Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 24.06.2002
Aktenzeichen: 2 Sa 54/02
Rechtsgebiete: MTArb


Vorschriften:

MTArb § 16 Abs. 2
§ 16 Abs. 2 MTArb ist dahin auszulegen, dass dem Mitarbeiter, der keine bezahlte Arbeitsbefreiung in der genannten Zeit erhalten hat, neben dem dienstplanmäßigen Freizeitausgleich zusätzlich bezahlte Verkürzung der Arbeitszeit zu gewähren ist.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 2 Sa 54/02

Verkündet am: 24.06.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 24.06.2002 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Olesch als Vorsitzende sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Wegener und Nußbaum

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 8.11.2001 wird auf deren Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Auslegung von § 16 Abs. 2 MTArb, der auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung findet.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass ihr noch ein (bezahlter) Freizeitausgleich von 3 Stunden 12 Minuten zusteht, da sie unstreitig am Samstag, den 14.04.2001 (Ostersamstag), von 12:00 Uhr bis 15:12 Uhr gearbeitet hat. Die Beklagte vertritt hierzu die Ansicht, die Klägerin habe bereits Freizeitausgleich für die Samstagsarbeit erhalten, da ihr am Montag, den 09.04.2002, Freizeitausgleich gewährt worden sei. Die Klägerin versteht die tarifliche Vorschrift dahingehend, dass den Mitarbeitern, die dienstplanmäßig an einem Ostersamstag eingesetzt wären, entweder ab 12:00 Uhr die Arbeitszeit geschenkt wird oder aber sich die gesamte monatliche Arbeitszeit für diese Mitarbeiter um die nach 12:00 Uhr geleistete Arbeitszeit verringert. Nur dann sei nämlich eine bezahlte Freistellung gegeben. Die bloße Verlegung der Arbeitszeit von einem normalen Wochentag auf den Samstag (oder umgekehrt) führe gerade nicht dazu, dass es sich um bezahlte Freizeit handele, sondern lediglich um verlegte Arbeitszeit. Die Beklagte hat der Klägerin für die Zeit nach 12:00 Uhr einen Zeitzuschlag in Höhe von 25 % der Stundenvergütung geleistet.

Das Arbeitsgericht Aachen hat dem Feststellungsantrag der Klägerin entsprochen und die Berufung zugelassen.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit dem Antrag,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.11.2001 - 7 Ca 3242/01 - kostenpflichtig abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Freizeitausgleich in Höhe von 3 Stunden und 12 Minuten zu, der sich aus ihrer Tätigkeit am 14.04.2001 nach 12:00 Uhr ergibt. Dies ergibt sich durch Auslegung des § Abs. 2 MTArb. Die einschlägige Tarifvorschrift lautet wie folgt:

§ 16 Arbeitszeit an Samstagen und Vorfesttagen

1. Soweit die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es zulassen, soll an Samstagen nicht gearbeitet werden.

2. Soweit die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es zulassen, wird an dem Tag vor dem ersten Weihnachtsfeiertag und vor Neujahr jeweils ganztägig sowie an dem Tag vor Ostersonntag und vor Pfingstsonntag jeweils ab 12:00 Uhr Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Monatsregellohnes erteilt. Dem Arbeiter, dem diese Arbeitsbefreiung aus dienstlichen oder betrieblichen Gründen nicht erteilt werden kann, wird an einem anderen Tag entsprechende Freizeit unter Fortzahlung des Monatsregellohnes erteilt.

Protokollnotiz zu Abs. 2:

Die nach Satz 1 zustehende Arbeitsbefreiung an dem Tage vor dem ersten Weihnachtsfeiertag und vor Neujahr ist für Arbeiter, die dienstplanmäßig an allen Tagen der Woche oder im Wechselschicht- oder Schichtdienst arbeiten und deren Dienstplan an einem oder an beiden dieser Tage für die Zeit bis 12:00 Uhr keine Arbeit vorsieht, im Umfang von jeweils 1/10 der für den Arbeiter geltenden durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit zu gewähren, es sei denn, diese Tage fallen auf einen Samstag oder einen Sonntag, oder bei Arbeitern, deren Arbeitszeit auf weniger als fünf Tage die Woche verteilt ist, auf einen für den Arbeitgeber regelmäßig freien Tag.

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstabensinn zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG vom 21.03.2001 - 10 AZR 41/00 - AP TVG § 1 Tarifverträge Einzelhandel Nr. 75 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 43).

Danach ergibt sich, dass die oben zitierte tarifliche Vorschrift dann keinen Sinn hätte, wenn die reguläre Freizeitgewährung, die der Einhaltung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit dient, bereits die Freizeitgewährung aus § 16 Abs. 2 MTArb beinhalten würde. Eine besondere Regelung wäre überhaupt nicht erforderlich gewesen. Die am Samstag dienstplanmäßig geleistete Arbeit wäre insgesamt in das Arbeitszeitkonto eingestellt worden und hätte einen entsprechenden "normalen" Freizeitanspruch ausgelöst. Eine Regelung, die über Abs. 1 hinaus gegangen wäre, wäre überhaupt nicht nötig gewesen. Gerade die Tatsache, dass aber Abs. 2 in das Tarifvertragswerk eingefügt wurde und, wie sich aus der Tarifgeschichte ergibt, die Tarifvertragspartei besonders lange über den Inhalt der Protokollnotiz gestritten haben, zeigt aber, dass die Regelung Ansprüche begründen sollte, die bei bloßer Verlegung der Arbeitszeit von einem Wochentag auf einen normalen Samstag nicht bestehen. Vielmehr ist der Vorschrift zu entnehmen, dass Arbeitnehmer, die samstags arbeiten müssen und deshalb auch am Samstag vor Ostersonntag nach 12:00 Uhr arbeiten müssen, diese Arbeitszeit geschenkt bekommen, d. h. ihr Arbeitszeitkonto ist bei Freistellung ab 12:00 Uhr so zu behandeln, als hätten sie dort Arbeitsleistung erbracht und damit die gesamte Monatsvergütung verdient. Ist eine Freistellung ab 12:00 Uhr nicht möglich, so soll die eigentlich "geschenkte" Zeit an einem anderen Tage als bezahlte Freizeit gewährt werden. Nur diese Auslegung ist in Übereinstimmung mit der Protokollnotiz sinnvoll, da selbst diejenigen Arbeitnehmer, die normalerweise Wechselschicht oder Schichtdienst arbeiten, aber ausnahmsweise am Heiligabend nach ihrem Schichtplan ohnehin nicht zur Arbeit eingeteilt sind, zusätzliche Freizeit erhalten. Es handelt sich damit insgesamt um eine Regelung, die Schichtdienstleistenden Sondervergünstigungen einräumt. So sieht es auch die Kommentarliteratur beispielsweise Scheuring/Steingen/Banse/Thivessen § 16 MTArb Erläuterung 2. Die ausfallende Arbeitszeit ist "geschenkt". Kann die Arbeitszeit nicht ausfallen, so ist an einem anderen Arbeitstag die Begünstigung nachzuholen.

Auch hat das Bundesarbeitsgericht die ähnliche Vorschrift des § 16 BAT in der Weise ausgelegt, wie es die erkennende Kammer tut. Der schichtplanmäßige Freizeitausgleich, der letztendlich nur bewirkt, dass die regelmäßige monatliche Arbeitszeit eingehalten, aber auch nicht überschritten wird, ist im Sinne des § 16 BAT unbezahlte Freizeit. Die Dienstbefreiung ab 12:00 Uhr vor Ostersonntag ist demgegenüber nach § 16 BAT als Freizeit unter Fortzahlung der Vergütung geschuldet. Hieraus hat das Bundesarbeitsgericht den Schluss gezogen, dass sich die gesamte monatliche Arbeitszeit um diesen Zeitanteil verringert, da es sich um bezahlte Freizeit handele. Da die Abweichung der beiden Vorschriften nur sehr gering ist und im übrigen auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Tarifvertragsparteien einen sachlichen Grund zur unterschiedlichen Regelung der Materie bei Arbeitern und Angestellten haben, spricht auch dies dafür, dass die Auslegung des §16 MTArb in gleicher Weise vorzunehmen ist.

Da die Tarifvertragsparteien es auch unterlassen haben, für den Zeitraum, binnen dem die Arbeitsbefreiung zu gewähren ist, einen Rahmen vorzugeben, kann diese noch als bezahlte Freizeit gewährt werden. Ein Anspruch auf zusätzlich Vergütung nach § 27 MTArb besteht daher nicht.

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass die Regelung des § 27 MTArb nicht sinnvoll auf die Regelung des § 16 MTArb abgestimmt ist. Bei Arbeit am Weihnachtstag erhält ein Mitarbeiter entweder einen zusätzlichen freien Tag und 35% Vergütung oder keinen zusätzlichen freien Tag aber 135% Vergütung, während für die Arbeit am Vorfeiertag 100% bezahlte Freizeit zu gewähren ist oder bei Unmöglichkeit der Freizeitgewährung lediglich eine Zusatzvergütung von 25%. Da aber aufgrund des Fehlens eines Ausgleichszeitraumes die Unmöglichkeit einer Freizeitgewährung letztendlich nicht eintreten kann, ist dieser Teil der Tarifvorschrift ohnehin obsolet.

Die Beklagte wird nach Rechtskraft der Entscheidung die Zeit, in der der Freizeitausgleich erfolgen soll, im Wege des Direktionsrechts festzulegen haben (vgl. BAG vom 13.12.2001 - 6 AZR 709/00 -).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wurde zugelassen, da der Rechtsstreit für eine Vielzahl gleich gelagerter Fälle vorgreiflich ist.

Ende der Entscheidung

Zurück