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Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: 8 Sa 455/04
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 3
BetrVG § 87 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 05.02.2004 - 2 Ca 4422/03 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand: Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin, welche in der Zeit vom 01.04.1995 bis zum 31.12.2003 im Großhandelsbetrieb der Beklagten als kaufmännische Angestellte beschäftigt war und aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung vom 27.08.2003 mit Wirkung zum 31.12.2003 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, die Zahlung eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2003. Diesen Anspruch stützt die Klägerin auf eine zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber geschlossene Betriebsvereinbarung vom 20.11.2003, welche - unter Anrechnung tariflicher Leistungen - eine Gratifikationszahlung in Höhe von 60% des Bruttoentgeltes vorsieht. Nach Ziffer 2 der Betriebsvereinbarung ist Voraussetzung für die Zahlung der Weihnachtsgratifikation, dass das Arbeitsverhältnis am Auszahlungstag ungekündigt ist, wobei gleichgültig ist, ob die Kündigung durch den Arbeitnehmer oder durch den Arbeitgeber erfolgt. Die Klägerin hat im ersten Rechtszuge vorgetragen, zwar sei das Arbeitsverhältnis formell durch Kündigung beendet worden. Gleichwohl müsse im Hinblick auf den Gratifikationsanspruch das Arbeitsverhältnis als einvernehmlich beendet angesehen werden. Nachdem nämlich die Beklagte der Klägerin zunächst einen Aufhebungsvertrag angeboten und allein auf Initiative der Klägerin zur Vermeidung von Problemen mit dem Arbeitsamt statt dessen eine Beendigung in Form von Kündigung und Abwicklungsvertrag gewählt worden sei, könne der Ausschlusstatbestand gemäß Ziffer 2 der Betriebsvereinbarung nicht angewendet werden. Durch Urteil vom 05.02.2004 (Bl. 19 ff.) auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, unzweifelhaft sei das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet worden. Die Tatsache, dass zunächst beabsichtigt gewesen sei, einen Aufhebungsvertrag zu schließen, vermöge hieran nichts zu ändern. Mit ihrer rechtzeitig eingelegten begründeten Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter und trägt vor, zwischen den Parteien habe im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Einigkeit darüber bestanden, dass vom Regelungsgehalt her ein Aufhebungsvertrag gewollt sei. Allein um der Klägerin Mühen und Kosten zu sparen, sei dieser dann in eine andere Form gefasst und durch Kündigung und Abwicklungsvertrag ersetzt worden. Dementsprechend sei die Klägerin so zu stellen, als ob sie aufgrund Aufhebungsvertrages ausgeschieden sei. Im Falle eines Aufhebungsvertrages habe der Klägerin aber unzweifelhaft ein Anspruch auf Gratifikationszahlung zugestanden. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 05.02.2004 - 2 Ca 4422/03 -, zugestellt am 17.02.2004, abzuändern und die Beklagte kostenpflichtig zu verurteilen, an die Klägerin 889,75 EUR brutto nebst 5% Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen. Die Beklagten beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend und vertritt im Übrigen den Standpunkt, selbst im Falle eines Aufhebungsvertrages habe der Klägerin nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung ein Anspruch auf Zahlung der Gratifikationsleistung nicht zugestanden. Ziel der Betriebsvereinbarung sei es ersichtlich, eine Motivation für die zukünftige Dienstleistung zu schaffen. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entfalle diese Motivation unabhängig von der gewählten Beendigungsform. Hierfür spreche auch schließlich der in der Betriebsvereinbarung vorgesehene Rückzahlungsvorbehalt. Entscheidungsgründe: Die Berufung der Klägerin bleibt ohne Erfolg. I Der Klägerin steht der verfolgte Anspruch auf Zahlung einer Gratifikationsleistung nicht zu. 1. Soweit die Klägerin ihr Begehren unmittelbar auf die Betriebsvereinbarung vom 20.11.2003 stützt, steht diesem Anspruch - unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung (dazu unter Ziff. 2) - schon der Umstand entgegen, dass die Klägerin die in der Betriebsvereinbarung genannten Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt. Am Auszahlungstag war nämlich das Arbeitsverhältnis nicht ungekündigt. Die in der Betriebsvereinbarung getroffene Regelung ist eindeutig und einer abweichenden Auslegung nicht zugänglich, ohne dass es auf diejenigen Gründe ankommt, welche die Parteien dazu veranlasst haben, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung zu beenden. Dass die Parteien eine Kündigung nur zum Schein - zwecks Täuschung des Arbeitsamtes - vorgeschoben hätten, trägt die Klägerin selbst nicht vor. 2. Aus den vorgetragenen Umständen lässt sich auch nicht die stillschweigende Abrede entnehmen, die Klägerin solle so gestellt werden, als sei sie nicht durch Kündigung, sondern durch den angebotenen Aufhebungsvertrag ausgeschieden, wodurch ihr der Gratifikationsanspruch erhalten bleiben solle. a) Hiergegen spricht schon die Tatsache, dass nach dem Inhalt des angebotenen Aufhebungsvertrages die Klägerin allein eine Abfindung gemäß Ziffer 2 des Aufhebungsvertrages sowie gegebenenfalls Urlaubsabgeltung und Abgeltung von Mehrarbeit gemäß Ziffer 3 des Vertrages erhalten sollte. Weitere Leistungen wurden hingegen durch Ziffer 6 des Aufhebungsvertrages ausdrücklich abbedungen. Eine entsprechende Regelung enthält insoweit auch der zwischen den Parteien geschlossene Abwicklungsvertrag. Aus beiden Dokumenten ergibt sich eindeutig, dass die Klägerin (neben der laufenden Arbeitsvergütung) allein die im Vertrag erwähnten Leistungen sollte beanspruchen können. Eine bewusste Besserstellung der Klägerin im Hinblick auf den Gratifikationsanspruch war mit dem angebotenen Aufhebungsvertrag gerade nicht verbunden. b) Gegen diese Überlegung kann auch nicht eingewandt werden, die in Ziffer 6 von Aufhebungsvertrag und Abwicklungsvertrag enthaltene Erledigungsklausel verstoße gegen die zwingende Wirkung der Betriebsvereinbarung, weshalb der Klägerin, wenn sie nicht durch Kündigung, sondern durch Aufhebungsvertrag ausgeschieden wäre, ein unverzichtbarer Gratifikationsanspruch zugestanden hätte. (1) Das Arbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus - folgerichtig - die Frage, ob die Betriebsvereinbarung über die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation überhaupt wirksam ist, nicht geprüft, sondern entscheidend darauf abgestellt, dass die Klägerin ohnehin die Anspruchsvoraussetzungen der Betriebsvereinbarung nicht erfüllt. Greift man demgegenüber die Argumentation der Klägerin auf, sie habe durch Kündigung und Abwicklungsvertrag nicht schlechter gestellt werden sollen, als wenn sie den angebotenen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hätte; für diesen Fall würde ihr aber - trotz der vereinbarten Erledigungsklausel - ein unverzichtbarer Gratifikationsanspruch zugestanden haben, so kommt es auf die Frage der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung an. (2) Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein; dies gilt jedoch nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Vorliegend unterfällt der Betrieb der Beklagten dem sachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge des Großhandels. Der Tarifvertrag über Sonderzahlung vom 29.07.2002 sieht einen Anspruch auf jährliche Sonderzahlung zugunsten der Beschäftigten vor. Aus der Tatsache, dass ein Anspruch im Austrittsjahr nicht besteht, ergibt sich, dass die tariflich geregelte Leistung - nicht anders als die zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbarte Gratifikation - neben der Belohnung geleisteter Dienste auch einen Anreiz für die künftige Arbeit bieten soll. In Anbetracht dieser Ähnlichkeit von tariflicher Sonderzahlung und der durch Betriebsvereinbarung geregelten Gratifikation muss von einem Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG ausgegangen werden, welcher zur Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung führt. Die genannte Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gewährleisten, indem sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen einräumt. Diese Befugnis soll nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass Arbeitgeber und Betriebsrat ergänzende abweichende Regelungen vereinbaren (BAG AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt). (3) Die Sperre des § 77 Abs. 3 BetrVG gilt allerdings nicht in Angelegenheiten, die nach § 87 Abs. 1 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei Gewährung freiwilliger sozialer Leistungen beschränkt sich indessen allein auf die maßgeblichen Verteilungsgrundsätze, nicht hingegen auf Grund und Höhe der zusätzlich gewährten Leistung. Hieraus ergibt sich aber, dass die Aufstockung einer tariflich geregelten Leistung gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG verstößt, ohne dass aus dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates zu den Verteilungsgrundsätzen etwas anderes folgt (BAG a.a.O.). (4) Der maßgebliche Tarifvertrag lässt auch keine ergänzenden Betriebsvereinbarungen zu. Zwar enthält der Tarifvertrag in § 2 Ziffer 7 eine Anrechnungsklausel für betriebliche Sonderzahlungen. Diese kann jedoch nicht - anders als nach dem Sachverhalt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29.10.2002 (1 AZR 573/01 - AP Nr. 18 zu § 77 BetrVG 1972 Tarifvorbehalt) als Öffnungsklausel ausgelegt werden. Während nach dem dort maßgeblichen Sachverhalt ausdrücklich eine Anrechnung auch solcher betrieblicher Sonderleistungen vorgesehen war, welche in Betriebsvereinbarungen geregelt waren, nimmt § 2 Ziffer 7 des Tarifvertrages über Sonderzahlung vom 29.07.2002 allein auf "betriebliche Sonderzahlungen" Bezug. (5) Aus dem Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG folgt die Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Das bedeutet zwar nicht, dass damit den Beschäftigten kein Anspruch auf die vereinbarte Gratifikationsleistung zustand. Vielmehr dürfte - insbesondere mit Rücksicht auf die Tatsache, dass die Betriebsvereinbarung allein eine einmalige Zahlung für das Jahr 2003 vorsah - ausnahmsweise von der Möglichkeit der Umdeutung einer nichtigen Betriebsvereinbarung in eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung auszugehen sein. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist jedoch, dass ein solcher - durch Umdeutung oder Auslegung gewonnener - vertraglicher Anspruch im Gegensatz zu kollektivrechtlich begründeten Ansprüchen nicht unverzichtbar ist. Hieraus folgt, dass die in Aufhebungsvertrag und Abwicklungsvertrag enthaltene umfassende Erledigungsklausel einen etwaigen Gratifikationsanspruch der Klägerin ohnehin ausschloss. Dass die Klägerin letztlich nicht aufgrund des angebotenen Aufhebungsvertrages, sondern durch Kündigung und Abwicklungsvertrag ausgeschieden ist, hat also die Rechtslage hinsichtlich der Gratifikationsleistung nicht verändert. II Die Kostenentscheidung der erfolglosen Berufung hat die Klägerin zu tragen. III Die Voraussetzung für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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