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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 30.06.2008
Aktenzeichen: 5 TaBV 48/07
Rechtsgebiete: ERTV


Vorschriften:

Entgeltrahmentarifvertrag-Telekom (ERTV)
Nach § 11 Abs. 5 ERTV ist sowohl die Anrechnung anderweitiger Beschäftigungszeiten innerhalb wie außerhalb des Konzerns vorgesehen.
Tenor:

1. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.06.2007 - 4 BV 212/06 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten um die zutreffende tarifliche Eingruppierung des Arbeitnehmers Roland R .

Die Antragstellerin ist die T AG. Mit ihrem Betrieb V betreibt sie Personalüberhang- und Vermittlungsmanagement. Dort beschäftigt sie den Arbeitnehmer Roland R .

Der Antragsgegner ist der im Betrieb V amtierende Betriebsrat.

Der Arbeitnehmer Roland R war seit dem 01.09.1967 für die Antragstellerin tätig.

Vom 01.10.1999 bis zum 31.10.2005 war Herr R beurlaubt mit Rückkehrgarantie (Bl. 66 d. A.), und zwar zunächst für eine Tätigkeit bei der Tochter der Antragstellerin, der K GmbH, später für die Ka GmbH & Co. KG, die Ende 2001/Anfang 2002 von der Antragstellerin verkauft wurde.

Zum 01.07.2001 führte die Antragstellerin das "Neue Bezahlungs- und Bewertungssystem" (NBBS) ein. Dazu wurde ein Entgeltrahmentarifvertrag, der ERTV abgeschlossen, der zum 01.07.2001 in Kraft trat.

Zum 01.03.2004 trat der Tarifvertrag über Sonderregelungen, der TV-SR in Kraft.

Die Antragstellerin vertrat die Auffassung, der Arbeitnehmer Roland R sei in die Entgeltgruppe T 6 Gehaltsstufe 2 einzugruppieren. Demgegenüber vertrat der Antragsgegner die Auffassung, der Arbeitnehmer sei in die Entgeltgruppe T 6 Gehaltsstufe 4 einzugruppieren.

Dem Eingruppierungsverlangen der Antragstellerin widersprach der Antragsgegner fristgerecht durch Schreiben vom 04.08.2006 (Bl. 22 f. d. A.).

Durch Beschluss vom 27.06.2007 hat das Arbeitsgericht den daraufhin bei Gericht eingereichten Zustimmungsersetzungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass § 11 TV-SR keine Spezialregelung sei, der Begriff der Einstellung in § 11 Abs. 5 ERTV auf Rückkehrer aus Beurlaubungen Anwendung finde, und dass in jener Bestimmung eröffnete Ermessen im vorliegenden Fall auf null dahingehend reduziert sei, dass eine Anrechnung der Tätigkeitszeiten, die der Arbeitnehmer R während der Beurlaubungen erbracht habe, vorzunehmen sei.

Hiergegen richtet sich die streitgegenständliche, fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, die nach Verlängerung der Beschwerdefrist innerhalb der verlängerten Beschwerdefrist auch fristgerecht begründet wurde.

Die Antragstellerin bringt vor, die Auslegung der tarifvertraglichen Vorschriften ergebe ein eindeutiges Ergebnis im Sinne der Beschwerdeführerin. Für Herrn R gelte die Sonderregelung nach § 11 des TV-SR. Demgegenüber sei § 11 ERTV nicht einschlägig. § 11 ERTV stelle ausschließlich auf Beschäftigungszeiten ab. Die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen sei der Kernpunkt des Erdienens von Gruppenstufenzugehörigkeiten. Für Rückkehrer aus Beurlaubungen gelte hingegen als speziellere Vorschrift § 11 des TV-SR. Nach § 11 Abs. 5 TV-SR beginne die Gruppenstufenzugehörigkeit frühestens ab dem 01.07.2001. Bei einer Rückkehr aus einer Beurlaubung nach diesem Zeitpunkt beginne die Gruppenstufenzugehörigkeit erstmals mit dem Zeitpunkt der Rückkehr. Dies sei beim Arbeitnehmer R der 01.11.2005, so dass die Gruppenstufenzugehörigkeit der Stufe 2, nicht aber diejenige der Stufe 4 erreicht sei.

Im Übrigen werde die Auffassung der Antragstellerin auch durch die in den Tarifvertragsinfos, insbesondere durch die in dem Tarifvertragsinfo Nr. 1 und in dem Tarifvertragsinfo Nr. 6 mitgeteilten Informationen gestützt.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.06.2007 - AZ 4 Beschäftigungsverhältnis 212/06 - abzuändern und die Zustimmung des Antragsgegners zur Zuordnung des Arbeitnehmers R R zur Gruppenstufe 2 der Entgeltgruppe T 6 zum Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV) zu ersetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner vertritt die Auffassung, die vom 01.07.2001 bis zum 31.10.2005 bei der Ka GmbH & Co. KG erbrachten Beschäftigungszeiten seien gem. § 11 Abs. 4 und Abs. 5 ERTV zu berücksichtigen, so dass die Gruppenzugehörigkeitsstufe 4 der Entgeltgruppe T 6 zutreffend sei. Dabei sei entsprechend § 11 Abs. 1 TV-SR die Eingruppierung zum 01.07.2001 vorzunehmen. Davon zu unterscheiden sei der Zeitpunkt, in welchem das Eingruppierungsverfahren tatsächlich durchgeführt werde. Die Berücksichtigung von Beschäftigungszeiten während einer Beurlaubung richte sich nach § 11 Abs. 4 u. 5 ERTV. Dabei sei in § 11 Abs. 5 ERTV mit Einstellung die betriebsverfassungsrechtliche Einstellung, also die Wiederaufnahme der Tätigkeit bei der Antragstellerin gemeint.

Im Übrigen sei der Anspruch des Arbeitnehmers R auf Eingruppierung in Gruppenzugehörigkeitsstufe 4 aufgrund der Rückkehrgarantie, die allen beurlaubten Arbeitnehmern im Wege einer Gesamtzusage erteilt worden sei, berechtigt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht begründet.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Zustimmungsersetzung zur Eingruppierung des Arbeitnehmers R R in Entgeltgruppe T 6 Gruppenstufe 2 zurückgewiesen.

1. Keine Einwende erhebt die Antragstellerseite gegen die zutreffende erstinstanzliche Feststellung, dass der Antragsgegner seine Zustimmungsverweigerung mit Schreiben vom 04.08.2006 frist- und formgerecht gem. § 99 Abs. 3 BetrVG der Antragstellerin mitgeteilt hat.

2. Gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG liegt ein Zustimmungsverweigerungsgrund vor. Nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann ein Betriebsrat einer Eingruppierung u. a. dann widersprechen, wenn diese gegen eine Bestimmung in einem Tarifvertrag verstoßen würde. Diese Voraussetzung ist hier gegeben, denn die von der Antragstellerin begehrte Eingruppierung widerspricht sowohl der Regelung in § 11 ERTV als auch der Regelung in § 11 TV-SR. Vielmehr folgt aus den tariflichen Regelungen, dass der Arbeitnehmer tarifvertragskonform in die Entgeltgruppe T 6 Gruppenstufe 4 einzugruppieren ist.

3. Bereits aus § 11 des TV-SR, auf den sich die Antragstellerin beruft, folgt, dass im vorliegenden Fall die Zeiten ab dem 01.07.2001 berücksichtigt werden müssen, so dass Gruppenstufe 4 erreicht ist.

Paragraph 11 TV-SR ist nach den Grundsätzen auszulegen, die das Bundesarbeitsgericht für die Tarifauslegung aufgestellt hat. Danach folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten . Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben des Tarifwortlauts zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat (s. BAG Urt. v. 25.10.1995 - 4 AZR 478/94 - NZA 1996, S. 988 ff.).

Bei der Auslegung kann auch der Wille der Tarifvertragsparteien maßgeblich sein, aber nur dann, wenn er sich in Wortlaut und Systematik niedergeschlagen hat, s. BAG Urt. v. 20.08.1996 - 9 AZR 22/95 - NZA 1997, S. 839 f..

Im vorliegenden Fall ist der Tarifvertrag TV-SR auf das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers R anwendbar, denn dieser Tarifvertrag gilt nach § 1 für diejenigen Arbeitnehmer der Antragstellerin, die am 30.06.2001 schon und am 01.07.2001 noch in einem Arbeitsverhältnis zur Antragstellerin standen.

Der Wortlaut des § 11 TV-SR ist eindeutig.

Paragraph 11 Abs. 1 TV-SR lautet:

"Arbeitnehmer, die unter den Geltungsbereich des § 1 fallen, werden zum 01.07.2001 der Gruppenstufe zugeordnet, in der das Monatsentgelt am nächsten unter dem Monatsbezugsgehalt nach § 10 liegt, jedoch mindestens in Gruppenstufe 1."

Paragraph 11 Abs. 5 TV-SR lautet:

"Die Zeit der Gruppenstufenzugehörigkeit beginnt frühestens ab dem 01.07.2001."

Aus dem Wortlaut dieser Vorschriften ergibt sich unter Berücksichtigung der Überschrift des § 11 TV-SR "Erstmalige Zuordnung zu Gruppenstufen", dass jeder Arbeitnehmer zum zeitlichen Eingruppierungsbezugspunkt am 01.07.2001 einer Gruppenstufe zugeordnet werden muss. Davon zu unterscheiden ist der Zeitpunkt, zu dem tatsächlich das Eingruppierungsverfahren durchgeführt wird. Paragraph 11 Abs. 1 TV-SR regelt nach seinem Wortlaut jedenfalls den Zeitpunkt, auf den sich die Eingruppierung zu beziehen hat. Damit wäre der Arbeitnehmer R bereits zum 01.07.2001 mindestens der Gruppenstufe 1 zuzuordnen gewesen. Dem entspricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 TV-SR, wonach die Zeit der Gruppenstufenzugehörigkeit frühestens ab dem 01.07.2001 beginnt.

Die Auffassung der Antragstellerseite, Zeiten nach dem 01.07.2001 könnten nur berücksichtigt werden, wenn es sich um tatsächliche Beschäftigungszeiten bei der Antragstellerin handelt, findet im Wortlaut des Tarifvertrages TV-SR keinerlei Stütze. Wäre die Auffassung der Antragstellerseite richtig, müsste § 11 Abs. 5 lauten:

"Die Zeit der Gruppenstufenzugehörigkeit beginnt ab dem Beginn der Beschäftigung und frühestens ab dem 01.07.2001."

Demgegenüber wird in § 11 TV-SR die tatsächliche Beschäftigung als Voraussetzung für den Erwerb von Gruppenstufenzugehörigkeiten nicht erwähnt. Auch in § 1 des TV-SR, der den Geltungsbereich des Tarifvertrages regelt, wird nur der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses, nicht aber die Beschäftigung vorausgesetzt. Der Regelungszweck des § 11 Abs. 5 TV-SR liegt allein darin, die Gruppenstufenzugehörigkeit insoweit zu begrenzen, als aufgrund dieser Regelung Zeiten vor dem 01.07.2001, unabhängig davon, wo sie erbracht worden sind, nicht mitzählen. Damit ergibt diese Regelung auch einen plausiblen Sinn. Denn ohne diese Regelung wären fast alle längerfristig beurlaubten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bereits zum 01.07.2001 in die Gruppenstufe 4 einzuordnen gewesen.

Im klaren Widerspruch zum Wortlaut des Tarifvertrages steht auch die von der Antragstellerin vertretene Auffassung, nach der tarifvertraglichen Regelung sei Stichtag für die Eingruppierung erst die tatsächliche Rückkehr des Herrn R , also der 01.11.2005. Demgegenüber legt § 11 Abs. 1 TV-SR unter der Überschrift "Erstmalige Zuordnung zu Gruppenstufen" unmissverständlich fest, dass Arbeitnehmer die wie der Arbeitnehmer R unter den Geltungsbereich des § 1 TV-SR fallen, zum 01.07.2001 einer Gruppenstufe zugeordnet werde. Damit ist der Eingruppierungsstichtag klar und ohne Abweichungsbefugnis festgelegt.

4. Unabhängig vom Vorstehenden wird dieses Ergebnis durch § 11 Abs. 5 ERTV unterstrichen. Danach können als Dauer der Beschäftigung in der jeweiligen Entgeltgruppe auch solche Beschäftigungszeiten anerkannt werden, die unmittelbar vor der Einstellung bei einem anderen Tochterunternehmen der D AG oder anderen Unternehmen nachweislich in einer gleichwertigen Tätigkeit vergangen waren. Mit dieser Bestimmung ist zum einen klargestellt, dass gerade auch Beschäftigungszeiten, die nicht unmittelbar bei der Beklagten erbracht worden sind, anerkannt werden können. Es handelt sich also gerade um Zeiten, in denen der Arbeitnehmer bei der Antragstellerin nicht beschäftigt war, sondern bei anderen Unternehmen, seien es Tochterunternehmen der D AG oder externe Unternehmen. Zum anderen zeigt die Nennung der Alternativen "Tochterunternehmen der D AG" einerseits und "andere Unternehmen" andererseits, dass mit Einstellung die betriebsverfassungsrechtliche Wiedereingliederung in den Betrieb umfasst sein soll. Denn gerade bei einer vorherigen Beschäftigung in einem anderen Tochterunternehmen der D AG greift das von der Antragstellerin vorgebrachte Argument nicht durch, die gesamte Bestimmung des § 11 Abs. 5 ERTV diene nur dazu, Mitarbeiter vom freien Markt für eine Tätigkeit bei der D gewinnen zu wollen mit Hilfe der Anrechnung früherer Beschäftigungszeiten. Vielmehr zeigt § 11 Abs. 5 ERTV, dass damit auch der konzerninterne Wechsel und nicht nur die Mitarbeiteraquisition am freien Markt gemeint war. Auch im übrigen Wortlaut der Bestimmung des § 11 Abs. 5 ERTV befindet sich keine Andeutung, dass der dort verwendete Begriff "Einstellung" auf die "Neueinstellung" beschränkt wäre.

Weil § 11 Abs. 5 ERTV die vorherige Beschäftigung bei einem Tochterunternehmen der D AG mit der Beschäftigung bei einem externen Unternehmen gleichstellt, ist die Auffassung des Arbeitsgerichts zutreffend, dass das in Abs. 5 eröffnete Ermessen im vorliegenden Fall auf null reduziert worden ist dahingehend, dass eine Anrechnung erfolgen muss.

Auch § 11 Abs. 5 ERTV stützt daher die Position des Antragsgegners.

5. Soweit sich die Antragstellerin schließlich darauf beruft, angesichts dieses Verständnisses der tarifvertraglichen Regelungen mache die schuldrechtliche Vereinbarung aus dem Jahr 2002, mit der die Tarifvertragsparteien nur für konzernangehörige Gesellschaften eine Bestandsgarantie verabredet hätten, keinen Sinn, vermag sie mit diesem Argument nicht durchzudringen. Denn das Ergebnis der Tarifauslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Tarifvertragsparteien ggf. zur zusätzlichen und doppelten Absicherung des von der Arbeitnehmerseite Gewollten im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine weitere Vereinbarung abschließen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die für den Arbeitnehmer R maßgebliche Fassung des TV-SR vom 01.03.2004 datiert und damit zeitlich nach der schuldrechtlichen Vereinbarung liegt. Dieser TV-SR, der wie dargelegt, die Position des Antragsgegners stützt, geht in seinem Geltungsbereich über die schuldrechtliche Vereinbarung hinaus und dokumentiert, dass die Tarifvertragsparteien mit Wirkung vom 01.03.2004 eine Regelung mit höherer Rechtsqualität, nämlich einen Tarifvertrag, der über die schuldrechtliche Vereinbarung hinaus geht, zustande gebracht haben.

6. Nach allem konnte die Beschwerde der Antragstellerin keinen Erfolg haben und musste zurückgewiesen werden. Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde angesichts einer Mehrzahl weiterer Verfahren und Betroffener im Hinblick auf die rechtsgrundsätzliche Bedeutung der Sache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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