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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 26.04.2002
Aktenzeichen: 4 Sa 975/01
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 53 III
BAT § 55 I
BAT § 55 II
Einer i.S.d. § 53 III BAT "unkündbaren" Angestellten (Musikschullehrerin) kann eine betriebsbedingte Änderungskündigung nicht zu dem Zwecke ausgesprochen werden, die Arbeitszeit und dementsprechend die Vergütung herabzusetzen.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 4 Sa 975/01

Verkündet am: 26.04.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 22.02.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Haeser und Kaulertz

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26.06.2001 - 5 Ca 1013/01 - abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die außerordentliche Änderungskündigung der Beklagten vom 27.03.2001 rechtsunwirksam ist.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund einer von der Beklagten als außerordentlicher Änderungskündigung ausgesprochenen Kündigung wirksam geändert worden ist.

Die Klägerin ist am 02.09.1957 geboren, ledig und seit dem 01.10.1984 als Musikschullehrerin an der Musikschule der beklagten Stadt tätig. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug vertraglich 15 Stunden, der Monatsbruttoverdienst 2.837,19 DM.

Die Klägerin unterrichtete zuletzt 9 Stunden wöchentlich Klavier, 0,6 Keyboard und 5,33 Stunden musikalische Früherziehung.

Am 24.10.2001 beschloss der Rat eine Umstrukturierung der S Musikschule. Dabei beschloss er insbesondere, dass die Gesamtmenge der angebotenen Unterrichtsstunden von 347 auf insgesamt 230 reduziert werden sollte.

Auf der Grundlage des Ratsbeschlusses nahm der Leiter der S Musikschule eine Umverteilung der Unterrichtsstunden vor. Dies führte unter anderem zu einer Reduzierung der Stunden in den Fächern Klavier und Keyboard und zugleich zu einer Erhöhung des Stundenangebots im Bereich musikalische Früherziehung.

Mit Datum vom 27.03.2001 erhielt die Klägerin ein mit "außerordentliche Änderungskündigung" unterschriebenes Schreiben der Beklagten, wegen dessen genauen Inhalts auf Blatt 19/20 d. A. Bezug genommen wird. Darin wird der Klägerin mitgeteilt, dass neue Strukturmodell mit der Beschränkung der angebotenen Unterrichtsstunden auf insgesamt 230 pro Woche mache eine Reduzierung der ihr, der Klägerin, angebotenen Unterrichtsstunden um 7,66 Stunden im Fach Klavier und 5 Stunden im Fach Keyboard unumgänglich. Sie werde weiterhin im Bereich Früherziehung eingesetzt. Weiter heißt es:

"Daher spreche ich eine außerordentliche Änderungskündigung für das bestehende Vertragsverhältnis von bisher 15 Stunden auf 9,33 Stunden zum nächstmöglichen Termin aus; dies ist nach unseren Berechnungen der 30.09.2001...

Als Anlage übersende ich ihnen daher einen entsprechenden Arbeitsvertrag in doppelter Ausfertigung mit der Bitte, ein Exemplar unterschrieben an das A für z D und P zurückzusenden".

Die Klägerin schrieb am 09.04.2001 an die Beklagte:

"Unter dem Vorbehalt, dass die außerordentliche Änderungskündigung begründet und sozial gerechtfertigt ist, nehme ich sie an. Die Rechtmäßigkeit werde ich arbeitsgerichtlich überprüfen lassen".

Am 11.04.2001 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage. Sie vertrat die Auffassung, dass die ihr angetragenen neuen Vertragsbedingungen sozial ungerechtfertigt seien. Sie sehe nicht ein, dass ausgerechnet sie den Klavierunterricht abgeben solle, zumal sie mit Schülern viel Erfolg habe und z. B. Herr R , der überwiegend Cello unterrichte, nunmehr auch Klavierschüler zugewiesen bekomme.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen aufgrund der außerordentlichen Änderungskündigung der Beklagten mit Schreiben vom 27.03.2001 zum 30.09.2001 sozial ungerechtfertigt ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Die Schülerzahlen der S Musikschule seien in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen, so dass erhebliche Defizite aufgetreten seien. Im Schuljahr 1999/2000 sei ein absoluter Zuschussbedarf von 803.000,00 DM zu verzeichnen gewesen, der pro Jahr und Schüler 1.567,00 DM betragen habe.

Zu Beginn des neuen Schuljahres im Sommer 2000 sei ein Rückgang von 91 Schülern zu verzeichnen gewesen. Der Zuschussbedarf sei zu diesem Zeitpunkt auf 1.907,00 DM gestiegen. Damit stehe die Beklagte erheblich schlechter dar als die Nachbarkommunen (Einzelheiten Blatt 35 d. A.).

Die Anzahl der im Schuljahr 2000/2001 tatsächlich zu erteilenden Stunden einschließlich der Ergänzungsfachstunden habe bei 268 nachgefragten Stunden gelegen. Vertraglich geregelt bzw. vorgehalten zu diesem Zeitpunkt seien jedoch 347 Stunden gewesen.

Die Verwaltung habe dem Rat unterschiedliche Modelle zur Weiterführung der Musikschule vorgeschlagen. Der Vorschlag der Verwaltung, der letztlich vom Rat angenommen worden sei, sehe die Umsetzung eines inhaltlich verbesserten Angebots der Früherziehung vor, die auch räumlich dezentralisiert angeboten werden solle, um mehr Kindern als bisher den Zugang zur Musikschule zu ermöglichen. Die Kostensenkung solle insbesondere durch Optimierung des Fachangebotes und einen Verzicht auf nicht gewünschte bzw. nicht nachgefragte Fachbereiche erreicht werden.

Dieses treffe insbesondere auf nachfolgende Fächer zu, die in den letzten Jahren kaum nachgefragt worden seien und für die teure Leihinstrumente mit nachteiligen Kostenfolgen zusätzlich angeschafft werden müssten: Oboe, Fagott, Horn, Akkordeon, tiefe Blechbläser, Posaune, Tenorhorn, Rhythmik.

Die Umsetzung der gesamten Vorschläge (Blatt 37 d. A.) werde zu einer Reduzierung der Personalkosten von ca. 300.000,00 bis 350.000,00 DM führen.

Vor diesem Hintergrund sei die Änderungskündigung der Klägerin erfolgt.

Während bislang 56,33 Stunden Klavier- und 13 Stunden Keyboardunterricht angeboten worden seien, würden nunmehr nur noch 56,66 Stunden insgesamt angeboten. Hiervon entfielen 48,66 Stunden auf Klavier und 8 Stunden auf Keyboard.

Eine Sozialauswahl sei erfolgt. In die Sozialauswahl seien Beschäftigte einbezogen worden, die gleichartige Tätigkeiten (Klavier/Keyboard) ausübten und insoweit untereinander austauschbar seien. In diesem Bereich seien folgende Mitarbeiter in die Sozialauswahl einzubeziehen: Herr R , Herr M , Frau S , Herr F , Frau R , die K und Herr V . Dabei habe die Beklagte einen Kriterienkatalog angewendet (Einzelheiten Blatt 39 d. A.).

Herr R genieße als stellvertretender Schwerbehindertenvertreter besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG und sei deshalb vorab vorrangig vor den unkündbaren BAT Kräften zu betrachten und entsprechend auszulasten. Ein Vergleich mit der Klägerin sei daher hier nicht möglich. Herr R unterrichte daher - was als solches unstreitig ist - künftig folgende Stunden:

Cello 8,3 Stunden

Klavier 10,33 Stunden

Keyboard 4,33 Stunden

Fortbildung Früherziehung 9,33 Stunden,

insgesamt 32 Stunden.

Unter Berücksichtigung der Stunden Herrn R verblieben im Rahmen der Sozialauswahl noch 24,66 Stunden zur Verteilung auf die übrigen Lehrkräfte. Wegen dieser Verteilung und der von der Beklagten genannten Sozialdaten der einzelnen Arbeitnehmer wird auf Blatt 40 bis 42 d. A. Bezug genommen.

Die Klägerin, die bereits in der Vergangenheit teilweise Stunden in der musikalischen Früherziehung erteilt habe, könne im Gefolge der Umstrukturierung 9,33 Stunden musikalische Früherziehung erteilen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 26.06.2001 die Klage abgewiesen. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf Blatt 85/86 d. A. Bezug genommen. Gegen dieses ihr am 06.08.2001 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 24.08.2001 Berufung eingelegt und diese am 21.09.2001 begründet.

Sie trägt vor, es sei schon kein Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben. Nicht erkennbar sei, welche Maßnahmen im Einzelnen zur Umsetzung des Beschlusses des Rates vom 24.10.2000 ergriffen worden seien. Die Angaben seien pauschal, unsubstanziiert und damit für die Überprüfung der Betriebsbedingtheit ungeeignet.

Klar sei auch nicht, welche Personen in welchem Umfang im Hinblick auf Stundenzahl und Gehalt betroffen seien, insbesondere auch nicht außerhalb der Fachbereiche der Klägerin. Bisher sei keinesfalls nachvollziehbar dargelegt, weshalb im Fachbereich der Klägerin die Verschiebung der Stundenzahlen auf andere Mitarbeiter zu Lasten der Klägerin in diesem Umfang habe erfolgen müssen.

Die Beklagte habe auch nicht vorgetragen, welche angeblichen unterschiedlichen Modelle von der Verwaltung dem Rat vorgelegt worden seien.

Es fehlten Angaben zu der Behauptung, die Trennung von nicht nachgefragten Fächern werde erfolgen. Tatsache sei jedenfalls, dass die Fächer, in denen die Klägerin unterrichte, weiter nachgefragt seien. Eine mangelnde Nachfrage im Verhältnis zu den vorgehaltenen Unterrichtsstunden durch Personal möge es möglicherweise in anderen Fachbereichen geben. Auch hierzu habe die Beklagte keinerlei Angaben gemacht.

Bestritten werde auch, dass die Anpassung der Wochenstunden auf 230 Stunden insgesamt nicht willkürlich erfolgt sei und auch das sie zum Zeitpunk der Änderungskündigung der Klägerin umgesetzt sei.

Unsubstanziiert seien auch die Angaben zur Kosteneinsparung in Höhe von 300.000,00 bis 350.000,00 DM.

Auch im Hinblick auf die Reduzierung der Stundenmenge im Fachbereich Klavier/Keyboard gehe die Beklagte von falschen Voraussetzungen aus. Tatsächlich seien in diesem Bereich nicht 56,66 Stunden, sondern 66,33 Stunden unterrichtet worden.

Im Hinblick auf die Sozialauswahl erklärt die Klägerin, dass sie die Sozialdaten der Beschäftigten nicht kenne. Sie könne daher dazu keine Stellungnahme abgeben. Die Sozialauswahl sei aber auch unabhängig davon nicht unter Berücksichtigung der vergleichbaren Arbeitnehmer getroffen worden, weil dies unter Berücksichtigung sämtlicher bei der Musikschule Beschäftigten hätte erfolgen müssen. Die Klägerin könne außer in den bisher von ihr unterrichteten Fächern auch z. B. musikalische Früherziehung unterrichten. Schülermangel gebe es nicht im Fach Klavier/Keyboard und im Bereich musikalische Früherziehung, sondern beispielsweise im Fachbereich des Herrn R (Cello) und in anderen Fachbereichen.

Herr R habe bislang ausschließlich Cello unterrichtet, seit März 2001 unterrichte er 13,66 Stunden Klavier und Keyboard. Er habe - was als solches unstreitig ist - zwar für den Cellounterricht die Befähigung, verfüge jedoch über keine Prüfung als Klavierlehrer.

Schließlich seien die von der Beklagten an die soziale Auswahl angelegten Kriterien ausgewogen.

Abgesehen davon, dass im Fach Klavier/Keyboard tatsächlich 66,33 Stunden und nicht 56,66 Stunden unterrichtet würden, stimmen dann auch die anderen Angaben der Beklagten nicht. Unterstellt, Herr R unterrichtet 10,33 Stunden Klavier und 4,33 Stunden Keyboard, so seien es insgesamt 14,66 Stunden. Für die übrigen Lehrkräfte würden dann immerhin noch 56,66 Stunden (nach Angaben der Beklagten) minus 14,66 Stunden, d. h. 42 Stunden übrig bleiben und nicht wie von der Beklagten behauptet, 24,66 Stunden pro Woche.

Schließlich sei der Klägerin eine Änderungskündigung auch nicht zumutbar. Sie verweist dazu auf folgendes - was als solches unstreitig ist: Das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten sei ihr einziges Arbeitsverhältnis, sie habe lediglich sporadisch Nebeneinkünfte. Ihr Gehalt von vormals 2.837,17 DM sei aufgrund der Änderungskündigung auf 1.764,72 DM ab 01.10.2001 reduziert worden. Damit liege sie nur kurz über den Sozialhilfesatz. Hinzukomme, dass ihr Vater pflegebedürftig nach der Pflegestufe 3 sei und sie alleinstehend sei und für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen müsse.

Schließlich bestreitet die Klägerin die Ordnungsgemäßheit der Personalratsanhörung.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26.06.2001 - 5 Ca 1013/01 - abzuändern und festzustellen, dass die außerordentliche Änderungskündigung der Beklagten vom 27.03.2001 rechtsunwirksam ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Dazu erklärt die Klägerin, dass sie den Klageantrag sowohl auf eine Verletzung des § 2 KSchG als auch auf alle sonstigen Gründe wie die fehlerhafte Anhörung des Personalrates und tarifliche Vorschriften stütze.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nachdem die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2001 verschiedene Hinweise gegeben hatte, insbesondere darauf hingewiesen hatte, dass auch auf der Grundlage des Ratsbeschlusses nicht nachvollziehbar sei, warum gerade die Unterrichtsanteile der Klägerin betroffen seien und dass im Hinblick auf die Ausnahme Herrn R von der sozialen Auswahl nicht nachvollziehbar sei, warum er als stellvertretender Vertrauensmann der Schwerbehinderten den Schutz des § 15 KSchG genossen habe, wobei auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum nachwirkenden Kündigungsschutz für Ersatzmitglieder hingewiesen wurde, und nachdem ein neuer Termin auf den 22.02.2002 anberaumt wurde, trägt die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.02.2002 folgendes nach:

Im August 2000 seien insgesamt 171 Stunden an der Musikschule der Beklagten erteilt worden, davon im Ergänzungsbereich 49,33 Stunden. Bereits im November 2000 sei in diesem Bereich entsprechend der Beschlussfassung des Rates die Stundenzahlen von 49,33 auf 30 Stunden reduziert worden, so dass im November 2000 240,33 Stunden an Unterricht tatsächlich erteilt worden seien. Vertraglich geregelte Stunden mit Dozenten seien jedoch 327,66 Stunden gewesen, so dass eine Diskrepanz von 87,33 Stunden bestanden habe. Die Beklagte gibt sodann für einzelne Fächer den Überhang an (Bl. 163 d.A.). Für Klavier/Keyboard habe er 39,66 Stunden betragen. In diesem Bereich seien folgende Kündigungen ausgesprochen worden: Herr S 4,33 Stunden, Herr B 1,66 Stunden, Herr V 4 Stunden, Herr F 1 Stunde, Frau R 10 Stunden und die Klägerin 5,33 Stunden. Insgesamt sei der Überhang um 26,33 Stunden reduziert worden.

Zur Person des Mitarbeiters R sei im Hinblick auf seine Funktion als stellvertretender Schwerbehinderter folgendes auszuführen: Herr R sei bis zum 28.05.2001 stellvertretender Schwerbehindertenvertreter gewesen. Er habe daher gemäß § 26 Abs. 3 SchwbG (jetzt § 96 Abs. 3 SGB IX) für in der Dauer der Vertretung die gleiche persönliche Rechtsstellung wie der Vertrauensmann selbst genossen. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung habe Herr R wegen der in § 15 Abs. 1 KSchG festgelegten Nachwirkung noch den in dieser Vorschrift festgelegten Kündigungsschutz genossen. Darüber hinaus habe Herr R im Mai 2001 den krankheitsbedingten abwesenden Schwerbehindertenvertreter in dessen Sprechstunde vertreten.

Am Schluss der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2002 verkündete die Kammer ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung für den 26.04.2002. In einem am 27.02.2002 eingegangenen Schriftsatz bezieht die Beklagte sich auf eine in nicht unterschriebener Kopie beigelegte Liste angeblicher Vertretungsfälle des Schwerbehindertenvertreters (Blatt 194 d. A.).

Wegen des übrigen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen diesen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin hatte in der Sache Erfolg.

I. Die Kündigung ist wegen Verstoßes gegen § 55 Abs. 2 BAT unwirksam.

1. Die Klägerin war gemäß § 53 Abs. 3 BAT ordentlich unkündbar. Sie war zum Zeitpunkt der Kündigung (27.03.2001) mehr als fünfzehn Jahre beschäftigt, da sie seit dem 01.10.1984 bei der beklagten S tätig war. Da sie am 02.09.1957 geboren ist, hatte sie zum Zeitpunkt der Kündigung auch das vierzigste Lebensjahr vollendet.

Gemäß § 55 Abs 1 BAT kann dem unkündbaren Angestellten im Sinne des § 53 Abs. 3 nur aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden Gründen fristlos gekündigt werden. § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT besagt sodann:

"Andere wichtige Gründe, insbesondere dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Angestellten entgegenstehen, berechtigen den Arbeitgeber nicht zur Kündigung. In diesen Fällen kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis jedoch, wenn eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweisbar nicht möglich ist, zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen."

Daraus folgt, dass die beklagte S aus dringenden betrieblichen Erfordernissen der Klägerin nicht zum Zwecke der Reduzierung ihrer Stundenzahl außerordentlich aus wichtigem Grunde kündigen konnte.

2. Zu Unrecht beruft sich die beklagte S auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 22.11.1999 - 15 Sa 69/99 -, welche - soweit das hier relevant ist - auf die Entscheidung des Arbeitsgerichts Heilbronn vom 26.03.1999 - 6 Ca 17/99 - (Blatt 167 ff. d. A.) Bezug nimmt. Das Arbeitsgericht Heilbronn vertritt dort die Auffassung, dass § 55 Abs. 2 BAT, soweit er eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist ausschließe, mit höherrangigem Recht unvereinbar und unwirksam sei. Deshalb interpretiert es § 55 Abs. 2 BAT restriktiv dahingehend, dass eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist nicht betroffen sei. § 55 Abs. 1 BAT regele nur die fristlose Kündigung. Soweit § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 den Begriff Kündigung gebrauche, sei damit ebenfalls (nur) die fristlose Kündigung gemeint. Nicht geregelt sei die außerordentliche Kündigung aus betrieblichen Gründen.

Diese Entscheidung widerspricht einschlägiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das Bundesarbeitsgericht hat im Urteil vom 31.01.1996 - 2 AZR 158/95 - (AP-Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung) wörtlich folgendes ausgeführt:

"Die Tarifsparteien haben in § 55 BAT in zulässiger Weise den an die Berechtigung der außerordentlichen Kündigung eines unkündbaren Angestellten zu stellenden Maßstab festgelegt, ohne dass diese Bestimmung gegen die Unabdingbarkeit des § 626 BGB verstößt, wonach die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grunde nicht im Wege der Vereinbarung ausgeschlossen werden kann. Denn die Einschränkung der Kündigungsmöglichkeit auf bestimmte, im Tarifvertrag fest umrissene Tatbestände ist zulässig (...). Das dürfte jedenfalls dann gelten, wenn - wie in § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT vorgesehen - eine betriebsbedingte außerordentliche Kündigung nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern in Form der Änderungskündigung ermöglicht wird, sofern eine Beschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen nachweisbar nicht möglich ist".

Das Bundesarbeitsgericht billigt hier also ausdrücklich die in § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT vorgesehene Beschränkung auf die außerordentlichen Änderungskündigung zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe.

Das Bundesarbeitsgericht spricht hier auch ausdrücklich nicht von einer "fristlosen Kündigung", sondern von einer "außerordentlichen" Kündigung. Der vom Bundesarbeitsgericht entschiedene Fall betraf dementsprechend auch nicht eine fristlose Änderungskündigung, sondern eine außerordentliche Änderungskündigung mit Auslauffrist.

Dass auch die außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist betroffen ist, ergibt sich im Übrigen nach dem Wortlaut der Tarifvorschrift eindeutig schon daraus, dass diese sämtliche anderen "wichtigen Gründe" behandelt, die sowohl für eine fristlose Kündigung als auch für eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegeben sein müssen.

Damit konnte die Beklagte eine außerordentliche Kündigung lediglich zum Zwecke der Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe aussprechen, nicht aber - wie geschehen -, zum Zwecke der Reduzierung von Stundenzahl und Gehalt.

II. Selbst wenn man entgegen der nach Auffassung der erkennenden Kammer eindeutigen Vorschrift des § 55 Abs. 2 BAT im vorliegenden Falle eine außerordentliche betriebsbedingte Änderungskündigung zum Zwecke der Reduzierung der Stundenzahl zulassen wollte, so scheiterte diese nach dem für die vorliegende Entscheidung verwertbaren Tatsachenvortrag jedenfalls an der sozialen Auswahl. Die Beklagte hat die nach ihrem Vortrag noch zu verteilenden Stunden an Klavier- und Keyboardunterricht vorrangig und zu Lasten der Klägerin Herrn R zugeteilt, da dieser als stellvertretender Schwerbehindertenvertreter besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genieße und deshalb vorrangig vor den unkündbaren Kräften auszulassen sei. Ein Vergleich mit der Klägerin sei daher nicht möglich. Die Beklagte hat Herrn R nach ihrem Vortrag in diesem Zusammenhang daher 10,33 Stunden Klavier und 4,33 Stunden Keyboard zugeteilt, welches die der Klägerin dementsprechend gekürzten Stunden erheblich übersteigt.

1. Die Beklagte hat Herrn R nach dem verwertbaren Tatsachenvortrag indes zu Unrecht a priori von der weiteren sozialen Auswahl ausgenommen.

Gemäß § 96 Abs. 3 Satz 2 SGB IX besitzt das stellvertretende Mitglied während der Dauer der Vertretung und der Heranziehung nach § 95 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die gleiche persönliche Rechtsstellung wie die Vertrauensperson, im Übrigen die gleiche Rechtsstellung wie Ersatzmitglieder der in Satz 1 genannten Vertretungen (Personalvertretungen). Dieses entspricht inhaltlich dem bisherigen § 26 III SchwbG. Danach gilt zunächst § 108 BPersVG, der einen Schutz wie § 103 BetrVG anordnet (vgl. KR/Etzel §§ 47, 108 Abs. 1 BPersVG Rn. 7, 9).

Ersatzmitglieder erlangen aber besonderen Schutz nach § 108 BPersVG wie Ersatzbetriebsratsmitglieder nach § 103 BetrVG nur wenn und solange sie anstelle eines auf Dauer ausscheidenden oder vorübergehend verhinderten Mitglieds in die Personalvertretung nachrücken (vgl. KR/Etzel § 103 BetrVG Rn. 15, 44 ff.; m. w. N.).

Darüber hinaus steht ihnen der nachwirkende Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 2 Satz 2 KSchG zu (BAG 17.03.1988 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 116; KR/Etzel § 15 KSchG Rn. 65). Voraussetzung ist, dass das Ersatzmitglied für ein vorübergehendes Mitglied in das Gremium eingerückt war. Auf die Dauer der Vertretungstätigkeit kommt es dabei nicht an.

Dieser Rechtslage entsprechend hat die Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2001 die Beklagte darauf hingewiesen, dass nach bisherigen Vorbringen nicht festgestellt werden könne, dass Herr R zum Zeitpunkt der Kündigung besonderen Kündigungsschutz, insbesondere nachwirkenden Kündigungsschutz besaß und dass es darauf ankäme, wann genau Herr R wegen Verhinderung des Vertrauensmannes jeweils nachgerückt war. Nach Vertagung auf den 22.02.2002 hat die beklagte S mit Schriftsatz vom 20.02.2002 dazu lediglich mitgeteilt, dass Herr R im Mai 2001 den krankheitsbedingt abwesenden Schwerbehindertenvertreter in dessen Sprechstunde vertreten hat.

Die Kündigung wurde indes bereits am 27.03.2001 ausgesprochen.

Es konnte daher bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht festgestellt werden, dass Herr R tatsächlich zum Zeitpunkt der Kündigung den Schutz des § 108 BPersVG oder den nachwirkenden Schutz des § 15 Abs. 2 Satz 2 KSchG genossen hätte. Die soziale Auswahl muss damit als fehlerhaft angesehen werden.

2. Soweit die Beklagte nunmehr nach Schluss der mündlichen Verhandlung mit Schriftsatz vom 27.02.2002 weitere Vertretungsfälle behauptet, kann dieses Vorbringen nicht mehr berücksichtigt werden. Denn die mündliche Verhandlung war durch die Bestimmung eines Verkündungstermins nach § 310 ZPO geschlossen (vgl. Stadtfieler-Zöller/Greger ZPO § 136 Rn. 4).

Eine Wiedereröffnung nach § 526 Abs. 2 in Verbindung mit § 156 ZPO a. F., kam nicht in Betracht. Eine Wiedereröffnung kann bei der Notwendigkeit eines richterlichen Hinweises zur Vervollständigung des Tatsachenvorbringens geboten sein. Im vorliegenden Fall aber hatte die Kammer bereits in der mündlichen Verhandlung vom 30.11.2001 auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Vorbringen hinsichtlich des Ersatzmitgliedes R zu vervollständigen. Im Schriftsatz vom 20.02.2002 nimmt die Beklagte auch ausdrücklich auf diesen Hinweis Bezug. Es kann dahinstehen, ob das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 20.02.2002, der einen Tag vor der mündlichen Verhandlung vom 22.02.2002 einging, nicht bereits verspätet war. Jedenfalls aber hatte die Beklagte hinreichend Gelegenheit, substanziierten und schlüssigen Vortrag im Zeitraum vom 30.11.2001 bis zum 22.02.2002 vorzubringen. Irgendeinen Grund, warum dieses erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung geschehen konnte, hat die Beklagte nicht vorgebracht.

III. Dahinstehen kann damit, ob die Wirksamkeit der Kündigung nicht bereits daran scheitern musste, dass nicht mit der für eine einseitige Willenserklärung nötigen Deutlichkeit eine Änderungskündigung (Kündigung des gesamten Vertragsverhältnisses verbunden mit einem geänderten Vertragsangebot) statt einer Teilkündigung ausgesprochen wurde.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

RECHTSMITTELBELEHRUNG

Gegen dieses Urteil ist mangels ausdrücklicher Zulassung die Revision nicht statthaft, § 72 Abs. 1 ArbGG. Wegen der Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde beim

Bundesarbeitsgericht Hugo-Preuß-Platz 1 99084 Erfurt Fax: (0361) 2636 - 2000

anzufechten wird auf die Anforderungen des § 72 a ArbGG verwiesen.



Ende der Entscheidung

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