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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.12.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 807/06
Rechtsgebiete: InsO, KSchG, BGB


Vorschriften:

InsO § 125
KSchG § 1
BGB § 133
BGB § 157
Eine Sozialauswahl über mehrere Filialen, die über die Bundesrepublik verteilt sind, kann dann nicht erfolgen, wenn der Arbeitnehmer nach seinem Arbeitsvertrag ausschließlich zur Arbeitsleistung in einer Filiale eingestellt wurde. Jedenfalls stellt die Beschränkung der Sozialauswahl auf die einzelnen mehr als 50 km auseinander liegenden Filialen keine grob fehlerhafte Bildung von Vergleichsgruppen i.S.d. § 125 InsO dar.
Tenor:

Auf die Berufung wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 29.05.2006 - 9 Ca 554/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Insolvenzkündigung vom 28.02.2006 zum 31.05.2006 sowie um eine Kündigung vor Insolvenzeröffnung vom 30.01.2006 zum 30.06.2006. Hinsichtlich der Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung hat der Beklagte dargelegt, dass wegen der Schließung der A Filiale eine Sozialwahlauswahl mit anderen Filialen nicht vorgenommen worden sei. Dies beruhe darauf, dass der Arbeitsvertrag der Klägerin eine örtliche Versetzbarkeit nicht eröffne. Nach dem Arbeitsvertrag schulde die Klägerin ausschließlich Tätigkeiten in A . Solche sind, wie unstreitig geblieben ist, nach der Schließung der A Filiale nicht mehr gegeben.

Die Beklagte beantragt mit der Berufung,

das Urteil des Arbeitsgerichts A vom 29.05.2006 - 9 Ca 554/06 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie vertritt die Ansicht, dass eine Sozialauswahl über den Beschäftigungsort A hinaus erfolgen müsse. Hilfsweise sei die Kündigung unzulässig, da in K ein neues Studio eröffnet worden sei. In diesem sei zu einem Zeitpunkt im ersten Halbjahr 2006, den die Klägerin auf Nachfrage nicht näher eingrenzen konnte, eine freie Stelle vorhanden gewesen. Nähere Angaben, wann und mit wem diese Stelle besetzt worden sein soll, konnte die Klägerin nicht machen. Der Beklagte hat hierzu erklärt, dass die bisherige H Filiale lediglich nach K verlegt worden sei, insoweit habe es sich nicht um die Schließung der H Filiale gehandelt, diese arbeite lediglich an einer anderen Adresse weiter. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige und fristgerechte Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis ist aufgrund ordnungsgemäßer betriebsbedingter Kündigung vom 28.02.2006 mit dem 31.05.2006 beendet worden.

Die Kündigung ist gemäß § 1 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren KSchG in Verbindung mit § 125 InsO sozial gerechtfertigt. Zwischen dem Insolvenzverwalter und dem Betriebsrat der Arbeitgeberin ist ein Interessenausgleich mit Namensliste zustande gekommen, der das Arbeitsverhältnis der Klägerin erfasst. Damit wird zunächst vermutet, dass für die in dem Interessenausgleich vorgesehenen Betriebsänderungen, insbesondere die Schließung von 36 Filialen (sog. B -Studios) ein dringendes betriebliches Erfordernis gegeben ist, welches zu dem Entfall der Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin geführt hat.

Die Kündigung ist auch nicht deswegen unwirksam, weil die Beklagte eine fehlerhafte Sozialauswahl vorgenommen hat.

Nach dem im Kammertermin vor dem LAG vorgelegten Arbeitsvertrag, auf den die Beklagte bereits mit der Berufungsbegründung hingewiesen hatte, ist die Klägerin ausschließlich für die Filiale A eingestellt und nur dort einsetzbar. Dies ergibt sich durch Auslegung des Arbeitsvertrages nach §§ 133, 157 BGB. Das Aufgabengebiet der Klägerin ist dabei so geschildert, dass sie die Beratung von Interessenten im B -Studio schuldet. Dabei ergibt sich aus § 1 S.1 des Arbeitsvertrages, dass mit "B -Studio" ausschließlich die Filiale in A gemeint ist und nicht Tätigkeiten in beliebigen über Deutschland verteilten B Studios. Weiterhin spricht für die Auslegung, dass die Klägerin ausschließlich in A einsetzbar ist, dass die Arbeitgeberin sich zwar Direktionsrechte insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Lage der Arbeit und im Hinblick auf die Freistellung von der Arbeitsleistung unter Weiterzahlung eines Garantiegehaltes ausdrücklich vorbehalten hatte, nicht jedoch eine Einsetzbarkeit außerhalb des A B -Studios vorgesehen hatte. Letztlich ausschlaggebend ist Ziffer 8 Punkt 11 des Arbeitsvertrages wonach Erfüllungsort und Gerichtsstand für Streitigkeiten aus diesem Arbeitsverhältnis ausschließlich der Sitz des B -Studios ist. Damit ergibt sich, dass die Klägerin eben nicht verpflichtet war ihre Arbeitsleistung an einem anderen Ort als demjenigen des A B -Studios, für welches sie nach dem Arbeitsvertrag ausschließlich eingestellt war, erbringen musste.

Die Klägerin war damit mit anderen Mitarbeitern, die in anderen B -Studios eingesetzt wurden, nicht vergleichbar. Denn die Sozialauswahl erstreckt sich nur auf diejenigen Arbeitsplätze, die ohne Änderungskündigung im Wege des Direktionsrechts zugewiesen werden können (vgl. BAG, 03.06.2004, 2 AZR 577/03).

Selbst wenn die Beklagte allerdings fehlerhaft davon ausgegangen wäre, dass die Klägerin nicht durch Direktionsrecht von A nach K versetzt werden kann, wenn also tatsächlich eine solche einseitige Versetzungsmöglichkeit bestanden hätte, führt dies nicht zur groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Denn der Maßstab des § 125 Abs. 1 Nr. 2 InsO erstreckt sich auch darauf, ob der Arbeitgeber grob fehlerhaft eine Vergleichbarkeit mit anderen Arbeitnehmern nicht für gegeben hält. So hat das BAG in der Entscheidung vom 28.08.2003 (2 AZR 368/02) entschieden, dass sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nach § 125 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 InsO auf die gesamte Sozialauswahl also auch auf die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen bezieht. Die Beklagte hat vorliegend vorgetragen, dass sie eine Gruppenbildung danach vorgenommen hat, ob Arbeitnehmer in B -Studios beschäftigt sind, die geschlossen werden sollen oder ob Arbeitnehmer in B Studios beschäftigt sind, die weiterhin erhalten bleiben. Eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ist bei diesem Abgrenzungskriterium nicht festzustellen, denn anderenfalls müssten aufeinander eingestellte Teams auseinander gerissen werden und insbesondere die Filialen, die deshalb erhalten werden, weil sie betriebswirtschaftlich erfolgreich gearbeitet haben, würden von einem nahezu vollständigem Austausch des Personals betroffen sein. Es mag deshalb unterstellt werden, dass die Klägerin zum einen nach K versetzbar wäre und dort Arbeitnehmer weiterbeschäftigt würden, die sozial weniger schutzwürdig sind als die Klägerin. Gleichwohl ist die getroffene Gruppenbildung nicht grob fehlerhaft, sondern allenfalls leicht fehlerhaft und damit im Rahmen einer Kündigung nach § 125 InsO von der Klägerin hinzunehmen.

Die Kündigung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil die Beklagte der Klägerin eine Änderungskündigung auf einen Arbeitplatz nach K hätte aussprechen müssen. Die Änderungskündigung als milderes Mittel gegenüber der Beendigungskündigung kommt nur dann in Betracht, wenn im Zeitpunkt des Kündigungsentschlusses ein anderer freier Arbeitsplatz zur Besetzung anstand. Die Darlegung dieser Voraussetzungen obliegen der Klägerin. Sie hätte sich deshalb substantiiert dazu äußern müssen, dass bereits am 28.02.2006 für den Betrieb in Köln eine Arbeitskraft auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gesucht wurde. Der Vortrag der Klägerin ergeht sich insoweit allerdings in Mutmaßungen, da nicht ersichtlich ist, dass überhaupt zum 28.02.2006 bereits eine Filiale in K existierte und die unternehmerische Entscheidung getroffen war, für diese Filiale trotz der anstehenden Entlassungen eine Neueinstellung vorzunehmen.

Soweit die Klägerin behaupten will, im Laufe der Kündigungsfrist habe sich das Freiwerden eines Arbeitsplatzes in K ergeben, hätte die Klägerin diesen Sachverhalt durch einen Wiedereinstellungsanspruch in das Verfahren einführen müssen. Einen solchen hat sie nicht gestellt. Im Übrigen ist aber auch im Rahmen eines Wiedereinstellungsanspruchs zu prüfen, dass sozial schutzwürdigere, der Klägerin vorgehende Arbeitnehmer vorrangig durch den Arbeitgeber berücksichtigt werden können. Ob die Stelle überhaupt besetzt worden ist und ob es überhaupt eine Einstellung einer bislang nicht beschäftigten Person gegeben hat, konnte die Klägerin nicht darlegen.

Die Kündigung ist auch nicht wegen mangelhafter Betriebsratsanhörung oder fehlender Massenentlassungsanzeige unwirksam.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Revision wurde mangels allgemeiner Bedeutung des Rechtsstreits nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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