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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 24.01.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 1024/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 615
1. Ein insulinpflichtiger Diabetiker ist grundsätzlich nicht geeignet, als Busfahrer im Personenbeförderungsverkehr tätig zu sein.

2. Ausnahmen sind möglich, setzen jedoch außergewöhnliche Umstände voraus, die in einem ausführlichen medizinischen Gutachten im Einzelnen zu beschreiben sind.


Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2005 in Sachen 9 Ca 760/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen Vergütungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für den Monat Dezember 2003 .

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 9. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2005 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 24.06.05 zugestellt. Er hat hiergegen am 22.07.05 Berufung einlegen und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 23.09.05 am 23.09.05 begründen lassen.

Der Kläger bleibt bei seiner Behauptung, dass er im Dezember 2003 für eine Tätigkeit als Busfahrer im Personenverkehr fahrdiensttauglich gewesen sei. Zwar sei bei einer insulinpflichtigen Diabetes mellitus zunächst grundsätzlich von Fahrdienstuntauglichkeit auszugehen. Wie auch der Betriebsarzt der Beklagten Dr. O in seiner Auskunft vom 25.02.2004 bestätigt habe, könne sich aber auf der Grundlage eines Gutachtens ausnahmsweise auch eine andere Einschätzung im Einzelfall rechtfertigen lassen. Ein solches Gutachten, das seine Fahrdiensttauglichkeit bestätige, habe er jedoch bereits erstinstanzlich in Form des Gutachtens des Dr. P vom 22.10.2004 vorgelegt. Wie Dr. P nachfolgend am 20.12.2004 bescheinigt habe, sei ihm bei der Untersuchung bekannt gewesen, dass er, der Kläger, seit 1999 an Diabetes mellitus leide. Sogleich habe er bescheinigt, dass er, der Kläger, als Diabetiker ausnahmsweise geeignet sei, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe II gerecht zu werden.

Der Kläger und Berufungskläger vertritt die Auffassung, dass das Gutachten des Dr. P im Gegensatz zu dem Gutachten des Dr. O stehe und das Gericht daher ein neutrales Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage hätte einholen müssen, ob er im Dezember 2003 gesundheitlich in der Lage gewesen wäre, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 25.05.2005, 9 Ca 760/04, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.192,68 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gemäß § 1 Diskontüberleitungsgesetz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die beklagte Partei beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die beklagte Partei verteidigt die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils und hält an ihrer Auffassung fest, dass die Voraussetzungen eines Annahmeverzuges im Dezember 2003 nicht vorgelegen hätten.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens der Gutachterin Dr. med.

H. Vogel. Auf das Gutachten wird Bezug genommen (Bl. 174 ff. d.A.).

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 25.05.2006 ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 b) ArbGG statthaft und wurde nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Köln hat die Klage auf Zahlung der Vergütung für den Monat Dezember 2003 zu Recht abgewiesen. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges lagen nicht vor. Entgegen der Annahme des Klägers kann nicht davon ausgegangen werden, dass er im Dezember 2003 zur Verrichtung seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als Busfahrer im Personenverkehr gesundheitlich in der Lage gewesen wäre. Der Kläger war somit, als er der Beklagten seine Arbeitskraft anbot, zwar arbeitsbereit, aber bei objektiver Betrachtung nicht arbeitsfähig.

1. Unstreitig leidet der Kläger an einer insulinpflichtigen Form von Diabetes mellitus. Wie aus der Stellungnahme des Betriebsarztes der Beklagten Dr. O vom 25.02.2004, aber auch aus der Stellungnahme des vom Kläger beauftragten Dr. P vom 20.12.2004 hervorgeht und von der vom Gericht beauftragten Gutachterin Dr. V bestätigt wird, sind nach den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahrereignung Diabetiker, die mit Insulin behandelt werden müssen, in der Regel nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen der hier interessierenden Kategorie gerecht zu werden.

2. Allerdings sind von dieser Regel Ausnahmen möglich. Solche Ausnahmen setzen jedoch nach den Worten des Dr. P in seiner Bescheinigung vom 20.12.2004, die sinngemäß der Stellungnahme des Dr. O vom 25.02.2004 entsprechen, "außergewöhnliche Umstände voraus, die in einem ausführlichen Gutachten im einzelnen zu beschreiben sind". Entgegen der Darstellung des Klägers besteht kein hinreichender objektiver Anhaltspunkt dafür, dass im Falle des Klägers ein solcher außergewöhnlicher Ausnahmefall vorliegt.

a. Ein solches "ausführliches Gutachten", das solche "außergewöhnlichen Umstände" im einzelnen beschreibt, liegt nicht vor. Es ist insbesondere auch nicht in der vom Kläger beigebrachten Dokumentation über die Begutachtung seitens des Dr. P vom 20.10.2004 zu sehen. Bei dem Gutachten des Dr. P vom 20.10.2004 handelt es sich um das Ergebnis einer Routine-Eignungsuntersuchung, die sich, wie aus der Gutachtendokumentation hervorgeht, schwerpunktmäßig mit Fragen der "Orientierungsleistung, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsleistung sowie Belastbarkeit und Reaktionsfähigkeit" befasst. Der Text des Gutachtens befasst sich an keiner Stelle mit der Diabetes-Erkrankung des Klägers und erst recht nicht mit solchen "außergewöhnlichen Umständen", die gerade beim Kläger ausnahmsweise dazu führen könnten, dass dieser trotz seiner insulinpflichtigen Diabetes-Erkrankung bedenkenlos als Busfahrer im Personenbeförderungsverkehr eingesetzt werden könnte. Erst recht enthält das Gutachten Dr. P vom 20.10.2004 keine ausführliche, ins Einzelne gehende Beschreibung außergewöhnlicher Umstände, die eine Ausnahme von dem Grundsatz rechtfertigten könnten, dass insulinpflichtige Diabetiker regelmäßig nicht zum Einsatz als Busfahrer im Personenbeförderungsverkehr geeignet erscheinen. Bezeichnenderweise geht aus dem Text der Gutachtendokumentation vom 20.10.2004 selbst nicht einmal hervor, dass dem begutachtenden Arzt Dr. P die Diabetes mellitus - Erkrankung des Klägers überhaupt bekannt war. Um dies festzustellen, bedurfte es erst der erläuternden Bescheinigung vom 20.12.2004.

b. Die zeitnah erstellte Begutachtung des Betriebsarztes Dr. O vom 09.12.2003 enthält ebenfalls keinen Hinweis darauf, dass bei dem Kläger eine Ausnahme von dem Grundsatz angenommen werden könnte, dass insulinpflichtige Diabetiker nicht als Busfahrer im Personenbeförderungsverkehr einsetzbar sind. Im Gegenteil wird dies in der Stellungnahme des Dr. O ausdrücklich verneint. Dr. O hat in seiner Begutachtung nicht nur keine außergewöhnlichen Umstände festgestellt, die ausnahmsweise für eine Fahrdiensttauglichkeit des Klägers sprechen könnten, sondern im Gegenteil konstatiert, dass bei dem Kläger u. a. auch eine diabetisch bedingte Polyneuropathie und eine diskrete Gehbehinderung bestehen, also für die Grundkrankheit übliche Komplikationen, die der Annahme eines Ausnahmefalls der Fahrdiensttauglichkeit schon für sich entgegenstehen.

c. Der Aspekt, dass bei dem Kläger vorhandene Komplikationen der Diabeteserkrankung bzw. u. a. in dem Schwerbehindertenbescheid dokumentierte weitere Erkrankungen ebenfalls die Annahme eines außergewöhnlichen Ausnahmefalls ausschließen, wird insbesondere auch in dem Gutachten der von Gericht eingesetzten Gutachterin Dr. V betont.

d. Abgesehen davon hätte der Umstand, dass es sich bei dem Kläger um einen gut eingestellten Diabetiker handelt, der sorgfältig und gewissenhaft mit seiner Erkrankung umgeht, für sich allein ohnehin nicht als "außergewöhnlicher Umstand" angesehen werden können, der eine Ausnahme von dem Grundsatz der Fahrdienstuntauglichkeit insulinpflichtiger Diabetiker hätte rechtfertigen können.

e. Bei objektiver Betrachtung wird somit die von dem Betriebsarzt Dr. O am 09.12.2003 zeitnah festgestellte Fahrdienstuntauglichkeit durch das vom Kläger beigebrachte Gutachten des Dr. P nicht in Frage gestellt und durch das vom Gericht eingeholte Gutachten der Frau Dr. V vom 16.10.2006 ausdrücklich bestätigt.

f. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger im Monat Dezember 2003 für die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit als Busfahrer im Personenverkehr arbeitsfähig war.

3. Auf den erstinstanzlich ebenfalls erhobenen Einwand, dass die Beklagte bereits im Monat Dezember 2003 ggf. auch in der Lage hätte sein müssen, dem Kläger eine andere, seinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen gerecht werdende Tätigkeit zuzuweisen, ist der Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr zurückgekommen. Auf die hierzu vom Arbeitsgericht getroffenen Feststellungen kann Bezug genommen werden.

4. Lagen somit die Voraussetzungen eines Annahmeverzuges im Monat Dezember 2003 nicht vor, musste die Berufung des Klägers erfolglos bleiben.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist im vorliegenden Einzelfall nicht erkennbar.

Ende der Entscheidung

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