auch auf der Grundlage eines zumindest in Grenzbereichen problematischen Punktesystems kann im Ergebnis doch eine Auswahlentscheidung getroffen worden sein, welche dem Maßstab der "ausreichenden Berücksichtigung" sozialer Gesichtspunkte genügt.

4. Vorliegend führt die abschließende rechtliche Beurteilung der getroffenen Sozialauswahl unter Einbeziehung der übrigen, mit dem Kläger vergleichbaren Helfern K5xxxxx, K4xxxxx und E4xxx in Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil zu dem Ergebnis, dass die Beklagte die maßgeblichen Auswahlgesichtspunkte nicht - wie vom Gesetz gefordert - ausreichend berücksichtigt, sondern den ihr eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat.

a) Die von der Beklagten getroffene, konsequent am verwendeten Punktesystem ausgerichtete Gewichtung der Sozialkriterien mit dem Ergebnis, dass der Kläger als zu entlassender Arbeitnehmer ausgewählt worden ist, beruht entscheidend auf den Umstand, dass die Beklagte dem Altersunterschied zwischen dem Kläger und etwa dem Arbeitnehmer K4xxxxx keine wesentliche Bedeutung beigemessen, sondern entscheidend auf die unterschiedliche Dauer der Betriebszugehörigkeit abgestellt hat. Auch wenn der Umstand berücksichtigt wird, dass die gesetzliche Regelung selbst weder einen Vorrang einzelner Auswahlgesichtspunkte noch umgekehrt eine strikte Gleichwertigkeit vorgibt, bedeutet dies nicht, dass beim konkreten Vergleich unter denjenigen Personen, welche unter Beachtung der insgesamt zu berücksichtigten Kriterien in die abschließende Auswahlentscheidung einzubeziehen sind, ein absoluter Vorrang eines der Kriterien - etwa der Betriebszugehörigkeit - angenommen werden kann. Während innerhalb derselben Altersgruppe - etwa bei einem Lebensalter zwischen 30 und 40 Jahren - eine Rangfolge nach Maßgabe der Betriebszugehörigkeit nahe liegt und etwa bei der Gegenüberstellung zweier Arbeitnehmer mit Beschäftigungszeiten von zwei und vier Jahren der um zwei Jahre längeren Betriebszugehörigkeit keine geringere Bedeutung als einer Unterhaltsverpflichtung beizumessen sein mag, so dass gegen die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit mit 4 Punkten pro Beschäftigungsjahr in dieser Konstellation keine Bedenken bestehen, stellt sich die Frage nach der Gewichtung der Betriebszugehörigkeit vollkommen anders dar, wenn der eine Arbeitnehmer eine besonders hohe Betriebszugehörigkeit aufzuweisen hat, der andere Arbeitnehmer hingegen auf ein deutlich höheres Lebensalter verweisen kann. Maßgeblich für die Sozialauswahl ist die Überlegung, welchen der beiden Arbeitnehmer die Entlassung weniger hart treffen wird.

b) Dementsprechend mag es durchaus zutreffen, wenn Etzel (in KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG, Rz 678 g) das Beispiel bildet, dass bei der Sozialauswahl der 32jährige Arbeitnehmer mit 14jähriger Betriebszugehörigkeit von einer Kündigung verschont und stattdessen der 50jährige Arbeitnehmer mit 10jähriger Betriebszugehörigkeit zur Kündigung ausgewählt wird, weil in der Branche des Arbeitgebers ältere Arbeitnehmer wegen der erforderlichen Berufserfahrung keine wesentlich geringeren Chancen auf dem Arbeitsmarkt als jüngere Arbeitnehmer haben. Bei Fehlen der von Etzel genannten branchenspezifischen Gegebenheiten ist demgegenüber zu berücksichtigen, dass erfahrungsgemäß ältere Arbeitnehmer, erst recht wenn sie keine Tätigkeit ausüben, bei welcher die Frage der Berufserfahrung von Belang ist, stärker als jüngere Arbeitnehmer der Gefahr ausgesetzt sind, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes dauerhaft ohne Beschäftigung zu bleiben. Eben dies trifft konkret für die vom Kläger ausgeübte Helfertätigkeit zu, für welche nicht berufliche Erfahrung und menschliche Reife, sondern vorrangig Geschicklichkeit und Körperkraft maßgeblich sind, welche - in der Sache durchaus nachvollziehbar - am Arbeitsmarkt tendenziell eher den jüngeren Arbeitnehmern zugeordnet werden. Soweit die Beklagte hierzu ausführt, dass auch ein 31jähriger Helfer unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen nicht ohne weiteres eine neue Beschäftigung finden kann, trifft dies sicher zu, vermag aber nichts daran zu ändern, dass die Arbeitsmarktschancen eines 50jährigen gegenüber denjenigen eines 31jährigen Helfers als deutlich schlechter angesehen werden müssen.

c) Richtig ist allerdings, dass mit der vom Arbeitnehmer erbrachte Betriebstreue ein proportionaler Anstieg des "sozialen Besitzstandes" einhergeht, der bei der sozialen Auswahl nicht unberücksichtigt bleiben darf. Andererseits zählt auch ein bereits sieben Jahre lang beschäftigter Arbeitnehmer wie der Kläger schon zum Stammpersonal. Die von der Beklagten vorgenommene schematische Bewertung der geleisteten Betriebstreue mit vier Punkten pro Beschäftigungsjahr und die vergleichsweise geringfügige Berücksichtigung des Altersunterschiedes von 19 Jahren muss jedenfalls unter Berücksichtigung des fortgeschrittenen Lebensalters des Klägers und der hiermit verbundenen Einschränkung der Chancen am Arbeitsmarkt als fehlerhaft angesehen werden.

d) Entgegen dem Standpunkt der Beklagten ist die von ihr abweichend getroffene Sozialauswahl auch nicht von dem gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraum gedeckt.

Richtig ist zwar, dass das Gesetz vom Arbeitgeber allein eine "ausreichende" Berücksichtigung sozialer Belange fordert. Nicht die vom Gericht für optimal gehaltene, sondern die vom Arbeitgeber getroffene Auswahlentscheidung ist zu akzeptieren, sofern sie sich innerhalb des zugebilligten Beurteilungsspielraums hält. Andererseits reicht der dem Arbeitgeber zugewiesen Beurteilungsspielraum nicht so weit, dass nur bei grober Verkennung der Auswahlmaßstäbe die Grenzen des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG überschritten sind.

Hiervon abweichend soll allerdings nach der Auffassung von Etzel (KR-Etzel, a.a.O., Rz 678 h) der dem Arbeitgeber zugewiesene Beurteilungsspielraum in der Weise verstanden werden, dass die Sozialwidrigkeit der Kündigung nur bei grober Fehlerhaftigkeit angenommen werden könne; für eine Unterscheidung zwischen einer bloß fehlerhaften Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG und einer grob fehlerhaften Sozialauswahl im Sinne de § 1 Abs. 4 KSchG sei ein brauchbarer Maßstab nicht vorhanden. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Weder entspricht es dem allgemeinen Sprachverständnis, eine "nicht ausreichende" Sozialauswahl zugleich als "grob fehlerhaft" anzusehen, noch steht die Einebnung der genannten Maßstäbe mit der Gesetzessystematik in Einklang. Während nach § 1 Abs. 4 KSchG bei Vorliegen einer Auswahlrichtlinie gem. § 95 BetrVG oder einer entsprechenden tariflichen Regelung die von den Beteiligten vereinbarte Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden kann und dieselbe Einschränkung des Prüfungsmaßstabes im Fall des § 1 Abs. 5 KSchG unter der Voraussetzung ergibt, dass die zu entlassenden Arbeitnehmer in einem Interessenausgleich namentlich bezeichnet worden sind, geht es im vorliegenden Zusammenhang um die allein vom Arbeitgeber getroffene Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG. Die in § 1 Abs. 4 und 5 KSchG vorgesehene Privilegierung der von den Betriebs- oder Tarifparteien abgesegneten Sozialauswahl knüpft ersichtlich an die Vorstellung einer erhöhten Richtigkeitsgewähr an. Allein für den Fall, dass bei einer solchen mitbestimmten Regelung die Grundsätze der Sozialauswahl grundlegend verkannt worden sind und etwa ein maßgebliches Auswahlkriterium vollkommen unberücksichtigt geblieben ist, führt zum Verdikt der groben Fehlerhaftigkeit. Schon diese Überlegungen machen deutlich, dass für die allein vom Arbeitgeber getroffene Auswahlentscheidung gemäß § 1 Abs. 3 KSchG andere Maßstäbe gelten. Dass die vom Arbeitgeber getroffene Sozialauswahl allein dem Maßstab der "ausreichenden Berücksichtigung" der gesetzlich genannten Kriterien genügen muss, trägt dem Umstand Rechnung, dass es sich bei der Auswahlentscheidung nicht um einen mathematisch exakt nachvollziehbaren Prozess, sondern um einen Bewertungsvorgang handelt, bei welchem nicht ein bestimmtes Ergebnis als allein zutreffend angesehen werden kann. Berücksichtigt man weiter, dass die Wertigkeit der einzelnen Auswahlgesichtspunkte nicht abstrakt, sondern nur einzelfallbezogen bestimmt werden kann, so dass eine sichere Vorhersage, ob die Auswahlentscheidung einer strengen richterlichen Kontrolle standhält, so erweist sich die Zuweisung eines Beurteilungsspielraums als sachgerecht, ohne dass dies mit dem Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit verwechselt werden darf.

e) Vorliegend indiziert bereits die schematische Vorgehensweise der Beklagten im Sinne einer strengen Orientierung an dem gewählten Auswahlschema, dass die erforderliche abschließende Einzelfallprüfung unterblieben ist. Dementsprechend könnte zweifelhaft sein, ob die Beklagte sich unter diesen Umständen auf einen Beurteilungsspielraum berufen kann, welcher an sich der Kompensation der Unwägbarkeiten der Sozialauswahl dient. Zwar schließt allein die Fehlerhaftigkeit des Auswahlvorgangs nicht aus, dass der Arbeitgeber gleichwohl ein zutreffendes Auswahlergebnis gefunden hat. Ob dem Arbeitgeber, der die erforderliche Einzelfallabwägung unterlassen hat, der gleiche weite Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist wie demjenigen Arbeitgeber, der bei der Abwägung der maßgeblichen Auswahlkriterien zu einem angreifbaren, letztlich aber doch noch vertretbaren Auswahlergebnis gelangt ist, erscheint nicht selbstverständlich.

Letztlich kann diese Frage jedoch offenbleiben. Die Tatsache, dass bei der konkreten Gegenüberstellung der sozialen Verhältnisse des Klägers einerseits und des Arbeitnehmers K4xxxxx andererseits der Gesichtspunkt der ungünstigen Arbeitsmarktchancen des Klägers vollkommen unberücksichtig geblieben ist, muss nämlich als Überschreitung des zugebilligten Beurteilungsspielraums angesehen werden.

Wie bereits ausgeführt, vermag allein die erhöhte Betriebstreue des Mitarbeiters K4xxxxx von 10 gegenüber 7 Jahren des Klägers nichts daran zu ändern, dass der Kläger in seinem Alter als ungelernte Arbeitskraft kaum Aussichten auf neue Arbeit hat, wohingegen der erst 31 Jahre alte Arbeitnehmer K4xxxxx nach der Lebenserfahrung deutlich bessere Arbeitsmarktchancen besitzt. Nicht anders als Herr K4xxxxx ist auch der Kläger verheiratet und gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Die Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber seiner Tochter kann auch nicht etwa im Vergleich zur Unterhaltspflicht des Mitarbeiters K4xxxxx als weniger bedeutsam angesehen werden, weil - wie mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist - das Kind der Eheleute K4xxxxx noch für einen längeren Zeitraum als die 14-jährige Tochter des Klägers auf Unterhaltsleistungen angewiesen sein wird. Dass der Kläger im Gegensatz zu Herrn K4xxxxx nur noch für einen überschaubaren Zeitraum Unterhalt für seine Tochter zu leisten hat, kann unter den heutigen Verhältnissen keineswegs unterstellt werden. Der künftige Wegfall von Unterhaltspflichten kann aber bei der Überprüfung der Sozialauswahl nur berücksichtigt werden, wenn insoweit eine annähernd sichere Prognose in Betracht kommt. Berücksichtigt man die Verpflichtung der Eltern, auch für die Dauer einer angemessenen Berufsausbildung Unterhalt zu zahlen, so kann von einem zeitnahen Wegfall der Unterhaltspflicht des Klägers nicht ausgegangen werden.

f) Gegen die vorliegende Bewertung der Sozialauswahl als nicht mehr "ausreichend" im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG kann auch nicht eingewandt werden, der Zwang, das erhöhte Arbeitsmarktrisiko älterer Arbeitnehmer angemessen und deutlicher als nach der sog. Hammer Tabelle zu berücksichtigen, führe im Ergebnis zu einer Überalterung der Belegschaft. Auf etwaige Überlegungen zur Frage einer ausgewogenen Altersstruktur kommt es im vorliegenden Zusammenhang schon deshalb nicht an, weil die Beklagte weder im Prozess noch bei der vorangehenden Betriebsratsanhörung sich auf vorrangige betriebliche Belange im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berufen hat. Dann kann aber auch nicht im Zusammenhang mit der Frage nach der Reichweite des Beurteilungsspielraums auf hypothetische Erwägungen zur Durchbrechung der Sozialauswahl wegen vorrangiger betrieblicher Interessen und zur Wahrung einer ausgewogenen Personal- und Altersstruktur zurückgegriffen werden.

g) Im Ergebnis ist damit die Auswahlentscheidung der Beklagten - wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat - nicht mehr vom gesetzlich vorgegebenen Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers gem. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG gedeckt. Dies führt zur Sozialwidrigkeit der Kündigung.

II

Mit Rücksicht auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zum Abschluss des Rechtsstreits vorläufig weiterzubeschäftigen. Wie die Beklagte klargestellt hat, wird der Kläger derzeit allein zur Abwehr von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen beschäftigt. Hieraus ergibt sich, dass dem Kläger weder ein Rechtsschutzinteresse abgesprochen werden kann, am Weiterbeschäftigungsantrag festzuhalten, noch erst recht ist der verfolgte Beschäftigungsanspruch durch Erfüllung der titulierten Beschäftigungsverpflichtung erloschen.

III

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen, da sie unterlegen ist.

IV

Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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