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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 02.09.2004
Aktenzeichen: 4 Ta 230/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114
- Maßstäbe für hinreichende Erfolgsaussicht

- Grundsätzlich keine Beweisantizipation im PKH-Verfahren


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

4 Ta 230/04

In Sachen

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln am 02.09.2004 - ohne mündliche Verhandlung - durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der PKH-Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 10.05.2004 aufgehoben.

2. Dem Arbeitsgericht wird gemäß § 572 Abs. 3 ZPO übertragen, erneut über die Prozesskostenhilfe zu entscheiden und dabei die hinreichende Erfolgsaussicht zu bejahen.

Gründe:

Die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage konnte nicht verneint werden.

Bei der Entscheidung nach § 114 ZPO ist das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtsschutzgleichheit zu beachten, so dass die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden dürfen (z. B. BVerfG 14.10.2003 - 1 BVR 901/03 - NVwZ 2004, 334). Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern nur zugänglich machen. Dem genügt das Gesetz in § 114 ZPO, indem es die Gewährung von Prozesskostenhilfe bereits dann vorsieht, wenn nur hinreichende Erfolgsaussichten für die beabsichtigte Rechtsverfolgung bestehen, ohne dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (BVerfG 24. 7. 2002 NJW 2003, 576).

Dementsprechend verlangt § 114 ZPO auch nicht Erfolgsgewissheit, sondern lediglich eine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es reicht aus, wenn bei einer allein erlaubten vorläufigen Prüfung der Parteivertrag als vertretbar bezeichnet werden kann, wobei die Anforderung an die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen nicht überspannt werden dürfen. Es genügt, wenn der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat, keineswegs ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich (vgl. LAG Düsseldorf 29.11.1999 - 15 Ta 553/99 - LAGE § 114 ZPO Nr. 36).

Grundsätzlich gilt das Verbot der Beweisantizipation auch im PKH-Prüfungsverfahren. Es darf grundsätzlich das Ergebnis einer Beweisaufnahme nicht vorweggenommen werden. Davon können Ausnahmen gemacht werden, wenn ein Zeuge bereits vernommen ist oder sonst eine gerichtliche Beweiserhebung bereits erfolgt ist (vgl. z. B. Zöller/Philippi, § 114 Rn. 36).

Dieses ist vorliegend nicht der Fall.

I. Beide Gutachten, auf die sich das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung bezieht, sind zum einen keine gerichtlichen Gutachten, so dass anhand dieser Gutachten schon grundsätzlich die Erfolgsaussicht nicht verneint werden kann.

Davon abgesehen, befasst sich keines dieser Gutachten mit dem vom Kläger konkret angesprochenen Arbeitsplatz an der Sortiermaschine für Romanhefte (Blatt 3 d. A.) bzw. an dem Förderband, aus dem die entsprechenden Taschenbücher im Rahmen der Kommissionierung zu entnehmen waren, wo nach dem von der Beklagten bestrittenen Vortrag des Klägers jeweils mit Sitzhilfe gearbeitet werden kann. Durch gerichtlichen Hinweis nach § 139 ZPO wäre zu klären, ob es sich insoweit um zwei Arbeitsplätze oder um ein und demselben Arbeitsplatz handelt. Der Kläger hat bereits in der Klageschrift Sachverständigenbeweis angeboten.

Selbst dann, wenn man davon ausginge, dass allein Arbeitsunfähigkeitszeiten vor dem Verzugszeitraum ein Indiz für das Leistungsunvermögen darstellen könnten (das BAG spricht in der Entscheidung vom 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - von der indiziellen Wirkung von Krankheitszeiten des Arbeitnehmers "vor und nach" dem Verzugszeitraum), so hat der Kläger doch auch unter Berücksichtigung der vorliegenden Gutachten hinreichend substantiiert vorgetragen, an welchem Arbeitsplatz er noch beschäftigt werden kann. Sofern sich beide Parteien insoweit auf Sachverständigengutachten bezogen haben, werden die Sachverständigen darauf angewiesen sein, den Sachverhalt anhand von Dokumentationen und Aussagen von Ärzten für die damalige Zeit zu klären. Dementsprechend wird der Kläger gehalten sein, alle ihn behandelnden Ärzte und Sachverständigen von der Schweigepflicht zu entbinden. Die angebotenen Beweise sind sodann zu erheben (vgl. auch BAG a.a.O.).

Insbesondere darf nicht davon ausgegangen werden - wie es die Beklagte meint, dass es schlechterdings ausgeschlossen erscheine, durch Sachverständigengutachter die damalige Leistungsfähigkeit oder Leistungsunfähigkeit festzustellen. Allein auf Grund des Zeitablaufs kann nicht von der Erfolglosigkeit einer Beweisaufnahme durch ein Sachverständigen ausgegangen werden. Ob ein Sachverständigengutachter zum Leistungsvermögen des Klägers im Streitzeitraum (noch) Angaben machen kann, ggf. auf Grund von Krankenakten oder Ähnlichem, gehört zu den vom Sachverständigen zu beantwortenden Fragen und lässt sich erst nach Beweiserhebung beurteilen (so ausdrücklich BAG a.a.O.).

Soweit die Beklagte meint, eine Klärung durch einen Sachverständigen sei heute nicht mehr möglich, so übersieht sie ein Weiteres: Der Kläger hat zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht er, sondern die Beklagte die Beweislast für seine Arbeitsunfähigkeit hat. Dieses ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des § 297 BGB.

II. Kläger hat auch - soweit das für die Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht überhaupt erforderlich ist - substantiiert genug dargelegt, auf welchem anderen freien Arbeitsplatz oder durch Ausübung des Direktionsrechts der Beklagten zu schaffenden Arbeitsplatz er hätte beschäftigt werden können.

Der Kläger hat sowohl die oben genannten Arbeitsplätze als auch unter Hinweis auf das Gutachten Dr. T weitere Tätigkeiten genannt (Blatt 69 d. A.) und erneut in der Beschwerdeschrift allgemein einen Arbeitsbereich bezeichnet.

Die Beklagte hat demgegenüber an keiner Stelle substantiiert vorgetragen, sondern sich lediglich auf den Bescheid des Integrationsamtes bezogen, auf den auch das Arbeitsgericht Bezug nimmt.

Dem Bescheid des Integrationsamtes (Blatt 51 ff. d. A.) ist indes überhaupt nicht zu entnehmen, welche alternativen Einsatzmöglichkeiten geprüft worden sind. Das Integrationsamt bezieht sich lediglich auf eine "umfassende Prüfung" der Beklagten, die negativ ausgefallen sei. Worauf sich die Prüfung bezogen haben soll, ist dem Bescheid des Integrationsamtes nicht zu entnehmen. Offensichtlich hat das Integrationsamt auch nicht selbst Erhebungen angestellt.

Es ist schließlich darauf hinzuweisen, dass der Kläger schwerbehindert ist, so dass an die Beschäftigungspflicht der Beklagten nach § 81 Abs. 4 SGB IX erhöhte Anforderungen gestellt werden. Dazu gehört insbesondere auch die behinderungsgerechte Gestaltung des Arbeitsplatzes nach § 81 Abs. 4 Nr. 4 und die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen nach § 81 Abs. 4 Nr. 5.

III. Ansprüche des Klägers sind auch nicht etwa auf Grund des zwischen den Parteien geschlossen Vergleichs ausgeschlossen -wie die Beklagte meint. Wenn dort geregelt ist, dass das Arbeitsverhältnis "ordnungsgemäß abgewickelt" wird, so ist damit über Zahlungsansprüche weder positiv noch negativ eine Regelung getroffen. Auch wenn die Beklagte bei Vergleichsschluss am 19.05.2003 davon ausgegangen ist, dass der Kläger arbeitsunfähig sei, so übersieht sie, dass der Kläger mit Schreiben vom 02.12.2002 die Beklagte aufgefordert hat, ihm ab dem 02.01.2003 wieder einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, da er aller Voraussicht nach ab dem Zeitpunkt wieder arbeitsfähig sei. Die Beklagte hatte dieses mit Schriftsatz vom 19.12.2002 bestritten. Die Beklagte konnte daher nicht davon ausgehen, dass zwischen den Parteien unstreitig sei, dass der Kläger arbeitsunfähig sei. Das jetzige Begehren des Klägers verstößt schon deshalb nicht gegen Treu und Glauben.

Ende der Entscheidung

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