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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 12.05.2006
Aktenzeichen: 4 (12) Sa 69/06
Rechtsgebiete: Lohntarifvertrag des nordrheinwestfälischen Einzelhandels


Vorschriften:

Lohntarifvertrag des nordrheinwestfälischen Einzelhandels § 2
Zum Begriff der "körperlich schweren Arbeit" i. S. d. der Einzelhandelstarifverträge; hier: Kommissioniererin.
Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 23.11.2005 - 5 Ca 195/05 EU - abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin seit dem 01.01.2004 Vergütung nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu zahlen hat.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.01.2005 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung der Klägerin und um hieraus folgende Differenzlohnansprüche.

Die Klägerin ist als Kommissioniererin im Verteilerzentrum der Beklagten in W beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden der Manteltarifvertrag und der Lohntarifvertrag des nordrhein-westfälischen Einzelhandels Anwendung. Dieser Letztere lautet auszugsweise wie folgt:

§ 2 Lohnregelung

(1) Die gewerblichen Arbeitnehmer sind nach der von ihnen tatsächlich verrichteten Tätigkeit in eine der nachstehenden Lohngruppen einzugliedern. Die in den Lohngruppen aufgeführten Beispiele gelten als Richtbeispiele.

....................

Lohngruppe II

Arbeitskräfte für Tätigkeiten, die ohne handwerkliche Vor- und Ausbildung ausgeführt werden, die aber Lohnstaffel a) gewisse Fertigkeiten erfordern.

Beispiele:

.....................

Etikettierer, Auszeichner, Kommissionierer

.....................

Lohnstaffel b) in der Regel körperlich schweres Arbeiten erfordern

Beispiele:

Auszeichner, Kommissionierer

Die Klägerin erhält Lohn nach der Lohngruppe II Lohnstaffel a). Sie begehrt mit der Klage Vergütung nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b). Der Streit der Parteien geht allein darum, ob die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit als in der Regel körperlich schweres Arbeiten im Sinne des Tarifvertrages anzusehen ist.

Die Klägerin machte mit Schreiben vom 22.06.2004 für den Zeitraum ab dem 01.01.2004 die Eingruppierung in Lohngruppe II Lohnstaffel b) geltend. Die Differenz beträgt 181,00 € monatlich. Mit dem Zahlungsantrag begehrt die Klägerin diese Differenz für das gesamte Jahr 2004 (12 x 181,00 € = 2.172,00 €).

Die Aufgabe der Kommissioniererin im Verteilerzentrum W besteht aus der Zusammenstellung einer Palette mit Artikeln, die eine Filiale bestellt. Die von den Lieferanten gelieferten, auf Paletten gestapelten, in Kartons verpackten Waren stehen in Kommissioniergängen, sortiert nach Lager-Artikel-Nummern. Die Klägerin trägt ein sogenanntes Armterminal, welches auf dem Fotos Blatt 16 und 73 d. A. zu erkennen ist. Dieses wiegt 320 g. Es gibt die Ware und die Menge für die jeweils zu packende Europalette vor. Dabei zeigt es die jeweils nächsten drei Artikel mit Regal und Stellplatz an. Diese werden in einer sinnvollen Reihenfolge angezeigt, um unnötige Wege zu vermeiden. Die Klägerin arbeitet Position für Position ab.

Sie bewegt sich dabei auf einem Flurförderfahrzeug von Palettenstellplatz zu Palettenstellplatz, entnimmt von dort die Ware und legt sie auf die zu packende Europalette, die sich auf dem Flurförderfahrzeug befindet.

Die Paletten mit den zu packenden Waren stehen in Kommissioniergängen (Foto S. 24 des Sachverständigengutachtens). Die Gänge sind zwischen 2,60 m und 2,80 m breit, der Mittelgang 3,40 m.

Die zu packenden Waren befinden sich in drei Greifebenen (Foto Bl. 11 des Gutachtens), wovon die Ebene 1 eine untere Höhe von 14,5 cm und eine obere Höhe von 180,5 cm hat. Die mittlere Greifhöhe befindet sich dort in 97,5 cm Höhe. Die Ebene 2 liegt zwischen 14,5 und 144,5 cm. Die mittlere Greifhöhe beträgt 80 cm. Die Ebene 3 befindet sich zwischen 170 und 288 cm. Die mittlere Greifhöhe beträgt 229 cm (siehe Tabelle des Gutachters Bl. 12 des Gutachtens). Die darüber liegenden Ebenen dienen der Bevorratung. Dorthin braucht die Klägerin nicht zu greifen. Für das Greifen der Ware aus der mit der geringsten Bauhöhe versehenen Ebene 2 ist laut Gutachter eine leicht gebeugte (für gangnah gelagerte Ware) oder eine stark nach vorn und nach untern gebeugte Oberkörperhaltung (für die weiter hinten liegenden Waren) notwendig. Ähnliches gilt auch für die Ebene 1. Bedingt durch die größere Bauhöhe dieser Ebene kann die weiter hinten liegende Ware aber mit einem etwas weniger stark gebeugten Oberkörper gegriffen werden. Zur Erleichterung der Kommissionierung setzt die Beklagte Mitarbeiter ein, die die oberen Palettenstellplätze anfahren, um die Artikel auf der oberen Ebene für die Kommissionierung nach vorn zu ziehen, damit der Kommissionierer sie unmittelbar am vorderen Rand des Stellplatzes greifen kann.

Nach Abschluss der Kommission wird die Palette grob mit Folie gesichert und zu einer Verpackungsmaschine gefahren, dort abgesetzt und gänzlich mit Folie umwickelt. Damit ist der Kommissioniervorgang beendet. Anschließend kommt über das Armterminal der nächste Kommissionierauftrag dann, wenn die Klägerin die Fertigstellung des Einzelauftrages bestätigt.

Das Flurförderfahrzeug (Fotos Seiten 7, 11, 13, 14, 15 des Sachverständigengutachtens) ist 2,43 m lang, 81 cm breit und verfügt eine Kletterhilfe aus Stufen und Haltegerüst, wie sie auf den genannten Fotos zu erkennen ist. Die Belegschaft gebraucht für diese Kletterhilfe die Bezeichnung "Geweih".

Die Klägerin verrichtet ihre Tätigkeit stehend oder gehend, gebückt (s. o.) oder in gestreckter Körperhaltung, wenn Waren aus der oberen Ebene zu entnehmen sind. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin auch sitzend auf dem Flurförderfahrzeug fahren kann. Dazu ist unstreitig, dass auf dem Förderfahrzeug keine den Sicherheitsvorschriften entsprechende Sitzgelegenheit vorhanden ist. Nach Behauptung der Beklagten nutzen die Mitarbeiter gleichwohl die Kletterhilfe praktisch als Sitzgelegenheit. Nach Vortrag der Klägerin ist die Kletterhilfe dazu völlig ungeeignet; insbesondere könne durch ein solches Sitzen auf der Kletterhilfe keine Entlastung des Bewegungsapparates und des Skelettsystems durch Ausruhen im Sitzen möglich sein.

Pro Schicht werden nach Vortrag der Klägerin 6 - 8 , nach Vortrag der Beklagten 9 Europaletten gepackt.

Die zu kommissionierenden Artikel/Kartons haben ein Gewicht zwischen 120 g und 13 kg. Die Beklagte hat in der Zeit vom 01.12.2004 bis zum 31.01.2005 eine Erhebung getätigt, deren Ergebnisse zwischen den Parteien unstreitig sind. Danach haben ca. 70 % der kommissionierten Artikel/Kartons ein Gewicht bis zu 3 kg. Mehr als 90 % der Artikel wiegen weniger als 6 kg. 2,69 % haben ein Gewicht zwischen 10 und 13 kg. Die Beklagte hat weiter ermittelt, dass das durchschnittliche Gewicht, das ein Mitarbeiter in einer 7,5-stündigen Vollschicht zu heben hat, 3014,2 kg beträgt. Die Zahl der sogenannten "Greifeinheiten" pro Kommissionierer und Schicht beträgt durchschnittlich 1080.

Die Klägerin arbeitet in einer solchen 7,5 Stundenschicht. Ihr stehen insgesamt 45 Minuten als Pause zur Verfügung, die sie frei verteilen kann, von denen sie jedoch mindestens 15 Minuten ununterbrochen zurücklegen muss.

Die Parteien streiten hinsichtlich der Frage, unter welchem Zeitdruck die Klägerin steht. Die Beklagte trägt dazu vor, sie gehe bei ihren Planungen von zwei Greifeinheiten pro Minute aus und betont, dass die Klägerin den Umfang ihrer Arbeit selbst entscheide. Die Klägerin betont den Arbeitsdruck und beruft sich darauf - was als solches unstreitig ist - dass in den bei der Beklagten bestehenden Gruppen von 50 - 70 Kommissioniererinnen und Kommissionierern pro Gruppe eine Gruppenleiterin zuständig ist, die dafür verantwortlich ist, dass die Gruppenleistung erbracht wird. Die Gruppenleistung wird von der Beklagten je Kommissioniergruppe ermittelt. Erbringen Kommissionierer nicht die durchschnittliche Gruppenleistung, so erfolgt ein sogenanntes Bedarfsgespräch mit dem Gruppenleiter. In diesem Bedarfsgespräch wird die Ursache für die unterdurchschnittliche Leistung erfragt. Es kommt auch zu Ermahnungen. Die Klägerin bezieht sich ferner auf eine bereits erfolgte Abmahnung einer Kollegin. Die Beklagte trägt dazu vor, sie versuche in diesen Gesprächen nur die Ursachen für das Absinken der Leistung zu erforschen, um betriebliche Ursachen auszuschließen. Konsequenzen würden nur dann ergriffen, wenn eine "Leistungsverweigerung" deutlich werde, etwa dann, wenn ein Mitarbeiter nicht erklären könne, warum seine Arbeitsleistung ohne ersichtlichen äußeren Grund auf weniger als die Hälfte seiner eigenen oder der Gruppenleistung abgesunken sei.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Klägerin ab dem 01.01.2004 in der Lohngruppe II, Lohnstaffel b des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen eingruppiert ist;

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Zinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis durch einen Sachverständigen erhoben. Wegen der Einzelheiten des Sachverständigengutachtens vom 04.08.2005 wird auf Blatt 68 ff. d. A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat - dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens folgend - die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 28.12.2005 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.12.2005 Berufung eingelegt und diese am 21.02.2006 begründet.

Die Parteien setzen sich in der Berufungsbegründung und der Berufungserwiderung sowie den nachfolgenden Schriftsätzen im Wesentlichen mit dem Sachverständigengutachten auseinander. Insoweit wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.

Die Parteien streiten ferner darüber, ob in den Momenten, in denen die Klägerin auf dem Flurförderfahrzeug fährt, wegen des dabei erforderlichen Konzentrationsgrades schwere körperliche Arbeit vorliege. Auch insoweit wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 23.11.2005 - 5 Ca 195/05 - abzuändern und

festzustellen, dass der Klägerin seit dem 01.01.2004 Vergütung nach der Lohngruppe II Lohnstaffel b des Lohntarifvertrages für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen zu zahlen ist.

Die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.172,00 € brutto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechthängigkeit zu zahlen.

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegt und begründete Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.

I. Das Bundesarbeitsgericht hat in dem Beschluss vom 27.09.2000 (10 ABR 48/99) den Stand der Rechtsprechung zum Begriff der "körperlich schweren Arbeit" im Sinne der Lohntarifverträge des Einzelhandels zusammengefasst: Es hat dabei darauf hingewiesen, dass eine "schwere" im Sinne einer mühsamen, anstrengenden, harten und ermüdenden Arbeit nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts lediglich nach der reinen Muskelbeanspruchung zu beurteilen war und dass nach der späteren Rechtsprechung (insbesondere BAG 27.04.1988 - 4 AZR 407/88 - ) auch alle sonstigen Umstände zu berücksichtigen sind, die auf den Menschen belastend einwirken und zu körperlichen Reaktionen führen können. Es hat indes ebenso auf die Entscheidung vom 07.11.1990 (4 AZR 67/90) Bezug genommen, in der das Bundesarbeitsgericht es hat ausreichen lassen, dass eine Tätigkeit schon nach dem Ausmaß der festgestellten Muskelbeanspruchung als körperlich schwere Arbeit anzusehen sein kann. Auch in der Entscheidung vom 27.09.2000 hat das Bundesarbeitsgericht im Wesentlichen auf die Muskelbeanspruchung abgestellt. Danach ist zunächst festzuhalten, dass die körperlich schwere Arbeit auch allein aufgrund der erforderlichen Muskelbeanspruchung festgestellt werden kann und dass nicht notwendig noch weitere körperliche Faktoren hinzukommen müssen. Zusätzlich hat das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.09.2000 als wesentliche Belastungsfaktoren die einzunehmende Arbeitshaltung und die Tatsache herangezogen, dass die Arbeit im Gehen und Stehen auszuführen war und ein Ausruhen im Sitzen nicht möglich war.

Unter Hinweis auf die Entscheidung vom 29.07.1992, in der das Bundesarbeitsgericht schon nach dem Ausmaß der festgestellten Muskelbeanspruchung eine körperlich schwere Arbeit in einem Fall angenommen hatte, in dem Gewichte zwischen 2 kg und 17 kg, von denen Gebinde mit einem Gewicht von über 8 kg überwogen und insgesamt 8 - 10 Zentner arbeitstäglich - allerdings mit Hilfe von Rollcontainern - zu bewegen waren, hat das Bundesarbeitsgericht in dem Beschluss vom 27.09.2000 hervorgehoben, dass die in jener Entscheidung genannten Gewichte und Bewegungen nicht bedeuten, dass andere Gewichte oder Belastungen nicht zur Erfüllung der Merkmale der körperlich schweren Arbeit führen können.

Es hat in diesem Beschluss vom 27.09.2000 betont, dass aufgrund der in dem Tarifvertrag gegebenen Regelbeispiele an das Ausmaß der körperlich schweren Arbeit hinsichtlich der muskelmäßigen Belastung keine hohen Anforderungen zu stellen seien. Wenn die Tarifparteien das Merkmal der in der Regel erforderlichen körperlich schweren Arbeit durch Beispiel konkretisierten, so spreche dies für ihren Willen, diese Beispiele auch als Auslegungskriterien heranzuziehen.

Was schließlich den Begriff "in der Regel" anbelangt, so betont das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.09.2000 im Anschluss an das Urteil vom 29.07.1992, dass es ausreicht, dass die körperlich belastende Tätigkeit nicht nur vorübergehend vorkommt und dass es nicht darauf ankommt, dass die schwere körperliche Arbeit im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit überwiegend erbracht wird. Auch dazu verweist das Bundesarbeitsgericht wieder auf die Tätigkeitsbeispiele wie Beifahrer, Elektrokarrenfahrer, Pförtner und Tankstellengehilfen. Auch dort sei es nicht typisch, dass arbeitszeitlich überwiegend eine schwere körperliche Arbeit verlangt werde. Kennzeichnend sei eher, dass schwere körperliche Arbeit üblicherweise regelmäßig wiederkehrend möglich sei. In concreto hat das Bundesarbeitsgericht ausreichen lassen, dass die schwere körperliche Arbeit in jeder Schicht wieder auftrete und damit regelmäßig und nicht nur gelegentlich gegeben sei. Damit werde sie "in der Regel" im Sinne der Lohngruppe geleistet.

II. Nach diesen Maßgaben ist im vorliegenden Fall festzustellen, dass die Tätigkeit der Klägerin in der Regel körperlich schwere Arbeiten erfordert.

Zu dem Sachverständigengutachten ist insoweit zunächst festzuhalten, dass - wie den Parteien bekannt ist - nicht der Sachverständige, sondern das Gericht über den Rechtsbegriff und die Subsumtion der Tatsachen zu entscheiden hat. Das Sachverständigengutachten - dieses kritisiert die Klägerin zu Recht - subsumiert im Übrigen trotz der Wiedergabe der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Kernpunkten nicht unter diese Rechtsprechung. Es setzt sich über weite Teile mit Fragen des Arbeitsschutzes auseinander, was für die Frage, ob körperlich schwere Arbeit vorliegt, irrelevant ist. Wenn auch den wertenden Schlussfolgerungen des Gutachtens im Ergebnis nicht gefolgt werden kann, so geben doch die tatsächlichen Feststellungen hilfreiche Anhaltpunkte zur Entscheidung des Falles.

1. Das Gutachten geht von einem Durchschnittsgewicht pro Packeinheit von 2,76 kg und dem Gewicht des Handterminals von 0,32 kg mithin einem Gesamtdurchschnittsgewicht pro Greifeinheit von 3,08 kg aus. Nach dem Beklagtenvorbringen ist von einem noch leicht höheren Durchschnittsgewicht, nämlich von ca. 3,3 kg auszugehen. Dieses ergibt sich schon aus folgender Rechnung: Nach den unstreitigen Angaben der Beklagten ist von 1.080 durchschnittlichen Greifeinheiten täglich auszugehen. Nach ihren Angaben beträgt das durchschnittliche Gesamtgewicht, dass ein Mitarbeiter in einer Vollschicht zu heben hat, 3014,2 kg. Danach ergibt sich pro Greifeinheit ein durchschnittliches Warengewicht von 2,97 kg. Dem ist das Gewicht des Armterminals hinzuzurechnen.

Nach Auffassung der Kammer spricht eine solche Belastung angesichts der vom Bundesarbeitsgericht postulierten nicht zu hohen Anforderungen an den Begriff der schweren körperlichen Arbeit für sich genommen jedenfalls dann schon für die Erfüllung dieses Merkmals, wenn - wie im vorliegenden Fall - pro Tag über 1000 Greifvorgänge, d. h. Hebe- und Tragevorgänge von den Regalen zur Palette, anfallen.

2. Erst Recht gelangt man angesichts des vom Bundesarbeitsgericht bestimmten Merkmals "in der Regel" dazu, dass die Tätigkeit der Klägerin "in der Regel" schwere körperliche Arbeit erfordert, wenn man nicht nur das Durchschnittsgewicht sondern die Verteilung der Gewichte berücksichtigt. Nach Vortrag der Beklagten handelte es sich zu ca. 70 % um Gewichte bis zu 3 kg, zu mehr als 90 % um Gewichte bis zu 6 kg.

Während im Durchschnitt über die gesamte 7,5-stündige Schicht etwa alle 25 Sekunden ein Greifvorgang anfällt (60 x 60 x 7,5 : 1080), fällt etwa alle 83 Sekunden ein Greifvorgang an, der Gewichte von mehr als 3 kg betrifft. Diese Zeitfrequenz für solche schwereren Gewichte ergibt sich aus folgender Rechnung: 60 x 60 x 7,5 = 27000 Sekunden pro Schicht. 30 % von 1080 = 324 entsprechende Greifvorgänge. 27000 geteilt durch 324 = 83 Sekunden.

Auch das Heben und Tragen von Gewichten über 6 kg fällt "in der Regel" an. Etwa 10 % der Greifvorgänge betreffen nach Beklagtenvorbringen solche Gewichte. Das sind etwa 108 Greifvorgänge pro Schicht und durchschnittlich einer alle 250 Sekunden.

Schließlich ist das Merkmal "in der Regel" auch noch bei erheblichen Gewichten von 10 - 13 kg erfüllt. Nach Angaben der Beklagten handelt es sich bei den bewegten Artikeln zu 2,69 % um solche Artikel zwischen 10 und 13 kg. 2,69 % von 1080 sind ca. 30 (29,052). Damit fallen pro Tag 30 Hebe- und Tragevorgänge mit dieser Gewichtsbelastung von 10 - 13 kg an. Bei durchschnittlicher Verteilung ergäbe sich ein solcher Vorgang alle 15 Minuten.

3. Zusätzlich ist wegen der durch die Körperhaltung gegebenen erheblichen körperlichen Beanspruchung in der Regel von schwerer körperlicher Arbeit auszugehen. Dazu hat der Sachverständige dargelegt, dass auch bei kleinen Lasten eine ungünstige Körperhaltung eine erhebliche Belastung darstellen kann, weil erhebliche Teile des eigenen Körpergewichts bei ungünstigen Körperhaltungen mitzubewegen sind. Der Sachverständige hat aufgrund der von ihm gefertigten Videoaufnahme hinsichtlich der Greifvorgänge festgestellt, dass ca. 25 % der Greifvorgänge mit einer anhand der Leitmerkmalmethode festzustellenden Haltungswichtung von mehr als 2 zu belegen sind. Dabei handelt es sich - wie aus der Tabelle Seite 16 des Gutachtens hervorgeht - um Greifen in tiefgebückter Haltung, um Greifen in gestreckter Haltung, um Ablegen in tiefgebückter Haltung und - selten - um Ablegen in gestreckter Haltung sowie - ebenfalls selten - um Sortiervorgänge auf der Europalette in tiefgebückter Haltung. Alle diese Vorgänge hat der Sachverständige mit einer Haltungswichtung von 4 nach der Leitmerkmalmethode belegt. Ausweislich der Anlage zu dem Gutachten stellt die Ziffer 4 die zweithöchste Kategorie der Haltungswichtung dar. Sie gilt für tiefes Beugen oder weites Vorneigen, geringe Vorneigung mit gleichzeitigen Verdrehen des Oberkörpers, Last körperfern und über Schulterhöhe. Der Sachverständige kommt zu der Feststellung, dass für alle Einzelvorgänge, die mit einer Wichtung von mehr als 2 bewertet werden, von einer hohen körperlichen Beanspruchung durch die Körperhaltung ausgegangen werden muss.

Überträgt man die bei der Beobachtung festgestellte Prozentzahl von 25 derjenigen Greifvorgänge, die von einer solch hohen körperlichen Beanspruchung gekennzeichnet sind, auf die von der Beklagten vorgetragene Durchschnittszahl von 1080 Greifvorgängen pro Schicht, so sind 270 Greifvorgänge von einer solch hohen körperlichen Beanspruchung aufgrund der Haltung gekennzeichnet. Bezogen auf die Zeitverteilung fallen solche Vorgänge alle durchschnittlich 100 Sekunden an (27000 : 270).

Die Beurteilung des Sachverständigen, dass mit einem Anteil von 25 % an der Gesamtzahl der Greifvorgänge belegt sei, dass diese Tätigkeiten zwar nicht nur gelegentlich anfielen, aber auch nicht häufig wiederkehrten (Seite 19 des Gutachtens), womit der Gutachter offensichtlich diese Vorgänge nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als nicht regelmäßig anfallend kennzeichnen will, ist angesichts der Definition des Begriffes "in der Regel" durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts indes offensichtlich verfehlt. Ein Vorgang, der nicht nur einmal pro Schicht, sondern 270 mal pro Schicht anfällt, ist offensichtlich häufig wiederkehrend und fällt damit "in der Regel" an.

4. Ohne dass es für die Entscheidung nach dem zuvor Gesagten noch darauf ankäme, spricht weiter für regelmäßiges körperlich schweres Arbeiten, dass es sich um eine reine Steh- und Gehtätigkeit handelt. Warum der Gutachter dieses bei der Haltungswichtung ausdrücklich nicht berücksichtigt (Seite 19 des Gutachtens), ist unter dem Gesichtspunkt des körperlich schweren Arbeitens ebenfalls nicht nachvollziehbar. Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom 27.09.2000 auch dieser Tatsache Bedeutung zumisst.

Die Tätigkeit der Klägerin vollzieht sich über die gesamte 7,5 Stundenschicht jedenfalls nahezu ausschließlich im Gehen oder Stehen, wobei zu einem erheblichen Teil gebückte Haltungen und gestreckte Haltungen gegeben sind.

Soweit die Beklagte vorträgt, die Kommissioniererinnen nutzten die Kletterhilfe, dass sogenannte "Geweih", beim Fahren des Flurförderfahrzeuges als Sitzgelegenheit, räumt sie gleichzeitig ein, dass unter Sicherheitsgesichtspunkten dieses nicht zulässig sei. Jedenfalls kann angesichts der Konstruktion der Kletterhilfe, wie sie aufgrund der Fotografien sichtbar ist, nicht davon ausgegangen werden, dass - dazu noch während des Fahrens des Flurförderungsgerätes - auf der Kletterhilfe ein Sitzen möglich wäre, welches zu körperlicher Entspannung führen könnte.

5. Auch aus der von der Beklagten verlangten "Gesamtschau" ist nach dem Vorgesagten die Tätigkeit der Klägerin, in der in hoher Frequenz körperlich stark belastende Hebevorgänge und Körperhaltungen anfallen, als "in der Regel körperlich schweres Arbeiten" anzusehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat die Revision nicht zugelassen, da in den zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts alle grundsätzlichen Fragen, die zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erheblich sind, geklärt sind.

Ende der Entscheidung

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