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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 07.02.2006
Aktenzeichen: 13 (5) Sa 1312/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
KSchG § 1 Abs. 2
1. Der Arbeitgeber hat, wenn er sich im Kündigungsschutzprozess zur Begründung einer betriebsbedingten Kündigung auf die Unternehmerentscheidung beruft, eine Produktionsanlage stillzulegen sowie eine Schicht zu reduzieren, im einzelnen die vorzutragen, das diese Entscheidung ernsthaft getroffen und auf Dauer angelegt ist.

2. Kurzfristige Auftragslücken rechtfertigen noch keine betriebsbedingte Kündigung.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn - 5 Ca 2983/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Der 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 23.08.1996 als ungelernter Arbeiter beschäftigt. Die Beklagte, die einen weiteren Betrieb in K unterhält, stellt Servietten, Tischdecken und Hygieneartikel aus Papier her. Sie kündigte den Kläger mit Schreiben vom 30.08.2004 zum 30.11.2004 nach Anhörung des bei ihr bestehenden Betriebsrats, der der Kündigung widersprach. Die Beklagte bekam im Dezember 2004 einen neuen Großauftrag der Firma M . Seit dem 17.01.2005 beschäftigt sie den Kläger weiter.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit der Begründung stattgegeben, dass der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb K auf einem der mit Leiharbeitnehmern besetzten Arbeitsplätzen, die als freie Arbeitsplätze anzusehen seien, möglich und zumutbar sei. Auf das Urteil (Bl. 177 bis 184 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Auffassung vertritt, die Kündigung sei nicht durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers in Kreuzau vermeidbar gewesen, weil die von Leiharbeitnehmern besetzten Arbeitsplätze nicht als frei anzusehen seien und die Weiterbeschäftigung des Klägers auf diesen Arbeitsplätzen ihr auch nicht unzumutbar sei. Erforderlich sei die Kündigung, weil sie wegen des Auftragsverlustes der Großkunden A und L im Juni 2005 am 09.08.2004 die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, eine ihrer Hobema Anlagen 2 bis 4 stillzusetzen sowie dauerhaft eine Schicht im Bereich Transnova zu reduzieren, was einem Personalvolumen von 6 Personen entspreche. Zusätzlich solle im Dezember 2004 eine hochautomatsierte Handpacklinie installiert werden, die ab Februar 2005 den Arbeitskräftebedarf um weitere 9 Personen verringere. Die Beklagte beantragt, das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung und stellt hilfsweise den Antrag, für den Fall des Erfolgs der Berufung, das Angebot des Klägers auf Wiedereinstellung zu den für das unter dem 30.11.2004 gekündigten Arbeitsverhältnisses geltenden Bedingungen anzunehmen. Die Beklagte beantragt, den Hilfsantrag abzuweisen. Sie begehrt Schriftsatznachlass bezüglich dieser Klageerweiterung. Der Kläger vertritt weiter die Ansicht, dass für die Kündigung kein betrieblicher Grund vorlag. Es habe keine Unternehmerentscheidung gegeben, die zu einem Wegfall des Arbeitsplatzes geführt hätte. Der Kläger und die acht anderen Mitarbeiter, denen im August 2004 gekündigt worden sei, arbeiteten nach wie vor bei der Beklagten und seien voll ausgelastet. Die Maschinen seien auch nicht dauerhaft abgeschaltet worden. Tatsächlich habe die Beklagte eigene Mitarbeiter durch Leiharbeitnehmer ersetzen wollen. Die von der Beklagten behaupteten Auftragskündigungen der Großkunden A und L könnten die streitgegenständliche Kündigung nicht rechtfertigen, denn die Beklagte bemühe sich laufend um neue Aufträge und habe bereits mit dem Kunden M in Verhandlungen gestanden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage und dem Weiterbeschäftigungsantrag mit Recht stattgegeben. Die Kündigung der Beklagten vom 30.08.2004 ist rechtsunwirksam, da sozial ungerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen. Einer Entscheidung über den Hilfsantrag bedurfte es wegen des Obsiegens mit dem Hauptantrag nicht.

1. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte die von ihr behauptete unternehmerische Entscheidung vom 09.08.2004, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers geführt haben soll, nicht schlüssig vorgetragen hat.

a) Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung unter anderem dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesen Betrieb entgegenstehen. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa Urteil vom 26.09.2002 - 2 AZR 636/01 - AP Nr. 124 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Wenn sich der Arbeitgeber auf außerbetriebliche oder innerbetriebliche Umstände beruft, darf er sich nicht auf schlagwortartige Beschreibungen beschränken; er muss seine tatsächlichen Angaben vielmehr so im Einzelnen darlegen (substantiieren), dass sie vom Arbeitnehmer mit Gegentatsachen bestritten und vom Gericht überprüft werden können. Bei Kündigungen aus innerbetrieblichen Gründen muss der Arbeitgeber darlegen, welche organisatorischen oder technischen Maßnahmen er angeordnet hat und wie sich die von ihm behaupteten Umstände unmittelbar oder mittelbar auf die Beschäftigungsmöglichkeit für den gekündigten Arbeitnehmer auswirken (BAG 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung m.w.N). Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt (BAG, a.a.O.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtswirksamkeit einer Kündigung ist dabei der Zeitpunkt ihres Zugangs. Grundsätzlich muss zu diesem Zeitpunkt der Kündigungsgrund - Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit - vorliegen. In Fällen, in denen zwar bei Zugang der Kündigung noch die Möglichkeit der Beschäftigung besteht, aber die für den künftigen Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses maßgeblichen Entscheidungen bereits getroffen sind, kommt es darauf an, ob der Arbeitnehmer ab dem Kündigungstermin voraussichtlich entbehrt werden kann. Davon ist auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu erwarten ist, dass zum Zeitpunkt des Kündigungstermins mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein wird (BAG, Urteil vom 12.04.2002 - 2 AZR 256/01 - AP Nr. 120 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Dabei kann die spätere tatsächliche Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose ermöglichen (BAG, Urteil vom 27.11.2003 - 2 AZR 48/03 - AP Nr.64 zu § 1 KSchG 1969 soziale Auswahl). So spricht etwa bei alsbaldiger Wiedereröffnung des Betriebs eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Stillegungsabsicht im Zeitpunkt der Kündigung (BAG, Urteil vom 21.06.2001 - 2 AZR 137/00 - AP Nr.50 zu § 15 KSchG 1969 m.w.N.). Auch kann die tatsächliche Beschäftigung eines Arbeitnehmers nach Ablauf der Kündigungsfrist im Einzelfall ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses widerlegen (LAG Köln, Urteil vom 20.02.1997 - 10 Sa 982/96 - Leitsatz 1.). In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber deshalb genau darlegen, weshalb sich seine ursprüngliche Prognose aufgrund eines später eingetretenen neuen und unvorhersehbaren Kausalverlaufs nachträglich als falsch erwiesen hat, um so die durch die spätere Entwicklung aufgetretenen Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit seiner unternehmerischen Entscheidung und der darauf fußenden Prognose über den künftigen Beschäftigungsbedarf zu entkräften.

b) Hier hat die Beklagte sich zur Begründung der Kündigung ausdrücklich auf die gestaltende Unternehmerentscheidung der dauerhaften Stillegung einer Hobema-Anlage und der dauerhaften Reduzierung einer Schicht im Bereich Transnova berufen. Diese Entscheidung hätte ein betriebliches Erfordernis begründen können, wenn sie ernsthaft getroffen und auf Dauer angelegt gewesen wäre. Dann hätte sie die Prognose gerechtfertigt, dass das Beschäftigungsbedürfnis für die davon betroffene Anzahl von Arbeitnehmern dauerhaft entfallen wäre. Die organisatorische Durchführbarkeit seiner Unternehmerentscheidung hat der Arbeitgeber im Prozess insbesondere hinsichtlich ihrer Dauerhaftigkeit zu verdeutlichen (BAG, Urteil vom 17.06.1999 - 2 AZR 141/99 - AP Nr. 101 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Die Ernsthaftigkeit und Nachhaltigkeit ihrer Entscheidung hat die Beklagte aber trotz des Bestreitens des Klägers und der gegen sie sprechenden späteren tatsächlichen Entwicklung nicht hinreichend dargelegt.

c) Tatsächlich hat die Beklagte weder eine Hobema-Anlage für einen längeren Zeitraum stillgelegt noch eine Schicht im Bereich Tansnova längere Zeit abgebaut. Sie hat vielmehr bereits im Dezember 2004 einen Großauftrag der Firma M angenommen und den Kläger seit dem 17.01.2005 zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt. Darüber hinaus hat der Kläger zu Recht darauf hingewiesen, dass über den M -Auftrag bereits vor seiner Annahme durch die Beklagte verhandelt worden sein muss. Dem ist die Beklagte nicht mit konkretem Sachvortrag entgegengetreten. Sie hat weder die einzelnen Daten der Verhandlungen vorgetragen, noch deutlich gemacht, weshalb die Möglichkeit dieses Auftrags zuvor nicht voraussehbar gewesen sein soll. Dass ein Produktionsbetrieb wie der der Beklagten Aufträge verliert und neue Aufträge gewinnt, entspricht den normalen wirtschaftlichen Abläufen. Die Beklagte spricht selbst von saisonalen Schwankungen. So waren die Hobema-Anlagen auch vor Ausspruch der Kündigung unterschiedlich ausgelastet und nur teilweise im Einsatz.

d) Kurzfristige Auftragslücken rechtfertigen jedoch noch keine betriebsbedingte Kündigung (LAG Köln, Urteil vom 10.12.1998 - 6 Sa 493/98 - NZA 1999, 991 Leits. 1). Die dadurch bedingten Schwankungen in der Auslastung der Maschinen sowie der Schichteinteilung können erst dann ein dringendes betriebliches Erfordernis bilden, wenn sie im Einzelfall einen Überhang an Arbeitskräften für einen so langen Zeitraum mit einiger Sicherheit erwarten lassen, dass dem Arbeitgeber eine Überbrückung dieses Zeitraums mit der bisherigen Belegschaftsstärke nicht mehr zumutbar ist. Von einer dauerhaften Produktionseinschränkung kann hier demnach nur dann gesprochen werden, wenn die Beklagte nicht nur wegen kurzfristig fehlender Aufträge die Produktion reduziert, sondern sich dauerhaft "kleiner" setzt. Dies hat die Beklagte nicht getan. Vielmehr akquirierte sie - nach vorangegangenen Verhandlungen - schon wenige Monate nach Ausspruch der Kündigung einen Großauftrag der Firma M und glich damit den Verlust der Aufträge von A und L aus. Sie konnte daher die Produktion mit unverminderter Mitarbeiterzahl fortsetzen und hat den Kläger dementsprechend ab Mitte Januar 2005 weiterbeschäftigt. Im Hinblick auf diesen unstreitigen Geschehensablauf reicht der Einwand der Beklagten, zum Zeitpunkt der Kündigung sei der Auftrag der Fa. M noch nicht absehbar gewesen, nicht aus. Denn die Beklagte hat damit die Nachhaltigkeit ihres behaupteten Entschlusses zur Stilllegung einer Hobema-Anlage und der Reduzierung einer Schicht im Bereich Transnova nicht nachvollziehbar dargelegt.

e) Die darüber hinaus beabsichtigte Rationalisierungsmaßnahme, im Dezember 2004 für den Februar 2005 eine hochautomatisierte Handpacklinie an Stelle der vollmanuellen Sortier- und Packstraße zu installieren, betrifft nicht die Kündigung des Klägers, sondern neun weitere Arbeitnehmer im Rahmen einer zweiten Kündigungswelle.

2. Da die Kündigung bereits aus den genannten Gründen sozial ungerechtfertigt ist, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob - wie das Arbeitsgericht sorgfältig begründet hat - die Kündigung auch nach § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 KSchG wegen der möglichen Weiterbeschäftigung des Klägers in Kreuzau auf den von Leiharbeitnehmern besetzten Arbeitsplätzen sozial ungerechtfertigt ist.

III. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtsache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung unter Heranziehung höchstrichterlichen Rechtsprechung auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.



Ende der Entscheidung

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