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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.11.2006
Aktenzeichen: 14 Sa 750/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
1. Der gesetzliche Kündigungsschutz nach § 1 KSchG kann nicht durch eine tarifvertragliche Regelung eingeschränkt werden.

2. Gegen eine dauernde krankheitsbedingte Leistungsunmöglichkeit spricht es, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit in den Monaten vor Ausspruch der Kündigung ohne Einschränkungen verrichtet und damit ein zuvor erstelltes ärztliches Gutachten entkräftet.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.04.2006 - 10 (7) Ca 9980/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine Kündigung des Klägers wegen mangelnder Arbeitsfähigkeit aus gesundheitsbedingten Gründen.

Der am 02.03.1945 geborene Kläger ist seit dem 13.09.1988 bei der Beklagten als Aufleger/Abträger in deren Paketzentrum tätig. Sein monatlicher Verdienst betrug zuletzt ca. 2700,00 € brutto. Der für das Arbeitsverhältnis geltende Manteltarifvertrag für die D P AG sieht in § 34 Abs. 4 vor, dass bei andauernder Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit eine Kündigung langjährig beschäftigter Arbeitnehmer möglich ist, wenn ihnen ein Anspruch auf Betriebsrente aufgrund des Leistungsfalls "Postbeschäftigungsunfähigkeit" zusteht.

Im Jahr 2003 war der Kläger an 102 Arbeitstagen arbeitsunfähig krank. Im Jahr 2004 traten keine krankheitsbedingten Ausfallzeiten auf.

Eine arbeitsmedizinische Untersuchung der Beklagten am 06.01.2004 ergab, dass beim Kläger Beanspruchseinschränkungen vorlägen und deshalb ein leistungsgerechter Einsatz realisiert werden sollte (Bl. 36 d.A.).

In einer ergänzenden Untersuchung vom 28.05.2004 (Bl. 38 d.A.) hieß es, dass unter der Voraussetzung der nicht bestehenden Realisierbarkeit eines zumutbaren leidensgerechten Arbeitsplatzes P betriebsunfähigkeit bestehe. In einer weiteren Untersuchung vom 19.07.2004 (Bl. 41 d.A.) hieß es im Hinblick auf eine Stellenausschreibung der Beklagten zum 01.08.2004, dass der Kläger nicht als dienstunfähig im Sinne der P betriebsunfähigkeitsregelungen angesehen werden könne.

Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 11.10.2004 (Bl. 21 d.A.) die hier noch streitgegenständliche außerordentliche Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von 6 Monaten zum 30.04.2005 aus.

Hiergegen richtete sich die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage des Klägers, der das Arbeitsgericht nach Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens (Bl. 81 ff. d.A.) durch Urteil vom 26.06.2006 (Bl. 126 ff. d.A.) stattgegeben hat. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass der vom Gericht beauftragte Sachverständige eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit nicht bestätigt habe.

Hiergegen richtete sich die am 27.06.2006 eingelegte Berufung der Beklagtenseite, die nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist, durch die am 18.08.2006 eingegangene Berufungsbegründungsschrift begründet wurde.

Die Beklagte trägt vor, dass ein ausreichender Kündigungsgrund vorliege. Zwar unterliege der Kläger dem besonderen Kündigungsschutz für ältere und langjährig beschäftigte Arbeitnehmer gemäß § 34 des MTV D P AG.

Jedoch sei die Kündigung aufgrund dieser Tarifbestimmung möglich, wenn eine andauernde Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit vorliege. Zudem sei beim Kläger P beschäftigungsunfähigkeit gegeben.

Die Arbeit des Klägers umfasse das Ausladen und Áuflegen von Paketen mit einem Gewicht von bis zu 31 kg.

Aus den arbeitsmedizinischen Untersuchungen der Beklagten folge jedoch, dass der Kläger nur Lasten bis zu 18 kg heben oder tragen dürfe. Einen entsprechenden Arbeitsplatz, bei dem sich das Gewicht der zu bewältigenden Sendungen auf diese Größenordnung beschränke, habe die Beklagte nicht. Ein leidensgerechter freier Arbeitsplatz sei nicht vorhanden. Dem Kläger sei auch, wie es der Tarifvertrag vorsehe, die Aufforderung gestellt worden, einen Antrag auf Betriebsrente zu stellen, was dieser jedoch nicht gemacht habe.

Eine andauernde Arbeitsunfähigkeit läge vor, da der Kläger aufgrund seiner diagnostizierten Krankheiten seine ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen könne. Das vom Arbeitsgericht eingeholte Gutachten sei nicht tragfähig. Denn der Sachverständige habe keine Tätigkeitsbeschreibung von der Beklagten verlangt, noch den Arbeitsplatz des Klägers besichtigt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 26.04.2006 - 10 (7) Ca 9980/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger macht geltend, die Kündigung sei bereits wegen Verstoßes gegen § 1 KSchG rechtswidrig. Durch Tarifvertrag könne der gesetzliche Kündigungsschutz nicht verschlechtert werden.

Im Übrigen ergebe sich aus den von der Beklagtenseite selbst vorgelegten betriebsärztlichen Untersuchung eindeutig, dass eine P betriebsunfähigkeit beim Kläger gerade nicht vorliege. Die fehlenden Einsatzmöglichkeiten auf zumutbaren leidensgerechten Arbeitplätzen habe die Beklagte nicht ansatzweise vorgetragen. Dabei seien mögliche Einsatzfelder nicht nur die Position eines Hausarbeiters oder Pförtners, sondern auch Arbeitsplätze, bei denen es um die Reparatur von beschädigten Paketen gehe oder den Einsatz in der sog. Katalogzeit.

Der Kläger verweist ferner auf die Stellungsname des Vertrauensmanns der Schwerbehinderten, der auf Einsatzmöglichkeiten als Schlepperfahrer und im Sperrgutbereich hingewiesen habe.

Der Kläger verweist schließlich auf das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten, in dem ihm für sein originäres Tätigkeitsfeld die volle Einsatzfähigkeit bescheinigt werde.

Der Kläger hält schließlich seine Rüge der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung des Betriebsrats aufrecht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere gemäß § 64 ArbGG statthaft, sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. In der Sache hatte die Berufung keinen Erfolg. Zutreffend hat das Arbeitsgericht der fristgerecht eingereichten Kündigungsschutzklage des Klägers stattgegeben.

Auf die überzeugenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen. Zur Unterstreichung und im Hinblick auf das Vorbringen der Beklagtenseite im Berufungsrechtszug ist folgendes festzuhalten.

1. Die Kündigung ist bereits deshalb rechtsunwirksam, weil sie gegen die gesetzliche Kündigungsschutzvorschrift des § 1 Abs. 2 KSchG verstößt. Dabei ist der gesetzliche Kündigungsschutz zwingend; er kann nicht durch tarifliche Vorschriften eingeschränkt werden.

Die tarifliche Ausnahmevorschrift des § 34 Abs. 4 MTV D P AG kann daher nicht in der Weise ausgelegt werden, dass sie zu einer Einschränkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes führen würde.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend hervorgehoben hat, kommt nach § 1 Abs. 2 KSchG eine Kündigung wegen dauerhafter Leistungsunmöglichkeit nur in Betracht, wenn feststeht, dass ein Arbeitnehmer aufgrund seiner Krankheit dauerhaft nicht in der Lage sein wird, die Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. BAG, Urteil vom 29.04.1999 - 2 AZR 431/98, NZA 1999, 978 ff.).

Eine solche dauerhafte Leistungsunfähigkeit ist nicht ersichtlich. Vielmehr ergibt sich bereits aus den von der Beklagtenseite eingereichten p betriebsärztlichen Untersuchungen, dass allenfalls eine Leistungsminderung, nicht aber eine dauernde Leistungsunfähigkeit beim Kläger bestehen könnte.

Soweit in den p betriebsärztlichen Untersuchungen darauf gedrungen wird, dass der Kläger nur Lasten bis zu 18 kg bewegen sollte, zeigt dies gerade, dass der Kläger jedenfalls einen ganz erheblichen Teil seiner Arbeit verrichten kann.

Denn unstreitig wiegt nicht jedes Paket, dass der Kläger als Aufträger und Ableger zu bewegen hat, 31 kg. Vielmehr ist dies das Maximalgewicht, während ein ganz erheblicher Teil der Pakete auch geringere Gewichte aufweist. Bereits damit steht fest, dass der Kläger jedenfalls einen ganz erheblichen Teil seiner Arbeit verrichten kann, selbst wenn man die p betriebsärztliche Stellungnahmen als richtig unterstellt.

Die p betriebsärztliche Stellungnahmen lassen sich daher, wenn überhaupt, nur so verstehen, dass damit eine eingeschränkte P betriebsfähigkeit nicht aber eine P betriebsunfähigkeit festgestellt wurde.

Das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten kann erst recht nicht als Beweis von der beweisbelasteten Beklagten für ihre Behauptung herangezogen werden, der Kläger sei dauerhaft arbeitsunfähig. Denn dieses Gutachten kommt im Gegenteil zu dem Ergebnis, dass der Kläger ohne Einschränkung arbeitsfähig ist.

2. Auf eine dauerhafte Leistungsunfähigkeit des Klägers kann sich die Beklagte ferner deshalb nicht berufen, weil der Kläger im gesamten Jahr 2004 bis zur Freistellung unstreitig keinen einzigen Tag arbeitsunfähig krank war. Dies bedeutet zugleich, dass er in diesem Zeitraum alle an seinem Arbeitsplatz anfallenden Paketarbeiten erledigt hat, auch solche, bei denen Lasten von bis zu 31 kg bewegt werden mussten.

Wenn der Kläger aber auch diese gelegentlich anfallenden schweren Pakete bewältigt hat, ohne dass negative gesundheitliche Auswirkungen auftraten, muss die Annahme der Beklagtenseite bzgl. dauernder Leistungsunfähigkeit als nicht haltbar angesehen werden.

Diese tatsächliche Entwicklung, die vor Ausspruch der Kündigung stattfand, bestätigt zudem die Richtigkeit des gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens.

Die für eine krankheitsbedingte Kündigung wegen dauerhafter Leistungsunfähigkeit erforderliche negativer Prognose kann daher nicht gestellt werden.

Die tatsächliche Arbeit des Klägers im Jahr 2004 ohne Fehlzeiten widerlegt im Übrigen auch die Annahme der Beklagten es liege P betriebsunfähigkeit vor, abgesehen davon, dass die betriebsärztlichen Stellungnahmen dies ohnehin nicht hergeben.

Eine hierauf gestützte ordentliche Kündigung verstieße daher gegen § 1 Abs. 2 KSchG.

III. Da bereits die Voraussetzungen einer ordentlichen fristgerechten Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nicht vorliegen, kam erst recht - wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat - eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist nicht in Betracht.

Die Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision konnte nicht zugelassen werden, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, sondern auf der Anwendung der höchstrichterlich geklärten Grundsätze zur krankheitsbedingten Kündigung beruht.

Ende der Entscheidung

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