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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 08.05.2009
Aktenzeichen: 4 Sa 1063/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
Eine Frist darf im Fristenkalender nicht gestrichen werden, wenn der unterschriebene Schriftsatz nur in einen Postausgangskorb gelegt wird, danach aber noch von den Kanzleikräften auf "Verhakungen" geprüft, kuvertiert und frankiert werden muss, bevor er in eine Tasche gelegt wird, die bei der Post abgegeben wird.
Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.07.2008 - 1 Ca 1357/08 - wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in der Hauptsache im Wege einer Vollstreckungsgegenklage - soweit das in der Zweiten Instanz noch anfällt - darum, ob aus den Ziffern 2 und 3 (Entgeltzahlung und Abfindung ) des zwischen ihnen in einem vorausgegangenen Kündigungsrechtsstreit geschlossenen Vergleiches noch vollstreckt werden kann. Die Beklagte wendet Erfüllung ein. Es geht im Wesentlichen darum, ob die Beklagte durch die Abführung von Steuern und Auszahlung des restlichen Nettobetrages die Forderungen erfüllt habe. Der Beklagte ist der Auffassung, dass er weiterhin den vollen Bruttobetrag vollstrecken könne.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10.07.2008 die Klage abgewiesen. Dieses Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 08.08.2008 zugestellt.

Gegen dieses Urteil legte der Beklagte am 05.09.2008 Berufung ein.

Innerhalb der bis zum 08.10.2008 laufenden Berufungsbegründungsfrist ging eine Berufungsbegründung nicht ein. Darauf wurde der Beklagte mit gerichtlichem Schreiben vom 21.10.2008, welches seinem Prozessbevollmächtigten am 22.10.2008 zuging, hingewiesen. Am 29.10.2009 ging der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten mit Berufungsbegründung per Fax beim Landesarbeitsgericht ein. Mit gerichtlichem Schreiben vom 03.11.2008 wurde der Beklagte auf weitere ergänzungsbedürftige Fragen hingewiesen. Insbesondere wurde die Frage gestellt, wer die Berufungsschrift an welchem Datum postfertig gemacht habe, wer die an das Landesarbeitsgericht adressierte Berufungsbegründung an welchem Datum zur Post gebracht habe und wer unter welchem Datum die Erledigung der Zuleitung der Berufungsbegründungsschrift an das Landesarbeitsgericht im Fristenkalender eingetragen habe. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ergänzte seinen Vortrag zur Wiedereinsetzung mit Schriftsatz vom 09.11.2008, der am 11.11.2008 bei Gericht einging.

Der Prozessbevollmächtigte trägt zur Wiedereinsetzung Folgendes vor:

Er habe in der Nacht vom 14.09./15.09.2008 die Berufungsbegründung und ein Schreiben an die HUK wegen Gebührenfragen aus der ersten Instanz persönlich am PC verfasst. Er habe sodann sowohl den von ihm selbst ausgedruckten, gestempelten, unterschriebenen, gehefteten und gelochten, auf Heftstreifen gezogenen Berufungsschriftsatz (gemeint ist ersichtlich der Berufungsbegründungsschriftsatz) in ordnungsgemäßer Art und Weise in den Postausgangskorb gelegt. Gleiches gelte für das Anschreiben an die HUK.

Der Postausgangskorb sei für die Anwälte der Kanzlei grundsätzlich die letzte denkbare Station: Komme es vor, dass ein Schriftsatz einmal selbst angefertigt werde, würden die im Postausgangskorb befindlichen Poststücke der Obhut der erfahrenen und zuverlässigen Fachangestellten Frau P und Frau K überlassen. Sie würden auf Unterschrift kontrolliert, auf "Verhakungen", sie würden kuvertiert und frankiert. Am Dienstende würden sie in eine gesonderte Tasche gelegt und bei der Post abgegeben. Es habe hier noch nie Anlass zur Klage gegeben. Das System funktioniere uneingeschränkt zuverlässig. Das Schreiben an die HUK sei dieser auch zugegangen.

Im ergänzenden Schriftsatz vom 09.11.2008 wird auf die Fragen des Gerichts weiter vorgetragen:

Wenn jemand in der vorliegenden Angelegenheit die Verantwortung trage, dann einzig der unterzeichnende Prozessbevollmächtigte. Die angestellten Damen hätten keinen Fehler gemacht. Er, der Prozessbevollmächtigte, habe alle relevanten Tätigkeiten "bis in den Postkorb" durchgeführt. Von den Damen werde dann nur noch das Einkuvertieren, das Abstempeln in der Frankiermaschine, das Zusammenpacken und das Austragen zum Briefkasten übernommen.

Es habe auch keine Postrückläufer gegeben.

Der Erledigungsvermerk in der vorliegenden Angelegenheit (Kopie aus dem Fristenbuch vom 02.10.2008, Bl. 136 d. A.) sei vom Prozessbevollmächtigten selbst angebracht worden, nämlich durch das geschwungene D auf der Kopie des Terminskalenders.

Das Datum der Streichung sei nicht notiert. Dessen Notierung sei auch nicht vorgesehen ebenso wie ein Postausgangsbuch nicht geführt werde. Die Regel sei, dass eine Frist nur gestrichen werden dürfe, wenn sie erledigt sei. Erledigt sei sie, wenn das entsprechende Schriftstück unterschrieben und geheftet im Postausgangskorb liege.

Der Beklagte beantragt,

1. hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren;

2. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.07.2008 - 1 Ca 1357/08 - abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung als unzulässig zu verwerfen;

2. hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin hält die Berufung für unzulässig. Die Postausgangskontrolle sei nicht hinreichend organisiert.

Wegen des übrigen, insbesondere mit Rechtsausführungen geführten Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die Berufungsbegründung, die Berufungserwiderung und den Beklagtenschriftsatz vom 28.01.2009 sowie den Klägerschriftsatz vom 16.02.2009 Bezug genommen.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung war als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG begründet worden ist.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zurückzuweisen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Berufungsbegründungsfrist schuldlos versäumt wurde.

1. Gemäß § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung zu wahren. Wegen § 85 Abs. 2 ZPO steht das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleich.

Zur Schlüssigkeit eines Wiedereinsetzungsgesuches gehört es, dass der Antragsteller einen Verfahrensablauf vorträgt, der ein Verschulden zweifelsfrei ausschließt (BAG 10.01.2003, NJW 2003, 1270).

2. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten kann nicht ausgeschlossen werden, da nach seinem Vortrag die Postausgangskontrolle fehlerhaft organisiert war und der Prozessbevollmächtigte die Frist als erledigt gestrichen hat, bevor die Berufungsbegründungsfrist die "letzte Station" erreicht hatte.

Da zum weiteren Gang des Schriftstücks, nachdem dieses nach Vortrag des Prozessbevollmächtigten von ihm in den Postausgangskorb gelegt worden war, nichts vorgetragen und glaubhaft gemacht worden ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass im Bereich der mit den weiteren Tätigkeiten befassten Angestellten ein Fehler passiert ist, der - wäre die Postausgangskontrolle zutreffend organisiert - hätte auffallen müssen.

3. Zur notwendigen Postausgangskontrolle gehört Folgendes:

Fristwahrende Maßnahmen dürfen vor ihrer Durchführung im Kalender erst dann als erledigt gekennzeichnet werden, wenn sie eingeleitet sind und allgemein dafür Sorge getragen ist, dass dieser einleitende Vorgang zuverlässig zum Abschluss der fristwahrenden Maßnahme führt. Mit der Einlegung fristwahrender Schriftsätze in ein Postausgangsfach hat die Erreichung bei dem Adressaten nur begonnen, wenn diese Post anschließend unmittelbar zum Adressaten verbracht wird (BGH 09.09.1997 - IX ZB 80/97 - NJW 1997, 3446). Dieses letztere ist dann anzunehmen, wenn der fristwahrende Schriftsatz in ein Postausgangsfach des Rechtsanwalts gelegt wird und die abgehende Post von dort unmittelbar zum Briefkasten gebracht wird, das Postausgangsfach also "letzte Station" auf dem Weg zum Adressaten ist (BGH 11.01.2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577). Der Schriftsatz muss soweit postfertig gemacht worden sein, dass die Beförderung zu der Stelle, für die der Schriftsatz bestimmt ist, organisatorisch soweit vorbereitet ist, dass sie durch Versehen, welche die eigentliche Beförderung nicht betreffen, nicht mehr verhindert werden kann (BGH 09.09.1997 a. a. O.). "Postfertig" gemacht in diesem Sinne ist das Schriftstück dann, wenn es kuvertiert ist und aufgrund allgemeiner organisatorischer Anweisungen gewährleistet ist, dass es an einer Stelle abgelegt ist, von wo aus lagernde Briefe ohne weitere Zwischenschritte noch am selben Tag frankiert und zur Post gegeben werden (BGH 11.01.2001 - III ZR 148/00 - NJW 2001, 1577).

4. Das Postausgangsfach, in das der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den unterschriebenen und gehefteten Schriftsatz gelegt hat, war in diesem Sinne nicht "letzte Station". Der Schriftsatz war nicht "postfertig" gemacht. Der vom Prozessbevollmächtigten des Beklagten beschriebene "Postausgangskorb" war nicht letzte Station zur Beförderung in den Briefkasten oder zur Übergabe an einen Kurier. Er war lediglich bestimmt zur Übergabe an die Fachangestellten P und K , die weitere Tätigkeiten vorzunehmen hatten, nämlich die Unterschriftskontrolle, die Kontrolle auf "Verhakungen", die Kuvertierung und Frankierung und das Einlegen in eine "gesonderte Tasche", die erst tatsächlich als "letzte Station" dazu bestimmt war, die Schriftstücke bei der Post abzugeben.

5. Wäre die Ausgangsorganisation ordnungsgemäß gewesen, wäre nämlich durch allgemeine Anweisungen sichergestellt gewesen, dass die Frist erst dann als erledigt gestrichen würde, wenn sich das Schriftstück in dem genannten Sinne in der letzten Station befand, so hätte aufgrund des Fristenbuchs vom 02.10. die Nichtabsendung aufgrund möglicher Fehler im Bereich des Büros festgestellt werden können. Da diese nicht auszuschließen sind, aber aufgrund der dem Prozessbevollmächtigten obliegenden Organisation der Postausgangskontrolle hätten auffallen müssen, kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass den Prozessbevollmächtigten des Beklagten kein Verschulden traf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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