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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Hamm
Urteil verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 966/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 3 Satz 1
1. Bei einer betriebsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber nach dem Gesetzeswort-laut (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) die sozialen Gesichtspunkte "ausreichend" zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung der Sozialkriterien deshalb ein Wertungsspielraum zu (BAG 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 59).

2. Hat der Arbeitgeber die Sozialauswahl ohne eine Punktetabelle durchgeführt, führt deren Überprüfung anhand von anderweitig anerkannten Punktetabellen nicht zu einer unzulässig nachträglichen, fiktiven Sozialauswahl. Eine solche Kontrollüberlegung kann vielmehr ein taugliches Indiz dafür sein, ob die tatsächlich vorgenommene Auswahl noch ausreichend ist, es ist für sich allein freilich noch nicht hinreichend. Hinzukommen muss die Bewertung der Sozialdaten der konkret konkurrierenden Arbeitnehmer.

3. a) Bei der Frage, ob die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte nicht mehr ausreichend ist, kommt es im Rahmen der Anwendung eines Punktesystems nicht auf einen absoluten Punktabstand oder eine prozentuale Abweichung allein, gemessen an dem im Auswahlkreis insgesamt vergebenen, höchsten Punktwert an. Denn der absolute Punktwert der Differenz wie auch der entsprechende Prozentwert ist nicht hinreichend aussagekräftig.

b) Bei Anwendung einer Punktetabelle ist der klagende Arbeitnehmer jeweils mit den von ihm als sozial weniger schutzwürdig genannten, in der konkreten Auswahlsituation konkurrierenden Mitarbeitern in ein Verhältnis zu setzen. Nur um die Differenz dieser Arbeitnehmer bei den Sozialkriterien geht es. Soll die Punktedifferenz prozentual ausgedrückt werden, ist dabei der die Fehlerhaftigkeit der Auswahl rügende Arbeitnehmer mit seinem Punktwert gleich 100 zu setzen und die absolute Differenz zu dem jeweiligen Konkurrenten als prozentualer Anteil zu berechnen.

c) Jedenfalls bei einer ohne eine Punktetabelle durchgeführten Sozialauswahl bedarf es bei einer als nachträgliche Kontrolle hinzugezogenen Punktetabelle einer an-schließenden Bewertung der konkreten Sozialdaten. Im Streitfall war eine Differenz zu Lasten des Klägers von etwa 10 % in Verbindung mit der Betrachtung der konkreten Sozialdaten für die Annahme hinreichend, die Auswahl sei nicht mehr ausreichend.

4. Es liegt nahe, dass der Arbeitgeber sich auch in Fällen der "Massenkündigung", in denen er die Sozialauswahl ohne Anwendung einer Punktetabelle durchgeführt hat, darauf berufen darf, bei ausreichender Sozialauswahl wäre dem klagenden Arbeitnehmer ebenfalls gekündigt worden.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 01.04.2008, Az. 2 Ca 32/08 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 NameGeb.-Dat.EintrittFam- std.KinderSchwerbehind.
Kläger18.11.197301.09.1997vh2 (richtig:3)Nein
C4, M204.12.197617.11.1997vh2Nein
H5, V213.02.196818.08.1998vh2Nein
K4, M216.10.197708.01.1998vh2Nein
K4, M311.07.197408.01.1998vh2Nein
K5, C331.10.195905.01.1998led0Nein
K3, R219.19.197422.04.1998vh1Nein
N1, V106.05.195409.01.1998vh0Nein

 NameGeb.-Dat.EintrittFam- std.KinderSchwerbehind.
Kläger18.11.197301.09.1997vh3Nein
S1, W226.04.195807.01.1998vh0Nein
P5, T214.05.195931.03.1999vh1Nein
R3, E130.11.196311.11.1996vh1Nein
T1, K705.11.196528.05.1999vh0Nein
J1, E209.11.196701.10.1997vh0Nein
H6, M123.06.196708.09.1997led0Nein
Y2, M301.10.196912.01.1998vh1Nein
N3, M422.03.197401.10.1997vh2Nein

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses und einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Der am 18.11.1973 geborene, seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau und 3 Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 01.09.1997 bei der Beklagten, die im Dezember 2007 ca. 150 Arbeitnehmer beschäftigte, zu einem Bruttomonatslohn von durchschnittlich 2.800,00 € bei einer vereinbarten Arbeitszeit von 37,5 Stunden pro Woche als Chemiewerker, zuletzt unter Einreihung in die tarifliche Entgeltgruppe E 2, beschäftigt.

Dem Arbeitsverhältnis liegt der Arbeitsvertrag vom 25.08.1997 zu Grunde. Dieser lautet auszugsweise:

01. Der/die Mitarbeiter/in wird ab 1.9.97 als Werker eingestellt.

02. Der/die Mitarbeiter/in ist verpflichtet, nach näherer Weisung der Firma auch andere zumutbare Tätigkeiten zu übernehmen und dabei in sämtlichen Abteilungen sowie in jeder der betrieblich praktizierten arbeitszeitformen (Normal- oder Wechselschicht) zu arbeiten, auch wenn damit ein Wechsel von Zeit- in Leistungslohn (oder umgekehrt) oder in ein anderes Leistungsvergütungssystem verbunden ist. Ein Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz besteht nicht.

........

23 Im Übrigen gelten die für das Bundesgebiet und Nordrhein-Westfalen vereinbarten Tarifverträge der chemischen Industrie in ihrer jeweiligen Fassung.

Mit Schreiben vom 13.12.2007 hörte die Beklagte den Betriebsrat unter Bezugnahme auf eine Sozialdatenliste, welche für den Kläger 2 Kinder angibt, zu einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Klägers an. In dem Anhörungsschreiben selbst teilte sie die zutreffende Kinderzahl des Klägers von drei, sein jüngstes Kind wurde im Sommer 2007 geboren, mit. Auf den weiteren Inhalt des Anhörungsschreibens (Bl. 97 ff. d. A.) wird verwiesen.

In der Serienproduktion beschäftigte die Beklagte in den Bereichen Serie, Vlies und Folie (Schwerschicht) als Chemiewerker unter anderem folgende Arbeitnehmer mit folgenden, aus der dem Betriebsrat mitgeteilten Liste ersichtlichen Sozialdaten:

Der Mitarbeiter K3 wurde mit Bescheid der Agentur für Arbeit H4 vom 14.11.2007 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Eine Mitteilung dieses Umstandes gegenüber dem Betriebsrat wie auch der Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Beklagten von der Gleichstellung ist nicht vorgetragen.

Von diesen Mitarbeitern erhielt nur der Kläger mit Schreiben vom 21.12.2007 durch die Beklagte eine Kündigung. Mit ihm wurde den folgenden Chemiewerkern gekündigt:

Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten Kündigung schriftlich am 19.12.2007. Er führte an, die Sozialauswahl sei fehlerhaft. Der Betriebsrat bestreite eine besondere Qualifikation des Arbeitnehmers M2 K4. Nach seiner Eingruppierung in die tarifliche Entgeltgruppe E 2 besitze er Kenntnisse und Fähigkeiten, welche durch eine berufliche Praxis von regelmäßig bis zu 13 Wochen erworben werden könnten. Auch der Kläger könne die Fertigkeiten für den Werkzeugwechsel in kürzester Zeit erlangen.

Mit einem dem Kläger am selben Tag zugegangen Schreiben vom 21.12.2007 erklärte die Beklagte unter Berufung auf betriebsbedingte Gründe die ordentliche Kündigung zum 29.02.2008. Der Kläger hat die Kündigung mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 21.12.2007 gem. § 174 BGB zurückgewiesen.

Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit seiner am 04.01.2008 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt.

Daraufhin hat die Beklagte mit Schreiben vom 16.01.2008 den Betriebsrat zu einer erneuten Kündigung angehört, der dieser mit Schreiben vom 24.01.2008 widersprach. Mit Schreiben vom 25.01.2008 kündigte die Beklagte gegenüber dem Kläger das Arbeitsverhältnis erneut, nunmehr zum 31.03.2008.

Diese Kündigung hat der Kläger mit einer Klageerweiterung vom 31.01.2008 angegriffen, deren Eingangszeitpunkt bei dem Arbeitsgericht Bochum in der Gerichtsakte nicht dokumentiert wurde.

Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigungen seien sozial ungerechtfertigt. Es lägen keine dringenden betrieblichen Erfordernisse vor. Ein Produktionsrückgang im Jahre 2006 könne seine Kündigung nicht rechtfertigen. Am 01.03.2008 sowie am 15.03.2008 seien in der Produktion zusätzliche Schichten gefahren worden. Darüber hinaus hätten die Arbeitnehmer eine Benachrichtigung erhalten, wonach die Produktion wegen der vorliegenden Urlaubsplanung nicht gesichert sei.

Die Sozialauswahl sei fehlerhaft. Die Arbeitnehmer C2, H5, M2 K4, M3 K4, K5, K3 und N1 seien weniger schutzbedürftig. Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers M2 K4 liege nicht im berechtigten betrieblichen Interesse der Beklagten. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit könne auch der Kläger die Tätigkeit als Maschineneinrichter ausführen. Eine Amtstätigkeit des Mitarbeiters K3 als stellvertretender Vertrauensmann der Schwerbehinderten hat der Kläger bestritten.

Die Stapelfahrer, Müllhacker und Anlagenführer seien in die Auswahl nicht einbezogen worden, obwohl der Kläger ggf. nach einer zumutbaren Anlernzeit diese Arbeitsplätze auch hätte ausfüllen können. Insoweit sei der im Bereich Logistik tätige Staplerfahrer E3 B6, geb. am 22.10.1974, Eintritt am 26.08.1999, verheiratet, ein Kind, nicht schwerbehindert, sozial weniger schutzwürdig.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 21.12.07 zum 29.02.07, noch durch die Kündigung vom 25.01.08 zum 31.03.08 aufgelöst wird, sondern fortbesteht,

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Chemiewerker zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, am 12.12.2007 habe ihre Geschäftsführung einen Abbau von neun Arbeitsplätzen im Bereich der Serienproduktion beschlossen. Die bereits im Jahr 2006 angestrebte Personalanpassung sei weiterhin erforderlich. Weitere Personalkapazitäten seien durch im Januar 2008 durchgeführte Layout-Änderungen im Produktionsbereich frei geworden. Auf den weiteren Inhalt des diesbezüglichen Schriftstückes betreffend einen Beschluss der Geschäftsführung vom 12.12.2007 (Bl. 62 f. d. A.) wird verwiesen.

In der Serienproduktion habe die Beklagte zukünftig einen Arbeitskräftebedarf von durchschnittlich 42 Arbeitnehmern. Dies schließe eine Personalreserve von 18,5 % ein. Angesichts eines aktiven Arbeitnehmerbestandes von 54 Arbeitnehmern ergebe sich ein Personalüberhang von 12 Arbeitnehmern. Die Beklagte habe eine eingehende Bedarfsanalyse durchgeführt (vgl. SAP-Auswertung, Anlagenkonvolut B 5, Bl. 65 ff. d. A., graphische Darstellung Stückzahlentwicklung, Arbeitskräftebedarf, Anlagen B 6, B 7, Bl. 89 f. d. A.). Hiernach sei die unternehmerische Entscheidung zum Abbau von 9 Arbeitsplätzen umsetzbar. Auch die Arbeitszeitkontostände der Arbeitnehmer belegten den Arbeitskräfteüberhang. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten im Unternehmen seien nicht vorhanden.

Die Sozialauswahl sei unter ausreichender Berücksichtigung der gesetzlichen Auswahlkriterien getroffen worden. Dabei habe sich gezeigt, dass der Kläger nicht wesentlich schutzwürdiger als die vergleichbaren Arbeitnehmer sei. Jedenfalls läge die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer M2 K4 und V1 N1 im berechtigten betrieblichen Interesse der Beklagten. Neben diesen könnten nur wenige Arbeitnehmer auch als Maschineneinrichter eingesetzt werden. Diesen komme zur Aufrechterhaltung eines kontinuierlichen Produktionsablaufs jedoch erhebliche Bedeutung zu. Nur diese Arbeitnehmer besäßen die Kenntnisse und Erfahrungen, um innerhalb kürzester Zeit einen Werkzeugwechsel durchzuführen. Der Kläger sei hierfür nicht geeignet.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 01.04.2008 nach den Klageanträgen erkannt.

Das Urteil ist der Beklagten am 18.06.2008 zugestellt worden. Hiergegen richtet sich ihre am 18.06.2008 eingelegte und mit dem am 18.08.2008 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Sie trägt ergänzend insbesondere vor, bei der Sozialauswahl sei die Auswahlgruppe ohne Einbeziehung der Bereiche Pforte und Logistik zu bilden gewesen. Der Kläger sei als Chemiewerker nicht einseitig in diese Bereiche versetzbar gewesen.

Die Auswahl selbst habe nur im Ergebnis ausreichend sein müssen. Dem werde sie gerecht. Insoweit vertieft die Beklagte ihr Vorbringen hinsichtlich berechtigter betrieblicher Interessen an der Weiterbeschäftigung des Mitarbeiters M2 K4 und behauptet, er habe ebenso wie der Mitarbeiter N1 die dem Betrieb zu erhaltenden Fähigkeiten während seiner Tätigkeit als stellvertretende Maschineneinrichter innerhalb der letzten fünf Jahre erworben.

Der Mitarbeiter K3 sei nach ihrer Kenntnis als Stellvertreter der Vertrauensperson der Schwerbehinderten tätig geworden und genieße daher sowie aufgrund der Gleichstellung mit Bescheid der Agentur für Arbeit vom 14.11.2007 Sonderkündigungsschutz.

Der Mitarbeiter B6 sei, wenn auch er in die Auswahl einzubeziehen gewesen wäre, nicht wesentlich schutzwürdiger als der Kläger.

Die Sozialauswahl sei jedenfalls im Verhältnis zu dem Kläger ausreichend. Selbst wenn sie vorrangig den Mitarbeitern M2 K4, R2 K3, M2 C2, C3 K5 und M3 K4 gekündigt hätte, hätte sie an Stelle des Klägers gegenüber den im Verhältnis zu ihm schutzwürdigeren Arbeitnehmern P5, R3, S1, sowie gegenüber den gleich schutzwürdigen Arbeitnehmern Y2 und N3 auf eine Kündigung verzichten dürfen.

Die Beklagte beantragt,

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum - Az: 2 Ca 32/08 - vom 1. April 2008, der Beklagten am 18. Juni 2008 zugestellt, wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags zur Sach- und Rechtslage.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den von ihnen in Bezug genommenen Inhalt der in beiden Rechtszügen zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Beschwerdegegenstand zulässig (§ 64 Abs. 2 Buchst. c ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und Frist eingelegt (§ 519 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und auch ordnungsgemäß (§ 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG) begründet worden.

II. Die Berufung ist unbegründet. Die Klage ist insgesamt begründet.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung vom 21.12.2007 nicht aufgelöst.

a) Diese Kündigung gilt nicht gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam. Der Kläger hat sie mit der am 04.01.2008 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 4 KSchG angegriffen.

b) Die Kündigung ist rechtsunwirksam gemäß § 1 Abs. 1 KSchG. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie durch dringende betriebliche Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist.

Die Kündigung ist bereits wegen nicht ausreichender Beachtung der bei der Sozialauswahl relevanten Kriterien gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt.

aa) Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, dem Arbeitnehmer. Dabei geht das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung (BAG 15.06.1989 - 2 AZR 580/88 - NZA 1990, 226, 227 f. zu B II 3 b der Gründe) von einer abgestuften Darlegungslast aus. Es ist zunächst Sache des Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen.

Der Kläger hat konkret aufgezeigt, dass er die Arbeitnehmer C2, H5, M2 K4, M3 K4, K5, K3 und N1 sowie B6 für vergleichbar und weniger sozial schutzbedürftig hält.

Diese Arbeitnehmer sind vergleichbar und waren in die Auswahl einzubeziehen.

(1) Dies gilt zunächst hinsichtlich der durch die Beklagte aus der Auswahl genommenen Arbeitnehmer M2 K4 und N1.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG sind in die Sozialauswahl an sich vergleichbare Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Indem der Gesetzgeber das bloße betriebliche Interesse nicht ausreichen lässt, sondern weiter fordert, das Interesse müsse "berechtigt sein", gibt er zu erkennen, dass auch ein vorhandenes betriebliches Interesse "unberechtigt" sein kann. Das setzt voraus, dass nach dem Gesetz gegenläufige Interessen denkbar und zu berücksichtigen sind, die einer Ausklammerung von sogenannten Leistungsträgern aus der Sozialauswahl auch dann entgegenstehen können, wenn sie bei einer isolierten Betrachtung des betrieblichen Interesses gerechtfertigt wären. Bei diesen gegenläufigen Interessen kann es sich nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angesichts des Umstands, dass § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Ausnahme vom Gebot der Sozialauswahl statuiert, nur um die Belange des sozial schwächeren Arbeitnehmers handeln. Die Interessen müssen berechtigt im Kontext mit der Sozialauswahl sein. Das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers ist im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG demnach gegen das betriebliche Interesse an einer Herausnahme sogenannter Leistungsträger abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, umso gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein. Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bleibt es deshalb dabei, dass die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten die Regel darstellt, die Ausklammerung sog. Leistungsträger nach Satz 2 der Norm hingegen die Ausnahme bleiben soll (BAG 05.06.2008 - 2 AZR 907/06; 31.05.2007 - 2 AZR 306/06 - NZA 2007, 1362, 1363).

Im Streitfall beruft sich die Beklagte darauf, M2 K4 und N1 sei im berechtigten betrieblichen Interesse wegen seiner Tätigkeit als stellvertretender Maschineneinrichter weiter zu beschäftigen. Ihr Vorbringen hinsichtlich betroffener betrieblicher Interessen ist indes nicht ausreichend substantiiert. Dabei kann offen bleiben, welcher zeitliche Umfang für eine Vertretung bei Abwesenheit der Maschineneinrichter durch die Arbeitnehmer M2 K4 und N1 zu erwarten ist und welche Zahl stellvertretender Maschineneinrichter angesichts welcher konkret zu erwartender Vertretungsfälle unter Zugrundelegung der Betriebsorganisation zur Deckung des Vertretungsbedarfs erforderlich ist. Es ist bereits nicht ausreichend dargelegt, dass der Kläger zur entsprechenden Vertretungstätigkeit nicht in der Lage wäre.

Soweit die Beklagte auf S. 9 und 10 der Berufungsbegründung einzelne Tätigkeiten nennt, die mit der Aufgabe des Maschineneinrichters und damit auch mit der Vertretung verbunden sind, lässt sich dem nicht hinreichend entnehmen, warum konkret der Kläger zur Verrichtung dieser Arbeiten nicht kurzfristig in der Lage sein sollte. Die Beklagte legt nicht dar, dass die Arbeitnehmer M2 K4 und N1 vor ihrer Tätigkeit als stellvertretende Maschineneinrichter in irgendeiner Weise für eine bestimmte Dauer hinsichtlich der Gesamtaufgabe oder hinsichtlich von Teilaufgaben geschult worden wären oder bereits bei ihrer Einstellung einen konkret zu bezeichnenden Kenntnisvorsprung gegenüber dem Kläger gehabt hätten. Vielmehr führt die Berufung aus, diese stellvertretenden Maschineneinrichter hätten "diese Kenntnisse und Fähigkeiten während ihrer Tätigkeit als stellvertretene Maschineneinrichter innerhalb der letzten fünf Jahre erworben". Dieser Vortrag impliziert, dass sie bei Übernahme dieser Funktion die entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnisse noch nicht hatten. Damit ist nicht ersichtlich noch vorgetragen, welcher hinreichend erhebliche Umstand der Übernahme einer Tätigkeit als stellvertretender Maschineneinrichter durch den Kläger entgegenstehen würde, warum er nicht wie die bisher so tätigen Arbeitnehmer Kenntnisse und Fähigkeiten während seiner Tätigkeit erwerben könnte.

(2) Der Arbeitnehmer K3 durfte nicht aus dem Auswahlkreis ausgenommen werden.

(a) Er genoss bei Ausspruch der Kündigung keinen Sonderkündigungsschutz gemäß § 96 Abs. 3 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 1 KSchG. Die Beklagte hat ein für diesen Kündigungsschutz hinreichendes Tätigwerden des Arbeitnehmers als Stellvertreter der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen lediglich völlig unsubstantiiert und damit nicht ausreichend konkret behauptet.

(b) Zudem kann die Beklagte sich gegenüber dem Kläger nicht erfolgreich auf die mit Bescheid der Agentur für Arbeit vom 14.11.2007 anerkannte Gleichstellung des Arbeitnehmers K3 mit einem schwerbehinderten Menschen und dessen daraus resultierenden Kündigungsschutz gemäß 85 SGB IX i.V.m. § 68 Abs. 1 und 2 SGB IX berufen. Die Beklagte ist mit diesem Vorbringen ausgeschlossen.

(aa) Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diesen Kündigungssachverhalt muss er in der Regel unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, so beschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe prüfen kann. Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung nicht oder zunächst nicht stützen will, dann ist die Anhörung ordnungsgemäß, weil eine nur bei objektiver Würdigung unvollständige Mitteilung der Kündigungsgründe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG führt. Eine in diesem Sinne objektiv unvollständige Anhörung verwehrt es dem Arbeitgeber allerdings, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen (BAG 11.12.2003 - 2 AZR 536/02; BAG 07.11.2002 - 2 AZR 599/01 - AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; BAG 08.09.1988 - 2 AZR 103/88 - BAGE 59, 295). Letzteres gilt jedoch nur eingeschränkt für Tatsachen, die dem Betriebsrat bei der Anhörung bereits bekannt waren. Entscheidend ist, dass für den Betriebsrat der "Kündigungsgrund" im Sinne eines aus mehreren Tatsachen und einer groben rechtlichen Einordnung gebildeten Begründungszusammenhangs erkennbar wird, auf den der Arbeitgeber sich stützen will (BAG 11.12.2003 - 2 AZR 536/02).

Kündigungsgründe und Kündigungstatsachen, die dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Unterrichtung des Betriebsrats bekannt sind, die er aber dem Betriebsrat - aus welchen Gründen auch immer - nicht vor Ausspruch der Kündigung mitteilt, kann er im späteren Kündigungsschutzprozess nicht nachschieben (BAG 18.12.1980 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 44). Das gilt auch dann, wenn der Betriebsrat der Kündigung aufgrund der ihm mitgeteilten Kündigungsgründe zugestimmt hatte (BAG 26.09.1991 - 2 AZR 132/91 - NZA 1992, 1073, 1074) und bzw. oder nachträglich zu den neuen Kündigungsgründen gehört wird (BAG 01.04.1981 - EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 45).

Kündigungsgründe, die im Zeitpunkt der Kündigung bereits vorlagen und dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekanntwerden dürfen im Kündigungsschutzprozess nur nachgeschoben werden, wenn der Arbeitgeber vor der Einführung dieser Kündigungsgründe in den Prozess den Betriebsrat hierzu unter Einhaltung der Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 BetrVG gehört hat (BAG 04.06.1997 - 2 AZR 362/96 - NZA 1997, 1158, 1160).

(bb) Im Streitfall hatte die Beklagte dem Betriebsrat die Gleichstellung des Arbeitnehmers K3 im Rahmen der Anhörung des Betriebsrats mitzuteilen. Denn Teil des Kündigungsgrundes und damit notwendiger Inhalt der Information ist die Unterrichtung über die Gründe für die soziale Auswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG dann, wenn Gesichtspunkte der sozialen Auswahl den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers beeinflusst haben (BAG 20.05.1999 - 2 AZR 532/98 - NZA 1999, 1101, 1102; HWK-Ricken 3. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 38).

Die Beklagte hat jedoch ausweislich der Sozialdatenliste, die der Anhörung beilag, wie auch des Inhalts des Anhörungsschreibens vom 13.12.2007 den Umstand der Gleichstellung des Arbeitnehmers K3 dem Betriebsrat nicht mitgeteilt. Dass ihr dieser Umstand bei Ausspruch der Kündigung nicht bekannt gewesen wäre, was angesichts der zeitlichen Nähe des Herrn K3 mit Datum vom 14.11.2007 erteilten Bescheides denkbar wäre und was immerhin die Möglichkeit eines Nachschiebens nach ergänzender Anhörung des Betriebsrats ermöglichen würde, trägt die Beklagte ebenso wenig vor wie eine ergänzende Anhörung des Betriebsrats zu diesem Sachverhalt. Die Beklagte ist damit gehindert, sich auf den Sonderkündigungsschutz des Arbeitnehmers K3 zu berufen, der danach in der Sozialauswahl verbleibt.

(3) Auch der Arbeitnehmer B6 war in die Sozialauswahl einzubeziehen. Die Gruppe der Staplerfahrer ist mit den Chemiewerkern in der Produktion, auf welche die Beklagte die Auswahl beschränkte, vergleichbar. Die betroffenen Mitglieder beider Teilgruppen sind in die Entgeltgruppe E 2 eingruppiert.

Auch sonst ist eine hinreichende Vergleichbarkeit gegeben. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer setzt im Einzelnen voraus, dass die unmittelbar betroffenen Arbeitnehmer auf einem vorhandenen Arbeitsplatz tatsächlich und rechtlich einsetzbar sind. Daher können in die Sozialauswahl nur solche Arbeitnehmer einbezogen werden, deren Aufgabenbereich miteinander vergleichbar ist (tatsächliche Einsetzbarkeit); ferner muss der Arbeitgeber rechtlich in der Lage sein, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, nach den arbeitsvertraglichen Vorgaben kraft Direktionsrecht auf den in Betracht kommenden anderen Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen (BAG 29.03.1990 - 2 AZR 369/89 - NZA 1991, 181, 184 zu B.III. der Gründe; BAG 03.06.2004 - 2 AZR 577/03 - NZA 2005, 175, 177).

Im Streitfall war die Beklagte entgegen ihrer Ansicht ausweislich der weiten Bestimmung des ihr in Ziffer 02 des Arbeitsvertrages eingeräumten Direktionsrechts ohne weiteres in der rechtlichen Lage, den Kläger an einen Arbeitsplatz eines Staplerfahrers und damit denjenigen des Arbeitnehmers B6 zu versetzen. Es kommt damit nicht darauf an, ob und ggf. welche Bedeutung der Umstand hat, dass bei der im März 2008 folgenden Kündigungsmaßnahme die Beklagte selbst die Staplerfahrer mit den Chemiewerkern in einen Auswahlkreis einbezogen hat.

Sonstige Bedenken gegenüber der Vergleichbarkeit des Arbeitnehmers B6 sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

bb) Die Sozialauswahl ist auch unter Berücksichtigung des dem Arbeitgeber eingeräumten Spielraums zu Lasten des Klägers fehlerhaft (1), eine alternative, noch ausreichende Auswahl, bei welcher die Beklagte gleichwohl dem Kläger gegenüber hätte wirksam kündigen können, ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben (2).

(1) Bei dem unter den vergleichbaren Arbeitnehmern nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG durchzuführenden Vergleich der Sozialindikatoren (Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung) hat der Arbeitgeber einen Wertungsspielraum (BAG 05.06.2008, -2 AZR 907/06; 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 - NZA 2006, 207, 210). § 1 Abs. 3 KSchG fordert kein irgendwie geartetes Tätigwerden des Arbeitgebers, sondern nur ein "dem Gesetz genügendes Ergebnis". Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG) hat der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte "ausreichend" zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung der Sozialkriterien deshalb ein Wertungsspielraum zu (BAG 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 - AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 59). Die Auswahlentscheidung muss nur vertretbar sein und nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen müssen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können (BAG 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 - NZA 2006, 207, 210).

Dem Gesetzeswortlaut ist nicht zu entnehmen, wie die in § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG genannten sozialen Gesichtspunkte zueinander ins Gewicht zu setzen sind. Nach der Rechtsprechung des BAG kommt keinem der im Gesetz genannten Kriterien eine Priorität gegenüber den anderen zu (BAG 02.06.2005 - 2 AZR 480/04 - NZA 2006, 207, 210).

Der Kläger ist gegenüber den Arbeitnehmern C4, M2 K4, M3 K4 und K3 sowie B6 deutlich schutzwürdiger. Diese sind alle verheiratet. Der Kläger ist im Vergleich mit ihnen sowohl jeweils etwas älter als auch etwas länger dem Betrieb zugehörig. Er ist also bereits bei den Merkmalen Alter und Betriebszugehörigkeit, wenn auch geringfügig, schutzwürdiger. Anders als die genannten hat er Unterhalt nicht nur für ein oder zwei Kinder, sondern für drei Kinder zu leisten. Damit liegt seine Belastung bei dem Merkmal der Unterhaltspflichten im Teilaspekt der Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau gleich mit den Genannten, hinsichtlich des Teilaspekts des Kindesunterhalts jedoch um mindestens 1/3 bzw. 2/3 über der Belastung der ungekündigten Vergleichspersonen. Die Auswahl zu Lasten des Klägers ist damit insoweit im Ergebnis nicht mehr ausreichend. Sie berücksichtigt bei im Rahmen der anderen Kriterien gegebener Gleichrangigkeit die schon erheblich höhere Belastung des Klägers bei der Unterhaltspflicht nicht genügend.

Auch die Betrachtung der Seitens der Beklagten angeführten Punktetabellen trägt keine abweichende Bewertung. Die Anwendung von anderweitig anerkannten Punktetabellen auf den Streitfall führt nicht zu einer nachträglichen, fiktiven Sozialauswahl. Sie kann vielmehr ein taugliches, für sich allein noch nicht hinreichendes Indiz dafür sein, ob die tatsächlich vorgenommene Auswahl noch ausreichend ist.

Nach der durch das BAG in dem Urteil vom 06.07.2006 - 2 AZR 443/05 - NZA 2007, 197, 198f nicht beanstandeten Punktetabelle erzielt der Kläger unter von der Beklagten zuletzt mitgeteilter Korrektur eines Berechnungsfehlers 68 Punkte. Als ihm nächster Arbeitnehmer erzielt Herr M3 K4 60,5 Punkte. Dieser Abstand von 7,5 Punkten ist bereits erheblich.

Bei der Bewertung, ob ein Abstand in der sozialen Schutzbedürftigkeit zwischen zwei Arbeitnehmer so erheblich ist, dass er die Bewertung trägt, die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte sei nicht mehr ausreichend, kommt es nicht auf einen absoluten Punktabstand (z.B. 10 Punkte) oder einen anhand der anteiligen Abweichung voneinander, gemessen an dem im Auswahlkreis insgesamt vergebenen, höchsten Punktwert an. Denn der absolute Punktwert der Differenz ist wegen der Zufälligkeit und Beliebigkeit bei der Aufstellung des Punktesystems nicht aussagekräftig. Bildete man ein prozentuales Verhältnis der Differenz von Punktwerten zwischen den jeweils in der Auswahl konkurrierenden Arbeitnehmer zu dem maximal im Betrieb oder - weniger falsch - in der Auswahlgruppe erzielten, höchsten Punktwert (z.B.: Arbeitnehmer A 55 Punkte, Arbeitnehmer B 48 Punkte, höchste Punktzahl in der Auswahlgruppe 150 Punkte, Differenz zwischen A und B 7 Punkte entsprechend 4,67 % von 150 Punkten), wäre die Bewertung auf einen gar nicht im Rahmen der Sozialauswahl konkurrierenden Arbeitnehmer ausgerichtet, es ergäbe sich ein der konkreten Differenz der Sozialkriterien der beteiligten Personen nicht Rechnung tragender, unrealistischer Wert; dies erscheint verfehlt. Richtig ist es vielmehr, die in der konkreten Auswahlsituation konkurrierenden Arbeitnehmer, also den klagenden Arbeitnehmer mit den von ihm als sozial weniger schutzwürdig genannten Mitarbeitern in ein Verhältnis zueinander zu setzen und deren Differenz bei den Sozialkriterien zu bewerten. Dabei ist der die Fehlerhaftigkeit der Auswahl rügende Arbeitnehmer mit seinem Wert gleich 100 zu setzen und die absolute Differenz zu dem jeweiligen Konkurrenten als prozentualer Anteil auszudrücken, um den Unterschied anschaulich wie auch der Auswahlsituation angemessen zum Ausdruck zu bringen.

Für den Streitfall ergibt sich bei 68 Punkten als Ausgangswert (100) für die Abweichung von 7,5 Punkten zwischen dem Kläger und dem Arbeitnehmer M3 K4 ein Anteil von 11,03 %. Dieser ist jedenfalls im Streitfall angesichts auch der konkreten Sozialdaten, insbesondere der Unterhaltspflichten des Klägers, erheblich.

Die weiteren, zuvor als weniger schutzwürdig festgestellten Arbeitnehmer weisen einschließlich des Arbeitnehmers B6 eine noch geringere Schutzbedürftigkeit auf.

Bei Anwendung der weiteren, durch das BAG in dem Urteil vom 05.12.2002 - 2 AZR 549/01 - NZA 2003, 791, 792 nicht beanstandeten Punktetabelle erzielt der Kläger unter von der Beklagten zuletzt mitgeteilter Korrektur eines Berechnungsfehlers 64 Punkte. Ihm nächstkommender Arbeitnehmer ist nicht der Arbeitnehmer K3 mit 59 Punkten, denn in diesem Wert sind 5 Punkte für "Schwerbehinderung bis 50 %" enthalten. Wie zuvor dargelegt wurde, ist die Berücksichtigung der Gleichstellung des Herrn K3 jedoch wegen Unterbleibens ihrer Mitteilung gegenüber dem Betriebsrat nicht zu berücksichtigen. Als dem Kläger nächster Arbeitnehmer erzielt Herr M3 K4 58 Punkte. Auch dieser Abstand von 6 Punkten ist bereits erheblich.

Entsprechend den obigen Ausführungen ergibt sich bei 64 Punkten als Ausgangswert (100) für die Abweichung von 6 Punkten zwischen dem Kläger und dem Arbeitnehmer M3 K4 ein Anteil von 9,375 %. Dieser ist jedenfalls im Streitfall schon erheblich. Dies folgt auch daraus, dass der Kläger bei der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter wenn auch gering sowie bei der Kinderzahl wie oben aufgezeigt ganz erheblich schutzwürdiger ist. Dabei zeigt der Streitfall, dass nicht eine allein an einer prozentualen Differenz als solcher ausgerichtete Bewertung darüber entscheiden kann, ob die Berücksichtigung der Auswahlkriterien noch ausreichend ist. Geboten ist vielmehr auch ein Vergleich der absoluten Sozialdaten der konkret zu vergleichenden Personen, jedenfalls dann, wenn sich der Arbeitgeber nicht bereits bei der Durchführung der Sozialauswahl durch Anwendung eines Punkteschemas selbst gebunden hat (hierzu BAG 05.06.2008 - 2 AZR 907/06; Spinner, RdA 2008, 153, 160).

Der näheren Betrachtung der von der Beklagten angeführten weiteren, in der Literatur vertretenen Punkteschemata und ihrer Auswirkungen auf den vorliegenden Fall bedurfte es danach nicht mehr.

Die weiteren, zuvor als weniger schutzwürdig festgestellten Arbeitnehmer weisen einschließlich des Arbeitnehmers B6 eine noch geringere Schutzbedürftigkeit auf.

Dahingestellt bleiben kann danach, ob auch der Arbeitnehmer K5 weniger schutzwürdig ist.

(2) Das Ergebnis der Sozialauswahl ist auch nicht gleichwohl noch ausreichend.

Die Beklagte hätte nicht zumindest so viele gekündigte Arbeitnehmer anstelle des Klägers von der Kündigung ausnehmen können, wie sie im Verhältnis zu ihm fehlerhaft von vornherein mit der Kündigung verschont hat.

(a) Jedenfalls in Fällen, in denen der Arbeitgeber die Sozialauswahl lediglich noch durch den korrekten Vollzug eines zulässigen Punkteschemas vornimmt, muss dem Arbeitgeber der Einwand gestattet sein, ein Auswahlfehler habe sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt. Da der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei der Auswahl der zu Kündigenden nur ausreichend zu berücksichtigen hat, steht ihm ein Wertungsspielraum zu, so dass nur deutlich schutzbedürftigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Auswahl rügen können. Hiermit ist es nicht zu vereinbaren, eine Kündigung für sozial unwirksam zu erachten, die auch bei zutreffendem Verhalten des Arbeitgebers hätte ausgesprochen werden dürfen (BAG 09.11.2006 - 2 AZR 812/05 - NZA 2007, 549, 550 f - Rn. 19 unter ausdrücklicher Aufgabe der früheren, abweichenden Rechtsprechung in BAG 18.10.1984 - 2 AZR 543/83 - NZA 1985, 423).

Zu Gunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass diese Grundsätze nicht, wie der Leitsatz 1 des Urteils vom 09.11.2006 - 2 AZR 812/05 a.a.O. formuliert, Kündigungen in Vollzug eines Schemas für die Sozialauswahl voraussetzt (eine Beschränkung auf Fälle mit Anwendung eines Punkteschemas nimmt Kiel in: APS 3. Aufl. § 1 KSchG Rn. 784 an; Oetker in: ErfK 9. Aufl. § 1 KSchG Rn. 308 hingegen erwähnt die Anwendung eines Punkteschemas nicht als Voraussetzung für die obige alternative Rechtfertigung der Auswahlentscheidung).

Dafür, dass der Arbeitgeber über den Vollzug einer Punktetabelle hinaus darlegen darf, auch bei ausreichender Auswahl wäre dem klagenden Arbeitnehmer gekündigt worden (dahingehend Schiefer, DB 2007, 54, 57), sprechen die soeben dargestellten, tragenden Gründe der Entscheidung.

(b) Selbst bei der hier angenommenen Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall hätte die Beklagte bei fünf zuvor festgestellten, im Verhältnis zum Kläger sozial weniger schutzbedürftigen Arbeitnehmern allenfalls drei andere Arbeitnehmer an Stelle des Klägers mit der ihnen gegenüber ausgesprochenen Kündigung verschonen dürfen.

Dies sind die gekündigten Arbeitnehmer S1, P5 und R3.

Denn in Anwendung der zuvor dargestellten Grundsätze zu der Frage, wann die Sozialauswahl nicht mehr ausreichend ist, ergibt sich, dass bei noch ausreichender Auswahl die Arbeitnehmer T1, J1, H6, Y2 und N3 nicht gegenüber dem Kläger von einer Kündigung hätten verschont werden dürfen. Der Arbeitnehmer N3 ist wie der Kläger und die weiteren hier betrachteten Arbeitnehmer mit Ausnahme des Arbeitnehmers H6 verheiratet. Herr N3 ist etwas kürzer im Betrieb und etwas jünger ans der Kläger, entscheidend ist seine mit 2 gegenüber dem Kläger mit 3 geringere Kinderzahl.

Herr H6 ist praktisch gleich lang im Betrieb wie der Kläger und rund 6 Jahre älter. Er ist jedoch ledig und kinderlos, was im Verhältnis zum Kläger den Ausschlag für eine eindeutig und erheblich größere soziale Schutzbedürftigkeit des Klägers gibt.

Die Mitarbeiter J1 und T1 sind zwar 6 bzw. 8 Jahre älter als der Kläger, jedoch einen Monat bzw. mehr als 1 1/2 Jahre kürzer im Betrieb. Im Verhältnis zu diesen kinderlosen Arbeitnehmern ist wiederum letztlich die Zahl von drei unterhaltsberechtigten Kindern des Klägers ausschlaggebend für dessen erheblich größere soziale Schutzbedürftigkeit.

Auch insoweit ergibt die Betrachtung der von der Beklagten angeführten, durch das BAG nicht bemängelten Punkteschemata kein anderes Ergebnis.

Nach dem Schema in dem Urteil BAG 06.07.2006 a.a.O. ergibt sich für den dem Kläger nächsten Arbeitnehmer N3 ein Wert von 62 Punkten und damit eine Differenz von 6 Punkten, die 8,8 % des Punktwertes des Klägers entspricht. Für den Mitarbeiter Y2 ergibt sich eine 11,03 % betragende Abweichung.

Nach dem Schema in dem Urteil BAG 05.12.2002 a.a.O. ergibt sich für die dem Kläger nächsten Arbeitnehmer Y2, N3 und J1 ein Punktwert von 59 und damit eine Abweichung gegenüber dem Wert des Klägers, 64 Punkte, von 5 Punkten entsprechend 7,8 %. Auch diese Unterschiede sind jedenfalls angesichts der konkreten Sozialdaten im Streitfall bereits erheblich.

2. Auch durch die Kündigung vom 25.01.2008 wurde das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst.

a) Die Kündigung gilt nicht bereits gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam. Zwar lässt sich ein Zugang der den Kündigungsschutzantrag gemäß § 4 KSchG enthaltenden Klageerweiterung vom 31.01.2008 in erster Instanz noch innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist nicht feststellen. Dies ist jedoch unschädlich. Der Kläger hat bereits mit der Klageerhebung bezüglich der vorangegangenen Kündigung in seiner am 04.01.2008 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klageschrift einen zulässigen, auf den allgemeinen Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gerichteten Feststellungsantrag gem. § 256 ZPO gestellt und sodann erstinstanzlich die Klage um den Antrag gem. § 4 KSchG erweitert. In derartigen Fällen tritt die Fiktionswirkung des § 7 KSchG nicht ein (BAG 13.03.1997 - 2 AZR 512/96 - NZA 1997, 844 ff; HWK/Quecke, KSchG § 4 Rn. 50). Ein innerhalb der Frist des § 4 KSchG erhobener Antrag gemäß § 256 Abs. 1 ZPO, mit dem die Feststellung des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses begehrt wird, wahrt die Klagefrist für die erste und auch für spätere Kündigungen jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer die Sozialwidrigkeit der Kündigungen noch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend macht (BAG 07.12.1995 - 2 AZR 772/94 - AP KSchG 1969 § 4 Nr. 33).

Damit bedurfte es keiner Beweiserhebung über die Behauptung des Klägers, der Klägervertreter habe im Termin vom 31.01.2008 bei dem Arbeitsgericht die Klageerweiterung vom selben Tage dem Gericht - von diesem nicht dokumentiert - übergeben.

b) Die Kündigung ist aus den zuvor hinsichtlich der Kündigung vom 21.12.2007 dargelegten Gründen mangels ausreichender Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozialwidrig und rechtsunwirksam gemäß § 1 Abs. 1 KSchG.

Insoweit ist lediglich zu ergänzen, dass die Beklagte auch in der Anhörung mit Schreiben vom 16.01.2008 gegenüber dem Betriebsrat eine Gleichstellung des Arbeitnehmers K3 nicht mitgeteilt hat.

Die fehlerhafte Sozialauswahl wegen des Absehens von einer Kündigung gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern ist auch hier wie oben dargestellt festzustellen.

Hinzu kommt, dass diese Fehler im Ergebnis, anders als bei der vorherigen Kündigung, nicht durch ein Absehen von der Kündigung gegenüber auch nur einem seitens der Beklagten angeführten Arbeitnehmer hätte ausgeglichen werden können. Denn diesen war bereits mit dem Kläger am 21.12.2007 gekündigt worden, ihnen gegenüber hätte die Beklagte schon wegen des Zeitablaufs gar nicht mehr von der Kündigung absehen können.

Dies wirkt sich jedoch auf das Ergebnis nicht mehr aus.

3. Die auf Weiterbeschäftigung gerichtete Klage ist gleichfalls begründet.

Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch ist für den Fall des erstinstanzlichen Obsiegens des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess und des Fehlens eines überwiegenden Interesses des Arbeitgebers an der Suspendierung der Beschäftigung anerkannt (BAG GS 1/84, DB 1985, 2197; NZA 1985, 702). Obsiegt der Arbeitnehmer in der Berufungsinstanz, besteht dieser Weiterbeschäftigungsanspruch bis zur Zustellung des eine Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisenden Beschlusses oder dem Abschluss des Revisionsverfahrens (BAG 08.04.1988 -- 2 AZR 777/87 - NZA 1988, 741).

Die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen wurde zuvor festgestellt. Ein hinreichendes, überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

4. Die weiteren Erwägungen der Parteien bedürfen danach keiner Erörterung.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

IV. Gründe, die Revision nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich. Das Berufungsgericht ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt. Eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage mit grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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