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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 01.03.2002
Aktenzeichen: 11 Sa 1188/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 622 Abs. 1
ZPO § 97
ZPO § 296 Abs. 1 a.F.
ZPO § 340 Abs. 3
ZPO § 343 S. 1
ZPO § 527
ZPO § 530 Abs. 2 a.F.
ArbGG § 72 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 Sa 1188/01

Verkündet am: 01.03.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 01.03.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Keßeier und Klinkenberg

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 13.09.2001 verkündeten Urteil des Arbeitsgerichts Aachen - 8 Ca 4089/00 d - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO a.F.)

Die Parteien - nämlich die beklagte GmbH, die ein Unternehmen für Elektrotechnologie betreibt und der von ihr von August 1999 bis Juni 2000 als Elektromonteur beschäftigte Kläger - streiten um die Abrechnung des letzten Monats (Juni 2000), für den der Kläger 4.177,-- DM brutto als Lohn und 695,-- DM netto als Spesen (Auslösung und Fahrgeld) fordert. Dementsprechend ist im Kammertermin vom 15.02.2001 Versäumnisurteil gegen die Beklagte, die schriftlich zur Klage nicht Stellung genommen hatte, ergangen, weil ihr anwaltlicher Prozeßvertreter im Termin zwar anwesend war, aber nicht verhandelt hat. Die Beklagte hat fristgemäß Einspruch eingelegt, in der Einspruchsschrift vom 10. 04. 2001 aber nicht, sondern erst mit Schriftsatz vom 27. 04. 2001 zum Sachverhalt vorgetragen (Bl. 32 ff.).

Das Arbeitsgericht hat das klagestattgebende Versäumnisurteil aufrechterhalten. Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter und berechnet die Lohnansprüche des Klägers ausgehend von 4.204,50 DM brutto auf 3.132,69 DM netto, die übrigen Ansprüche auf 680,-- DM netto zuzüglich 68,-- DM netto als vermögenswirksame Leistung. Dem gegenüber wiederholt die Beklagte die schon erstinstanzlich erklärte Aufrechnung mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe in Höhe von 3.696,-- DM, die arbeitsvertraglich für den Fall vereinbart wurde, daß der Arbeitnehmer "das Arbeitsverhältnis rechtswidrig auflöst oder verschuldet einen Grund zur fristlosen Kündigung gibt". Zur Begründung beruft sich die Beklagte auf den unstreitigen Umstand, daß der Kläger das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. 06. 2000 unter Einhaltung einer im Arbeitsvertrag vom 29. 06. 1999 vereinbarten 14-tägigen Frist zum 30. 06. 2000 gekündigt hat. Die Beklagte hält dies mit Rücksicht auf § 622 Abs.1 BGB i.d.F. des KündFG v. 07. 10. 1993 (in Kraft seit 15. 10. 1993) für unzulässig, weil der Arbeitsvertrag die Klausel enthält: "Jede gesetzliche Verlängerung der Kündigungsfrist zu Gunsten des Arbeitnehmers gilt auch in gleicher Weise zu Gunsten des Arbeitgebers." Darauf habe sie mit Einschreiben vom 28. 06. 2000 (Bl. 38) hingewiesen, das unstreitig dem Kläger nicht ausgehändigt, sondern - nach Darstellung der Beklagten - mit dem Vermerk "nicht abgefordert" an sie zurückgeleitet worden sei.

Die Beklagte rechnet ferner auf mit einem Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.182,41 DM für eine Werkzeugkiste, die dem Kläger mit Inhalt übergeben und diesem zwischen dem 03. und 18. 02. 2000 aus einem von der Beklagten zur Verfügung gestellten Baustellencontainer entwendet wurde. Zur Begründung beruft sich die Beklagte auf die vom Kläger unter dem 29. 07. 1999 unterschriebene Quittung, die den Vermerk enthält: "Mir ist bekannt, daß ich für die Gegenstände hafte (...). Ich verpflichte mich, die Gegenstände bei meinem Ausscheiden aus der Firma (...) zurückzugeben. Fehlende Gegenstände werden bei meinem Ausscheiden mit meinem Restlohnanspruch verrechnet." Die in Ziffer 18 des Arbeitsvertrags vereinbarte Verfallfrist von zwei Monaten, innerhalb derer Ansprüche "nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden" müssen, habe sie gewahrt: zum einen schon durch ein Rundschreiben an alle Mitarbeiter vom 22. 02. 2000 (Bl. 101), zum anderen mit einem (zweiten) Schreiben an den Kläger vom 28.06.2000 (Bl. 102), dessen Zugang der Kläger vereitelt habe, weil er es nicht abgefordert habe. Mit Schriftsatz vom 11.12.2001 hat die Beklagte behauptet, der Kläger habe während der Zeit seiner Beschäftigung durch falsche Angaben ein Zuviel an Auslösung und Fahrgeld in Höhe von 5.650,-- DM erwirkt. Deshalb werde ein Zurückbehaltungsrecht an der Klagesumme geltend gemacht. Mit Schriftsatz vom 27. 02. 2002 hat sie die Berechtigung der mit der Klage für Juni 2000 geltend gemachten Auslösungs- und Fahrgeldbeträge insgesamt bestritten und weiter zu den Aufrechnungsansprüchen (Vertragsstrafe und Werkzeugkiste) vorgetragen. Im heutigen Termin (01.03.2002) hat sie erklärt, die Überzahlung an Fahrgeld und Auslösung werde zurückgefordert; mit dem Rückforderungsanspruch werde gegenüber der Klageforderung aufgerechnet.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und Aufhebung des Versäumnisurteils vom 15.02.2001 abzuweisen.

Der Kläger beantragt Zurückweisung der Berufung und stellt die von der Beklagten in der Berufungsbegründung vorgelegte Juniabrechnung unstreitig. Gegenüber den Aufrechnungsforderungen beruft er sich auf Verfall und bestreitet, daß das Schreiben der Beklagten vom 28.06.2000 verschickt worden sei. Die Werkzeugkiste habe er auf Weisung der Beklagten in den Baustellencontainer verbracht. Die Schriftsätze der Beklagten vom 11.12.2001 und 27.02.2002 rügt der Kläger als verspätet und bestreitet eine Überzahlung an Fahrgeld und Auslösung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung, die zu den Akten gereichten Urkunden sowie ergänzend auf den vorgetragenen Inhalt der zweitinstanzlich zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 15.02.2001 zu Recht gem. § 343 S. 1 ZPO aufrechterhalten. Denn die zu erlassende streitige Entscheidung stimmt mit diesem überein: Die Klage ist begründet.

I. Die Klageforderungen sind unstreitig - spätestens seitdem der Kläger die von der Beklagten selbst mit der Berufungsbegründung vorgelegte Juni-Abrechnung unstreitig gestellt hat. Als Lohn werden 4.177,-- DM brutto eingeklagt; die Beklagte gesteht 4.204,50 DM brutto zu. Sofern die Beklagte mit der vorgenommenen Brutto-Netto-Umrechnung andeuten will, der Kläger sei nicht berechtigt, die anfallenden Abgaben einzuklagen, ist sie im Unrecht: Brutto-Entgelt ist grundsätzlich auch als Bruttobetrag einzuklagen (Berkowsky in DB 2000, 1710). Darüber hinaus gesteht die Beklagte (680,-- DM + 68,-- DM =) 758,-- DM netto zu, während der Kläger nur 695,-- DM netto einklagt. Selbst wenn hier ein geringfügiger streitiger Betrag verbliebe, können für ihn die 27,50 DM brutto verwandt werden, die von der Beklagten eingeräumt, vom Kläger aber nicht verlangt wurden. Sofern die Beklagte nach mehr als einjähriger Anhängigkeit des Rechtsstreits vorträgt, "zwischenzeitlich" stehe fest, daß der Kläger in früheren Monaten zum Fahrgeld falsche Angaben gemacht habe, berührt dies die Höhe der Klageforderung nicht. Sofern sie im gleichen Schriftsatz behauptet, der Kläger habe entgegen seinen Angaben am 14. und 15. 06. 2000 nicht in M, sondern in ihrer Werkstatt in J gearbeitet, kann dies schon wegen fehlender Substantiierung keinen Einfluß auf das Ergebnis haben: Die Beklagte trägt nicht vor, in welchem Umfang dies Einfluß auf die von ihr selbst erstellte und vom Kläger unstreitig gestellte Abrechnung haben soll. Das Bestreiten im Schriftsatz vom 27.02.2002 kann nicht berücksichtigt werden, weil der Schriftsatz als verspätet zurückgewiesen werden muß (§§ 527, 296 Abs.1 ZPO a.F.): Er ist nach fast anderhalbjähriger Rechtshängigkeit, erstinstanzlichem Verstoß gegen die Prozeßförderungspflicht und gegen § 340 Abs.3 ZPO nur zwei Tage vor dem Berufungstermin eingegangen, ohne daß die Verspätung entschuldigt worden wäre. Der im Termin gestellte Antrag der Beklagten auf Vertagung beweist, daß die Berücksichtigung des Schriftsatzes zur (weiteren) Verlängerung des Rechtsstreits geführt hätte.

II. Die Klageforderung ist nicht durch die von der Beklagten erklärten Aufrechnungen untergegangen:

1) Mit einem Anspruch auf Vertragsstrafe kann die Beklagte nicht aufrechnen, weil ihr ein solcher Anspruch nicht zusteht. Die verkürzte Kündigungsfrist, die sie dem Kläger vorwirft, hat sie durch eine von ihr gestellte vorformulierte Vertragsbedingung selbst veranlaßt. In diesem Fall ist die Berufung des Arbeitgebers auf die gesetzliche Frist unzulässig (Kramer in BB 1997, 731); jedenfalls ist es rechtsmißbräuchlich, wenn der Arbeitgeber in einem solchen Fall den Arbeitnehmer wegen Vertragsbruchs belangen will (LAG Düsseldorf v. 17. 04. 1972 in DB 1972, 1169; LAG Berlin v. 28. 04. 1976 in AuR 1976, 315; KR-Spilger, 6. Aufl., § 622 BGB Rn. 144).

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf die arbeitsvertragliche Vereinbarung zur gesetzlichen Verlängerung der Kündigungsfrist: Seit Abschluß des Arbeitsvertrages am 29. 06. 1999 hat keine "gesetzliche Verlängerung der Kündigungsfrist" stattgefunden. Das KündFG stammt aus 1993. Sofern die Beklagte mit Schriftsatz vom 27.02.2002 Umstände vorträgt, die die Frage des Rechtsmißbrauchs einer neuen Überprüfung zuführen könnten (mündliche Absprachen der Parteien bei den Vertragsverhandlungen), steht deren Verwertung bereits die Verspätung des Schriftsatzes entgegen. Auf die Frage nach einer hinreichenden Substantiierung dieses neuen Vertrags kommt es daher ebensowenig an wie auf eine Würdigung von Ziffer 19 des Arbeitsvertrages, nach der die Vertragsparteien Nebenabreden nicht geschlossen haben und Änderungen wie Ergänzungen des Arbeitsvertrages der Schriftform bedürfen. Auch die Auswirkungen des damit sich ergebenden Verstoßes gegen das Nachweisgesetz (§ 2 Abs.1 Nr.9) können unerörtert bleiben.

2) Auch die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen wegen der gestohlenen Werkzeugkiste geht ins Leere. Auch dieser Anspruch steht der Beklagten nicht zu - und zwar trotz der vom Kläger auf der Quittung für den Werkzeugempfang unterschriebenen Erklärungen.

Zum einen haftet der Arbeitnehmer für Verlust und Beschädigung von Gegenständen des Arbeitgebers grundsätzlich nur bei Ursächlichkeit und Verschulden. Es ist grundsätzlich unzulässig, ihm eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung aufzubürden, ohne die daraus sich für den Arbeitnehmer ergebende Vermögensgefährdung durch einen finanziellen Ausgleich ("Mankogeld") zu kompensieren, sofern seine Tätigkeit nicht mit wirtschaftlichen Überlegungen und Entscheidungen verbunden ist und er nicht unter Ausschluß Dritter den alleinigen Gewahrsam an den Gegenständen hat, für deren Verlust er haften soll (ErftK/Preis, § 611 BGB Rn. 1058 f., 1067, 1071). Entgegenstehende Vereinbarungen hält die Rechtsprechung wegen Verstoßes gegen die guten Sitten für nichtig (BAG, Urteil vom 22.11.1973 - 2 AZR 580/72 in AP Nr. 67 zu § 626 BGB; Urteil vom 13.02.1974 - 4 AZR 13/73 in AP Nr. 77 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers). Ursächlichkeit und Verschulden des Klägers sind nicht ersichtlich.

Zum anderen wäre ein bestehender Anspruch nach der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlußklausel verfallen: Die Beklagte hat sie nicht "innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben" - auch wenn man entgegen der Ansicht des Gerichts unterstellt, daß die Fälligkeit eines Anspruchs erst mit dem Ausscheiden des Klägers und nicht schon mit Kenntnis der Beklagten vom Verlust der Werkzeugkiste eingetreten wäre. Zu Unrecht ist die Beklagte anderer Ansicht mit der Begründung, der Kläger habe bewußt den Zugang des Geltendmachungsschreibens vereitelt. Holt der Empfänger eine abholbereite Einschreibsendung nicht ab, kann das zu einer Zugangsfiktion nur führen, wenn er von der Lagerung ordnungsgemäß benachrichtigt wurde (Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 130 Rn. 18). Das hat der Kläger bestritten und die Beklagte nicht unter Beweis gestellt. Zudem tritt die Zugangsfiktion nur ein, wenn der Erklärende den Zustellversuch unverzüglich wiederholt, sobald erkennbar wird, daß die Erklärung den Empfänger nicht erreicht hat (Palandt/Heinrichs a.a.O.). Durch den (angeblichen) Rücklauf der Sendung hatte die Beklagte Kenntnis vom Mißlingen der Zustellung; eine Wiederholung hat sie nicht vorgenommen.

Das Rundschreiben der Beklagten an alle Mitarbeiter vom 22. 02. 2000 enthält keine Geltendmachung im Sinne der vertraglichen Ausschlußklausel, weil nicht erkennbar wird, daß sich hier jemand eines konkreten, bereits bestehenden Anspruchs berühmt und weil er keinerlei Bezifferung enthält.

3) Die im heutigen Termin erklärte Aufrechnung mit angeblichen Rückforderungsansprüchen wegen überzahlter Fahrgelder und Auslösungen führt nicht zum Untergang der Klageforderung, weil sie vom Gericht gem. § 530 Abs.2 ZPO a.F. nicht zugelassen wird: Sie will neuen Prozeßstoff einführen, obwohl dazu erstinstanzlich ausreichend Gelegenheit bestand. Aus den gleichen Gründen scheitert das von der Beklagten erklärte Zurückbehaltungsrecht, da es hier wie die Aufrechnung wirken würde; insoweit fußt die Zurückweisung zusätzlich auf den §§ 527, 296 Abs.1 ZPO (a.F.).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Weil der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, wurde die Revision nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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