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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 22.09.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 1241/04
Rechtsgebiete: BGB, SGB IX


Vorschriften:

BGB § 297
BGB § 611
BGB § 615
SGB IX § 81 IV
Zur Frage des Annahmeverzugs bei eingeschränkter Leistungsfähigkeit eines schwerbehinderten Menschen im ungekündigten Arbeitsverhältnis
Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27.08.2004 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 2 Ca 13560/03 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis um tatsächliche Beschäftigung, die Zahlung von Arbeitsvergütung und die Erstattung von Gutachterkosten. Die am 06.05.1955 geborene Klägerin steht seit 1989 als Reinigungskraft in den Diensten der beklagten Stadt. Sie hat einen GdB von 80 %. Nach einer RehA-Maßnahme wurde die Klägerin ausweislich der Entlassungsmitteilung der LVA Rheinprovinz vom 26.03.2002 aus der Kur als arbeitsfähig entlassen. Die Beklagte lehnte die Weiterbeschäftigung der Klägerin ab und zahlte ihr keinen Lohn. Ausweislich ihres Schreibens vom 27.03.2002 (Bl. 302 d. A.) berief sie sich auf ein vor Kurantritt eingeholtes vertrauensärztliches Gutachten vom 29.01.2002, wonach die Klägerin für die Tätigkeit als Reinigungsfrau langfristig gesundheitlich nicht mehr uneingeschränkt geeignet sei. Die Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass es ihr aus "Fürsorgegründen" der Klägerin gegenüber nicht möglich sei, die Arbeitskraft als Reinigungsfrau anzunehmen. Die Klägerin solle sich unverzüglich arbeitslos melden, um ihre Ansprüche auf Arbeitslosengeld zu sichern. Im Verfahren Arbeitsgericht Köln - 2 Ca 3456/02 - schlossen die Parteien am 27.06.2003 einen Vergleich, in dem es u. a. heißt: "Die Klägerin wird sich einer arbeitsmedizinischen Untersuchung durch den T zur Klärung ihrer Einsatzfähigkeit unterziehen. Sollte der T zu dem Ergebnis kommen, dass die Klägerin in der Lage ist, ihre arbeitsvertraglich gegenüber der beklagten Stadt geschuldete Tätigkeit zu verrichten, so verpflichtet sich die beklagte Stadt, die Klägerin zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen zu beschäftigen und auch der Klägerin die durch die Untersuchung durch den T entstandenen Kosten zu erstatten." In der daraufhin erfolgten arbeitsmedizinischen Beurteilung durch die Ärztin für Arbeitsmedizin, Umweltmedizin, Betriebsärztin im Arbeitsmedizinischen Zentrum des T Dr. E -B vom 20.09.2003 (Bl. 6 - 13 d. A.) wird die Einsatzfähigkeit der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz unter der Voraussetzung regelmäßiger medizinischer Maßnahmen bejaht; aus arbeitsmedizinischer Sicht beständen keine gesundheitlichen Bedenken gegen die beschriebene Putztätigkeit. Die Beklagte übernahm weder die Gutachterkosten noch beschäftigte sie die Klägerin in der Folgezeit. Ebenso zahlte sie ihr weiterhin keinen Lohn.

Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage die Erstattung der Gutachterkosten (263,40 €), ihre tatsächliche Beschäftigung sowie Lohn für die Monate Oktober 2003 bis Februar 2004 geltend gemacht. Sie hat weiterhin ihre Arbeitskraft angeboten und behauptet, sie sei in der Lage, ihre Tätigkeit dauerhaft auszuüben. In einer weiteren arbeitsmedizinischen Beurteilung durch Frau Dr. E -B vom 28.02.2004 (Bl. 71 - 77 d. A.) heißt es, dass bei einer Gegenüberstellung von Umfang und Schweregrad der Erkrankungen der Klägerin mit den besichtigten Arbeitsplatzbelastungen eine ablehnende arbeitsmedizinische Beurteilung nicht gerechtfertigt sei. Die Klägerin sei aus arbeitsmedizinischer Sicht unter folgenden Voraussetzungen in der Lage, die besichtigten Reinigungsarbeiten auszuführen: a) sie sollte nicht im Parterre im Foyer eingesetzt werden, b) sie bedürfe regelmäßiger medizinischer Behandlung und Kontrolle. Die Klägerin hat beantragt,

1. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie 263,40 € netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 15.11.2003 zu zahlen;

2. die beklagte Stadt zu verurteilen, sie im Objekt "Verwaltungsgebäude W " mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 28,25 Stunden tatsächlich als Reinigungskraft gemäß dem jeweiligen Reinigungsplan zu beschäftigen mit Ausnahme von Tätigkeiten im Parterre im Foyer in unmittelbarer Nähe der Haupteingangstür;

3. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie 714,27 € brutto abzüglich 70,00 € erhaltenen Arbeitslosengeldes nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.11.2003 zu zahlen;

4. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie weitere 714,27 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.12.2003 zu zahlen;

5. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie weitere 714,27 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.01.2004 zu zahlen;

6. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie weitere 714,27 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.02.2004 zu zahlen;

7. die beklagte Stadt zu verurteilen, an sie weitere 714,27 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 01.03.2004 zu zahlen.

Die beklagte Stadt hat beantragt,

die Klage abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der beklagten Stadt. Sie behauptet, die arbeitsmedizinischen Beurteilungen der Gutachterin Frau Dr. E vom 20.09.2003 und vom 28.02.2004 gingen von falschen Voraussetzungen insoweit aus, als die Tätigkeit einer Reinigungskraft nicht als mittelschwere Tätigkeit (nach REFA) eingestuft und die Feststellungen insbesondere des vertrauensärztlichen Dienstes der Beklagten unberücksichtigt geblieben seien. Die Klägerin sei arbeitsunfähig und könne die ihr obliegende Arbeit als Reinigungskraft nicht verrichten bzw. nur unter der Gefahr der Gesundheitsverschlechterung in absehbarer Zeit. Seit dem 22.11.2004 wird die Klägerin von der Beklagten im Wege der Prozessbeschäftigung wieder als Reinigungskraft entsprechend dem Tenor des angefochtenen Urteils eingesetzt. Nach der Erklärung der Beklagten im Termin der Berufungsverhandlung hat die Klägerin seitdem ohne zwischenzeitliche Urlaubnahme ununterbrochen ohne Fehlzeiten gearbeitet. Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie bleibt dabei, dass sie nach der Entlassung aus der Kur am 26.03.2002 arbeitsfähig gewesen und nach wie vor arbeitsfähig sei. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf das angefochtene Urteil, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen. Entscheidungsgründe: Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht nach den Klageanträgen erkannt. 1. Lohnanspruch Der für den Zeitraum Oktober 2003 bis Februar 2004 geltend gemachte Lohnanspruch ist aus Annahmeverzug gemäß §§ 611, 615 BGB begründet. Die Beklagte war nicht berechtigt, die Annahme der von der arbeitswilligen und arbeitsfähigen Klägerin ordnungsgemäß angebotenen Arbeitsleistung zu verweigern und dadurch ihren Lohnanspruch auszuschließen. Spätestens nach der im Prozessvergleich vom 27.06.2003 vereinbarungsgemäß durchgeführten arbeitsmedizinischen Beurteilung vom 20.09.2003 war die Beklagte nicht (mehr) berechtigt, Arbeit und Lohnanspruch der Klägerin zurückzuweisen. Das Gutachten kommt widerspruchsfrei und nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass die Einsatzfähigkeit der Klägerin an ihrem Arbeitsplatz unter der Voraussetzung regelmäßiger medizinischer Maßnahmen zu bejahen ist und aus arbeitsmedizinischer Sicht keine gesundheitlichen Bedenken gegen die Putztätigkeit bestehen. Damit ist gerade nicht die Arbeitsunfähigkeit attestiert, die im Sinne des § 297 BGB eine Unmöglichkeit der Arbeitsleistung begründen und dadurch den Annahmeverzug ausschließen würde. Die Beklagte beruft sich im Wesentlichen auf die vertrauensärztlichen Stellungnahmen von Dr. M vom 29.01.2002, 11.11.2003 und 16.03.2004, in denen u. a. die Befürchtung geäußert wird, dass bei einer Beschäftigung der Klägerin als Reinigungsfrau erneut mit hohen Ausfallzeiten zu rechnen sei. Der Vertrauensarzt des Gesundheitsamts der Beklagten ist bei seiner Auffassung geblieben, die er bereits vor dem Kurantritt der Klägerin im Jahre 2002 vertreten hat. Soweit die Beklagte daraus schon im Jahr 2002 den Schluss gezogen hat und auch weiterhin dabei bleibt, dass es ihr aus Fürsorgegründen der Klägerin gegenüber nicht möglich sei, deren Arbeitskraft als Reinigungsfrau anzunehmen, verkennt sie die Voraussetzungen für den Anspruchsausschluss nach § 297 BGB. Die dem Arbeitgeber obliegende Fürsorgepflicht berechtigt ihn nicht, dem Arbeitnehmer entgegen dessen erklärten Willen die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz dann zu verweigern, wenn der Arbeitgeber dies als für den Arbeitnehmer gesundheitlich gefährdend ansieht (BAG, Urteil vom 17.02.1998 - 9 AZR 130/97 - I 3 a) der Gründe). Auch die weitere arbeitsmedizinische Beurteilung vom 28.02.2004 gibt für eine Leistungsunmöglichkeit der Klägerin im Sinne des § 297 BGB nichts her. Im Gegenteil: Die Gutachterin stellte bei einer Arbeitsplatzbesichtigung erneut fest, dass eine ablehnende arbeitsmedizinische Beurteilung nicht gerechtfertigt ist. Die Kritik der Beklagten an dem Gutachten überzeugt nicht. Das Gutachten geht nicht von falschen Voraussetzungen aus, insbesondere auch nicht, soweit die Beklagte meint, die Tätigkeit der Klägerin sei von der Gutachterin nach REFA falsch eingestuft worden. Die Gutachterin hat sich mit den nach REFA deklarierten Belastungsstufen auseinandergesetzt und zu Recht ausgeführt, dass diese Belastungsstufen keinesfalls die konkrete Belastung einer Reinigungsfrau beschreiben und daher nur als grobe Hinweise für eine individuelle Belastungsbeurteilung gelten können. Die Gutachterin ist unter Berücksichtigung der REFA-Klassifizierung bei ihrer arbeitsmedizinischen Beurteilung über die Einsatzfähigkeit der Klägerin geblieben. Die im Gutachten vom 28.02.2004 gemachte Einschränkung, dass die Klägerin nicht im Parterre im Foyer eingesetzt werden sollte, bedeutet keine Leistungsunmöglichkeit nach § 297 BGB. Unmöglichkeit im Sinne dieser Bestimmung ist nicht stets schon dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen in seiner Person nicht mehr alle Arbeiten verrichten kann, die zum Spektrum der vertraglich vereinbarten Tätigkeit zählen. Denn sonst bliebe außer Acht, dass der Arbeitgeber gemäß § 315 BGB sein Weisungsrecht nach billigem Ermessen auszuüben hat, wobei er auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigen muss (BAG, Urteil vom 11.03.1999 - 2 AZR 538/98 - II 3 der Gründe). Im Streitfall ist zu berücksichtigen, dass sich die Klägerin als schwerbehinderter Mensch auf die Schutznorm des § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX berufen kann. Die Beklagte hat nicht geltend gemacht, dass ihr eine Beschäftigung der Klägerin außerhalb des Parterres im Foyer in unmittelbarer Nähe der Haupteingangstür nicht zumutbar sei. Vielmehr wird die Klägerin seit dem 22.11.2004 antragsgemäß beschäftigt. Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass die Klägerin seit ihrem Einsatz kein einziges Mal krankheitsbedingt gefehlt hat und die Beklagte die Frage des Vorsitzenden im Termin der Berufungsverhandlung, ob es seitdem zu Beschwerden wegen etwaiger Leistungseinschränkungen gekommen sei, verneint hat. Auch unabhängig davon sah die Berufungskammer keine Veranlassung, dem Antrag der Beklagten auf Einschaltung eines "Obergutachters" nachzukommen. 2. Der Anspruch der Klägerin auf tatsächliche Beschäftigung im ungekündigten Arbeitsverhältnis ist begründet. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen. Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf eine konkrete Putzstelle hat, soweit im Arbeitsvertrag eine solche nicht festgeschrieben wurde, was von den Parteien nicht vorgetragen ist. Die konkrete tatsächliche Beschäftigung steht unter dem Vorbehalt eines vom Arbeitgeber nach den Grundsätzen des § 315 BGB auszuübenden Direktionsrechts. 3. Erstattung von Gutachterkosten Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Gutachterkosten ergibt sich aus Ziff. 1 S. 2 des zwischen den Parteien am 27.06.2003 abgeschlossenen Prozessvergleichs. Auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG verwiesen. Die Einwände der Beklagten in der Berufung, die Klägerin könne nur eingeschränkt weiterbeschäftigt werden und die Geschäftsgrundlage für den Vergleich sei weggefallen, weil die Klägerin als arbeitsunfähig anzusehen sei, greifen aus den unter Ziffer 1) dieser Entscheidung genannten Gründen nicht durch. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. 5. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des Einzelfalles und hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde unter den Voraussetzungen des § 72 a ArbGG wird verwiesen.

Ende der Entscheidung

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