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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 15.03.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 1593/05
Rechtsgebiete: TzBfG, SGB IX


Vorschriften:

TzBfG § 8
SGB IX § 81 Abs. 5 S. 3
SGB IX § 81 Abs. 4 S. 1
Die bloße Berufung des Arbeitgebers auf ein praktiziertes Organisationskonzept (hier: ausschließliche Vollzeittätigkeit wegen Vollschichtbetrieb) hindert alleine einen Teilzeitanspruch des Arbeitnehmers nach § 8 TzBfG nicht. Es bedarf darüber hinaus der Darlegung und ggf. des Nachweises konkreter Umstände, inwiefern dieses Konzept dem Teilzeitwunsch des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht und mit dem Begehren des Arbeitnehmers durch eine zumutbare Änderung der Betriebsabläufe nicht zur Deckung gebracht werden kann.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 18.10.2005 - 5 Ca 662/05 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, einer vom Kläger begehrten Verringerung seiner wöchentlichen Arbeitszeit von bislang 35 Stunden auf 20 Stunden pro Woche zuzustimmen. Von einer erneuten Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 18.10.2005 die Beklagte verurteilt, einer Verringerung der wöchentlichen Arbeitszeit des Klägers aus dem Arbeitsvertrag vom 30.03.1990 von bislang 35 Stunden ohne Pausenzeiten auf künftig 20 Stunden zuzüglich etwaiger Pausenzeiten gleichmäßig verteilt auf die Wochentage montags bis freitags zuzustimmen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf Bl. 66 ff. d. A. Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 24.11.2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.112.2005 Berufung eingelegt und diese am 19.01.2006 begründet.

Die Beklagte ist weiterhin der Auffassung, das Teilzeitbegehren des Klägers sei weder gemäß §§ 81 Abs. 5 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 SGB IX noch gemäß § 8 TzBfG begründet. Einer Teilzeitbeschäftigung stehe das Organisationskonzept der Beklagten entgegen, dass bei einem Vollschichtbetrieb von einer ausschließlichen Einrichtung von Vollzeitarbeitsplätzen ausgehe. Die Mitarbeiter arbeiteten in der Fertigung an den Arbeitslinien "Hand-In-Hand" und die bei einer Beschäftigung von Teilzeitmitarbeitern erforderliche Schichtteilung würde eine "Teilübergabe" während der laufenden Schicht erfordern. Dies sei nicht nur nicht vorgesehen, sondern auch nicht zweckmäßig und würde zusätzlichen Verwaltungs- und Betreuungsaufwand erfordern. Auch sei der Beklagten nicht zuzumuten, ihr Organisationskonzept dahingehend umzustellen, dass auch bei Fehlzeiten des teilzeitbeschäftigten Klägers wiederum eine entsprechende Teilzeit-Ausfallvorsorge zu treffen wäre. Insgesamt gehe die Beklagte weiterhin davon aus, dass auf dem Arbeitsmarkt ein Teilzeitmitarbeiter für eine dreistündige Teilzeittätigkeit im Vollschichteinsatz nicht zu finden sei.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 18.10.2005 - 5 Ca 662/05 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt weiter vor, die Personalstärke in den verschiedenen Schichtteams sei unterschiedlich. Während das Team des Klägers aus 15 Personen bestehe, seien in den beiden anderen Teams jeweils nur 12 Personen tätig. Dies spreche dafür, dass im Team des Klägers weitere Personalreserven vorhanden seien. Außerdem würden den Mitarbeitern in den Teams keine festen Arbeiten zugewiesen. Der Linienführer setzte diese vielmehr flexibel immer dort ein, wo gerade eine Arbeit zu erledigen sei. Die Arbeitsorte innerhalb einer Linie wechselten ständig und die Aufgaben würden flexibel übertragen. Feste Zuständigkeiten seien nicht vorhanden. Positionswechsel von einzelnen Arbeitnehmern innerhalb der Linie erfolgten ständig. Bei einer Teilzeittätigkeit des Klägers müsse daher nicht unbedingt eine weitere Person eingestellt werden, um eine Lücke zu schließen. Auch eine "Teilübergabe" während der laufenden Schicht sei nicht erforderlich, da die Tätigkeiten ohnehin ständig wechselten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage im Umfang des erstinstanzlich gestellten Hilfsantrages zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Zur Vermeidungen von Wiederholungen wird auf die ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung geben lediglich zu folgenden ergänzenden Ausführungen Anlass:

1. Der Teilzeitanspruch des Klägers ergibt sich zunächst aus § 8 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 TzBfG. Nach dieser Vorschrift hat jeder Arbeitnehmer, soweit die allgemeinen Voraussetzungen des § 8 TzBfG vorliegen und der Arbeitgeber seine Ablehnung nicht berechtigterweise auf entgegenstehende betriebliche Gründe stützt, einen Anspruch auf Verringerung seiner Arbeitszeit.

a) Der Arbeitgeber kann dem Teilzeitbegehren des Arbeitnehmers gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG betriebliche Gründe entgegenhalten. Ein solcher betrieblicher Grund liegt insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht, § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG. Hierfür genügt es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dass der Arbeitgeber rational nachvollziehbare Gründe hat (BAG, Urteil vom 30.09.2003 - 9 AZR 665/02 -, BAGE 108, 47). Zwar sind dringende betriebliche Gründe nicht erforderlich, jedoch müssen die Gründe hinreichend gewichtig sein (BAG, Urteil vom 14.10.2003 - 9 AZR 636/02 -, BAGE 108, 103). Ob hinreichend gewichtige betriebliche Gründe zur Ablehnung berechtigen, unterliegt der gerichtlichen Prüfung, wobei maßgeblich für das Vorliegen betrieblicher Gründe der Zeitpunkt der Ablehnung des Arbeitszeitwunsches durch den Arbeitgeber ist (BAG, Urteil vom 27.04.2004 - 9 AZR 522/03 -, BAGE 110, 232).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erfolgt die somit vorzunehmende Prüfung anhand einer dreistufigen Prüfungsfolge. In der ersten Stufe ist festzustellen, ob überhaupt und wenn ja, welches betriebliche Organisationskonzept der vom Arbeitgeber als erforderlich angesehenen Arbeitszeitregelung zu Grunde liegt. Die Darlegungslast dafür, dass das Organisationskonzept die Arbeitszeitregelung bedingt, liegt dabei beim Arbeitgeber. In einer zweiten Stufe ist zu prüfen, inwieweit die Arbeitszeitregelung dem Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers tatsächlich entgegensteht. Dabei ist auch der Frage nachzugehen, ob durch eine dem Arbeitgeber zumutbare Änderung von betrieblichen Abläufen oder des Personaleinsatzes der betrieblich als erforderlich angesehene Arbeitszeitbedarf unter Wahrung des Organisationskonzepts mit dem individuellen Arbeitszeitwunsch des Arbeitnehmers zur Deckung gebracht werden kann. Ergibt sich nach alledem, dass das Arbeitszeitverlangen des Arbeitnehmers nicht mit dem organisatorischen Konzept und der daraus folgenden Arbeitszeitregelung in Übereinstimmung gebracht werden kann, ist in einer dritten Stufe das Gewicht der entgegenstehenden betrieblichen Belange zu prüfen (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 20.07.2004 - 9 AZR 626/03 -, AP Nr. 11 zu § 8 TzBfG; BAG, Urteil vom 21.06.2005 - 9 AZR 409/04 -, DB 2006, 105).

b) Die Beklagte hat sich auch zweitinstanzlich darauf berufen, einer Teilzeitbeschäftigung des Klägers stehe das von ihr praktizierte Organisationskonzept entgegen. Dieses sehe vor, dass Arbeitnehmer ausschließlich in Vollzeittätigkeit beschäftigt würden und sei letztlich begründet durch den unstreitig praktizierten Vollschichtbetrieb. Damit hat die Beklagte den Darlegungsanforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf der ersten Stufe von ihr verlangt werden, erfüllt. Sie hat dargelegt, dass sie ein betriebliches Organisationskonzept verfolgt, das wegen des praktizierten Vollschichtbetriebes ausschließlich Vollzeittätigkeiten vorsieht. Dieses Konzept wird von ihr auch nicht willkürlich praktiziert, sondern findet seine Begründung in dem 24-stündigen Vollschichtbetrieb.

Demgegenüber erweisen sich die Einwände der Beklagten auf der zweiten Stufe nicht als tragfähig. Es ist auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht erkennbar, inwieweit die bislang praktizierte Arbeitszeitregelung dem Teilzeitverlangen des Klägers tatsächlich entgegensteht. So ist von der Beklagten - worauf die Kammer in der mündlichen Berufungsverhandlung nochmals hingewiesen hat - bereits nicht hinreichend dargelegt, dass der durch einen Teilzeiteinsatz des Klägers entstehende zusätzliche Personalbedarf nicht auf anderweitige, zumutbarer Weise gedeckt werden könnte. Die Beklagte hat unstreitig keine Bemühungen unternommen, eine mögliche weitere Teilzeitstelle zu besetzen. Sie hat insbesondere nicht geprüft, ob auf dem Arbeitsmarkt eine Arbeitskraft für diese Tätigkeit zur Verfügung gestanden hätte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger selbst angeboten, seine derzeit beschäftigungslose Ehefrau sei zur Übernahme einer solchen Tätigkeit jederzeit bereit.

Selbst wenn man diese Bedenken dahingestellt sein lässt, vermögen die seitens der Beklagten eingewandten Argumente jedenfalls bei der auf der dritten Stufe vorzunehmenden Gewichtung der entgegenstehenden betrieblichen Belange nicht zu überzeugen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, stellt die bei einer Teilzeitbeschäftigung erforderlich werdende zusätzliche Arbeitsübergabe keine besondere Belastung dar. Zum einen entstehen derartige Schnittstellen auch bei jedem regulären Schichtwechsel. Zum anderen ergeben sich ohnehin auch innerhalb der Schicht aufgrund der vorhandenen Gruppenarbeit immer wieder Arbeitsübergaben. Zwar mögen diese als einzelne Übergaben jeweils einen zeitlich geringeren Umfang ausmachen, gleichwohl verdeutlicht dieses Arbeitsmodell, dass auch durch eine "größere" Arbeitsübergabe keine im Verhältnis zum grundsätzlichen Teilzeitbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers besonders gewichtige Belastung gesehen werden kann. Das gleiche gilt für den beklagtenseits eingewandten allgemein höheren Verwaltungs- und Betreuungsaufwand für Teilzeittätigkeiten. Solche üblichen Belastungen, die mit der Einrichtung des Teilzeitarbeitsplatzes verbunden sind, können für sich betrachtet in keinem Fall zur Ablehnung des Teilzeitbegehrens nach § 8 TzBfG führen (LAG Köln, Urteil vom 09.04.2003 - 3 Sa 975/02 -, MDR 2004, 102; Rolfs, TzBfG, § 8 Rz. 36; Annuß/Thüsing, TzBfG § 8 Rz. 134; ErfK/Preis, 6. Aufl., § 8 TzBfG Rz. 31).

2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Teilzeitanspruch des Klägers auch auf §§ 81 Abs. 5 Satz 3, Abs. 4 Satz 1 SGB IX gestützt.

a) Nach dieser Vorschrift haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art und Schwere der Behinderung notwendig ist. Sie begründet in Verbindung mit § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX für den schwerbehinderten Menschen einen individualrechtlichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung mit der verringerten Arbeitszeit. Dieser schwerbehindertenrechtliche Beschäftigungsanspruch entsteht unmittelbar bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Der schwerbehinderte Mensch kann - ohne an Formen und Fristen gebunden zu sein - jederzeit verlangen, nur noch in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden (vgl. grundlegend BAG, Urteil vom 14.10.2003 - 9 AZR 100/03 -, AP Nr. 3 zu § 81 SGB IX m. w. N.).

b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger ist aufgrund seiner Gehbehinderung, die aus einem schweren Wegeunfall im Jahr 2000 herrührt, nicht in der Lage, seine Tätigkeit über die ganze Dauer einer vollen täglichen Schicht auszuüben. Er bedarf daher einer täglichen Arbeitszeitreduzierung, wie dies mit der von ihm begehrten Teilzeitbeschäftigung möglich wird. Einer solchen Teilzeitbeschäftigung des Klägers stehen auch keine unzumutbaren oder unverhältnismäßigen Aufwendungen der Beklagten entgegen. Insoweit kann auf das oben zu § 8 TzBfG Gesagte verwiesen werden. Hat der Arbeitgeber der Verringerung der Arbeitszeit bereits nach § 8 Abs. 4 TzBfG zuzustimmen, so ist ihm die Einrichtung eines Teilzeitarbeitsplatzes für einen schwerbehinderten Menschen nach § 81 Abs. 5 SGB IX erst Recht zuzumuten.

III. Insgesamt musste daher der Berufung der Beklagten der Erfolg versagt bleiben. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, ist sie gemäß §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO verpflichtet, die Kosten der Berufung zu tragen.

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen. Insbesondere ging es nicht um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

Ende der Entscheidung

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