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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 21.04.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 419/08
Rechtsgebiete: AGG, BetrVG


Vorschriften:

AGG § 10 S. 3 Ziff. 6
BetrVG § 75 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19.09.2007 - 7 Ca 3739/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz und das AGG eine zu niedrige Sozialplanabfindung erhalten hat.

Der am 16.05.1948 geborene Kläger war seit dem 01.04.1963 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Leiter der Zerspannung zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 5.515,78 €.

Aus wirtschaftlichen Gründen sah sich die Beklagte im Jahre 2006 gezwungen, u. a. die Teilschließung des Werks Werkzeugbau vorzunehmen. Mit Datum vom 27.06.2006 schloss die Beklagte deshalb mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan ab (Bl. 11 ff. d. A.).

In der darin enthaltenen Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer war auch der Kläger aufgeführt.

Der Sozialplan sah in Ziffer 3 (Bl. 17 d. A.) eine Abfindung vor, die sich wie folgt berechnete:

"Monatlicher Bruttoverdienst x Betriebszugehörigkeit x 1,0"

Ferner sieht der Sozialplan nach Alter gestaffelte zusätzliche Abfindungsbeträge sowie einen Härtefond vor, der ebenfalls nach Alter gestaffelt auf die Arbeitnehmer verteilt werden sollte.

Kern des Streits der Parteien ist die Höchstbetragsregelung in Nr. 3 f) des Sozialplans. Danach wird die Basisabfindung auf einen Höchstbetrag von 85.000,00 € begrenzt.

Nachdem die Kündigungsschutzklage des Klägers gegen die aufgrund des Interessenausgleichs ausgesprochene Kündigung rechtskräftig erfolglos blieb, erhielt der Kläger von der Beklagten die auf den Höchstbetrag begrenzte Basisabfindung in Höhe von 85.000,00 € sowie den im Sozialplan vorgesehenen Sonderabfindungsbetrag in Höhe von 7.000,00 €, insgesamt 92.000,00 €.

Der Kläger hält die Begrenzung der Basisabfindung im Sozialplan auf 85.000,00 € für gleichheitswidrig und für einen Verstoß gegen das AGG. Die Höchstbetragsregelung müsse entfallen, so dass ihm ein Gesamtabfindungsanspruch in Höhe von 249.142,74 € zustehe, so dass abzüglich des gezahlten Abfindungsbetrages die mit der Klage geltend gemachte Restabfindung in Höhe von 157.142,74 € brutto noch gezahlt werden müsse.

Durch Urteil vom 19.09.2007 (Bl. 51 ff. d. A.) hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Eine unzulässige Altersdiskriminierung liege nicht vor. Von einer Kappung der Basisabfindung könnten vielmehr auch Arbeitnehmer betroffen sein, die nur eine relativ kurze Betriebszugehörigkeit und ein geringes Lebensalter aufwiesen. Zudem sei eine Staffelung des Abfindungshöchstbetrages in Abhängigkeit von Lebensalter des jeweiligen Arbeitnehmers zulässig, sofern sie als eine angemessene typisierende Reaktion auf die einhergehende Verschlechterung der Berufsaussichten erscheine. Hierzu sei bei älteren Arbeitnehmern zu berücksichtigen, dass sich die Zeit der Überbrückung bis zur Rentenberechtigung verkürze. Letztlich könne der Anspruch des Klägers auch deshalb keinen Erfolg haben, weil eine Teilunwirksamkeit der vom Kläger beanstandeten Bestimmung des Sozialplans zu Gesamtnichtigkeit des Sozialplans führe. Hiergegen hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung einlegen und begründen lassen.

Der Kläger trägt vor, der Sozialplan sei mittelbar altersdiskriminierend. Ältere Mitarbeiter seien von der Kappungsregelung besonders betroffen. Die älteren Mitarbeiter würden wegen des bei ihnen regelmäßig hohen Faktors "Betriebszugehörigkeit" regelmäßig in ihrem Abfindungsanspruch begrenzt, da ein höheres Alter ebenso regelmäßig zu einer längeren Betriebszugehörigkeit führe. Dies lasse sich auch konkret anhand verschiedener bei der Beklagten tätig gewesener Arbeitnehmer begründen (Bl. 80 d. A.).

Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts könne nicht angenommen werden, dass nach der gewählten Formel auch solche Arbeitnehmer benachteiligt würden, die bei kurzer Betriebszugehörigkeit ein höheres Bruttogehalt bezogen hätten. Dies sei nur bei unrealistisch hohen Monatsverdiensten der Fall. Eine objektive Benachteiligung der Arbeitnehmer über 55 Jahre sei auch durch Ziffer 3 b) des Sozialplans gegeben. Die Differenzierung sei sachlich nicht gerechtfertigt. Zwar könne eine sachliche Rechtfertigung angenommen werden, wenn entsprechend § 10 S. 3 Ziffer 6 AGG die Beschäftigten zusammen mit anderen Sozialversicherungsleistungen ausreichend wirtschaftlich abgesichert seien, etwa nach Bezug von Arbeitslosengeld I und anschließender vorgezogener Rentenberechtigung. Hieran fehle es aber im Fall des Klägers, denn dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld I ende zum 31.08.2008. Anschließend habe er eine Versorgungslücke von 5 Jahren zu überbrücken und erhalte durch die gekappte Abfindung noch deutlich weniger als die Regelabfindung. Der Ansicht des Arbeitsgerichts, aus der Teilnichtigkeit des Sozialplans folge dessen Gesamtnichtigkeit, könne nicht gefolgt werden, denn die dazu früher vom Bundesarbeitsgericht ergangene Rechtsprechung könne seit Inkrafttreten des AGG keinen Bestand mehr haben.

Der Kläger beantragt

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 19.09.2007 - 7 Ca 3739/07 - die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine weitere Sozialplanabfindung in Höhe von 157.142,74 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Eine Diskriminierung im Sinne des AGG liege bereits deshalb nicht vor, weil das AGG nicht anwendbar sei, weil es erst nach Abschluss des Sozialplans in Kraft getreten sei.

Im Übrigen liege eine Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters nicht vor. Dem Kläger werde durch die Kappungsgrenze lediglich ein Vorteil vorenthalten, auf den er rechtlich keinen Anspruch habe. Die Kappungsgrenze sei zudem ein rechtlich zulässiges und gebotenes Korrektiv der Überbetonung des Kriteriums Betriebszugehörigkeit.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, an deren Zulässigkeit keine Bedenken bestehen, ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen.

Im Hinblick auf das zweitinstanzliche Vorbringen der Parteien ist Folgendes festzuhalten.

1. Dahinstehen kann, ob das AGG auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Zwar ist das AGG erst nach Abschluss des hier streitgegenständlichen Sozialplans in Kraft getreten. Andererseits ist die Frage der Zulässigkeit von Höchstbetragsklauseln mit Blick auf einen möglichen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung nach Erlass des AGG nicht anders zu beurteilen als vor Erlass der Richtlinie EGRL 78/2000, weil das Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung wegen des Alters bereits vorher durch § 75 Abs. 1 S. BetrVG a. F. bereits umgesetzt war. Danach hatten die Betriebsparteien darauf zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersgrenzen benachteiligt werden. Deshalb ist unabhängig von der Frage, ob die Richtlinie nicht bereits vor Ablauf der im Dezember 2006 endenden Umsetzungsfrist zu beachten gewesen wäre, nicht relevant, weil sich die Rechtslage jedenfalls hinsichtlich der Zulässigkeit von Höchstbetragsklauseln nicht geändert hat (siehe BAG, Urteil vom 02.10.2007 - 1 AZN 793/07 - Der Betrieb 2008, S. 69).

2. Dem Maßstab des § 75 Abs. 1 BetrVG hält die vorliegend im Sozialplan enthaltende Höchstbetragsklausel vom 85.000,00 € stand.

Nach § 75 Abs. 1 BetrVG haben Arbeitgeber und Betriebsrat darauf zu achten, dass Arbeitnehmer nicht wegen ihres Alters benachteiligt werden. Damit ist jedoch nicht jegliche unterschiedliche Behandlung ausgeschlossen. Eine sachlich begründete Differenzierung bleibt zulässig. Vorliegend ist weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Benachteiligung des Klägers wegen seines Alters festzustellen.

a) Eine unmittelbare Benachteiligung läge nur vor, wenn eine Person wegen ihres Alters in einer vergleichbaren Situation eine schlechtere Behandlung erfahren hat als eine andere Vergleichsperson. Eine solche unmittelbare Benachteiligung sieht der Sozialplan hingegen nicht vor. Denn die Basisabfindung steigt mit fortschreitender Betriebszugehörigkeit. Damit werden in der Tendenz ältere Arbeitnehmer gegenüber jüngeren Arbeitnehmern besser gestellt, weil, worauf die Klägerseite mit Recht hinweist, im Regelfall eine längere Betriebszugehörigkeit mit einem höheren Lebensalter einhergeht. Eine unmittelbare Benachteiligung lässt sich bei einer solchen Sozialplangestaltung nicht feststellen (ebenso LAG Köln Urteil vom 7.11.2007 - 3 Sa 203/07).

b) Eine mittelbare Benachteiligung wegen Alters durch die Höchstbetragsgrenze kann ebenfalls nicht festgestellt werden. Eine solche mittelbare Benachteiligung kann angenommen werden, wenn sich dem Anschein nach neutrale Vorschriften bei Personen eines bestimmten Alters im Vergleich mit anderen Personen in besonderer Weise benachteiligend auswirken können, ohne dass dies sachlich gerechtfertigt ist. Eine solche mittelbare Benachteiligung kann aber nur vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer gegenüber einer Vergleichsperson eine ungünstigere Behandlung erfährt. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden, da der Kläger im vorliegenden Fall die höchstmögliche Abfindung erhalten hat. Es lässt sich keine Vergleichsperson denken, die im Hinblick auf den Abfindungsanspruch besser gestellt wäre. Die Höchstbetragsgrenze bewirkt nicht eine Schlechterstellung älterer Arbeitnehmer, sondern nur, dass eine weitere Besserstellung wegen fortgeschrittener Betriebszugehörigkeit und damit einhergehend fortgeschrittenem Lebensalter nicht realisiert werden kann. In einer solchen Konstellation liegt keine mittelbare Diskriminierung vor (ebenso LAG Köln Urteil vom 7.11.2007 - 3 Sa 203/07).

Diesbezüglich liegt auch ein deutlicher Unterschied zu dem von der Klägerseite angezogenen Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 04.06.2007- 14 Sa 201/07 - vor. Während im dortigen Verfahren in Rede stand, dass der Sozialplananspruch eines Arbeitnehmers, der im Anschluss an das Arbeitsverhältnis unmittelbar vorzeitige Altersrente beanspruchen konnte, bis auf geringfügige Übergangsbeträge vollständig entfiel, und der betroffene Arbeitnehmer dadurch gravierend geringere Sozialplanleistungen in absoluter Höhe beanspruchen konnte als jüngere Arbeitnehmer, verbleibt es bei der im vorliegenden Fall getroffenen Sozialplanvereinbarung dabei, dass der Höchstbetrag nicht gekürzt wird und somit kein älterer Arbeitnehmer schlechter gestellt wird.

3. Aus den selben Gründen ergibt sich aus einer richtlinienkonformen Auslegung auf der Basis der Richtlinie 2000/78/EG kein Anspruch. Es liegt keine ungerechtfertigte Benachteiligung im Sinne der Richtlinie vor, sondern lediglich eine ausgebliebene Bevorteilung. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen des Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG vor. Danach scheidet eine Altersdiskriminierung immer dann aus, wenn die Ungleichbehandlung objektiv und angemessen ist und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt wird und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Der Europäische Gerichtshof billigt insoweit dem Gesetzgeber und den Sozialpartnern einen weiten Ermessenspielraum zu (siehe EuGH, Urteil vom 16.10.2007 - C-411/05 - NZA 2007, S. 1219).

Dies gilt auch für die kollektivrechtliche Ebene der Betriebspartner. Legt man diesen Maßstab zugrunde, so stellt die Verwirklichung des Sozialplanzwecks, der darin besteht, dass begrenzte Sozialplanvolumen möglichst allen betroffenen Arbeitnehmern als verteilungsgerechte Überbrückungshilfe zur Verfügung zu stellen, ein legitimes Ziel dar. Deshalb war es auch in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannt, eine Höchstbetragsklausel vorzusehen (siehe BAG, Urteil vom 19.10.1999 - 1 AZR 838/98 - NZA 2000, S. 732 f.).

Daran hat sich auch nach Inkrafttreten des AGG nichts geändert (siehe BAG, Urteil vom 02.10.2007 - 1 AZN 793/07 - Der Betrieb 2008, S. 69).

Nicht gefolgt werden kann schließlich dem Argument, die vorgesehene Höchstbetragsregelung führe dazu, dass der Kläger hinsichtlich des Zeitraums bis zum Erreichen des regulären Rentenbezuges durch den Abfindungsbetrag nicht vollständig finanziell abgesichert sei. Denn dies ist auch bei jüngeren Arbeitnehmern, insbesondere bei solchen, die unter 55 Jahre alt sind, nicht der Fall. Auch diese haben gegenüber einem ungekündigten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis zum regulären Rentenalter in der Regel erhebliche Einbußen hinzunehmen und erreichen, gerade dann, wenn sie mit ihrer Abfindung den Höchstbetrag gar nicht erreichen, bei Weitem keinen vollständigen Ausgleich für den Zeitraum bis zum Renteneintritt. Vor diesem Hintergrund kann auch die Regelung in Ziffer 3 b) des Sozialplans nicht beanstandet werden, wonach die über 55jährigen einen zusätzlichen Abfindungsbetrag in Höhe von 4.500,00 € erhalten, die 50- bis 55jährigen jedoch einen solchen von 6.000,00 €. Denn es liegt im Gestaltungsermessen der Betriebspartner, das Maß der typischerweise durch eine Kündigung entstehenden Nachteile zu bewerten und die begrenzten Sozialplanmittel entsprechend zu verteilen.

1. Nach allem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben und musste mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO abgewiesen werden.

Dem Antrag der Klägerseite, die Revision zuzulassen, hat die Kammer stattgegeben gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG im Hinblick auf die rechtsgrundsätzliche Frage der Altersdiskriminierung.

Ende der Entscheidung

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