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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 03.07.2008
Aktenzeichen: 13 Sa 1526/07
Rechtsgebiete: TV-Ärzte


Vorschriften:

TV-Ärzte § 12
1. Zur Eingruppierung eines Oberarztes nach Ä 3 des § 12 TV-Ärzte.

2. Beim Tarifmerkmerkmal "Teilbereich" handelt es sich um einen Auffangtatbestand, der grundsätzlich jede (wissenschaftlich anerkannte) fachliche Untergliederung innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets erfasst, der keinen Funktionsbereich darstellt. Danach handelt es sich bei dem hier streitigen Bereich der Nierentransplantation einer medizinischen Klinik um einen "Teilbereich".

3. Das Tarifmerkmal "medizinische Verantwortung" erfordert keine Aufsichts- und Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Fachärzten.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 23.08.2007 - 7 Ca 1227/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die zutreffende Eingruppierung des Klägers.

Der am 13.05.1949 geborene Kläger, Mitglied des M , ist seit Oktober 1974 bei der Beklagten als Arzt in der medizinischen Klinik II beschäftigt. Er wurde Ende 1976 von dem damaligen Direktor der Abteilung mit dem Aufbau eines Nierentransplantationszentrums beauftragt. Nach § 2 des zuletzt abgeschlossenen Arbeitsvertrages der Parteien vom 25.06.1991 finden auf das Arbeitsverhältnis der Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge Anwendung. Die Nebenabreden (§ 5) dieses Vertrages haben die Parteien mit Änderungsvertrag von 25.06.1991 neu gefasst. Unter § 1 heißt es dazu:

"Herr Dr. H erhält die Bezeichnung: "Internist für Nierentransplantationen an der Med. Klinik II."

Herr Dr. H wird im Bereich der Nierentransplantation der Med. Klinik II mit allen hier anfallenden Aufgaben, wie z. B.: organisatorische Aufgaben, EDV-Erfassung, Empfängerberatung, Empfängererfassung und Betreuung der Warteliste, die Koordination der Spendergewinnung und der Explantation sowie Kooperation mit auswärtigen Spenderkrankenhäusern und fachbezogene Vorträge vor interessierten Gruppen, eingesetzt.

Analog zu den Oberärzten der Med. Klinik II ist er hierbei unmittelbar dem Klinikdirektor oder seinem Vertreter unterstellt und ist vom allgemeinen Bereitschaftsdienst und von Ambulanztätigkeiten befreit. In Abhängigkeit vom jeweiligen Arbeitsanfall ist Herr Dr. H für die Transplantations-Ambulanz auf Weisung des Klinikdirektors einzusetzen. In den übrigen Bereichen der Patientenbetreuung ist er dem jeweils zuständigen Oberarzt der Klinik unterstellt..."(Bl. 10 d. A.).

Der Kläger trägt die Verantwortung für die Warteliste zur Nierentransplantation sowie für die medizinische und organisatorische Funktionsfähigkeit des Nierentransplantations-Zentrums A . Die Warteliste "Nierentransplantation" umfasst aktuell ca. 140 Patienten. Der Kläger führt jährlich ca. 40 bis 50 Kontakt- und Informationsgespräche mit transplantationswilligen Patienten. Der Kläger legt das Diagnoseprogramm fest, mit dem in jedem Einzelfall die transplantationsrelevanten Organbefunde objektiviert werden müssen. Bei weiteren Terminen sind die Ergebnisse der Organ- und Risikodiagnostik sowie der körperliche Befund des Patienten zu analysieren und zu dokumentieren. Aufgrund dieser Analyse entscheidet der Kläger über die tatsächliche Eignung des Patienten zur Nierentransplantation und die Aufnahme/Nichtaufnahme des Patienten in die Warteliste zur Nierentransplantation nebst entsprechenden Anmeldungen bei E . Im Verlauf der Wartezeit ist der Kläger für das Fortbestehen der Transplantationseignung der transplantationswilligen Patienten verantwortlich. Er legt für jeden Patienten die Kontrollintervalle fest, in denen eignungsrelevante Spezialuntersuchungen wiederholt werden müssen. Alle drei Monate befragt er jeden Patienten nach seinem aktuellen Gesundheitszustand und nach Problemen im Zusammenhang mit der laufenden Dialysebehandlung. Er fordert ggf. externe Befunde und ordnet ad hoc erforderliche Kontrolluntersuchungen an. Aufgrund der Befunde analysiert der Kläger die Transplantationseignung und entscheidet darüber, ob der Patient vorübergehend oder dauerhaft von der Warteliste zur Nierentransplantation gestrichen wird bzw. bei vorübergehender Streichung in die Warteliste wieder aufzunehmen ist. Für jeden Patienten auf der Warteliste führt er eine spezielle Transplantationsakte, in der fortlaufend der körperliche Befund des Patienten, die Ergebnisse der Organ- und Risikodiagnostik und die medizinischen und organisatorischen Prozeduren dokumentiert werden, die im Falle eines Organangebots zur Transplantation zu befolgen sind. Schließlich fasst er die Untersuchungsergebnisse, Anordnungen und den Stand der Entscheidung in einem von ihm selbst entwickelten Arztbrief an den überweisenden Dialysearzt zusammen. Die Transplantationsakte und die Arztbriefe sind die Entscheidungsgrundlage für die Eignung des Patienten und die Annahme einer Niere im Falle eines Organangebotes zur Transplantation. Für jeden transplantationswilligen Patienten wird viermal jährlich ein solcher aktualisierter Arztbrief für den Dialysearzt vom Kläger erstellt. Der Kläger führt im Jahr 15 bis 20 umfangreiche Informations- und Aufklärungsgespräche mit den Spender- Empfänger-Paaren für eine Nieren-Lebendspender-Transplantation. Der Kläger entscheidet über die Eignung der beiden Kandidaten für die angestrebte Nierenspende und verfasst und unterschreibt alleine das medizinische Gutachten für die Vorstellung der Kandidaten bei der Kommission Transplantationsmedizin der Landesärztekammer. Nach Freigabe ordnet der Kläger den medizinischen und organisatorischen Ablauf der Lebendspende an. Der Kläger betreut die Spender in einem jahrelangen ambulanten klinischen Nachsorgeprogramm. Im Rahmen einer jährlichen Kontrolluntersuchung vergewissert er sich persönlich vom Gesundheitszustand des Spenders und von der Unbedenklichkeit der verbleibenden Nierenfunktion nach der erfolgten Organspende. Drei bis viermal jährlich lädt der Kläger zu einer Transplantationskonferenz die Ärzte des Transplantationszentrums und die Ärzte der Dialysezentren aus der Region ein. In einer etwa zweistündigen Moderation stellt der Kläger neue transplantationswillige Patienten mit den Ergebnissen seiner Eignungsdiagnostik wie aktuelle Problemfälle vor. Der Kläger nimmt an Oberarztbesprechungen teil, soweit Belange der Transplantation erörtert werden. Er ist für die reibungslose zuverlässige 24-Stunden-Funktions- und Einsatzfähigkeit des Nierentransplantationszentrums A verantwortlich, wobei die Dienstpläne von einer Assistentin des Transplantationszentrums erstellt werden und der Kläger nicht an dem oberärztlichen nephrologischen Rufdienst teilnimmt.

Die Beklagte informierte den Kläger mit Schreiben vom 10.08.2006 über die Festsetzung und Überleitung in die neue Entgelttabelle des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV Ärzte) ab dem 01.07.2006 mit einer Eingruppierung als Facharzt ab dem 24. Jahr. Der Kläger widersprach dieser Eingruppierung mit Schreiben vom 21.08.2006 und forderte die Beklagte auf, ihn ab dem 01.07.2006 als "Oberarzt" einzugruppieren. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger dieses Begehren weiter.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf das Urteil (Bl. 49 - 58 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten, die die Auffassung vertritt, der Kläger erfülle die Tarifmerkmale der begehrten Vergütungsgruppe Ä3 TV-Ärzte (Oberärztin/Oberarzt) nicht. Es fehle an der "medizinischen Verantwortung", da der Kläger ganz überwiegend rein organisatorische Tätigkeiten, nicht jedoch ärztlich-medizinische Arbeiten iS einer Behandlungsverantwortung gegenüber Patienten ausübe. Die medizinische Verantwortung sei darüber hinaus als eine hierarchische Verantwortung iS einer Weisungsbefugnis gegenüber nachgeordneten Ärzten zu verstehen. Daran fehle es beim Kläger. Der Tätigkeitsbereich des Klägers sei auch kein eigener Funktionsbereich, da er ausschließlich aus dem Kläger selbst bestehe.

Die Beklagte beantragt das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.

Er trägt vor, die verantwortlichen medizinischen Entscheidungen über die Eignung, Nichteignung und Ablehnung zur Nierentransplantation machen 85 % seiner Arbeitszeit aus, lediglich 15 % entfielen auf organisatorische, nicht unmittelbar patientenbezogene Aufgaben.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlage und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig, in der Sache hat sie keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

1. Die als Eingruppierungsfeststellungsklage zulässige Klage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger ab dem 01.07.2006 eine Vergütung nach der Entgeltgruppe Ä3 TV-Ärzte (ab dem 7. Jahr) zu zahlen und die monatlich anfallenden Bruttonachzahlungsbeträge zu verzinsen.

2. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahme und Tarifbindung der Parteien nach dem den BAT ersetzenden TV-Ärzte sowie dem Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TVÜ-Ärzte) Anwendung. Nach § 4 TVÜ-Ärzte ist für die Eingruppierung der Ärzte ab 01.11.2006 die Entgeltordnung gem. § 12 TV-Ärzte maßgeblich.

§ 12 TV-Ärzte hat folgenden Wortlaut:

"§ 12 Eingruppierung

Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:

Entgeltgruppe/Bezeichnung

Ä1 Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä2 Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

Ä3 Oberärztin/Oberarzt

Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilungen vom Arbeitgeber übertragen worden ist.

Oberarzt ist ferner der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert.

Ä4 Fachärztin/Facharzt, der/dem die ständige Vertretung des leitenden Arztes (Chefarzt) vom Arbeitgeber übertragen worden ist.

(Protokollerklärung: Ständiger Vertreter ist nur der Arzt, der den leitenden Arzt in der Gesamtheit seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden."

3. Der Kläger beruft sich lediglich auf die 1. Alternative der Entgeltgruppe Ä 3. Er erfüllt unstreitig nicht die Voraussetzungen der 2. Alternative von Ä 3, wonach eine vom Arbeitgeber übertragene Spezialfunktion mit erfolgreich abgeschlossener Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung gefordert wird.

4. Der Kläger erfüllt die Tätigkeitsmerkmale der Voraussetzungen der 1. Alternative der Entgeltgruppe Ä3 Oberärztin/Oberarzt. Er ist Oberarzt, da er zeitlich mindestens zur Hälfte seiner auszuübenden Tätigkeit Arzt ist, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilungen vom Arbeitgeber übertragen worden sind.

5. Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger mit Übertragung des Bereichs der Nierentransplantation der Med. Klinik II die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik übertragen worden ist und dabei über die Auslegung der Tarifmerkmale "medizinische Verantwortung" für "Teil- oder Funktionsbereiche" der Klinik. Die Tarifmerkmale der erstmals eingeführten Entgeltgruppe "Oberarzt" bedürfen der Auslegung. Tarifnormen sind nach den für Gesetze geltenden Regeln auszulegen. Zunächst ist vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu ermitteln ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne an dem Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm zu berücksichtigen, sofern und soweit dieser in den Tarifnormen seinen Niederschlag gefunden hat. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, weil häufig nur aus ihm und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck zutreffend ermittelt werden kann (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa Urt. v. 14.03.2005 - 5 AZR 475/04).

6. Der Bereich Nierentransplantation der Med. Klinik II erfüllt das Tarifmerkmal eines "Teil- oder Funktionsbereich".

a. Das Merkmal des "Funktionsbereichs" war bereits vor Inkrafttreten des TV-Ärzte in dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren BAT (vgl. Vergütungsgruppe Ib/Ia Fallgruppe 4 BAT) definiert. Gemäß der Protokollnotitz Nr. 5 zu Teil I der Anlage 1a zum BAT handelt es sich dabei um wissenschaftlich anerkannte Spezialgebiete innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets (z. B. "Nephrologie" innerhalb des Fachgebiets "Innere Medizin", "Handchirurgie" innerhalb des Fachgebiets "Chirurgie"). Aufgrund der unveränderten Übernahme des Begriffs "Funktionsbereich" durch die Tarifvertragsparteien der TV-Ärzte ist davon auszugehen, dass auch dessen Inhalt unverändert übernommen werden sollte.

b. Es kann dahinstehen, ob der Bereich der Nierentransplantation der medizinischen Klinik II als wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet und damit als "Funktionsbereich" anzusehen ist, da es sich jedenfalls um einen "Teilbereich" iSd Tarifvertrages handelt.

aa. Der Begriff "Teilbereich" ist dem allgemeinen Wortlaut nach relativ unbestimmt. Da er von den Tarifvertragsparteien des TV-Ärzte neu in das Tarifrecht des öffentlichen Dienstes eingeführt wurde, kann auch nicht auf entsprechende Definitionen bzw. Auslegungen im BAT zurückgegriffen werden.

bb. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass mit dem Begriff Teilbereich bewusst von der ärztlichen Weiterbildungsordnung abgewichen und ärztliche Tätigkeiten ohne jeden Bezug zur ärztlichen Weiterbildungsordnung erfasst werden. Teilbereiche in diesem Sinne können danach beispielsweise folgende Aufgaben sein: Transfusionsverantwortung, Hygieneverantwortung, Brustzentrum USW (vgl. Bruns, Arztrecht 3/2007, 60 ff.). Eine andere Ansicht (Schreiben des M v. 22.03.2007 - zitiert nach www.marburgerbund.de) interpretiert den Begriff des Teilbereichs dagegen als jede vorgenommene organisatorische Abgrenzung innerhalb einer Fachabteilung, worunter einzelne Stationen wie organisatorische Teilbereiche (z. B: DRG-Codierung, OP-Management, u.ä.) fallen.

cc. Soweit ersichtlich liegten zur Auslegung dieses Tarifmerkmals durch die Rechtsprechung bisher nur einige erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen vor. So bejaht das Arbeitsgericht Aachen das Vorliegen eines Teil- oder Funktionsbereichs jedenfalls dann, wenn ein Bereich über eine eigene räumliche und personelle Ausstattung verfügt (Urt. v. 23.05.2007 - 6 Ca 178/07- ohne Unterscheidung der Begriffe "Teilbereich" und "Funktionsbereich"). Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Leipzig soll es für die Annahme eines Teilbereichs ausreichen, dass eine Klinik/Abteilung in irgendeiner Form untergliedert ist, die Begriffe "Teilbereich" und "Funktionsbereich" werden nicht als synonym angesehen (Urteil vom 13.07.2007 - 16 Ca 1676/07). Das Arbeitsgericht Heilbronn verlangt für das Tatbestandsmerkmal "Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung", dass die Verantwortung für mindestens zwei Bereiche gegeben sein muss.(18.12.2007 - 5 Ca 92/07).

dd. Die systematische Auslegung sowie der beabsichtige Normzweck sprechen dafür, dass es sich bei einem "Teilbereich" um eine fachliche Untergliederung innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets handelt (so auch Anton, Oberarzt - Titel und Eingruppierung ZTR 2008 S. 184 ff.). Der kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Bayern e.V. sieht in der Bezeichnung "Teilbereich" einen Auffangtatbestand, der grundsätzlich jede (wissenschaftlich anerkannte) fachliche Untergliederung innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets erfasst, die keinen Funktionsbereich darstellt (zitiert nach Anton a.a.O. S. 187).

ee. Das Berufungsgericht schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an, für die der systematische Zusammenhang und Normzweck der Tarifnorm spricht. Danach handelt es sich im Streitfall zumindest um einen "Teilbereich" der Klinik, da der Bereich Nierentransplantation eine fachliche Untergliederung innerhalb des Spezialgebietes der Nephrologie innerhalb des Fachgebietes innerer Medizin ist. Dieser Bereich ist zudem organisatorisch verselbständigt innerhalb der medizinischen Klinik II, da darin sämtliche medizinischen und organisatorischen Aufgaben im Zusammenhang mit der Nierentransplantation zusammengefasst sind.

ff. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, wie groß, d. h. wie viele Mitarbeiter in diesem Bereich tätig sind. Für eine quantitative Bestimmung gibt der Begriff "Teilbereich" nichts her. Verfehlt ist auch eine restriktive Auslegung der Beklagten dahingehend, dass nur dann ein "Teil- oder Funktionsbereich" im Tarifsinn vorliegt, wenn die Klinikleitung einen solchen mit der Leitung durch einen Oberarzt einrichten will. Denn der Oberbegriff "Oberarzt" soll mit Hilfe es Merkmals "Teil- und Funktionsbereich" ja gerade definiert werden.

7. Unproblematisch liegt im Streitfall das weitere Tarifmerkmal der "Übertragung" dieses Teil- oder Funktionsbereichs vom Arbeitgeber vor. Denn dies erfolgte ausdrücklich mit Änderungsvertrag vom 25.06.1991, wonach der Kläger im Bereich der Nierentransplantation in der medizinischen Klinik II mit allen hier anfallenden Aufgaben eingesetzt wurde.

8. Der Kläger erfüllt auch das Tarifmerkmal der "medizinischen Verantwortung" für das Nierentransplantationszentrums.

a. Die "Verantwortung" muss sich nach dem Wortlaut der Tarifnorm auf eine "medizinische" Tätigkeit richten. Dies ist vorliegend der Fall. Entgegen der Auffassung der Beklagten befasst sich der Kläger nicht ganz überwiegend mit rein organisatorischen Tätigkeiten. Nach der vom Kläger im Einzelnen geschilderten und von der Beklagten soweit im Tatbestand wiedergegeben nicht bestrittenen Tätigkeit trägt er die Verantwortung für die Warteliste zur Nierentransplantation. Er legt das Diagnoseprogramm für die transplantationswilligen Patienten fest. Aufgrund seiner Auswertung der Ergebnisse der Organ- und Risikodiagnostik sowie des körperlichen Befundes des Patienten entscheidet er über die tatsächliche Eignung des Patienten zur Nierentransplantation und die Aufnahme/Nichtaufnahme des Patienten in die Warteliste. Er überprüft das Fortbestehen der Transplantationseignung, führt dazu eine spezielle Transplantationsakte, fasst die Untersuchungsergebnisse, Anordnungen und den Stand der Entscheidung in einem von ihm selbst entwickelten Arztbrief zusammen. Die Transplantationsakte und die Arztbriefe sind die Entscheidungsgrundlage für die Eignung des Patienten und die Annahme einer Niere im Falle eines Organangebotes zur Transplantation Darüber hinaus führt der Kläger die klinische und organisatorische Vorbereitung für den Nierenspender und seinen Empfänger durch. Er entscheidet über die Eignung beider Kandidaten für die angestrebte Nierenspende, verfasst und unterschreibt allein das medizinische Gutachten zur Vorstellung der Kandidaten bei der Kommission Transplantationsmedizin der Ärztekammer. Er betreut schließlich die Spender in einem jahrelangen ambulanten Nachsorgeprogramm. Zu Recht hat das Arbeitsgericht diese Tätigkeit als eine medizinische, also auf die Behandlung von Patienten gerichtete Tätigkeit angesehen.

b. Der Kläger trägt für diese medizinische Tätigkeit auch die "Verantwortung" im Tarifsinn. Der Begriff der Verantwortung bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch, die Verpflichtung bzw. Bereitschaft für seine Handlungen einzustehen, ihre Folgen zu tragen (Wahrig, Deutsches Wörterbuch). Übertragen auf den beruflichen Bereich gehört dazu die Entscheidungskompetenz für die übertragenen Aufgaben. Der Kläger verantwortet in diesem Sinn medizinisch, welcher transplantationswillige Patient auf die Warteliste kommt und dort als geeignet bleibt sowie auf Spenderseite die Auswahl und Nachsorge. Dieser Verantwortung steht nicht entgegen, dass der Kläger nicht allein darüber entscheidet, ob es tatsächlich zu einer Transplantation bei den Patienten auf der von ihm geführten Warteliste kommt. Maßgeblich ist, dass er verantwortlich für die nach seinen Untersuchungen bzw. Begutachtungen erstellten Entscheidungsgrundlagen, nämlich den Arztbriefen und der Transplantationsakte, ist. Darüber hinaus verfasst und unterschreibt er allein das medizinische Gutachten für die Vorstellung der Kandidaten bei der Kommission Transplantationsmedizin der Ärztekammer. Er betreut als einziger Arzt des Transplantationszentrums eigenverantwortlich die aktuell ca. 140 Patienten der Warteliste. Der medizinischen Verantwortung steht nicht entgegen, dass der Kläger dem Klinikdirektor unterstellt ist (§ 1 des Änderungsvertrages vom 25.06.1991). Denn nach dem Änderungsvertrag ist der Kläger "analog zu den Oberärzten der medizinischen Klinik II" "unmittelbar dem Klinikdirektor oder seinem Vertreter unterstellt". Demnach steht er auf der Hierarchiestufe der Oberärzte, die auch dem Klinikdirektor unterstellt sind.

c. Das Berufungsgericht teilt nicht die Auffassung der Beklagten und einiger erstinstanzlicher Gerichte, dass das Tatbestandsmerkmal "medizinische Verantwortung" für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik erfordern, das der betroffene Arzt Aufsichts- und Weisungsbefugnisse gegenüber nachgeordneten Fachärzten hat.

aa. Das Arbeitsgericht Lörrach (Urteil vom 17.12.2007 - 5 Ca 410/07) leitet aus der Stufenfolge der Entgeltgruppen "Ärztin/Arzt" (Ä1), "Fachärztin/Facharzt" (Ä2), "Oberärztin/Oberarzt" (Ä3) und Fachärzte als ständige Vertretung des Chefarztes (Ä4) sowie aus dem Begriff "Ober"-arzt ab, dass eine hierarchische Rangfolge der Ärzte im Klinikum als Grundlage für die Eingruppierung dienen soll. Danach soll ein Oberarzt nicht ohne nachgeordnetes und weisungsgebundenes ärztliches Personal denkbar sein. Diese Argumentation überzeugt nicht, denn sie hat im Tarifvertrag keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Auch dem Tarifwortlaut ist dafür nichts zu entnehmen. Selbst wenn die Tarifvertragsparteien dies übereinstimmend gewollt haben sollen, so hat dieser Wille in der Tarifnorm keinen ausreichenden Niederschlag gefunden. Die Stufenfolge der Entgeltgruppe enthält, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts Lörrach dafür keine ausreichende Begründung. Denn die drei Stufen Ärztin/Arzt, Fachärztin/Facharzt und Oberärztin/Oberarzt sind nicht hierarchisch aufeinander aufgebaut. Der "Fachärztin/Facharzt" unterscheidet sich von dem "Ärztin/Arzt" nicht in ihrer/seiner hierarchischen Stellung. Hierarchie unterscheidet. Es mag auch sein, dass der Begriff des "Oberarztes" aus der entsprechenden Dienstgradbezeichnung des Sanitätsdienstes des Preußischen Heeres entsprungen ist (so Arbeitsgericht Lörrach a. a. O.). Aus dieser Wortherkunft allein lässt sich jedoch nach heutigem Verständnis nicht hinreichend herleiten, dass einem "Oberarzt" nach dem TV-Ärzte zumindest ein nachgeordneter "Unterarzt" unterstehen muss.

bb. Die Erforderlichkeit von Aufsichts- oder Weisungsbefugnissen gegenüber ärztlichem Personal ergibt sich schließlich auch nicht aus der Systematik zwischen der 1. und 2. Alternative der Entgeltgruppe Ä 3. Nach der 2. Alternative ist Oberarzt der Facharzt in einer durch den Arbeitgeber übertragenen Spezialfunktion, für die dieser eine erfolgreich abgeschlossene Schwerpunkt- oder Zusatzweiterbildung nach der Weiterbildungsordnung fordert. Dabei handelt es sich um eine besondere Fallgruppe für "Spezialisten" mit formaler Weiterbildungsqualifikation. Beide Alternativen schließen sich nicht aus, sondern stehen selbständig nebeneinander. Demnach kann auch ein "Spezialist" wie der Kläger, der keine formale Weiterbildungsqualifikation hat, nach den Tarifmerkmalen der 1. Alternative Oberarzt sein.

9. Der Kläger übt die "medizinische Verantwortung" im Tarifsinn zeitlich mindestens zur Hälfte seiner Tätigkeit aus (§ 12 1. HS TV-Ärzte). Denn nach seinem von der Beklagten nicht bestrittenen Berufungsvortrag macht die medizinische Tätigkeit für die Patienten der Nierentransplantation 85 % der Arbeitszeit des Klägers aus. Nach Auswertung seiner Arbeitszeitdokumentation der letzten Monate entfallen nach Klägervortrag lediglich 15 % seiner Arbeitszeit auf organisatorische, nicht unmittelbar patientenbezogene Aufgaben.

10. Der Klage war, obwohl der TV-Ärzte erst ab dem 01.11.2006 in Kraft tritt, bereits, wie beantragt, ab dem 01.07.2006 stattzugeben. Denn die Beklagte hat sich mit Schreiben vom 10.08.2006 verpflichtet, die Entgelttabelle des TV-Ärzte bereits ab dem 01.07.2006 anzuwenden.

II. Die Beklagte hat die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

III. Die Revision war gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da der Rechtsstreit, der sich mit der Auslegung des neuen Tarifvertrages TV-Ärzte befasst, grundsätzliche Bedeutung hat.

Ende der Entscheidung

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