Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 07.02.2007
Aktenzeichen: 3 TaBV 60/06
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB, ZPO


Vorschriften:

BetrVG § 103
BGB § 626 Abs. 1
ZPO § 148
1. Verfasst ein Arbeitnehmer unmittelbar nach einem Personalgespräch, bei dem ihm Unregelmäßigkeiten bei der Arbeitszeiterfassung im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer betrieblichen Karnevalsfeier vorgehalten werden, einen erkennbar impulsiven Beschwerdebrief an seinen Arbeitgeber und bezeichnet darin seinen Personalvorgesetzten als "infantile Type", der "mit Vehemenz gegen ihn interveniere und ihn zum Ermittlungssubjekt herabwürdige, in der Absicht, ihn bei Kollegen verächtlich zu machen", so ist bei der Gewichtung des Kündigungsgrundes das Vorgeschehen mit zu berücksichtigen.

2. Stellt dies einen erstmaligen Vorfall in einem 35 Jahre bestehenden Arbeitsverhältnis dar, so ist nach dem ultima-ratio-Prinzip regelmäßig von der Erforderlichkeit einer vorherigen Abmahnung auszugehen.

3. Das Zustimmungsersetzungsverfahren ist nicht nach § 148 ZPO wegen eines anderweitigen Kündigungsschutzverfahrens auszusetzen, das eine nach vorheriger Zustimmung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung wegen eines späteren Fehlverhalten des Betriebsratsmitglieds zum Gegenstand hat.


Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 17.08.2006 - 19 BV 45/06 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen Kündigung des zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3) bestehenden Arbeitsverhältnisses.

Der Beteiligte zu 2) ist der bei der Antragstellerin gewählte Betriebsrat. Der Beteiligte zu 3) war aufgrund eines Wahlvorschlages vom 17.03.2006 Wahlbewerber für die Betriebsratswahl im April 2006. Zwischenzeitlich ist er zum Betriebsratsmitglied gewählt worden. Er ist am 18.04.1947 geboren, verheiratet und hat zwei Kinder. Bei der Antragstellerin ist er seit dem 01.10.1970 als Elektriker/Schaltwärter beschäftigt.

Am 23.02.2006 fand im Betrieb der Antragstellerin im Terminal West eine Weiberfastnachtsfeier statt, an der der Beteiligte zu 3) teilnahm. An diesem Tag stempelte er sich um 06:00 Uhr als "Kommen" ein und um 15:09 Uhr als "Gehen" aus. Die Dauer seiner Teilnahme an der Weiberfastnachtsfeier ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 10.03.2006 fand hierüber ein Gespräch statt, an dem unter anderem der Beteiligte zu 3) und sein Vorgesetzter, Herr R , teilnahmen. Nach diesem Gespräch füllte der Beteiligte zu 3) noch am selben Tag einen Korrekturbeleg aus, demzufolge die "Gehen" - Zeit für den 23.02.2006 auf 12:00 Uhr korrigiert wurde. Der Verlauf des Gesprächs vom 10.03.2006 ist im Einzelnen zwischen den Beteiligten streitig. Wegen des ursprünglich fehlerhaften Ausstempelns des Klägers leitete die Antragstellerin sodann am 24.03.2006 ein gerichtliches Zustimmungsersetzungsverfahren wegen einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) ein, nachdem der zuvor angehörte Beteiligte zu 2) eine Zustimmung nicht erteilt hatte. Das Arbeitsgericht Köln hat mit Beschluss vom 04.07.2006 (Az.: 16 BV 43/06) die Zustimmungsersetzungsanträge zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde ist beim Landesarbeitsgericht noch anhängig (Az.: 2 TaBV 1/07).

Der Beteiligte zu 3) wandte sich seinerseits einen Tag nach dem Gespräch vom 10.03.2006, am 11.03.2006 mit einem mehrseitigem Beschwerdeschreiben unmittelbar an die Geschäftsführung der Antragstellerin. In diesem Schreiben, das am 14.03.2006 bei der Antragstellerin einging, bezeichnet der Beteiligte zu 3) seinen Vorgesetzten R als "infantile Type", der mit "Vehemenz und Arglist gegen ihn interveniere und ihn zum Ermittlungssubjekt herabwürdige". All dies geschehe "in der Absicht, ihn bei Kollegen und anderen Mitarbeitern verächtlich zu machen". Es finde eine "Bespitzelung von Mitarbeitern" statt und er sehe sich einem "Newcomerkomplott" ausgesetzt. Insgesamt liege ein "Bossing" vor, das den Betriebsfrieden unerträglich belaste. Wegen des weitergehenden Inhalts im Einzelnen wird auf das vorgenannte Schreiben (Bl. 6 - 9 d. A.) Bezug genommen.

Die Antragstellerin beantragte daraufhin mit Schreiben vom 24.03.2006 die Zustimmung des Beteiligten zu 2) zur außerordentlichen fristlosen hilfsweise unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von sechs Monaten zum Schluss eines Quartals beabsichtigten Kündigung des Beteiligten zu 3). Nachdem der Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 28.03.2006 mitgeteilt hatte, dass er zu den beabsichtigten Kündigungen keine Erklärung abgeben werde, leitete die Antragstellerin mit der am 28.03.2006 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Antragsschrift das vorliegende gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren ein.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte zu 3) habe mit dem Schreiben vom 11.03.2006 seinen Vorgesetzten R schwer beleidigt und völlig haltlose und schwerwiegende Anschuldigungen gegen diesen und die Personalchefin Frau S erhoben. Die Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit einem Mitarbeiter, der sich in solcher Art und Weise gegenüber der Geschäftsführung artikuliere, sei unzumutbar.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen;

2. die Zustimmung des Antragsgegners zur hilfsweisen außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 3) hat vorgetragen, das streitgegenständliche Schreiben dürfe nicht isoliert betrachtet werden, sondern man müsse die Gesamtsituation mit einbeziehen, die ihn zur Abfassung dieses Schreibens veranlasst habe. Dabei sei insbesondere der persönliche Konflikt zwischen ihm und seinem Abteilungsleiter R zu berücksichtigen, der sich aus einem früheren freundschaftlichen Verhältnis dieser beiden Personen entwickelt habe, nachdem Herr R nach seiner im Arbeitsbereich des Beteiligten zu 3) in den 80er Jahren absolvierten Ausbildung und nach zwischenzeitlich absolviertem Studium im Jahr 2004 in ein Arbeitsverhältnis bei der Antragstellerin zurückgekehrt sei.

Im gerichtlichen Verfahren hat der Beteiligte zu 3) die in dem streitgegenständlichen Schreiben von ihm gebrauchte Wortwahl ausdrücklich bedauert. Schließlich hat er die Auffassung vertreten, dass vorliegende Beschlussverfahren müsse wegen eines vorrangigen, eine fristlose Kündigung vom 04.04.2006 betreffenden beim Arbeitsgericht Köln anhängigen Kündigungsschutzverfahrens (Az.: 7 Ca 3112/06) nach § 148 ZPO ausgesetzt werden. Der Beteiligte zu 2) hat sich den Ausführungen des Beteiligten zu 3) angeschlossen.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 17.08.2006 die Anträge zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es fehle an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, der der Antragstellerin die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar mache. Zwar habe der Beteiligte zu 3) die Antragstellerin in dem streitgegenständlichen Schreiben vom 11.03.2006 in schärfster Form angegriffen und seine Vorgesetzten gegenüber der Geschäftsführung verunglimpft. Gleichwohl sei das Arbeitsverhältnis aufgrund des Inhalts des Schreibens nicht so belastet, dass es der Antragstellerin unzumutbar sei, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Insbesondere in Anbetracht der langen unbelasteten Beschäftigungszeit des Beteiligten zu 3) hätte die Antragstellerin zunächst eine Abmahnung aussprechen müssen.

Gegen diesen ihr am 15.09.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 26.09.2006 Beschwerde eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist am 15.12.2006 begründet. Sie ist weiterhin der Auffassung, das Schreiben vom 11.03.2006 mache ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beteiligten zu 3) unzumutbar. Die grobe Beleidigung und die weiteren Verunglimpfungen des Vorgesetzten R sowie der Personalchefin Frau S seien nicht nur direkte Angriffe auf die jeweilige Persönlichkeit, sondern führten auch dazu, dass die Autorität dieser Vorgesetzten beschädigt werde und es hierdurch zu einer empfindlichen Störung des Betriebsfriedens komme. Auch habe der Beteiligte zu 3) nicht ernsthaft damit rechnen können, dass sein Verhalten nicht den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährden würde. Daran ändere auch seine lange Betriebszugehörigkeit nichts.

Die Antragstellerin beantragt,

1. auf die Beschwerde den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 17.08.2006 - 19 BV 45/06 - abzuändern,

2. die Zustimmung des Antragsgegners zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen,

3. die Zustimmung des Antragsgegners zur hilfsweisen außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist von 6 Monaten zum Schluss eines Kalendervierteljahres gemäß § 103 BetrVG zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 3) verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und wiederholt und vertieft seinen bisherigen Sachvortrag. Er ist weiterhin der Auffassung, er habe mit dem Beschwerdebrief vom 11.03.2006 lediglich berechtigte Interessen wahrgenommen. Die von ihm mittlerweile bedauerte Wortwahl sei erklärbar durch die Vorgeschichte und den emotionalen Ausnahmezustand, in dem er sich damals befunden habe. Er meint, die beabsichtigte außerordentliche Kündigung stelle jedenfalls eine unverhältnismäßige Reaktion der Antragstellerin dar. Als mildere Maßnahmen hätten vorrangig der Ausspruch einer Abmahnung sowie die Anordnung einer Versetzung in Betracht gezogen werden müssen. Auch sei es durch das unmittelbar an die Geschäftsführung gerichtete Schreiben nicht zu einer Störung des Betriebsfriedens gekommen. Jedenfalls scheitere die beabsichtigte Kündigung an der zu seinen Gunsten ausgehenden Interessenabwägung. Schließlich rügt der Beteiligte zu 3) weiterhin die Nichteinhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist und hält an seinem Einwand fest, dass das Verfahren zunächst gemäß § 148 ZPO auszusetzen sei.

Der Beteiligte zu 2) schließt sich auch zweitinstanzlich dem Vortrag des Beteiligten zu 3) an und tritt ebenso wie dieser der erstinstanzlichen Entscheidung bei. Insbesondere ist er der Auffassung, dass die beabsichtigte Kündigung unverhältnismäßig sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, weil sie statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Anträge der Antragstellerin auf gerichtliche Zustimmungsersetzung zu Recht und mit zutreffender Begründung zurückgewiesen.

a) Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats, des Wahlvorstands sowie von Wahlbewerbern der Zustimmung des Betriebsrats. Der Beteiligte zu 3) war zum Zeitpunkt der Anhörung des Beteiligten zu 2) zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung Wahlbewerber für die im April 2006 anstehende Betriebsratswahl. Die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 BetrVG sind mithin erfüllt.

Nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG in Verbindung mit § 15 Abs. 1 KSchG kann der Arbeitgeber eine vom Betriebsrat nicht erteilte Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen, wenn die außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist.

Dies setzt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Einem Wahlbewerber zur Betriebsratswahl kann nach §§ 15 Abs. 3 Satz 1 BetrVG, 626 Abs. 1 BGB nur außerordentlich gekündigt werden, wenn dem Arbeitgeber ohne den Sonderkündigungsschutz des Wahlbewerbers dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der hypothetisch einschlägigen ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre. Anderenfalls läge eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung von Betriebsratsmitgliedern wegen ihrer Betriebsratstätigkeit vor (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. Beschluss vom 10.02.1999 - 2 ABR 31/98 -, NZA 1999, 708, 709; BAG, Urteil vom 27.09.2001 - 2 AZR 487/00 -, EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 54).

b) Bei Anwendung dieses Maßstabs fehlt es an einem ausreichend wichtigen Grund für die beabsichtigte Kündigung des Beteiligten zu 3). Zwar stellt die Beleidigung von Vorgesetzten oder Arbeitskollegen einen Grund dar, der an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (vgl. BAG, Urteil vom 10.10.2002 - 2 AZR 418/01 -, EzA § 626 BGB 2002 Unkündbarkeit Nr. 1). Die vom Gesetz vorgegebene, auf der zweiten Prüfungsstufe durchzuführende umfassende Interessenabwägung vermag jedoch die darüber hinaus erforderliche Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 3) nicht zu begründen.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend herausgestellt hat, bestand das Arbeitsverhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3) bislang über einen Zeitraum von mehr als 35 Jahren beanstandungsfrei. Einschlägige Abmahnungen sind nicht vorhanden. Hinzu kommt, dass der Beteiligte zu 3) das streitgegenständliche Schreiben nicht nach reiflicher Überlegung verfasst hat, sondern dass dieses für die Antragstellerin erkennbar durch das am Vortag mit dem Vorgesetzten R geführte Gespräch ausgelöst worden ist. Das Schreiben ist äußerst impulsiv formuliert und lässt erkennen, dass es vom Beteiligten zu 3) in extrem aufgewühlter Verfassung - verursacht durch das Gespräch vom Vortag - verfasst worden ist. Darüber hinaus kann das Schreiben auch unabhängig von dem am Vortag geführten Gespräch nicht isoliert betrachtet werden, sondern das der Antragstellerin bekannte extrem gestörte zwischenmenschliche Verhältnis zwischen dem Beteiligten zu 3) und seinem unmittelbaren Vorgesetzten R muss in die Gesamtbeurteilung mit einfließen. In einer solchen Situation bedarf es eines außerordentlich gewichtigen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers, um eine Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses und einer gemeinsamen Weiterarbeit - ggfls. nach geänderter Arbeitsorganisation - annehmen zu können. Das Interesse des Beteiligten zu 3) an einer Fortsetzung seines langjährigen Arbeitsverhältnisses steht dabei ganz eindeutig im Vordergrund.

Das Auflösungsinteresse der Antragstellerin tritt dem gegenüber deutlich zurück. Sie begründet die von ihr angenommene Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Beteiligten zu 3) mit den im streitgegenständlichen Schreiben vom 11.03.2006 enthaltenen groben Beleidigungen und den hierdurch verursachten empfindlichen Störungen des Betriebsfriedens. Dabei werden Letztere jedoch nicht näher konkretisiert. Vielmehr meint die Antragstellerin, die besondere Schwere des von dem Beteiligten zu 3) praktizierten Verstoßes sei darin zu sehen, dass das Schreiben auch darauf abgezielt habe, die Autorität seines Vorgesetzten zu beschädigen. Dies allein vermag nach Auffassung der erkennenden Kammer das insbesondere aufgrund der außergewöhnlich langen Betriebszugehörigkeit extrem gewichtige Beschäftigungsinteresse des Beteiligten zu 3) jedoch nicht aufzuwiegen.

c) Mit dem Arbeitsgericht hält auch die Berufungskammer unter Berücksichtigung des ultima-ratio-Grundsatzes den Ausspruch einer Abmahnung im vorliegenden Fall für vorrangig. Darauf hat das Gericht die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung bereits ausdrücklich hingewiesen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der vorherige Ausspruch einer Abmahnung vor Ausspruch von Kündigungen bei Pflichtverletzungen im Verhaltensbereich grundsätzlich erforderlich (vgl. BAG, Urteil vom 17.02.1994 - 2 AZR 616/93 - NZA 1994, 656). Das gilt auch für den Vertrauensbereich, wenn es sich um eine steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers handelt und eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 04.06.1997 - 2 AZR 526/06 -, NZA 1997, 1281; BAG, Urteil vom 09.02.2006 - 6 AZR 47/05 -, AP Nr. 75 zu § 611 BGB Dienstordungs-Angestellter), oder der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen (BAG, Urteil vom 09.01.1986 - 2 ABR 24/85 -, NZA 1986, 467). Eine Abmahnung ist damit immer nur dann entbehrlich, wenn sie keinen Erfolg verspricht und den Arbeitnehmern nicht zu einem rechtmäßigen Verhalten anhalten kann.

Vorliegend handelt es sich - wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat - offensichtlich um ein steuerbares Verhalten. Hätte die Antragstellerin das streitgegenständliche Schreiben des Beteiligten zu 3) zum Anlass für eine ernsthafte Abmahnung genommen, wäre damit dem Beteiligten zu 3) die Fehlerhaftigkeit seines Verhaltens und der offensichtliche Fehlgriff in der Wortwahl deutlich vor Augen geführt worden. Damit hätte die Antragstellerin dem Beteiligten zu 3) die Gelegenheit gegeben, sein Fehlverhalten einzusehen und sein Verhalten im weiteren Arbeitsverhältnis entsprechend zu ändern. Genau dies hat der Beteiligte zu 3) mittlerweile im Laufe des gerichtlichen Verfahrens getan, wie sein auch in der mündlichen Verhandlung nochmals persönlich bestätigtes Bedauern hinsichtlich seiner Äußerungen zum Ausdruck gebracht hat. Für eine offensichtliche Untauglichkeit einer Abmahnung bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Dies gilt umso mehr, als das Arbeitsverhältnis zwischen der Antragstellerin und dem Beteiligten zu 3) bislang über mehr als 35 Jahre beanstandungsfrei abgelaufen ist.

d) Insgesamt liegen somit die Voraussetzungen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor, so dass eine Ersetzung der unterbliebenen Zustimmung des Beteiligten zu 2) zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3) nicht in Betracht kommt. Dies gilt dabei sowohl für die beabsichtigte außerordentliche fristlose als auch die außerordentliche mit sozialer Auslauffrist von 6 Monaten zum Quartal beabsichtigte Kündigung. In beiden Kündigungsalternativen überwiegt in ganz eindeutigem Maße das Fortführungsinteresse des Beteiligten zu 3) das Auflösungsinteresse der Antragstellerin. Darüber hinaus greift auch der oben dargestellte Abmahnungsvorrang für beide Kündigungsalternativen ein.

3. Schließlich kommt auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen ist. Eine derartige Vorgreiflichkeit besteht hier in zweifacher Hinsicht nicht. Zum einen geht es im vorliegenden Beschlussverfahren nicht um die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung, sondern die Beteiligten befinden sich wegen der erforderlichen Zustimmung des Beteiligten zu 2) hier noch im Vorstadium einer möglicherweise nach gerichtlicher Zustimmungsersetzung später auszusprechenden Kündigung. Für die Vorgreiflichkeit des anderen Verfahrens fehlt es daher im hiesigen Rechtsstreit an einem Beendigungstatbestand. Zum anderen hat die erkennende Kammer die Zustimmungsersetzungsanträge der Antragstellerin - wie oben dargestellt - als unbegründet abgewiesen, so dass eine konkurrierende Kündigung ohnehin nicht erfolgen kann.

III. Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen, da die Entscheidung auf den Umständen des Einzelfalles beruht und keine Rechtsfragen von grundsätzliche Bedeutung betrifft.

Ende der Entscheidung

Zurück