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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.08.2005
Aktenzeichen: 4 Sa 335/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
Verschiedene Krankheiten bei erheblicher Häufung lassen auf eine außergewöhnliche Krankheitsanfälligkeit schließen, ohne dass das Berufungsgericht durch einen Sachverständigengutachten bei jeder einzelnen der Erkrankungen eine konkrete Zukunftsprognose hinsichtlich der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten aufklären müsste (im Anschluss an BAG 20.01.2000 - 2 AZR 378/99 -).
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.11.2004 - 6 Ca 1025/04 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten über eine krankheitsbedingte Kündigung. Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Anträgen wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils mit der Maßgabe Bezug genommen, dass der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 18.11.2004 auch noch folgenden 4. Antrag gestellt hat: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 08.03.2004 beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses ihm am 15.02.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04.03.2005 Berufung eingelegt und diese am 13.04.2005 begründet. Der Kläger meint, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht aus eigenem Ermessen eine negative Prognose gefolgert. Die Zeiten ab dem 22.01. seien für die erste Kündigung gar nicht relevant. Im übrigen habe der Kläger dem Mitarbeiter der Beklagten, Herrn H , mitgeteilt, dass er einen Arbeitsunfall gehabt habe. Dieser habe ihn zum Arzt geschickt. Der Zeitraum vom 30.09. bis zum 18.10.2003 sei auf einen Verkehrsunfall zurückzuführen. Auch die Zeit vom 31.01. bis zum 15.02.2003 scheide als prognoserelevant aus, da sie Folge eines Unfallereignisses gewesen sei. Es ergebe sich, dass der Kläger im Jahre 2002 überhaupt nur 28 Tage arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Ziehe man die Zeiten vom 31.01. bis zum 15.02.2003 und vom 30.09. bis zum 18.10.2003 als nicht berücksichtigungsfähig ab, verbleibe es im Jahr 2003 bei 45 Krankheitstagen. Dies liege nicht wesentlich über der hinzunehmenden Krankheitsdauer, die ein Arbeitgeber zu unterstellen habe. Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.11.2004 abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 08.01.2004 nicht beendet worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 08.03.2004 beendet worden ist, sowie

3. im Falle des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Paketzusteller weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie bestreitet erneut, dass die Zeit ab dem 22.01.2004 auf einen Arbeitsunfall zurückgehe. Ein solcher sei nie gemeldet worden. Auch nach der Schilderung des Klägers liege kein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 SGB VII vor. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass bereits am 20.02.2003 eine krankheitsbedingte Kündigung ausgesprochen worden sei. Nach erfolgter Wiederaufnahme der Tätigkeiten habe es keine 6 Wochen gedauert, bis der Kläger erneut arbeitsunfähig ausgefallen sei. Darüber hinaus sei die mehr als 100 % ige Steigerung der Ausfalltage zu berücksichtigen. Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren. Entscheidungsgründe: Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in drei Stufen zu erfolgen. Danach ist zunächst eine Negativprognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich. Die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers müssen weiter zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Sie können durch Störungen im Betriebsablauf oder wirtschaftlicher Belastungen hervorgerufen werden. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billiger Weise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (vgl. z. B. BAG, 20.01.2000- 2 AZR 378/99 - ). I. Hinsichtlich der Prognose gilt Folgendes: Nach Rechtsprechung des BAG indizieren häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit zunächst einen entsprechenden Krankheitsverlauf in der Zukunft (vgl. z.B. BAG, 23.06.1983 - 2 AZR 15/82 - ). Aus zahlreichen unterschiedlichen Diagnosen kann geschlossen werden, es handele sich nicht um einmalige Erkrankungen ohne konkrete Wiederholungsgefahr (BAG, 20.01.2000 - 2 AZR 378/99 - ). Solche wechselnden Diagnosen waren im Fall des BAG z. B. Gastritis, Lumbago, Kopfschmerz, Infektionen der oberen Luftwege, Bronchitis, Heuschnupfen, Grippaler Effekt, Allergische Rinitis, Kreislaufstörungen (wie noch zu zeigen wird mit erheblichen Parallelen zum vorliegenden Fall). Dabei lassen gerade bei einem verhältnismäßig jungen Arbeitnehmer zahlreiche Erkrankungen in der Vergangenheit auf die Gefahr sich ständig wiederholenden Erkrankungen schließen (BAG, a. a. O.). Verschiedene Krankheiten in ihrer Häufung lassen auf eine außergewöhnliche Krankheitsanfälligkeit schließen, ohne dass das Berufungsgericht durch einen Sachverständigengutachten bei jeder einzelnen der Erkrankungen einen konkrete Zukunftsprognose hinsichtlich der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten aufklären müsste (so ausdrücklich BAG, a. a. O.). Der Kläger ist am 11.06.2001 mit einem befristeten Vertrag bis zum 31.12.2001 eingestellt worden. Mit Wirkung vom 01.01.2002 wurde sein Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis umgewandelt. Der Kläger hatte von Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zur ersten Kündigung folgende Fehlzeiten mit folgenden Diagnosen: Ausweislich der vom Kläger ausdrücklich zugestandenen (Bl. 41. d. A.) Darstellung der Krankheitstage durch die Beklagte wies er in den ersten 6 Monaten des befristeten Bestandes des Arbeitsverhältnisses keine Fehlzeiten auf. Dieses entspricht auch der Auflistung der Krankenkasse des Klägers, die von diesem eingereicht wurde (Bl. 49 ff. d. A.). Die erste krankheitsbedingte Fehlzeit im vorliegenden Arbeitsverhältnis begann am 17.01.2002. Danach ergeben sich folgende Fehlzeiten und Diagnosen, die jeweils von Lohnfortzahlungen begleitet waren (vgl. die Auflistung der Beklagten Bl. 36 ff. d. A.): Beginn|Ende|Tage| Diagnose 17.01.2002|19.01.2002|3|Akute Bronchitis Akute Pharyngitis 22.01.2002|26.01.2002|5|Schwindel zentralen Ursprungs Grippe oder nachgewiesene Virenbeteiligung 10.08.2002||1|Ohne Diagnose 13.08.2002|19.08.2002|6|Nicht infektiöse Gastroentaritis, Kolitis, Husten 16.09.2002|23.09.2002|8|Offene Wunde an Körperregionen, angeborene Deformitäten der Füße, R Vaskuläre Myelopathien 18.12.2002|21.12.2002|4|Akute Bronchitis 31.01.2003|15.02.2003|12|L Otalgie, Schulterläsion 05.06.2003|14.06.2003|8|Allergie 28.07.2003|16.08.2003|15|Kreuzschmerz (teilw. ohne Diagnose) 10.09.2003|13.09.2003|4|Otitis Externa 30.09.2003|18.10.2003|14|Kopfschmerz, Verletzung, Kreuzschmerz vom Kläger - von der Beklagten - bestritten - als Folge eines Verkehrsunfalls angegeben 20.12.2003|21.12.2003|1|Ohne Diagnose 29.12.2003|31.12.2003|3|Akute Bronchitis, Akute Sinusitis 01.01.2004|bis zur ersten Kündigung|14|Akute Bronchitis, Akute Sinusitis

Wie im Falle des BAG wechseln sich in schneller Folge Atemwegserkrankungen (Sinusitis, Bronchitits, Husten) sowie aus dem HNO - Bereich stammende Erkrankungen (wie Otalgie und Otitis) mit orthopädischen Diagnosen (Deformität der Füße, Kreuzschmerz, Spondilitis) und weiteren Erkrankungen wie Allergien ab. Dasselbe Bild ergibt sich auch aus den vom Kläger angegebenen zahlreichen Diagnosen aus der Zeit vor dem Arbeitsverhältnis. So bescheinigte die Krankenkasse dem Kläger allein im Jahre 1998 13 verschiedene Arbeitsunfähigkeitszeiten bei denen wieder das im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten aufgetauchte Gesamtbild deutlich zu Tage tritt mit Diagnosen wie unklaren Rückenschmerzen, Verdacht auf Ulcus Duodeni, Akutes Lendenwirbelsäulensyndrom, Diarrhoe, Lumbalsyndrom, Tracheobronchitis, unklaren abdominellen Beschwerden, Infekte der oberen Luftwege, Sinubronchitis, Gastroenteritis, Cephalgie, Virusinfekt.

Ein solches Krankheitsbild bei einem noch jungen Menschen (der Kläger ist im Jahre 1979 geboren und war zu Beginn des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten gerade 22 Jahre alt) lassen nur - soweit die Krankheiten nicht vorgetäuscht sind - auf einen außergewöhnlich anfälligen jungen Menschen schließen. Damit ist davon ausgehen, dass die im Laufe der kurzen Zeit des Arbeitsverhältnisses immer zahlreicher gewordenen Fehlzeiten, die im Jahre 2003 57 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung betrugen, so und ggfs. verstärkt fortgesetzt hätten.

Die Kammer geht dabei davon aus, dass auch die Fehlzeit vom 03.09. bis zum 18.10.2003 prognoserelevant ist. Der Kläger hat zwar behauptet, diese gehe auf einen Verkehrsunfall zurück, die Beklagte hat den Verkehrsunfall bestritten, der Kläger hat ihn - obwohl - wenn er überhaupt - er in seiner Sphäre passiert ist, nie substantiiert.

Die Fehlzeit vom 31.01.2003 bis zum 15.02.2003 ist ebenfalls als prognoserelevant mitzurechnen, obwohl der Kläger dazu vorgetragen hat, sie gehe auf eine Verletzung bei einem privaten Fitnesstraining zurück. Zum einen sind Aktivitäten wie privates Fitnesstraining immer geeignet, Verletzungen herbeizuführen, zum anderen lag neben der für diese Zeit diagnostizierten Schulterläsion noch eine diagnostizierte Otalgie (Ohrenschmerzen) vor.

II. Auf der zweiten Prüfungsstufe ist nach dem oben Gesagten eine erhebliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der Beklagten zu prüfen. Dabei kann auf die geleisteten und noch zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten abgestellt werden. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG stellen allein die entstandenen und künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind, eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen dar (BAG, 20.01.2000 - 2 AZR 378/99 - ). Die Kammer geht davon aus, dass die Beklagte in Zukunft mit Fehlzeiten mit erheblich über 6 Wochen jährlich zu rechnen hatte. Selbst wenn man die 14 Arbeitstage vom 30.09. bis zum 18.10.2003 herausrechnete, weist der Kläger im Jahre 2003 noch 43 Arbeitstage mit Lohnfortzahlung auf. Dieses liegt bei dem 1 1/2 - fachen der 6 Wochen. III. Schließlich ist eine abschließende Interessenabwägung vorzunehmen. Dabei sind u. a. die familiären Verhältnisse des Arbeitnehmers sowie das Lebensalter und die Beschäftigungszeit zu berücksichtigen. Es ist zu prüfen, ob die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen durch die Entgeltfortzahlungskosten (Stufe 2) aufgrund der Besonderheit des Einzelfalles vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen sind oder ihn überfordern. Im vorliegenden Fall fällt die Interessenabwägung zu Lasten des Klägers aus: Der Kläger war bei Beginn des Arbeitsverhältnisses erst 22 Jahre alt. Nachdem er während der Probezeit keine Arbeitsunfähigkeitszeiten aufwies, war bereits das erste Jahr nach der Probezeit mit erheblichen Fehlzeiten belastet, die die Sechswochengrenze nahezu erreichten. Im darauffolgenden Jahr steigerten sich diese Fehlzeiten noch erheblich auf - je nachdem ob die angeblich von einem Verkehrsunfall verursachte Fehlzeit mitgezählt wird oder nicht - das 1 1/2 - fache bzw. das Doppelte der 6 Wochen. Das Arbeitsverhältnis war von Anfang des unbefristeten Arbeitsverhältnisses an erheblich belastet. Der Kläger ist ledig und keiner Person zum Unterhalt verpflichtet. Zusätzlich spricht gegen den Kläger die ungewöhnlich hohe Zahl von einzelnen Fehlzeiten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass typischerweise bei einem - aus der Natur der Sache - unerwarteten Ausfall eines Arbeitnehmers Dispositionsprobleme auftreten. Es müssen Arbeitnehmer, deren Einsatz an anderer Stelle geplant war, kurzfristig umdisponiert werden. Insgesamt ist aufgrund der ungewöhnlich häufigen und hohen Fehlzeiten eines sehr jungen Arbeitnehmers, dessen Arbeitsverhältnis erst kurze Zeit bestand, Der Kläger ist am 11.06.2001 mit einem befristeten Vertrag bis zum 31.12.2001 eingestellt worden. Mit Wirkung vom 01.01.2002 wurde sein Arbeitsverhältnis in ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis umgewandelt und der dadurch hervorgerufenen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der Beklagten die Kündigung sozial gerechtfertigt. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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