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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 20.03.2009
Aktenzeichen: 10 Sa 1283/08
Rechtsgebiete: BGB, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 626
BetrVG § 103
1. Im Zustimmungsersuchen nach § 103 BetrVG wegen einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds hat der Arbeitgeber die Gründe, die er zur Grundlage der beabsichtigten Kündigung machen will, hinreichend zu verdeutlichen.

2. Zur Prüfung der Umstände des Einzelfalles bei unberechtigter Internetnutzung am Arbeitsplatz.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 24.09.2008 - 4 Ca 1126/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung der Beklagten vom 24.04.2008 sowie um einen Zwischenzeugnisanspruch des Klägers.

Der am 24.11.1948 geborene Kläger ist seit dem 01.01.1985 als Verkäufer für Kopiersysteme in B bei der Beklagten beschäftigt. Sein Jahreseinkommen beträgt 67.450,41 € brutto. Der Kläger ist seit ca. zehn Jahren Mitglied des für die Standorte K , B und A gebildeten Betriebsrates.

Bundesweit sind für die Beklagte mehrere hundert Mitarbeiter tätig.

Mit Schreiben vom 24.04.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich und fristlos, nachdem sie zuvor mit Schreiben vom 21.04.2008 den Betriebsrat hierfür um Zustimmung ersucht hatte.

Gegen die Kündigung vom 24.04.2008 wendet sich der Kläger mit seiner am 05.05.2008 per Telefax beim Arbeitsgericht in B eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat geltend gemacht, das Geschehen vom 08.11.2007 rechtfertige nicht die Annahme eines wichtigen Grundes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien. Zwar habe der Kläger in einem Zeitraum von ca. 60 bis 90 Minuten an der Akquiseaktion für die Beklagte nicht teilgenommen. Er habe dies allerdings bei dem Leiter der Region West der Beklagten, Herrn M , damit entschuldigt, dass er mit seinem in psychiatrischer Behandlung befindlichen Bruder zu einem Arzt gefahren sei. Damit sei die Angelegenheit erledigt gewesen. Erst mit Schreiben vom 15.02.2008 habe die Beklagte den Kläger aufgefordert, eine schriftliche Bestätigung des Arztes beizubringen, woraufhin der Kläger darauf hingewiesen habe, dass der Arzt Dr. K seine Praxis aufgegeben habe und deshalb schwer zu erreichen sei. Am 03.04.2008 sei der Kläger erneut deswegen abgemahnt worden. Zudem sei er aufgefordert worden, einen entsprechenden Nachweis bis 11.04.2008 zu erbringen. Der Kläger sei wegen der arbeitgeberseitig erfolgten Freistellung wenig zu Hause gewesen und habe die Frist zum 11.04.2008 übersehen. Der Kläger habe dann die Originalbescheinigung am 22.04.2008 an die Beklagte gefaxt und zudem das Original übersandt. Tatsächlich sei der Kläger am 08.11.2007 zwischen 10:00 Uhr und 11:00 Uhr mit seinem Bruder in B beim Zahnarzt Dr. K gewesen. Zur Begründung der außerordentlichen Kündigung vom 24.04.2008 dürfe sich die Beklagte auf eine vom Kläger bestrittene unberechtigte Internetnutzung nicht berufen. Zum einen sei ein Verwertungsverbot zu berücksichtigen, da die Beklagte die Grenzen der Kontrolle nach der im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung zur Nutzung von E-Mail und Internet vom 26.07.2007 nicht berücksichtigt habe. Der Kläger habe ohnehin die dort geregelte zulässige Dauer der Privatnutzung von 45 Minuten nicht überschritten. Ein Zugriff auf den PC des Klägers durch die Arbeitgeberseite am 12.12.2007 habe diese nicht substantiiert begründet, da sie einen konkreten Verdacht, der diese Vorgehensweise rechtfertige, nicht dargetan habe. Die von der Beklagten aufgelisteten Internetseiten habe der Kläger nicht aufgerufen; auch andere Mitarbeiter hätten Zugang zu den PC's der Kollegen. Eine konkrete Gefährdung der Interessen der Beklagtenseite sei durch das von ihr behauptete Aufrufen von Pornographieseiten ohnehin nicht dargelegt worden. Hinsichtlich des Geschehens vom 08.11.2007 sei die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten, da die Beklagte seit dem Gespräch des Klägers mit Herrn M eine vollständige Kenntnis des betreffenden Sachverhalts erlangt habe, so dass weitere Ermittlungen nicht notwendig gewesen seien. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates bestritten. Hinsichtlich des Geschehens vom 08.11.2007 sei die Erklärung des Klägers gegenüber Herrn M nicht aufgeführt. Die jeweiligen E-Mails seien nicht verwertet worden. Hinsichtlich der behaupteten Pornographie-Internetnutzung sei nicht näher dargelegt, dass tatsächlich pornographische Seiten und nicht solche anderen Inhalts vom Kläger aufgerufen worden seien. Der Kläger hat die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen Kündigung bestritten. Die Beklagte habe ein Sitzungsprotokoll einer entsprechenden Betriebsratssitzung nicht vorgelegt. Hinsichtlich der Begründung der Kündigung mit der Internetnutzung sei keine Zustimmung des Betriebsrates gegeben, da sich die erteilte Zustimmung, so sie denn gegeben sei, auf das Geschehen vom 08.11.2007 beschränke.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 24.04.2008 beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm, dem Kläger, ein Zwischenzeugnis zu erteilen, welches sich auf Führung und Leistung erstreckt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Geschehen vom 08.11.2007 stelle einen hinreichenden wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien dar. Die sog. Kaltakquise habe der Kläger im Team mit dem Mitarbeiter S absolvieren sollen. Im Zielgebiet B habe der Kläger die Trennung der beiden Mitarbeiter angeregt und habe dabei Herrn S vorgespiegelt, selber Kaltakquise zu betreiben. Sodann sei ein Treffpunkt für 11:30 Uhr zwischen den beiden abgemacht worden. Um 11:00 Uhr habe der Mitarbeiter S den Kläger in einem Café sitzend und Kaffee trinkend gesehen. Nach Rückkehr in das Büro habe der Kläger telefonisch mitgeteilt, er komme gerade von der Kaltakquise. Nach Information über den Hergang durch den Mitarbeiter S am 14.11.2007 habe die Beklagte den Kläger zur Stellungnahme am 16.11.2007 bezüglich der Kundentermine vom 08.11.2007 aufgefordert. Der Kläger habe am 19.11.2007 lediglich mitgeteilt, einen wichtigen Termin gehabt zu haben, er sei wieder um 11:00 Uhr im Gebiet gewesen und habe bis 11:30 Uhr auf Herrn S gewartet. Die Beklagte habe daraufhin dem Kläger die Abmahnung vom 23.11.2007 wegen Nichterteilung der Auskunft erteilt und gleichzeitig eine Frist für die Nachlieferung einer solchen bis 26.11.2007 gesetzt. Hierauf habe der Kläger mit E-Mail vom 26.11.2007 geantwortet und dabei darauf hingewiesen, er habe Herrn M mitgeteilt, was er an dem betreffenden Vormittag gemacht habe. Am 23.11.2007 habe der Kläger Herrn M erklärt, mit seinem Bruder bei einem Termin bei einem Psychologen gewesen zu sein. Diese Erklärung habe der Kläger am 05.12.2007 gegenüber Herrn S wiederholt und dabei darauf hingewiesen, sein Bruder sei manisch-depressiv und habe einen Termin beim Psychologen Dr. M gehabt. In der dritten Kalenderwoche 2008 sei Herrn M in der M straße in B aufgefallen, dass dort entgegen den Angaben des Klägers kein Psychologe unter dem Namen Dr. M ansässig sei. Daher habe die Beklagte den Kläger erneut mit Schreiben vom 22.01.2008 mit der Aufforderung bzgl. des Nachweises hinsichtlich des Arztbesuches aufgefordert. Die gesetzte Frist bis 05.02.2008 habe der Kläger verstreichen lassen, woraufhin die Beklagte eine erneute Abmahnung mit Schreiben vom 15.02.2008 mit neuerlicher Fristsetzung zum 22.02.2008 wiederum erfolglos mangels Antwort des Klägers gesetzt habe. Hieran habe sich eine erneute Abmahnung vom 03.04.2008 mit neuerlicher Frist zum 11.04.2008 zur Stellungnahme für den Kläger angeschlossen. Der Kläger sei dann mit Schreiben vom 16.04.2008 mit Stellungnahmefrist bis 21.04.2008 angehört worden. Danach habe die Beklagte ein Zustimmungsgesuch hinsichtlich des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung bei ihrem Betriebsrat mit Schreiben vom 21.04.2008 gestellt. Am 22.04.2008 habe der Kläger dann eine Bestätigung von dem nicht mehr praktizierenden Zahnarzt Dr. K aus B über einen Zahnarztbesuch von 10:00 Uhr bis 11:00 Uhr am 08.11.2007 übersandt. Der Kläger sei tatsächlich bereits um 11:00 Uhr in B vom Mitarbeiter S gesehen worden. Nach alledem liege eine bewusste und beharrliche Täuschung des Klägers gegenüber der Beklagten vor, die das Vertrauensverhältnis der Parteien zerstört habe. Zudem könne sich die Beklagte auf eine unberechtigte Internetnutzung, die gegen die Betriebsvereinbarung zur Nutzung von E-Mail und Internet vom 26.07.2007, in der ausdrücklich der Aufruf pornographischer Seiten untersagt sei, verstoße, berufen. Stichproben im Sinne des § 7 der Betriebsvereinbarung hätten am PC des Klägers einen entsprechenden Verdacht ergeben, so dass in der Folge die Internetdaten auf dem PC des Klägers sichergestellt worden seien. Dort sei erkennbar gewesen, dass regelmäßig Internetseiten mit pornographischem Inhalt vom Kläger besucht worden seien. Der Kläger sei hierauf mit Schreiben vom 21.12.2007 zur Stellungnahme aufgefordert worden. Nach Ablauf der vom Kläger begehrten Fristverlängerung bis 14.01.2008 habe dieser sich weitergehend geäußert. Die Häufigkeit des Verstoßes, die Eindeutigkeit des Verbotes in der Betriebsvereinbarung sowie die Gefahr einer Rufschädigung der Beklagten verdeutlichten die diesbezügliche Schwere der Pflichtverletzung. Hinsichtlich des Geschehens vom 08.11.2007 sei die Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Nach Fristablauf aus der Abmahnung vom 03.04.2008 sei ein hinreichender Verdacht am 11.04.2008 entstanden, woraufhin dem Kläger im Rahmen der Anhörung vom 16.04.2008 mit Frist bis 21.04.2008 eine Stellungnahmemöglichkeit gegeben worden sei. Nach Zustimmung des Betriebsrates sei dann mit Schreiben vom 24.04.2008 gekündigt worden. Hinsichtlich der Internetnutzung hätten am 12.12.2007 Stichproben vorgelegen, die einen konkreten Verdacht gegenüber dem Kläger gegeben hätten. Nachdem die Stellungnahmefrist gegenüber dem Kläger am 21.12.2007 abgelaufen sei, habe die Beklagte bei dem bei ihr gebildeten Betriebsrat am 27.12.2007 die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung bis 02.01.2008 verlangt. Der Betriebsrat habe hierauf nicht reagiert, daher sei das Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Köln unter dem Az. 8 BV 71/08, welches zunächst am 05.01.2008 beim Arbeitsgericht Bonn durch Antrag vom 03.01.2008 anhängig wurde, eingeleitet worden.

Das Arbeitsgericht Bonn hat durch Urteil vom 24.09.2008 die Klage für begründet gehalten, da die außerordentliche Kündigung vom 24.04.2008 unwirksam sei und der Kläger im bestehenden Arbeitsverhältnis der Parteien einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses besitze. Im Wesentlichen hat das Arbeitsgericht Bonn hierzu ausgeführt, der Vorwurf der unberechtigten Internetnutzung sei nicht zu berücksichtigen, da im Rahmen des für die beabsichtigte Kündigung vom 24.04.2008 gestellten Zustimmungsersuchens gemäß § 103 BetrVG von der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat nicht hinreichend verdeutlicht worden sei, dass sich diese auch auf den Aspekt der Internetnutzung stützen solle. Eine etwaige beharrliche Nachweispflichtverletzung des Klägers hinsichtlich der Arbeitsversäumnisse am 08.11.2007 seien nicht als ausreichender wichtiger Grund anzuerkennen. Der Verdacht des Arbeitszeitbetruges sei wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB nicht verwertbar.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 29.09.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Bonn am 14.10.2008 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 29.12.2008 - am 29.12.2008 begründet.

Unter Vertiefung und Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags vertritt die Beklagte die Auffassung, die unberechtigte Internetnutzung des Klägers sei als wichtiger Grund für die Kündigung vom 24.04.2008 zu berücksichtigen. Die Anhörung vom 21.04.2008 betreffe das Nachschieben von weiteren Kündigungsgründen mit Rücksicht auf das Geschehen vom 08.11.2007. Hinsichtlich der Internetnutzung sei die Anhörung bereits mit Schreiben vom 27.12.2007 erfolgt. Nach Nichterteilung der Zustimmung durch den Betriebsrat sei hier das Zustimmungsersetzungsverfahren unter dem Az. 8 BV 71/08 vor dem Arbeitsgericht Bonn geführt worden, in dessen Verlauf dann die Zustimmung vor Ausspruch der Kündigung vom 24.04.2008 durch den Betriebsrat erteilt worden sei. Dementsprechend habe das Arbeitsgericht Köln durch Beschluss vom 17.02.2008 die Erledigung des Zustimmungsersetzungsverfahrens festgestellt. Das Nachschieben weiterer Gründe und damit die Aufrechterhaltung des bisher in Bezug auf die Internetnutzung vorgetragenen Kündigungssachverhalts sei im Anhörungsschreiben vom 21.04.2008 auch hinreichend verdeutlicht. So sei in Ziffer 1 erklärt, dass es sich in dem Schreiben um weitere Kündigungsgründe handele. Zudem habe der Betriebsratsvorsitzende, Herr N , bestätigt, dass die Zustimmung des Betriebsrates sich auf alle Kündigungssachverhalte erstrecke. Die Beklagte hält an ihrer Ansicht fest, die Internetnutzung stelle einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger dar. Im Rahmen der erhobenen Stichproben sei der konkrete Verdacht gegenüber dem Kläger bestätigt worden, dass dieser während der Arbeitszeit in erheblichem Umfang pornographische Internetseiten besucht habe. Filmdateien im Format wmv, mpg und jpg seien nicht lediglich sog. Popups, da diese im Verlauf nicht aufgezeigt würden, was im Fall des PC's des Klägers jedoch vorgelegen habe. Es habe eine abstrakte Gefahr der Rufschädigung der Beklagten hierdurch vorgelegen. Zudem sei ein Arbeitszeitbetrug des Klägers für die Zeiträume, in denen er sich im Internet befunden habe, gegeben. Hinsichtlich des Geschehens am 08.11.2007 sei keine Verfristung wegen Nichteinhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB eingetreten. Durch die von der Beklagtenseite wegen des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges an diesem Tag vorgenommenen Anhörungsmaßnahmen sei diese Frist gehemmt worden. Auch nach erfolglosem Fristablauf zum 05.02.2008 seien weitere Ermittlungen zulässig gewesen. Dass diese durchaus nicht ohne Erfolgsaussicht gewesen seien, habe das spätere Schreiben des Klägers vom 22.04.2008 gezeigt, mit dem er die ärztliche Bescheinigung des Zahnarztes Dr. K beigebracht habe. Hinsichtlich des Nachweises der Tätigkeiten des Klägers am 08.11.2007 sei wegen § 626 Abs. 2 BGB nicht auf die Fristversäumnis des Klägers zum 26.11.2007 abzustellen. Neue Erkenntnisse habe die Beklagte durch Herrn M in der dritten Kalenderwoche 2008 erlangt, indem dieser festgestellt habe, dass in der M straße in B kein Psychologe unter dem Namen Dr. M praktiziere. Die Beklagte besitze einen Anspruch auf Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung für den vom Kläger behaupteten Arztbesuch seines Bruders am 08.11.2007 gegenüber dem Kläger unter dem Gesichtspunkt einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht. Nach Verdacht des unentschuldigten Fehlens gegenüber dem Kläger sei dieser verpflichtet, den von ihm behaupteten Rechtfertigungsgrund zu beweisen.

Die Beklagte beantragt,

abändernd die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er vertritt weiterhin die Auffassung, die von der Beklagten behauptete unberechtigte Internetnutzung des Klägers in Form des Aufsuchens pornographischer Internetseiten während der Arbeitszeit könne nicht zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigung vom 24.04.2008 mangels entsprechendem Zustimmungsersuchen gegenüber dem Betriebsrat verwertet werden. Ohnehin sei die Anhörung des Betriebsrates zu diesem Komplex mit Schreiben vom 27.12.2007 unzureichend, da nicht erkennbar gemacht worden sei, wann die Internetseiten aufgerufen und heruntergeladen worden sein sollen. Der Vorwurf sei ohnehin unberechtigt. Die Beklagte mache keine Angaben, aus denen sich erschließe, dass der Kläger zu den angegebenen Zeiten, in denen die Seiten besucht worden sein sollen, der entsprechende Nutzer gewesen sein solle. Konkrete Schäden seien ohnehin nicht dargestellt durch die Beklagte. Hinsichtlich des Geschehens vom 08.11.2007 stehe § 626 Abs. 2 BGB einer Verwertung entgegen. Die Beklagte habe kein zügiges Ermittlungsverfahren hinsichtlich dieses Sachverhaltes betrieben, indem sie immer wieder erneut Fristen zur Stellungnahme gegenüber dem Kläger gesetzt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst den zu den Akten gereichten Anlagen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht Bonn hat zu Recht die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 24.04.2008 gegenüber dem Kläger für unwirksam gehalten und im fortbestehenden Arbeitsverhältnis den Zwischenzeugnisanspruch des Klägers bejaht.

1. Hinsichtlich der unberechtigten Internetnutzung kann sich die Beklagte schon deswegen auf keinen wichtigen zur außerordentlichen Kündigung des Klägers berufen, weil das Arbeitsgericht Bonn im Urteil vom 24.09.2008 zu Recht davon ausgegangen ist, dass dieser Sachverhalt nicht Gegnestand des Zustimmungsersuchens der Beklagten gegenüber dem Betriebsrat nach § 103 BetrVG zur hier streitgegenständlichen Kündigung vom 24.04.2008 geworden ist. Im Zustimmungsersuchen vom 21.04.2008 ist nicht hinreichend verdeutlicht, dass die Beklagte die im Rahmen dieses Zustimmungsersuchens beabsichtigte Kündigung auf den Komplex unzulässiger Internetnutzung stützen will. Auf die sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts wird verwiesen. Insbesondere ist auf die Formulierung in Abs. 5 S. 2 auf der letzten Seite des Schreibens der Beklagten vom 21.04.2008 abzustellen, wonach die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrug und zur außerordentlichen Tatkündigung wegen beharrlicher Nachweispflichtverletzung begehrt wird. Die Beklagte umreißt hiermit ausdrücklich die Gründe, die sie zur Grundlage der beabsichtigten Kündigung machen will. Die unberechtigte Internetnutzung ist von der Beklagten hierbei nicht mitgenannt worden.

2. Zudem ist ohnehin kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Kläger anzuerkennen.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt als kündigungsrelevante Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht bei einer privaten Nutzung des Internets oder des Dienst-PC's u. a. Folgendes in Betracht:

- das Herunterladen einer erheblichen Menge von Daten aus dem Internet auf betriebliche Datensysteme (unbefugter Download), insbesondere, wenn damit einerseits die Gefahr möglicher Vireninfizierungen oder anderer Störungen des - betrieblichen - Systems verbunden sein könne oder andererseits von solchen Daten, bei deren Rückverfolgung es zu möglichen Rufschädigungen des Arbeitgebers kommen kann, beispielsweise, weil strafbare oder pornographische Darstellungen heruntergeladen werden;

- die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internetanschlusses als solche, weil durch sie dem Arbeitgeber möglicherweise - zusätzliche - Kosten entstehen können und der Arbeitnehmer jedenfalls die Betriebsmittel - unberechtigterweise - in Anspruch genommen hat;

- die private Nutzung des vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Internets oder anderer Arbeitsmittel während der Arbeitszeit, weil der Arbeitnehmer während des Surfens im Internet oder einer intensiven Betrachtung von Videofilmen oder -spielen zu privaten Zwecken seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringt und dadurch seiner Arbeitspflicht nicht nachkommt und sie verletzt (vgl. BAG, Urt. v. 31.05.2007 - 2 AZR 200/06, in NZA 2007, S. 922 ff.; Urt. v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04, in NZA 2006, S. 98 ff.).

aa) Nur bei einer exzessiven Nutzung ist eine schwere Pflichtverletzung anzuerkennen, die auch ohne Abmahnung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellt. Bei einer privaten Internetnutzung während der Arbeitszeit verletzt der Arbeitnehmer grundsätzlich seine Hauptleistungspflicht zur Arbeit. Die Pflichtverletzung wiegt dabei umso schwerer, je mehr der Arbeitnehmer bei der privaten Nutzung des Internets seine Arbeitspflicht in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht vernachlässigt (vgl. BAG, Urt. v. 07.07.2005 - 2 AZR 581/04 a. a. O.).

bb) Bei dem Aufrufen von Internetseiten mit pornographischen Inhalten ist insbesondere das sog. Integritätsinteresse des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Nutzt der Arbeitnehmer betriebliche Gegebenheiten, um etwa Straftaten zu begehen, liegt darin regelmäßig eine beachtliche Nebenpflichtverletzung. Kein Arbeitgeber braucht zu dulden, dass seine Einrichtungen für etwa strafbare Privatgeschäfte von Mitarbeitern benutzt werden (vgl. BAG, Urt. v. 06.11.2003 - 2 AZR 631/02, in NZA 2004, S. 919 ff.). Vorliegend hat der Kläger bestritten, dass die von der Beklagten aufgelisteten Internetseiten tatsächlich pornographische Inhalte besäßen. Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln (Urt. v. 17.2.2004 - 5 Sa 1049/03, in NZA-RR 2005, S. 136ff.) hat zu dieser Konstellation vertreten, dass angesichts des Bestreitens der Klägerseite die Arbeitgeberseite nähere Darlegungen zu dem Inhalt der vom Kläger aufgerufenen Seiten machen müsse, um ihre Behauptung, es habe sich um solche pornographischen Inhalts gehandelt, zu substantiieren und zu konkretisieren, da der Inhalt dieser Seiten nicht gerichtsbekannt sei. Die aktenmäßige Aufbereitung der entsprechenden Internetseiten mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand und erheblichen Kosten vermöge die Arbeitgeberseite nicht von der ihr obliegenden Darlegungslast zu entbinden.

cc) Jedoch kann vorliegend die Frage der hinreichenden Substantiierung des entsprechenden Pflichtvorwurfs durch die Arbeitgeberseite dahingestellt bleiben, da jedenfalls die Umstände des Einzelfalles die Annahme eines wichtigen Grundes zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung nicht rechtfertigen unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile.

Zum einen ist das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes zu berücksichtigen und dieses dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegenüber zu stellen. Entscheidend stellt die Kammer hierbei auf die überaus lange Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers seit dem Jahr 1985 ab. Zudem ist das Lebensalter des nunmehr 60-jährigen Klägers und die daraus zu folgernde erhebliche soziale Schutzbedürftigkeit zu berücksichtigen. Zudem kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Kläger nach seinem unwidersprochenen Vortrag an keine konkret vorgeschriebenen Arbeits- bzw. Pausenzeiten gebunden und daher auch nicht ohne konkretisierenden Vortrag der Beklagtenseite davon auszugehen ist, dass die von der Beklagtenseite behauptete Internetnutzung tatsächlich während der Arbeitszeit des Klägers geschehen ist. Aus den Ausdrucken des Internetverlaufs des PC's des Klägers im von der Beklagtenseite in Bezug genommenen Zeitraum vom 01.10. bis 06.12.2007 lässt sich entnehmen, dass der Aufruf der Internetseiten im Wesentlichen in den Zeiträumen zwischen 12:00 Uhr und 13:00 Uhr und nach 17:00 Uhr erfolgt ist. Ob dies während der Arbeitszeit des Klägers oder während der von ihm eingehaltenen Pausenzeiten geschehen ist, ist daher für die Kammer nicht erkennbar.

Auch die konkrete Arbeitsaufgabe des Klägers als Vertriebsmitarbeiter ist zu berücksichtigen. Anders als im vom Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 07.07.2005 (2 AZR 581/04, a. a. O.) behandelten Fall ist vorliegend nicht erschwerend im Rahmen der Bewertung der Pflichtverletzung zu würdigen, dass dem Kläger eine sicherheitsrelevante Aufsichtsfunktion oblegen hat. Ebenso wenig handelt es sich bei der Tätigkeit des Klägers um eine solche im öffentlichen Dienst. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 27.04.2006 - 2 AZR 386/05, in NZA 2006, S. 977 ff.) ausgeführt, dass der Arbeitgeber als Behörde, die Sicherheitsvorschriften unterliegt, ein besonderes Interesse daran habe, dass nicht sie oder einer ihrer Arbeitnehmer mit Dingen in Verbindung gebracht werde, die den Verdacht nahelegten, sie seien strafrechtlich relevant. Zudem gilt für den Kläger als Angestellten in der Privatwirtschaft keine gesteigerte Verhaltenspflicht nach § 8 Abs. 1 S. 1 BAT im öffentlichen Dienst (vgl. hierzu BAG, Urt. v. 27.04.2006 - 2 AZR 386/05, a. a. O.).

3. Auch auf das Geschehen vom 08.11.2007 kann sich die Beklagte nicht als hinreichenden wichtigen Grund zum Ausspruch der außerordentlichen Kündigung vom 24.04.2008 berufen.

Insoweit ist die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 Abs. 2 BGB durch die Beklagte nicht eingehalten.

Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt die 2-Wochen-Frist, innerhalb der eine außerordentliche Kündigung zu erklären ist, mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Vorschrift regelt eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist für die Kündigungserklärung. Sie soll innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird. Andererseits soll aber die zeitliche Begrenzung nicht zur hektischen Eile bei der Kündigung antreiben oder den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne genügende Vorprüfung voreilig zu kündigen. Für den Fristbeginn kommt es daher auf die sichere und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen an; selbst grob fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Nicht ausreichend ist die Kenntnis des konkreten, die Kündigung auslösenden Anlass, d. h. des Vorfalls, der einen wichtigen Grund darstellen könnte. Dem Kündigungsberechtigten muss eine Gesamtwürdigung möglich sein. Solange der Kündigungsberechtigte die Aufklärung des Sachverhalts, auch der gegen eine außerordentliche Kündigung sprechenden Gesichtspunkte, durchführt, kann die Ausschlussfrist nicht beginnen. Sie ist allerdings nur solange gehemmt, wie der Kündigungsberechtigte aus verständlichen Gründen mit der gebotenen Eile noch Ermittlungen anstellt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhalts verschaffen sollen.

Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch bei der sog. Verdachtskündigung. Hat der Arbeitgeber nur einen nicht beweisbaren Verdacht, fehlt ihm die Kenntnis des für die Kündigung maßgebenden Tatsachen, was bedeutet, dass die 2-Wochen-Frist noch nicht zu laufen begonnen hat. Der Arbeitgeber kann mit der gebotenen Eile weitere Ermittlungen anstellen, ohne Befürchtung haben zu müssen, damit sein Kündigungsrecht zu verlieren. Auch bei der Verdachtskündigung gibt es aber einen bestimmten Zeitpunkt, in dem dem Kündigungsberechtigten durch seine Ermittlungen die den Verdacht begründenden Umstände bekannt sind, die ihm die nötige Interessenabwägung und die Entscheidung darüber ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ihm zumutbar ist oder nicht. In diesem Zeitpunkt beginnt die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB (BAG, Urt. v. 29.07.1993 - 2 AZR 90/93, in NZA 1994, S. 171 ff. m. w. N.).

Danach ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte die Ausschlussfrist nach § 626 Abs. 2 BGB fristwahrend durch Ausspruch der außerordentlichen Kündigung am 24.04.2008 hinsichtlich des Geschehens am 08.11.2007 gewahrt hat. Nach mehrfacher erfolgloser Aufforderung der Beklagten zur Stellungnahme und unter Berücksichtigung, dass der Kläger Anfang März 2008 mündlich mitgeteilt hat, dass es wegen Praxisferien des Arztes seines Bruders anlässlich der Osterfeiertage, die zwischen dem 21. und 24.03.2008 gelegen haben, schwierig sei, die gewünschte Originalerklärung zeitnah zu beschaffen, erweist sich die neuerliche Fristsetzung durch Abmahnung vom 03.04.2008 zum 11.04.2008 nicht mehr als Aufklärungsmaßnahme mit der zu verlangenden gebotenen Eile. Jedenfalls Ende März 2008 war ein Zeitpunkt erreicht, ab der die Kündigungserklärungsfrist gemäß § 626 BGB zu laufen begann, so dass die mehr als 14 Tage danach erfolgte Kündigung vom 24.04.2008 als verfristet anzusehen ist.

3. Die dem Kläger vorgeworfene Auskunftspflichtverletzung bzw. die fehlende Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des seinen Bruder behandelnden Arztes sind als reine Nebenpflichtverletzungen ohne den Ausspruch einer vorangegangenen Abmahnung nicht geeignet, einen wichtigen Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darzustellen.

Mit Rücksicht darauf war die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 24.04.2008 zu verneinen. Aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis der Parteien folgt der Zwischenzeugnisanspruch des Klägers.

III. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte als unterlegene Partei gemäß § 97 ZPO.

IV. Die Revision war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und die angesprochenen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird verwiesen.

Ende der Entscheidung

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