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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: 6 Sa 953/01
Rechtsgebiete: MuSchG


Vorschriften:

MuSchG § 3 Abs. 1
MuSchG § 11 Abs. 1
1. Ein individuelles Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG kann auch gerechtfertigt sein, wenn psychisch bedingter Stress Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind gefährdet. Der gefährdende Stress muss gerade durch die Fortdauer der Beschäftigung verursacht oder verstärkt werden (im Anschluss an BAG 21.03.2001 - 5 AZR 352/99). Dafür müssen objektive Anhaltspunkte vorliegen.

2. Der Beweiswert eines fachärztlich ausgesprochenen Beschäftigungsverbots erhöht sich, wenn es zeitnah durch einen unabhängigen Arzt bestätigt wird (hier durch ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung).


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 6 Sa 953/01

Verkündet am: 13.12.2001

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 13.12.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kalb als Vorsitzenden sowie die ehrenamtliche Richterin Schloß und den ehrenamtlichen Richter Meaubert

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 28.06.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 19 (5) Ca 1030/01 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Parteien streiten vor allem über die Zahlung von Mutterschutzlohn für die Zeit eines individuellen Beschäftigungsverbots der Klägerin, ferner über die Zahlung einer Tantieme und eines Weihnachtsgeldes für das Jahr 2000. Von der erneuten Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 8.06.2001 in vollem Umfang stattgegeben. Wegen seiner Entscheidungsgründe wird auf Blatt 128 ff. d. A. Bezug genommen.

1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Die Klage ist begründet. Das Berufungsgericht folgt dem Arbeitsgericht im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung. Die Angriffe der Berufung vermögen eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Im einzelnen gilt folgendes:

a) Die Klägerin kann die Zahlung von Mutterschutzlohn für die Zeit von Januar bis April 2001 in rechnerisch unstreitiger Höhe von 20.956,00 DM brutto gemäß den §§ 3 Abs. 1, 11 Abs. 1 MuSchG verlangen.

Der behandelnde Arzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sprach am 18.12.2000 ein individuelles Beschäftigungsverbot für die Klägerin nach § 3 Abs. 1 MuSchG aus (Kopie Bl. 3 d. A.). Es hat folgenden Wortlaut:

"Frau C. K befindet sich im Rahmen einer Schwangerschaft in meiner gynäkologisch-geburtshilflichen Betreuung.

Massive Traumatisierungen am Arbeitsplatz führten zu wiederholter psychischer Dekompensation und reaktiv zu rezidivierenden Uteruskontraktionen mit der drohenden Gefahr einer abortiven Entwicklung.

Zur Sicherstellung der psychischen und somatischen Gesundheit der Patientin und der ungefährdeten Entwicklung muss für die Dauer der Schwangerschaft ein totales Beschäftigungsverbot ausgesprochen werden."

Dieses Beschäftigungsverbot wurde mit Eingang bei der Beklagten am 21.12.2000 wirksam mit der Folge, dass die Klägerin fortan auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz bei der Beklagten nicht mehr beschäftigt werden durfte. Für die Zeit dieses Beschäftigungsverbots hat die schwangere Arbeitnehmerin einen Lohnersatzanspruch nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 MuSchG.

Die von der Beklagten geäußerten Zweifel an der Berechtigung des fachärztlich ausgesprochenen Beschäftigungsverbots greifen nicht durch. Soweit die Beklagte eine Beeinflussung der ärztlichen Willensbildung durch falsche Angaben der Klägerin über ihre Situation am Arbeitsplatz rügt, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es nicht darauf ankommt, ob von der spezifischen Tätigkeit im Betrieb Gefahren für die Schwangere ausgehen und ob solche Gefahren auch für andere Schwangere bestünden. Maßgeblich ist allein der individuelle Gesundheitszustand der am konkreten, möglicherweise völlig ungefährlichen Arbeitsplatz beschäftigten Arbeitnehmerin. Es genügt, dass die Fortsetzung der Arbeit die Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet, wobei unerheblich ist, auf welcher genauen Ursache die Gefährdung beruht (vgl. BAG vom 21.03.2001 - 5 AZR 352/99 - NZA 2001, 1017, 1018 m. w. N.). Entscheidend ist, dass die Gefährdung gerade mit der Fortsetzung der Arbeit verbunden ist. Unter dieser Voraussetzung können auch psychische Belastungen der Arbeitnehmerin ein Beschäftigungsverbot begründen, wie das Bundesarbeitsgericht vor kurzem klargestellt hat (BAG vom 21.03.2001 NZA 2001, 1017, 1018).

Nichts anderes hat der behandelnde Facharzt im Fall der Klägerin festgestellt und zur Grundlage des von ihm ausgesprochenen Beschäftigungsverbots gemacht. Die Beklagte hat den hohen Beweiswert, der dieser Bescheinigung zukommt, letztlich nicht erschüttern können. Der Arbeitgeber, der ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG nicht gegen sich gelten lassen will, kann vom ausstellenden Arzt Auskünfte über die Gründe für das Attest verlangen, soweit diese nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen. Das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an solchen Informationen resultiert daraus, dass er die Arbeitsbedingungen in Absprache mit dem Arzt möglicherweise so verändern kann, dass eine Weiterbeschäftigung ungefährlich wird. Unstreitig hat die Beklagte im vorliegenden Fall diesen Weg beschritten, indem sie über ihren Prozessbevollmächtigten ein Gespräch über die Grundlagen und den Fortbestand des Beschäftigungsverbots mit dem behandelnden Arzt führte. Die Bedenken und Anregungen der Beklagten wurden in einem umfangreichen Schreiben an den Arzt vom 23.01.2001 (Kopie Bl. 77 f. d. A.) zusammengefasst. Der behandelnde Arzt sah trotz alledem offenbar keinen Anlass, das Beschäftigungsverbot zurückzunehmen. Denn eine Reaktion auf das anwaltliche Schreiben der Beklagten erfolgte nicht.

Wird das ärztliche Attest aufrecht erhalten, will der Arbeitgeber das Beschäftigungsverbot aber gleichwohl nicht gegen sich gelten lassen, so kann er eine weitere ärztliche Untersuchung der Arbeitnehmerin verlangen (BAG vom 21.03.2001 NZA 2001, 1017, 1018 m. w. N.). Auch dies ist hier geschehen. Auf Intervention der Beklagten veranlasste nämlich die Krankenkasse der Klägerin die Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens zur Prüfung des ausgesprochenen Beschäftigungsverbots vom 18.12.2000. Im Gutachten vom 09.01.2001 (Kopie Bl. 81 ff. d. A.) kommt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung N zu dem Ergebnis, dass ein Beschäftigungsverbot sinnvoll sei. Es wird ausdrücklich vermerkt, dass diese Feststellung nach Rücksprache mit dem gynäkologischen Facharzt des M getroffen worden sei. Dieser zeitnah, noch während des aktuellen Beschäftigungsverbots vorgenommenen Begutachtung durch einen unabhängigen Arzt kommt nach Auffassung des Berufungsgerichts eine ganz besondere Bedeutung zu. Zwar kann der Arbeitgeber auch nach einer neuerlichen ärztlichen Untersuchung und unabhängig davon Umstände vortragen, die den Beweiswert des ärztlichen Zeugnisses erschüttern. Regelmäßig wird er auf diese Weise das Verbot aber nicht mehr vor Beginn der Frist des § 3 Abs. 2 MuSchG zu Fall bringen können, wenn der Arzt seine Erklärung nicht zurücknimmt (BAG vom 21.03.2001 NZA 2001, 1017, 1018 m. w. N.). Das muss gerade dann gelten, wenn - wie hier - das ärztliche Beschäftigungsverbot wenig später vom Medizinischen Dienst der Krankenkasse bestätigt wird.

Ohne Erfolg wendet die Beklagte insoweit ein, der medizinische Dienst habe sein Gutachten im wesentlichen unter Verwendung der gleichen Informationen und Unterlagen erstellt, unter denen auch das ärztliche Attest erstellt worden sei, so dass sich ebenfalls Zweifel an der Richtigkeit des Ergebnisses der Untersuchung des medizinischen Dienstes ergäben. Offenbar will die Beklagte damit vortragen, dass es der Klägerin ein zweites Mal gelungen sei, einen Arzt mit falschen Angaben über das Verhalten der Beklagten und die Bedingungen am Arbeitsplatz zur Ausstellung einer Gefälligkeitsbescheinigung zu veranlassen. Der Beklagten ist zuzugeben, dass die Ärzte im Hinblick auf die bescheinigten "massiven Traumatisierungen am Arbeitsplatz" auf die Schilderungen der Klägerin angewiesen waren. Das hinderte aber nicht die ärztliche Feststellung der körperlichen Folgen, nämlich wiederholte psychische Dekompensation und rezidivierende Uteruskontraktionen. Wenn daraus die drohende Gefahr einer abortiven Entwicklung abgeleitet und zur Sicherstellung der ungefährdeten Entwicklung der Schwangerschaft ein totales Beschäftigungsverbot ausgesprochen wurde, dann ist dies sachlich nachvollziehbar und nicht ohne weiteres wegen der subjektiven Komponente von einem geringeren Beweiswert. Die Voraussetzungen für ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 MuSchG können nämlich auch dann vorliegen, wenn psychisch bedingter Stress Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind gefährdet. Voraussetzung ist, dass der gefährdende Stress gerade durch die Fortdauer der Beschäftigung verursacht oder verstärkt wird (BAG vom 21.03.2001 NZA 2001, 1017). Der Beweiswert eines ärztlichen Beschäftigungsverbots kann in diesen Fällen dann erschüttert sein, wenn die Arbeitnehmerin einen psychisch bedingten Stress nur vorgeschoben hat, um eine weitere Beschäftigung zu vermeiden.

Davon kann im Streitfall keine Rede sein. Im Gegenteil bietet bereits der unstreitige Sachverhalt genügend Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin aufgrund ärztlich wahrnehmbarer Anzeichen tatsächlich in einer Stresssituation befunden hat, durch die eine Gefährdung von Mutter und Kind gerade bei einer Fortdauer der Beschäftigung ausgelöst wurde. Das Arbeitsgericht hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass das bis zur Mitteilung der Schwangerschaft offensichtlich beanstandungsfrei verlaufende Arbeitsverhältnis plötzlich einer erheblichen Belastung ausgesetzt war. Die Klägerin erhielt innerhalb kürzester Zeit fünf Abmahnungen, die - unabhängig von ihrer sachlichen Berechtigung - allein schon aufgrund von Zahl und Inhalt nachvollziehbar zu einer erheblichen seelischen Belastung der Klägerin führen mussten. Ganz besondere Bedeutung gewinnt in diesem Zusammenhang auch der Vorfall vom 21.11.2000, der unstreitig zu einer emotionalen Eskalation auf beiden Seiten führte. Es mag dahinstehen, wie sich das Gespräch zwischen dem Geschäftsführer und der Klägerin nach dem privaten Telefonanruf im einzelnen entwickelte. Jedenfalls haben beide Parteien vor dem Berufungsgericht übereinstimmend geschildert, dass die Klägerin wegen der Vorhaltungen durch den Geschäftsführer zuletzt in Tränen ausgebrochen und daraufhin das Gespräch beendet worden sei. Dieser Tatbestand macht deutlich, dass die Spannungen in der Zusammenarbeit ein Ausmaß erreicht hatten, welches zu einem nachhaltigen psychischen Stress bei der Klägerin führte. Zu berücksichtigen ist schließlich auch der Umstand, dass die Beklagte bereits frühzeitig versuchte, sich von der Klägerin durch Kündigung zu trennen, und zu diesem Zweck am 12.12.2001 bei der Bezirksregierung Köln die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 9 Abs. 3 S. 1 MuSchG beantragte. Alles dies sind objektive Anhaltspunkte dafür, dass sich die Klägerin damals in einer arbeitsplatzbedingten Stresssituation befand, mit der eine Gefährdung für Mutter und Kind gerade bei einer Fortdauer der Beschäftigung verbunden war. Der Beweiswert des ärztlichen Beschäftigungsverbots vom 18.12.2000 kann nach alledem nicht als erschüttert angesehen werden.

b) Die Klage ist auch begründet, soweit die Klägerin Nachzahlung der im Dezember 2000 wieder zurückgebuchten Tantieme in Höhe von 2.000,00 DM brutto verlangt.

Die Beklagte ist für einen vor der Zahlung vereinbarten bzw. einseitig gemachten Rückzahlungsvorbehalt beweisfällig geblieben. Die angeregte Parteivernehmung kam nicht in Betracht, weil die Voraussetzungen des § 448 ZPO nicht vorlagen. Es fehlt jede Wahrscheinlichkeit für den behaupteten Vorbehalt in einem Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Geschäftsführer der Beklagten und der Klägerin, zumal die Klägerin den Geschehensablauf insoweit substantiiert bestritten und ihrerseits gegenbeweislich Zeugnis von zwei Arbeitskolleginnen angeboten hat.

c) Der Klägerin steht schließlich auch ein Weihnachtsgeld in Höhe von 2.000,00 DM brutto zu. Wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, folgt der Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der gewohnheitsrechtlich anerkannt ist und dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Artikel 3 Abs. 1 GG entspricht (vgl. nur MünchKommBGB/Müller-Glöge, § 611 Rdnr. 449 m. w. N.).

Da die Beklagte auch mit der Berufung nicht bestritten hat, dass die Mitarbeiterinnen N und W mindestens ein Weihnachtsgeld in Höhe von 2.000,00 DM erhalten haben, muss der Klägerin ein entsprechender Zahlungsanspruch aus Gründen der Gleichbehandlung zuerkannt werden. Zu Unrecht wendet sich die Beklagte gegen eine Vergleichbarkeit dieser Mitarbeiterinnen mit der Klägerin. Dagegen spricht zwingend die Tatsache, dass allein die Klägerin und die Mitarbeiterinnen N und W im Jahre 2000 wegen ihrer Beiträge zum Geschäftserfolg eine Tantieme erhielten. Dies kann nur so gedeutet werden, dass die Beklagte diese Arbeitnehmerinnen für besonders wichtig hielt und im Hinblick auf die Sondervergütungen als gleichberechtigt ansah. Daran muss sich die Beklagte jedenfalls für das Weihnachtsgeld im Jahre 2000 festhalten lassen.

II. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 3, 97 Abs. 1 ZPO.

III. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.

Ende der Entscheidung

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