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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 26.04.2002
Aktenzeichen: 4 Sa 93/02
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrAVG


Vorschriften:

ArbGG § 9 Abs. 5
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 2 a.F.
BetrAVG § 7
BetrAVG § 16
BetrAVG § 7 Abs. 1 Nr. 5
Seit der Streichung des früheren § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG kann der Arbeitgeber nicht mehr - ohne einen außergerichtlichen Vergleich mit dem PSV und dem Betriebsrentner - die Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlage widerrufen.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 93/02

Verkündet am: 26.04.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 26.04.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr May und Herr Kaulertz

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.11.2001 - 3 Ca 2901/01 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, die betriebliche Invalidenrente des Klägers für die Jahre 2000 und 2001 den jeweiligen Steigerungen der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeitsrente anzupassen.

Die Parteien streiten sowohl um die Auslegung der Versorgungsordnung (Nr. III. b: "Die Invalidenrente wird gewährt, wenn die Invaliden- oder Angestelltenversicherung eine Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit zahlt. Die Invalidenrente beträgt wiederum 50 % der Rente der Invaliden- und Angestelltenversicherung, vermindert um 1 % für jedes Jahr, das der Betriebsangehörige bei Eintritt in die Firma älter als 20 Jahre war; die Invalidenrente beträgt mindestens bei Erwerbsunfähigkeit 0,6 %, bei Berufsunfähigkeit 0,4 % des Bruttoeinkommens (höchstens der Beitragsbemessungsgrenze) des letzten Dienstjahres für jedes bei der Firma zurückgelegte Dienstjahr. Als Dienstjahre werden auch die Jahre vor Beginn der Rente bis zum Erreichen des 55. Lebensjahres mitgerechnet.") nämlich darum, ob diese die Invalidenrente statisch auf das Jahr ihres Beginns festlegt oder dynamisch an die jeweiligen Entwicklungen der gesetzlichen Erwerbsunfähigkeitsrente bindet, als auch darum, ob die Beklagte aufgrund der in der Versorgungsordnung enthaltenen "Vorbehaltsklausel" (Nr. V. c: "Die Firma behält sich vor, die Leistungen zu kürzen oder einzustellen, wenn die bei Erteilung der Pensionszusage maßgebenden Verhältnisse sich nachhaltig so wesentlich geändert haben, dass der Firma die Aufrechterhaltung der zugesagten Leistungen auch unter objektiver Betrachtung der Belange des Pensionsberechtigten nicht zugemutet werden kann.") wegen einer von der Beklagten behaupteten wirtschaftlichen Notlage von den Anpassungen an die gesetzliche Rentenentwicklung absehen darf.

Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens wird gemäß § 543 Abs. 2 ZPO a.F. auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Wegen der als solcher unstreitigen Berechnung der Ansprüche des Klägers wird auf die Klageschrift Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Es hat die Versorgungsordnung so ausgelegt, dass der betriebliche Invaliditätsrentenanspruch stets auf einem prozentualen Satz der jeweiligen gesetzlichen Rente festgelegt sei. Die Voraussetzungen zur Kürzung der betrieblichen Rente und damit der Nicht-Weitergabe der gesetzlichen Steigerungen hat es verneint, weil aufgrund des erstinstanzlichen Vortrages der Beklagten zu den Verlusten im Jahre 1998 und 1999 eine nachhaltige Verschlechterung noch nicht festgestellt werden könne. Auch habe die Beklagte nicht hinreichend substantiiert zu einer angemessenen Eigenkapitalverzinsung vorgetragen.

Gegen dieses ihr am 03.01.2002 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 01.02.2002 Berufung und diese am 27.02.2002 begründet.

Sie trägt vor, aufgrund einer nachhaltigen und dramatisch schlechten Wirtschaftslage sei sie außerstande, den 52 Betriebsrentnern eine Anpassung der betrieblichen Renten zu gewähren. Die Entwicklung der Gewinne und Verluste der letzten 20 Jahre stellten sich aufgrund der testierten Jahresabschlüsse wie folgt dar:

Gewinn (+) in DM Geschäftsjahr Verlust (-) in DM 1980 156.817,90 - 1981 542.466,00 + 1982 127.382,34 + 1983 120.273,69 + 1984 5.977,62 + 1985 769.182,97 - 1986 444.172,99 - 1987 556.529,53 + 1988 38.656,95 - 1989 694.044,89 - 1990 402.009,09 - 1991 716.478,94 + 1992 255.372,92 - 1993 19.865,45 - 1994 237,963,62 + 1995 311.809,66 + 1996 128.259,71 + 1997 39.342,43 -

1998 881.799,16 - 1999 433.463,37 -

Summe der letzten 20 Jahre 1.387.587,01 -

Die Verlustvorträge im Jahre 1998 zusammen mit dem Verlust aus 1998 habe das eingesetzte Kapital, welches 900.000,00 DM betrage, um 759.000,00 DM überschritten.

Nur unter Berücksichtigung der stillen Reserven seien der Beklagten weitere Schritte erspart geblieben. Auch der am 13.07.2001 erstellte Abschluss für 1999 ergebe kein positives Bild. Der Bilanzauszug zeige, dass die Beklagte auch im Jahr 1999 einen nicht gedeckten Fehlbetrag in Höhe von 1.192.587,00 Mio. DM verzeichnet habe. Der Abschluss für 2000 liege noch nicht vor.

Um die Liquidität der Beklagten zu erhalten, habe der Geschäftsführer Anfang 2001 aus seiner privaten Lebensversicherung den damals fällig gewordenen Versicherungsbetrag in Höhe von 450.000,-- DM in die Firma eingeschossen, darüber hinaus Mitte 2000 weitere 70.000,-- DM aus privaten Mitteln zur Stützung der wirtschaftlichen Lage gewährt.

Schließlich habe die Beklagte nicht nur in den Jahren 1998 ff., sondern bereits seit 20 Jahren keine Kapitalverzinsung zu verzeichnen. Es seien auch keinerlei Gewinnausschüttungen an die Gesellschafter der Beklagten erfolgt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 15.11.2002 - 3 Ca 2901/01 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und bestreitet den zweitinstanzlichen Vortrag der Beklagten zu den Gewinnen und Verlusten sowie dem nachgeschossenen Kapital mit Nichtwissen.

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätzen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hatte in der Sache keinen Erfolg.

I. Die Kammer teilt die Auslegung des Arbeitsgerichts, dass die Versorgungsordnung eine Invalidenrente in Höhe eines prozentualen Satzes der jeweiligen gesetzlichen Rente vorsieht. Da die Beklagte darauf in der Berufungsbegründung nicht mehr eingegangen ist, macht die Kammer sich die dazu gemachten Ausführungen des Arbeitsgerichts (Seite 5, 2. Absatz der Urteilsgründe) insoweit zu Eigen, als das Arbeitsgericht nicht auf den Rechtsgedanken des § 16 BetrAVG (Sätze 4,5,6) abgehoben hat. Die übrigen Ausführungen des Arbeitsgerichts (Wortlaut und Unklarheitenregelung - Sätze 1,2,3 und 7,8 des 2. Absatzes auf S. 5 der Urteilgründe) tragen das gefundene Auslegungsergebnis. Die Kammer sieht insoweit von einer erneuten Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Aus der Systematik der Versorgungszusage lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Auch sonstige Begleitumstände, die ein Auslegungsergebnis gegen den Wortlaut tragen könnten, sind nicht vorgetragen.

II. Die Beklagte kann die dem Kläger zustehende Invalidenrente nicht aufgrund des Vorbehaltes in Nr. V. c der Versorgungsordnung dergestalt kürzen, dass sie wegen wirtschaftlicher Notlage die dem Kläger zustehenden Anpassungen nicht weitergibt.

Dabei ist angesichts der Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung zu § 16 BetrAVG zunächst darauf hinzuweisen, dass es hier nicht um eine Anpassung nach § 16 BetrAVG geht. Auf eine prozentuale Anpassung gemessen an der Steigerung der gesetzlichen Rente hat der Kläger vielmehr aufgrund der dynamischen Ausgestaltung der Invalidenrente einen unmittelbaren Anspruch. In diesen kann die Beklagte aufgrund der Vorbehaltsklausel nicht eingreifen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat ein Vorbehalt zur Kürzung oder Einstellung der Versorgungsbezüge wegen wesentlicher Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens oder nachhaltiger Änderung der Rahmenbedingungen, wie er als sog. "Mustervorbehalt" in der Versorgungsordnung der Beklagten enthalten ist, nur deklaratorische Bedeutung (vgl. BAG 20.01.1987 - 3 AZR 313/85 - AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 12 m.w.N.).

Nach ebenso ständiger Rechtsprechung ging das Bundesarbeitsgericht - jedenfalls bis zur Streichung des § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG davon aus, dass ein Arbeitgeber, der die Kürzung oder Einstellung von Versorgungsleistungen wegen wirtschaftlicher Notlage anstrebte, vor der Kürzung oder Einstellung den Träger der Insolvenzsicherung einzuschalten hatte und, wenn dieser nicht zustimmte, im Wege der Feststellungsklage klären lassen musste, ob er zur Kürzung oder Einstellung berechtigt war (BAG aaO m.w.N.).

Das Bundesarbeitsgericht hat dieses u.a. damit begründet, dass die bisherige Regelung des § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG unausgesprochen auf die Rechtsprechung zum Widerruf wegen einer wirtschaftlichen Notlage verweise, wie sie vom BAG und vom BGH entwickelt worden sei und bei Erlass des BetrAVG bereits gefestigt gewesen sei.

Festzuhalten ist schließlich, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH 11.02.1985 - II ZR 194/84 - AP Nr. 11 zu § 7 BetrAVG Widerruf, BAG 06.12.1979 - 3 AZR 274/78 - BB 1980, 992 und 17.09.1991 - 3 AZR 413/90 - DB 1992, 97) der Ursprung dieser Vorauseinschaltungsverpflichtung in der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers liegt.

2. Außer dieser notwendigen Vorauseinschaltung des PSV hatte das Bundesarbeitsgericht für die Anerkennung einer wirtschaftliche Notlage, die den Widerruf oder die Kürzung der Betriebsrente zu rechtfertigen vermochte, als Voraussetzung aufgestellt, dass der Bestand des Unternehmens wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten gefährdet und die Einstellung oder Kürzung der Versorgungsleistung ein geeignetes Mittel war, zur Sanierung beizutragen. Die wirtschaftliche Notlage musste durch die Betriebsanalyse eines Sachvollständigen unter Darlegung ihrer Ursachen belegt werden; es musste ein Sanierungsplan erstellt werden, der eine gerechte Lastenverteilung unter Heranziehung sämtlicher Beteiligten vorsah (vgl. BAG 26.11.1985 - 3 AZR 105/84 - AP BetrAVG § 7 Widerruf Nr. 8 m.w.N.).

3. Mit der Neufassung des § 7 BetrAVG zum 01.01.1999 hat der Gesetzgeber die bisherige Ziffer 5 in § 7 Abs. 1 (Sicherungsfall der wirtschaftlichen Notlage) gestrichen. Seither ist offen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber überhaupt noch wegen wirtschaftlicher Notlage die Betriebsrente kürzen oder widerrufen kann.

Die Bundesregierung ist im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BT Drucksache 12/3803, 121 ff.) ist davon ausgegangen, dass durch den Wegfall des Sicherungsfalles "wirtschaftliche Notlage" die Rechtsposition des Arbeitnehmers nicht verschlechtert werde. Aufgrund des von der Rechtsprechung hergestellten untrennbaren Zusammenhang zwischen der Berechtigung zum Widerruf der Anwartschaft auf der einen und der gleichzeitigen Übernahme des widerrufenen Teils der Anwartschaft durch den PSV auf der anderen Seite sei mit der Streichung des Sicherungsfalles "wirtschaftliche Notlage" auch ein einseitiger Widerruf der Anwartschaft durch den Arbeitgeber aufgrund einer wirtschaftlichen Notlage arbeitsrechtlich nicht mehr zulässig.

Die Bundesregierung hat dieses in ihrer Stellungnahme an den Bundesrat (BT Drucksache 12/3803, 137 f.) mit folgendem Hinweis ergänzt:

Für die Beibehaltung des Sicherungsfalls "wirtschaftliche Notlage" bestehe gerade im Hinblick auf das neue Insolvenzverfahren kein schutzwürdiger Bedarf. Das neue Insolvenzverfahren werde frühzeitiger eröffnet als das bisherige Konkursverfahren, u.a. weil Eröffnungsgrund für den Fall des Schuldnerantrages bereits auch eine drohende Zahlungsunfähigkeit sei und weil die Voraussetzungen für die Deckung der Verfahrenskosten durch die Insolvenzmasse herabgesetzt würden. Insoweit bleibe für einen Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage aus systematischen Gründen noch weniger Raum als bisher.

Aus der gesetzlichen Änderung wurden dementsprechend von Höfer (BetrAVG § 7 Rdnr. 2812.37 ff.) folgende Konsequenzen gezogen, die der Kammer überzeugend erscheinen und denen sie auch bei Vorliegen eines sog. Mustervorbehalts (vgl. dazu Höfer aa0. 2812.38) deshalb folgt, weil die in der früheren Rechtsprechung hervorgehobene Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dieses gebietet:

Wenn man ein Widerrufsrecht des Arbeitgebers weiterhin wegen wirtschaftlicher Notlage bejaht und andererseits die entsprechende Eintrittspflicht des PSV aus § 7 Abs. 1 Nr. 5 BetrAVG a.F. nicht besteht, verlöre der Arbeitgeber seinen Insolvenzschutz. Das war mit der gesetzlichen Änderung nicht beabsichtigt.

Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, sich vor dem Widerruf um einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Pensionssicherungsverein zu bemühen (vgl. Höfer aaO., 2812.39; Wohlleben DB 1998, 1232).

Lehnt der Pensionssicherungsverein den außergerichtlichen Vergleich ab, kann und ggfls. muss der Arbeitgeber die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in (entsprechender) Anwendung der §§ 17 - 19 InsO beantragen. Durch das Berufen auf die wirtschaftliche Notlage gibt der Arbeitgeber zu erkennen, dass ein Eröffnungsgrund vorliegt (Höfer aaO.).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte weder einen außergerichtlichen Vergleich mit dem PSV versucht, noch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

4. Folgt man diesem Weg, so kann nach Auffassung der erkennenden Kammer auch nicht mehr an den bisherigen weiteren formalen Voraussetzungen für den Widerruf festgehalten werden, die das Bundesarbeitsgericht aufgestellt hat (oben 2.). Insbesondere macht es, da der PSV vor der Zustimmung zu einem außergerichtlichen Vergleich zunächst die wirtschaftliche Lage des Unternehmens genau prüfen wird, wenig Sinn mehr, prozessual die Vorlage eines Sachverständigengutachtens mit einem Sanierungsplan durch den Arbeitgeber zu verlangen. Auch die sachgerechte Beteiligung der übrigen Unternehmensangehörigen kann nicht mehr als selbstständige Voraussetzung des Widerrufs angenommen werden. Denn nach Auffassung der Kammer müsste der Betriebsrentner selbst dem außergerichtlichen Vergleich zustimmen. Tut er dieses, geschieht ihm kein Unrecht. Im Übrigen würde das Insolvenzverfahren für eine sachgerechte Beteiligung aller übrigen Gläubiger sorgen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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