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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 03.03.2008
Aktenzeichen: 14 TaBV 83/07
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 50 Abs. 2
Voraussetzung für einen wirksamen Betriebsratsbeschluss ist, dass dieser in formeller Hinsicht ordnungsgemäß zustande gekommen ist. Dazu zählt insbesondere, dass zu der entsprechenden Betriebsratssitzung ordnungsgemäß und rechtzeitig und unter Angabe der Tagesordnung eingeladen wird.
Tenor:

Die Beschwerde des Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 27.11.2007 - 6 BV 278/07 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten streiten über die Bildung einer Einigungsstelle.

Der Beteiligte zu 1) - der Antragsteller - ist der aufgrund eines Tarifvertrages gemäß § 3 BetrVG gebildete einheitliche Betriebsrat für den Bereich West/Süd-Ost der Beteiligten zu 2, der K F GmbH & Co KG. Diese vertreibt im Rahmen eines Filialkonzepts in den Filialen der Kaufhäuser des K Lebensmittel und Feinkostartikel. Insgesamt beschäftigt die Beteiligte zu 2), die Antragsgegnerin, in ihren Filialen knapp 1600 Mitarbeiter.

Die Antragsgegnerin betrieb u. a. in dem Gebäude der K AG in der F -E -Straße in E eine Lebensmittel- und Feinkostfiliale. Die K AG entschied, dieses Gebäude abzureißen. Die Antragsgegnerin beschloss aus diesem Grund, diese Filiale zum 31.12.2007 zu schließen. Darüber wurde der Antragsteller mit Schreiben vom 13.03.2007 informiert. Zu dieser Zeit waren in der Filiale rund 40 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.

In der Folgezeit begehrte der Antragsteller von der Antragsgegnerin Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans und verlangte mit dem vorliegenden am 21.11.2007 anhängig gemachten Verfahren die Errichtung einer Einigungsstelle.

Am 23.11.2007 (Bl. 180 d. A.) beschloss der Antragssteller, gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG den Gesamtbetriebsrat zu beauftragen, Interessenausgleichsverhandlungen zu führen und einen Sozialplan abzuschließen.

Durch Beschluss vom 27.11.2007 (Bl. 70 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht die Anträge des Antragstellers zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass angesichts der Zahl der betroffenen Mitarbeiter eine Betriebsänderung, die eine Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht auslösen könne, nicht vorliege. Denn angesichts der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer von 40 Arbeitnehmern im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Arbeitnehmer von 1592, für die der Antragsteller insgesamt zuständig sei, liege keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG vor.

Gegen diesen am 14.12.2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller fristgerecht Beschwerde einlegen und begründen lassen.

In einem vom Gesamtbetriebsrat betriebenen Verfahren hat der Gesamtbetriebsrat der Antragsgegnerin mit der Antragsgegnerin am 24.01.2008 einen Vergleich abgeschlossen, in dem der Gesamtbetriebsrat erklärt hat, bei Einhaltung bestimmter Verpflichtungen durch die Antragsgegnerin keine weiteren rechtlichen Schritte gegen die ausgesprochenen Kündigungen einzuleiten (siehe im einzelnen Vergleich vom 24.01.2008 im Verfahren 15 BVGa Arbeitsgericht Köln/Bl. 182 f. d. A.).

Der Antragsgegner begründet seine Beschwerde damit, dass eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung vorliege. Die Antragsgegnerin habe bereits im Herbst 2004 den Beschluss gefasst, die Filiale in E zu schließen, denn bereits zu diesem Zeitpunkt habe festgestanden, dass das Gebäude in dem sich die Filiale befunden habe, abgerissen werden solle. Zu diesem Zeitpunkt seien aber mehr als 60 Arbeitnehmer von der geplanten Schließung betroffen gewesen. Zudem ergebe eine sachgerechte Auslegung des § 111 BetrVG, dass die Schließung einer Filiale als wesentlicher Betriebsteil anzusehen sei. Außerdem dürfe der Tarifvertrag nach § 3 BetrVG nicht dazu führen, dass aufgrund geänderter Zahlenrelationen die Mitbestimmungspflicht entfalle. Denn ohne einen solchen Tarifvertrag sei jede Filiale ein eigenständiger Betrieb, so dass die Schließung jeweils eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung sei.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 27.11.2007 - 6 BV 278/07 -

1. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans wegen der Schließung der Filiale E , L Platz, gemäß §§ 111, 112 BetrVG i. V. m. § 76 BetrVG, Herrn Dr. V Z , Direktor des Arbeitsgerichts D zu bestellen;

2. die Zahl der Beisitzer auf jeweils vier festzusetzen.

3. Hilfsweise zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle zur Regelung eines Sozialplans wegen der Schließung der Filiale E , L Platz, gemäß §§ 111, 112 BetrVG i. V. m. § 76 BetrVG Herrn Dr. V Z , Direktor des Arbeitsgerichts D zu bestellen.

Die Beteiligte zu 2) beantragt,

die Beschwerde des Beteiligten zu 1) zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) macht geltend, sie habe noch bis April 2007 versucht, Verkaufsfläche für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der E Filiale anzumieten. Dies sei jedoch gescheitert, so dass man sich habe entschließen müssen, statt dessen eine Filiale in D zu eröffnen und demzufolge den betroffenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen Änderungskündigungen auszusprechen. Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Umsetzung der Maßnahme könne der Antragsteller ohnehin keine Einigungsstelle über einen Interessenausgleich mehr verlangen. Hinsichtlich eines Sozialplans verweist die Antragsgegnerin auf den Delegationsbeschluss des Antragstellers vom 23.11.2007 an den Gesamtbetriebsrat. Der Antragsteller sei daher offensichtlich nicht zuständig. Im Übrigen komme es nach einhelliger Meinung in der Literatur bei der Bestimmung der Schwellenwerte im Rahmen des § 111 BetrVG auf die Zahlenrelationen an, die sich aus den durch den Tarifvertrag gemäß § 3 BetrVG geschaffenen betrieblichen Strukturen ergäben. Demzufolge sei der Schwellenwert für eine Sozialplanpflicht nicht erreicht.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die Beschwerde, an deren Zulässigkeit keine Zweifel bestehen, ist nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die auf Errichtung einer Einigungsstelle gerichteten Anträge des Antragstellers zurückgewiesen.

Eine Einigungsstelle wäre sowohl für die begehrten Interessenausgleichsverhandlungen als auch für einen Sozialplan offensichtlich unzuständig im Sinne des § 98 ArbGG.

1. Hinsichtlich des Interessenausgleichs ergibt sich die offensichtliche Unzuständigkeit bereits aus dem Umstand, dass die betriebliche Maßnahme bereits umgesetzt ist. Den Gegenstand eines Interessenausgleichsverfahrens kann nur eine in der Zukunft liegende Maßnahme sein. Ist eine Betriebsänderung bereits durchgeführt, ist für einen Interessenausgleich kein Raum mehr (siehe BAG, Beschluss vom 28.03.2007 - 1 ABR 5/05 - Der Betrieb 2006, Seite 1792; Fitting Betriebsverfassungsgesetz, 23. Aufl., §§ 112, 112 a Rz. 12).

Im vorliegenden Fall ist die Betriebsänderung unstreitig bereits durchgeführt worden. Die entsprechenden Änderungskündigungen sind ausgesprochen worden; zudem hat der Gesamtbetriebsrat in dem Vergleich vom 24.01.2008 zugestimmt, keine Schritte gegen die Kündigungen mehr einzuleiten. Eine rechtzeitige Einleitung von Interessenausgleichsverhandlungen wäre dem Antragsteller auch möglich gewesen, zumal angesichts seines Vortrages, die Betriebsänderung sei bereits seit dem Jahre 2004 geplant gewesen, sowie angesichts der Tatsache, dass die Antragsgegnerin unstreitig den Antragsteller jedenfalls spätestens im März 2007 über die Planung unterrichtet hat.

2. Auch hinsichtlich eines Sozialplans, den der Antragsteller mit seinem Hilfsantrag verfolgt, ist die Einigungsstelle offenkundig unzuständig.

Dies folgt bereits daraus, dass der Antragsteller durch Beschluss vom 23.11.2007 die Zuständigkeit für Sozialplanverhandlungen gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG auf den Gesamtbetriebsrat übertragen hat, so dass der Antragsteller selbst hierfür nicht mehr zuständig ist. Auf den im Anhörungstermin am 03.03.2008 vorgelegten Widerrufsbeschluss vom selben Tage kann sich der Antragsteller nicht berufen.

In formeller Hinsicht wäre hierfür Voraussetzung, dass ein solcher Widerrufsbeschluss ordnungsgemäß zustande gekommen ist (siehe BAG, Beschluss vom 29.04.2004 - 1 ABR 30/02 -, NZA 2004, Seite 670).

Hierzu gehört insbesondere, dass zu der entsprechenden Betriebsratssitzung ordnungsgemäß, rechtzeitig und unter Angabe der Tagesordnung eingeladen wird.

Bereits daran mangelt es im vorliegenden Fall. Denn nach den Ausführungen der Antragstellerseite im Anhörungstermin vom 03.03.2008 hat der Antragsteller in der Vorwoche am Mittwoch die Betriebsratsmitglieder telefonisch informiert und am Donnerstag, den 28.02.2008 die Einladung per Mail übersandt für eine Betriebsratssitzung, die kurz vor dem gerichtlichen Anhörungstermin vor dem Landesarbeitsgericht Köln am 03.03.2008 stattgefunden hat und an der von 17 Betriebsratsmitgliedern nur 12 teilgenommen haben.

Damit sind die Voraussetzungen des § 29 BetrVG nicht gewahrt. § 29 BetrVG ist eine unverzichtbare Formvorschrift, deren Beachtung zur Wirksamkeitsvoraussetzung von Beschlüssen gehört (siehe BAG, Urteil vom 28.04.1988 - 6 AZR 405/86 -, NZA 1989, Seite 223).

Nach § 29 Abs. 2 Satz 3 BetrVG hat der Betriebsratsvorsitzende die Pflicht, zu den Sitzungen rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung zu laden. Zwar ist im Gesetz keine konkrete Ladungsfrist vorgesehen, jedoch muss der Begriff Rechtzeitigkeit so verstanden werden, dass eine angemessene Frist gewählt werden muss, die so bemessen ist, dass sich die Betriebsratsmitglieder auf die Sitzung einrichten, notwendige Vorbereitungen treffen und Vorberatungen durchführen können (siehe Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 23. Aufl., § 29 Rz. 44; Wlotzke/Preis, Betriebsverfassungsgesetz, 3. Aufl., § 29 Rz. 9).

Davon kann im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Zwischen der Ladung am Donnerstag, den 28.02.2008 und der Durchführung der Betriebsratssitzung am 03.03.2008 lagen lediglich zwei Werktage. Dass die Ladungsfrist unangemessen kurz war, wird auch dadurch unterstrichen, dass von 17 Betriebsratsmitgliedern nur 12 der Ladung nachkommen konnten, also etwa 1/3 der Betriebsratsmitglieder an der Betriebsratssitzung nicht teilgenommen hat.

Abgesehen hiervon erscheint der Widerrufsbeschluss des Antragstellers auch rechtsmissbräuchlich. Zwar bedarf es für den Widerruf nach § 50 Abs. 2 BetrVG keiner besonderen Gründe. Hier sollte der Widerruf jedoch offenkundig allein deshalb unmittelbar vor dem gerichtlichen Anhörungstermin am 03.03.2008 beschlossen werden, um dass vorliegende Beschlussverfahren für die Antragstellerseite "zu retten". Sachliche Gründe für einen Widerruf sind weder vorgetragen noch erkennbar.

Unabhängig hiervon scheitert der Anspruch der Antragstellerseite auch an der vom Arbeitsgericht zutreffend angewandten Zahlenrelation. Nach ganz herrschender Meinung müssen bei durch einen Tarifvertrag gemäß § 3 BetrVG geänderten betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen die sich daraus ergebenden Beschäftigtenzahlen bei der Bestimmung der Schwellenwerte im Rahmen des § 111 BetrVG zugrunde gelegt werden (siehe statt aller DKK/Däubler, Betriebsverfassungsgesetz, § 3 Rz. 148 und § 111 BetrVG Rz. 34 a).

Bedenken gegen diese aus den gesetzlichen Vorschriften unmittelbar folgende Auslegung bestehe nicht. Es liegt in der Verantwortung der Tarifvertragsparteien, entsprechende Tarifverträge zu schließen. Mit solchen Tarifverträgen wird einerseits die betriebsverfassungsrechtliche Stellung vieler Klein- und Kleinstbetriebe, die zu einem Unternehmen gehören, verbessert, weil gegebenenfalls ansonsten in einzelnen Betrieben oder Betriebsteilen überhaupt keine betriebsverfassungsrechtliche Vertretung bestehen würde und beispielsweise Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern gemäß § 38 BetrVG nicht möglich wären. Dem steht auf der anderen Seite gegenüber, dass sich gegebenenfalls bei der Bestimmung der Schwellenwerte im Sinne des § 111 BetrVG im Einzelfall Verschlechterungen ergeben. Diese Vor- und Nachteile bei Abschluss eines solchen Tarifvertrages gemäß § 3 BetrVG gegeneinander abzuwägen, hat der Gesetzgeber unter Anwendung der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie den Tarifvertragsparteien übertragen.

Hiervon haben die Tarifvertragsparteien im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht. Damit sind sie dann aber auch an die daraus resultierenden Vor- und Nachteile gebunden.

3. Aus den vorgenannten Gründen konnte die Beschwerde der Antragstellerseite keinen Erfolg haben. Sie musste zurückgewiesen werden.

Ende der Entscheidung

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