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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 21.06.2002
Aktenzeichen: 11 Sa 1418/01
Rechtsgebiete: KSchG, BUrlG, EFZG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 2
BUrlG § 11
EFZG § 4
BGB § 134
1. Eine Änderungskündigung ist insgesamt unwirksam, wenn ihr Änderungsangebot mehrere Änderungen vorsieht, von denen nur eine sozial ungerechtfertigt ist.

2. Eine Änderungskündigung ist unwirksam, wenn die angebotenen Änderungen vor Ablauf der Kündigungsfrist in Kraft treten sollen.

3. Eine Änderungskündigung, die mit Sanierungsbedarf begründet wird, ist sozial ungerecht fertigt, wenn ihr Änderungsangebot neben Entgeltkürzungen auch Änderungen vorsieht, deren Sanierungseffekt weder ersichtlich noch vorgetragen ist - wie die Einführung einer bis lang nicht vorgesehenen Vertragsstrafe oder die Unterwerfung unter eine jeweilige "Arbeitsordnung".

4. Eine Änderungskündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn ihr Änderungsangebot auch Abmachungen enthält, die gegen zwingendes Recht verstoßen - etwa gegen §§ 4, 4a EFZG oder § 11 BurlG.

5. Es bleibt offen, ob es zur Unwirksamkeit einer Änderungskündigung führt, wenn der Arbeitgeber mit ihr eine Verkürzung der gesetzlich vorgesehenen Annahmefrist verbindet.

6. Es dürfte unzulässig sein, Vergütungsbestandteile in einem Umfang von über 30 % des Einkommens unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 11 Sa 1418/01

Verkündet am: 21.06 2002

In dem Rechtsstreit

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 21.06.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Schunck als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Hahn und Meaubert

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Beklagten gegen die am 23.08.2001 verkündeten Urteile des Arbeitsgerichts Aachen - 7 Ca 1818/01 und 7 Ca 1910/01 - werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die nicht tarifgebundenen Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Änderungskündigung. Die beklagte OHG ist ein Speditionsunternehmen, das im Mai 2001 ca. 73 Arbeitnehmer, davon 68 gewerbliche, in ihrem betriebsratslosen Betrieb beschäftigte. Die Kläger, denen gegenüber inzwischen eine mehrmonatige Kündigungsfrist einzuhalten ist (Kläger zu 1: drei Monate, Kläger zu 2 : 5 Monate), waren bei ihr seit September 1991 (Kläger zu 1) bzw. August 1986 (Kläger zu 2) ohne schriftlichen Arbeitsvertrag als Kraftfahrer in der 6-Tage-Woche tätig gegen eine arbeitstägliche Grundvergütung von 170,86 DM zuzüglich Einsatzprämie" von 54,16 DM. Sie hatten Anspruch auf 35 Werktage Urlaub im Jahr, dessen Vergütung auf der Basis einer 5-Tage-Woche berechnet wurde. Mit Schreiben vom 30. 03. 2001 kündigte die Beklagte den Klägern wie allen ihren Kraftfahrern "zum nächstzulässigen Termin" aus betriebsbedingten Gründen und bot ihnen an, das Arbeitsverhältnis unter geänderten Bedingungen fortzusetzen, wenn sie den als Anlage beigefügten Arbeitsvertrag innerhalb von 14 Tagen unterschrieben zurückreichten. Der im Entwurf "beigefügte Arbeitsvertrag" enthält 18 Ziffern (Ziffern 13 bis 15 sind zweimal vergeben) und sieht ein Inkrafttreten zum 01. 05. 2001 vor (Präambel); ferner eine Reduzierung der Grundvergütung auf 165,-- DM (Ziff. 7) und der Einsatzprämie auf 50,-- DM (Ziff. 8), wobei letztere den in Ziffer 14 enthaltenen Regeln über Sonderzahlungen unterworfen sein sollte (freiwillig, ohne Anspruch und nicht für Arbeitnehmer in gekündigter Stellung) und - abweichend von der bisherigen Praxis einen Arbeitseinsatz voraussetzte, noch dazu in einer Entfernung von mehr als 10 km vom Sitz der Beklagten entfernt. Für den Urlaub sieht der Arbeitsvertragsentwurf eine Reduzierung auf 30 Werktage ohne Abgeltungspflicht i.S.d. § 7 Abs.4 BUrlG für den vertraglichen Mehrurlaub vor (Ziff. 11); er enthält ferner einen Zustimmungsvorbehalt für Lohnabtretungen mit Kostenübernahme durch den Arbeitnehmer (Ziff. 12), einen Zustimmungsvorbehalt für Nebentätigkeiten (Ziff. 12), Regelungen zur Meldepflicht im Krankheitsfall und zum Umfang der Kraftfahrerpflichten (Ziff. 13), eine Vertragsstrafe (zweite Ziff. 13), einen Hinweis auf eine Arbeitsordnung, die Bestandteil des Arbeitsvertrages sein soll (zweite Ziff. 14), eine Schriftformklausel (zweite Ziff. 15) und anderes mehr. Mit Schreiben vom 08. 04. 2001 teilte die Beklagte den Klägern mit, der "neue Arbeitsvertrag" werde noch wie vereinbart ergänzt - u.a. dadurch, daß im Urlaubs- und Krankheitsfall die entfallende Einsatzprämie durch ein Ausfallgeld in Höhe von 25,-- DM ersetzt und der Urlaubsanspruch bei längerer Betriebszugehörigkeit staffelweise aufgestockt werde. Alle bis auf sechs Kraftfahrer haben das Änderungsangebot vorbehaltlos, der Kläger zu 1 hat es unter Vorbehalt, der Kläger zu 2 hat es nicht angenommen. Der Kläger zu 1 hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30. 03. 2001 nicht geändert wird.

Der Kläger zu 2 hat beantragt,

1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 30. 03. 2001 nicht beendet wird;

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Fern-LKW-Fahrer weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt erst- und zweitinstanzlich Klageabweisung und verweist auf ihre prekäre wirtschaftliche Lage, derzufolge im Januar 2001 eine kurzfristige Liquiditätslücke von 1,5 Mio. DM bestanden und spätestens per 15. 02. 2001 trotz zahlreicher anderweitiger, von ihrer Haupt-Gläubigerbank, der Stadtsparkasse Aachen, geforderter Sanierungsmaßnahmen Zahlungsunfähigkeit gedroht habe. Außer der Reduzierung der Personalkosten in Höhe von 600.000,- DM hätten keine weiteren Einsparungsmöglichkeiten bestanden, so daß diese notwendig gewesen seien, um eine ansonsten sichere Stillegung zu verhindern. Die übliche Personalfluktuation sei zur Einsparung kein taugliches Mittel: Zum einen führe sie zu unzumutbarer Ungleichbehandlung der Neueinstellungen, zum anderen seien die Effekte zu geringfügig und schließlich sei Personal zu den verschlechterten Bedingungen nicht zu gewinnen. Die Opfer seien zumutbar: sie sollten nur so lange Geltung haben, bis der Betrieb sich wirtschaftlich erholt habe und führten zu Einkommenseinbußen von nur 4,45 % im Durchschnitt; so betrage das Einkommen des Klägers zu 1 für Juni 2001 nach alten Bedingungen 4.833,22 DM, nach neuen 4.242,43 DM, im Juli 2001 nach alten Bedingungen 4.791,67 DM, nach neuen 4.583,84 DM; für den Kläger zu 2 lauteten die Zahlen: 3.555,06 DM zu 3.086,50 DM (6/01) und 3.871,20 DM zu 3.643,94 DM (7/01). Soweit die Einsatzprämie wie auch Spesen nur noch für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung gezahlt und das Urlaubsentgelt auf der Basis der tatsächlich praktizierten 6-Tage-Woche berechnet werden solle, handele es sich nur um "eine Korrektur von in der Vergangenheit begründetem Unrecht".

Nachdem das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat, verfolgen die Parteien in der von der Beklagten eingelegten Berufung ihre Prozeßstandpunkte weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen sind nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Klagen zu Recht stattgegeben. Auch ausgehend von der Annahme, daß die wirtschaftliche Lage der Beklagten sie zu Eingriffen in das Vergütungsgefüge im Wege von Änderungskündigungen berechtigt und sie diese wirtschaftliche Lage auch hinreichend substantiiert vorgetragen hat, erweisen sich die Änderungskündigungen als unwirksam.

I. Die mit den Änderungskündigungen erstrebte Änderung der Arbeitsbedingungen ist sozial ungerechtfertigt (§ 4 S.2 KSchG). Bei Änderungskündigungen, die mehrere Änderungen anstreben, ist das nämlich immer schon dann der Fall, wenn diese Bewertung auf eine dieser Änderungen zutrifft; denn sie kann nicht teilweise wirksam und teilweise unwirksam sein (KR-Rost, 5. Aufl., § 2 KSchG Rn. 106 d m.w.N.). Sozial ungerechtfertigt sind bei der vorliegenden Änderungskündigung, die zahlreiche Änderungen anstrebt, viele Punkte:

1) Es ist sozial ungerechtfertigt, von den Klägern, die einen Anspruch auf eine drei- bis fünfmonatige Kündigungsfrist - d.h. hier: zum 30. 06. und 3l. 08. 2001 - haben, zu verlangen, ihre Zustimmung dazu zu geben, daß die Änderungen bereits zum 01. 05. 2001 eintreten sollen. Damit wird von ihnen in rechtswidriger Weise verlangt, auf zwei bis vier Monate ihrer Kündigungsfrist zu verzichten - bzw. hinzunehmen, daß die Änderungen eintreten sollen, während ihre Kündigungsfristen noch weitere Monate laufen. Das reicht allein schon zur Unwirksamkeit der Änderungskündigungen. Deshalb erfolgen die nachstehenden Bewertungen weiterer Punkte im Änderungsangebot nur der Vollständigkeit halber:

2) So sollen sich die Kläger mit zahlreichen Verschlechterungen ihrer Rechtsposition einverstanden erklären, die durch die wirtschaftliche Lage der Beklagten gar nicht bedingt sein können. Es ist nämlich auch im Ansatz nicht erkennbar, welchen Sanierungseffekt es für die Beklagte haben könnte, daß die Kläger eine Vertragsstrafe versprechen; daß sie sich einverstanden erklären sollen mit Zustimmungsvorbehalten für Lohnabtretungen und Nebentätigkeiten, mit Regelungen zur Meldepflicht im Krankheitsfall, mit einem Blankoakzept für eine mit keinem Betriebsrat ausgehandelte, also vom Arbeitgeber einseitig verfügte - jeweilige! - Arbeitsordnung oder mit einer Schriftformklausel.

3) Auch der Umfang der zugemuteten Einkommenseinbußen ist gemessen am eigenen Vortrag der Beklagten unzumutbar. Die Beklagte hält eine Einkommenseinbüße von 4,45% für zumutbar. Die von ihr selbst mitgeteilten Zahlen ergeben aber eine wesentlich höhere Einbuße: Die von ihr vorgetragene Gegenüberstellung der Vergütung für Juni 2001 nach alten und neuen Bedingungen (4.833,22 DM zu 4.242,43 DM) und für Juli 2001 (4.791,67 DM zu 4.583,84 DM) für den Kläger zu 1 bzw. 3.555,06 DM zu 3.086,50 DM und 3.871,20 DM zu 3.643,94 DM für den Kläger zu 2 ergibt einen Rückgang um 12,22 und 4,34% - im Mittel also um 8,28% - für den Kläger zu 1 bzw. 9,52% im Durchschnitt für den Kläger zu 2. Zudem verschweigt die Beklagte bei ihren rechnerischen Angaben die Tatsache, daß ein wesentlicher Teil des Einkommens (über 30% der neuen Sätze), nämlich die "Einsatzprämie", künftig gar nicht mehr unter das Einkommen im eigentlichen Sinne gerechnet werden kann, sondern dem Rechtscharakter nach einer Weihnachtsgratifikation gleichkommt. Bei wörtlicher Auslegung ist die Bezahlung nicht einmal vorgesehen, wenn die Kläger zwar tätig sind, sich aber in gekündigter Stellung befinden. Diese ihrem Stammpersonal abverlangten Bedingungen sind immerhin derart ungünstig, daß die Beklagte nach eigenen Angaben niemanden auf dem Arbeitsmarkt findet, der bereit wäre, dafür tätig zu werden.

4) Zum Teil verstoßen die den Klägern zugemuteten Abmachungen sogar gegen zwingendes Recht: so die Absicht, die "Einsatzprämie" - und damit mehr als 30% des Einkommens - im Falle von Urlaub und Krankheit gänzlich und ersatzlos (die Nachbesserung mit Schreiben vom 08. 04. 2001 kann nicht berücksichtigt werden) entfallen zu lassen, was sie zu einer Art laufend gezahlter Anwesenheitsprämie machen würde. Eine solche Streichung während berechtigter Fehlzeiten mit Zahlungsanspruch ist mit § 11 BUrlG, §§ 4, 4a EFZG unvereinbar. Selbst wenn man nämlich die Einsatzprämie in der von der Beklagten angestrebten Form für eine "Sondervergütung" i.S.v. § 4a EFZG hielte, so würde ihre gänzliche Streichung den von § 4a S.2 EFZG zugelassenen Umfang übersteigen: 30,3% sind mehr als "ein Viertel" (= 25%) im Sinne dieser Vorschrift (vgl. i.ü. zur Anwesenheitsprämie in Fehlzeiten mit Entgeltanspruch: BAG, Urteil vom 29. 01. 1971 - 3 AZR 97/69 in AP Nr.2 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie; Urteil vom 04. 10. 1978 - 5 AZR 886/77 in AP Nr.11 a.a.O.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., § 79 III 1). Im übrigen dürfte es schon vom Ansatz her unzulässig sein, Vergütungsbestandteile in einem Umfang von über 30% des Einkommens unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen (ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 534).

Die Forderung nach einer gesetzwidrigen Vereinbarung kann niemals sozial gerechtfertigt sein.

II. Die Änderungskündigungen sind aber auch deshalb unwirksam, weil sie die vom Gesetz vorgeschriebene Form nicht einhalten. Im Widerspruch zu § 2 S.2 KSchG verlangen sie von den Klägern, ihre Annahme binnen zwei Wochen zu erklären, während das Gesetz dem Arbeitnehmer eine dreiwöchige Annahmefrist einräumt. Zur Verkürzung der Annahmefrist ist der Arbeitgeber nicht berechtigt (BAG, Urteil vom 27. 03. 1987 - 7 AZR 790/85 in AP Nr.20 zu § 2 KSchG 1969).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Weil der Rechtsstreit nicht von grundsätzlicher Bedeutung ist, wurde die Revision nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

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