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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 14.07.2004
Aktenzeichen: 7 Sa 108/04
Rechtsgebiete: KSchG, ArbGG, ZPO, BetrVG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
KSchG § 15
ArbGG § 61 a
ArbGG § 67
ZPO § 138
ZPO § 282
BetrVG § 102
BetrVG § 105
1. Ohne Verstoß gegen ihre Wahrheitspflicht darf eine Partei die Behauptung der Gegenpartei nur bestreiten, wenn ihr subjektiver Wissensstand darauf schließen lässt, die Behauptung sei unwahr.

2. Mit Nichtwissen darf sich eine Partei nur dann erklären, wenn sie zu der behaupteten Tatsache aus eigener oder in ihrem Geschäfts- und Verantwortungsbereich gewinnbarer Erkenntnis nichts erklären kann. Die Partei darf sich weder "blind stellen" noch "mauern."

3. Der Sonderkündigungsschutz eines Ersatzbetriebsratsmitglieds entfällt nicht schon dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass ein Vertretungsfall in Wahrheit nicht vorgelegen hat. Ausgeschlossen ist der Schutz vielmehr nur, wenn der Vertretungsfall durch kollusive Absprachen zum Schein herbeigeführt wird oder das Ersatzmitglied weiß oder sich ihm aufdrängen muss, dass kein Vertretungsfall vorliegt.

4. Hat das Arbeitsgericht eine Kündigung wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung für unwirksam erklärt und dabei in seiner Begründung eine Fülle weitere Angriffe des Arbeitnehmers gegen die Kündigung dahingestellt sein lassen, so genügt es nicht, wenn der Arbeitgeber sich in der Berufungsbegründung nur mit der Thematik der Betriebsratsanhörung befasst. Er hat vielmehr, auch bezogen auf die anderen Angriffsmittel des Arbeitnehmers, alles vorzubringen, was erforderlich ist, um die Kündigung insgesamt rechtswirksam erscheinen zu lassen.

5. Die prozessuale Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts dient nicht dazu, Versäumnisse in der Prozessführung einer Partei zu Lasten der anderen Partei zu kompensieren.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

7 Sa 108/04

Verkündet am 14.07.2004

In Sachen

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 14.07.2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Czinczoll als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Hudec und Weber

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2003 in Sachen 10 Ca 5652/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und davon abhängige Zahlungsansprüche.

Der am geborene Kläger ist auf Grund eines Anstellungsvertrages vom 31.05.2001 (Bl. 4 - 9 d. A.) seit dem 01.07.2001 bei der Beklagten als "Verkaufsberater Multimedia für den Großraum Nordrhein-Westfalen" tätig. Er verdiente zuletzt 3.795,28 € brutto monatlich.

Im Zeitpunkt der Einstellung des Klägers erstreckten sich die geschäftlichen Aktivitäten der Beklagten insbesondere auf die Bereiche Kabelfernsehen, Internettelefonie und High-Speed-Internet-Anschlüsse. Die arbeitsvertragliche Aufgabe des Klägers besteht darin, als "klassischer Haustürvertreter" die von der Beklagten angebotenen Produkte Kunden gegenüber vorzustellen und mit diesen entsprechende Nutzungsverträge abzuschließen. Nachdem die Beklagte im Jahre 2000 das Kabelnetz in N -W übernommen hatte, war ihre Mitarbeiterzahl nach eigenem Bekunden zwischen Juli 2000 und März 2002 von ursprünglich 650 auf ca. 2400 angestiegen. In der Folgezeit reduzierte die Beklagte wegen wirtschaftlicher Probleme ihr Personal wiederum in mehreren Entlassungswellen.

Bei der Betriebsratswahl im Frühjahr 2002 kandidierte der Kläger auf Platz 32 der Liste der Gewerkschaft Ver.di. Nach dem Wahlergebnis entfielen von den 19 Betriebsratsplätzen 17 auf die Liste Ver.di sowie zwei Plätze auf die mit drei Kandidaten angetretene Liste der Christlichen Gewerkschaft Postservice und Telekommunikation.

Am 02.10.2002 sprach die Beklagte dem Kläger erstmals eine Kündigung aus. Nachdem der Kläger in der daraufhin erhobenen Kündigungsschutzklage angeführt hatte, dass er Anfang September 2002 als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung teilgenommen habe, erklärte sich die Beklagte vergleichsweise bereit, aus der Kündigung vom 02.10.2002 keine Rechte mehr herzuleiten.

In einer Betriebsvereinbarung vom 18.12.2002 über die Mitbestimmung bei Einstellungen und Kündigungen vereinbarte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat, dass betriebsbedingte Kündigungen gemäß § 102 Abs. 6 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Von dem Zustimmungserfordernis ausgenommen sind jedoch betriebsbedingte Kündigungen, "die durch einen Interessenausgleich/Sozialplan geregelt" werden.

Mit Schreiben vom 17.04.2003 hörte die Beklagte den Betriebsrat "zu beabsichtigten Kündigungen gemäß § 102 Abs. 1BetrVG" an. Auf den Inhalt des dreiseitigen Anhörungsschreibens und der zweiseitigen "weiteren Erläuterungen zu den am 17.04.2003 dem Betriebsrat vorgelegten Sozialplanlisten" wird Bezug genommen (Bl. 72 - 76 d. A.). Die in dem Schreiben in Bezug genommenen Listen selbst hat die Beklagte nicht vorgelegt.

Mit Schreiben vom 24.04.2003 widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Klägers. Auch auf den Inhalt des Widerspruchsschreibens (Bl. 13 f. d. A.) wird Bezug genommen.

Am 25.04.2003 unterzeichneten die Beklagte und ihr Betriebsrat einen Interessenausgleich. Auf dessen Text (Bl. 70 f. d. A.) wird Bezug genommen. Auch zu dem Interessenausgleich hat die Beklagte keine Anlagen und/oder Listen vorgelegt. Nach Abschluss des Interessenausgleichs entstand zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat ein Streit darüber, ob und wenn ja mit welchem Inhalt der Interessenausgleich wirksam zustande gekommen ist. Darüber verhält sich das noch nicht rechtskräftig abgeschlossene arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren Arbeitsgericht Köln 16 BV 145/03. Auch in parallelen Kündigungsschutzverfahren ist die Wirksamkeit des Interessenausgleichs streitig.

Mit Schreiben vom 27.04.2003, dem Kläger zugegangen am 28.04.2003, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt und fristgerecht zum 31.05.2003. Gegen diese Kündigung richtet sich die vorliegende, am 14.05.2003 beim Arbeitsgericht eingegangene Kündigungsschutzklage.

Bereits in der Klageschrift vom 13.05.2003 hat der Kläger sich auf den besonderen Kündigungsschutz eines Betriebsratsmitglieds nach § 15 Abs. 1 KSchG, 103 BetrVG berufen. Er hat hierzu behauptet, dass er am 06.09.2002 sowie zuletzt am 05.03.2003 als Ersatzmitglied an Betriebsratssitzungen teilgenommen habe. Zum Beleg dieses Vortrages hat er mit der Klageschrift das Sitzungsprotokoll der Betriebsratssitzung vom 06.09.2002 (Bl. 15 d. A.) sowie ein Schreiben, betreffend die Ausfallvergütung für die Teilnahme an der Betriebsratssitzung vom 05.03.2003 (Bl. 16 d. A.), vorgelegt. Nachdem die Beklagte in ihrer Klageerwiderung die Teilnahme des Klägers an den Betriebsratssitzungen sowie die Verhinderung der gegenüber dem Kläger nach dessen Listenplatz jeweils vorrangig heranzuziehenden Betriebsrats-, bzw. Ersatzbetriebsratsmitglieder mit Nichtwissen bestritten hatte, hat der Kläger sodann mit Schriftsatz vom 24.10.2003, den Beklagtenvertretern am gleichen Tage per Telefax zugegangen, die Anwesenheitsliste und das Protokoll der Sitzung vom 05.03.2003 (Bl. 45 - 49 d. A.) vorgelegt und im Einzelnen vorgetragen, warum am 05.03.2003 die vorrangigen Betriebsrats- und Ersatzbetriebsratsmitglieder verhindert gewesen seien.

Darüber hinaus hat der Kläger das Vorliegen betriebsbedingter Kündigungsgründe bestritten, eine fehlerhafte Sozialauswahl gerügt, insbesondere soweit die Beklagte es für richtig gehalten hatte, bestimmte Mitarbeiter aus betrieblichem Interesse aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Ferner hat der Kläger beanstandet, dass er mangels Vorlage der entsprechenden Listen nicht in der Lage sei, die Sozialauswahl vollständig zu überprüfen. Er hat ausgeführt, dass die Kündigung gegen die Betriebsvereinbarung zur erweiterten Mitbestimmung bei Einstellungen und Entlassungen vom 18.12.2002 verstoße; denn der Interessenausgleich vom 25.04.2003 sei in Ermangelung eines entsprechenden ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses nichtig. Ferner hat der Kläger beanstandet, dass die Kündigung gegen eine weitere Betriebsvereinbarung vom 26.04.2002 über freie Handelsvertreter verstoße. Er hat hierzu behauptet, dass die Beklagte zwar Verkaufsberater wie ihn entlassen habe, aber weiterhin mehr als 300 freie Handelsvertreter als Verkaufsberater beschäftige. In der vorgenannten Betriebsvereinbarung sei jedoch eine Quote zwischen eigenem Verkaufspersonal und freien Handelsvertretern von 2/3 zu 1/3 festgelegt.

Schließlich hat der Kläger gerügt, dass vor Ausspruch der Kündigung der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG beteiligt worden sei. Er hat insbesondere bestritten, dass dem Betriebsrat die unternehmerische Entscheidung, soweit sie zum Abbau seines eigenen konkreten Arbeitsplatzes geführt habe, die Sozialdaten und die Hintergründe der Sozialauswahl mitgeteilt worden seien. Ferner hätte, worauf auch der Betriebsrat in seinem Widerspruchsschreiben hingewiesen habe, eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung z. B. entsprechend dem Stellenangebot " " bestanden.

Ergänzend hat der Kläger seine Weiterbeschäftigung für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses verlangt und die Annahmeverzugsvergütung für den Zeitraum Juni bis Oktober 2003 geltend gemacht.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2003, zugegangen am 28.04.2003, nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den im Arbeitsvertrag vom 31.05.2001 geregelten Arbeitsbedingungen als Verkaufsberater Multimedia bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen;

3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 18.976,40 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus jeweils 3.795,28 € brutto seit dem 01.07.2003, 01.08.2003, 01.09.2003, 01.10.2003 und 01.11.2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger an den Betriebsratssitzungen vom 06.09.2002 und 05.03.2003 teilgenommen habe und hat weiter mit Nichtwissen bestritten, dass die vor dem Kläger auf den Wahlbewerberlisten stehenden Ersatzbetriebsratsmitglieder zum Zeitpunkt des Nachrückens des Klägers verhindert gewesen seien.

Zum Kündigungsgrund hat die Beklagte behauptet, auf Grund der unerwartet negativen Entwicklung des Telekommunikationsmarktes seien die Umsatzerwartungen im Jahre 2002 dramatisch eingebrochen. Im Jahre 2002 sei ein Verlust in Höhe von 185 Mio. EUR zu verbuchen gewesen. Eine Insolvenz habe nur durch weitgehende Forderungsverzichte, zusätzliche Darlehen und ein weitreichendes technisches und organisatorisches Rationalisierungskonzept abgewendet werden können. Sie, die Beklagte, habe entschieden, den Verkauf der Internettelefonie vollständig einzustellen und Internetanschlüsse nicht mehr zu bewerben. Das verbleibende "klassische" Produkt des Kabelfernsehens habe nicht mehr von Haustür zu Haustür beworben werden sollen. Der Tätigkeitsbedarf für sog. Haustürvertreter wie den Kläger sei damit dauerhaft entfallen. Damit sei die Entscheidung einhergegangen, den Personalbestand im Bereich des Klägers auf Dauer zu reduzieren. Die innerbetriebliche Umstrukturierung und die damit einhergehenden Personalmaßnahmen seien in dem am 25.04.2003 geschlossenen Interessenausgleich dokumentiert. Ein anderweitiger, für den Kläger geeigneter Arbeitsplatz sei nicht vakant gewesen.

Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß erfolgt. Es sei fast allen Verkaufsberatern (Haustürvertretern) gekündigt oder Aufhebungsverträge mit ihnen geschlossen worden. Die wenigen nicht gekündigten Verkaufsberater hätten entweder besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG genossen (Mitarbeiter B und P ) oder es habe ein besonderes betriebliches Bedürfnis nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG an deren Weiterbeschäftigung bestanden. Letzteres hat die Beklagte bezogen auf die Mitarbeiter K , B , W M , R , M , S , T , E , S , Eh , W , C , A und G näher ausgeführt.

Zur Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 BetrVG hat die Beklagte behauptet, dem Betriebsrat sei der gesamte Kündigungssachverhalt einschließlich der unternehmerischen Entscheidung zum Abbau des konkreten Arbeitsplatzes, die Sozialdaten des Klägers und die Hintergründe der Sozialauswahl sowie die betrieblichen Weiterbeschäftigungsbedürfnisse der genannten Mitarbeiter am 17.04.2003 schriftlich und mündlich mitgeteilt worden. Auf Grund des Interessenausgleichs vom 25.03.2003 seien die Regeln in Ziffer 6 der Betriebsvereinbarung vom 18.12.2002 zur erweiterten Mitbestimmung bei Einstellungen und Entlassungen eingehalten.

Im Kammertermin vom 05.11.2003 hat das Arbeitsgericht ein Urteil verkündet, das der Klage in vollem Umfang stattgegeben hat. Das arbeitsgerichtliche Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, wurde der Beklagten am 06.01.2004 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 29.01.2004 Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Frist bis zum 06.04.2004 - am 06.04.2004 begründet.

Die Beklagte setzt sich in der Berufungsbegründung mit der Auffassung des Arbeitsgerichts auseinander, wonach die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam sei. Die Beklagte tritt den Rechtsausführungen des Arbeitsgerichts entgegen und rügt die Verletzung der richterlichen Hinweispflichten nach § 139 ZPO, bzw. des Anspruchs auf rechtlichen Gehörs. Auf die Einzelheiten der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 05.11.2003, Az.: 10 Ca 5652/03, abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger tritt den Rechtsausführungen der arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe bei und unterstreicht, dass und warum seiner Ansicht nach keine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats der streitigen Kündigung vorausgegangen sei. Im Übrigen nimmt der Kläger auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug.

In der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2004 hat das Berufungsgericht explizit unter anderem auf die Problematik des Sonderkündigungsschutzes gemäß § 15 KSchG und auf Fragen der Sozialauswahl hingewiesen. Die Beklagte hat insoweit, sofern entscheidungsrelevant, um Schriftsatznachlass gebeten.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 05.11.2003 ist zulässig. Die Berufung ist nach § 64 Abs. 2 c) und b) statthaft und wurde fristgerecht gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

Zwar hat sich die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung nicht mit der Verurteilung zur Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses und mit der Verurteilung zur Zahlung der Annahmeverzugsvergütung auseinandergesetzt. Dies führt jedoch nicht zur (teilweisen) Unzulässigkeit der Berufung; denn insoweit reicht es aus, dass diese beiden Ansprüche sich in rechtlicher Hinsicht automatisch als unbegründet erweisen würden, wenn sich die Wirksamkeit der streitigen Kündigung zum 31.05.2003 herausstellte.

II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die streitige Kündigung vom 27.04.2003 rechtsunwirksam ist und nicht geeignet war, das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.05.2003 oder zu einem anderen Zeitpunkt aufzulösen.

1. Die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2003 ist zunächst bereits deshalb rechtsunwirksam, weil der Kläger im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung den Sonderkündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG genoss.

a. Zwar ist der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen nicht wegen des kontinuierlichen Ausfalls einer entsprechenden Anzahl vorrangiger Listenvertreter dauerhaft in die Arbeitnehmervertretung nachgerückt, so dass § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG in Verbindung mit § 103 Abs. 1 BetrVG keine Anwendung findet. Wohl hat der Kläger aber am 06.09.2002 und sodann auch am 05.03.2003 punktuell eine Tätigkeit als (Ersatz)-Betriebsratsmitglied ausgeübt, was dazu führt, dass er jeweils in der Zeit nach diesen aktiven Betriebsratseinsätzen den nachwirkenden Kündigungsschutz des § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG wie ein aus dem Amt ausgeschiedenes reguläres Betriebsratsmitglied genoss. Dies bedeutet, dass der Kläger im Zeitpunkt des Ausspruch der hier streitigen Kündigung nur aus wichtigem Grund außerordentlich hätte gekündigt werden können. Dass indessen Tatsachen vorgelegen hätten, die die Beklagte in Anwendung der zu § 626 Abs. 1 BGB entwickelten Maßstäbe berechtigt hätten, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile aus wichtigem Grund eine fristlose Kündigung auszusprechen, behauptet die Beklagte selbst nicht.

b. Die Beklagte ist den Behauptungen des Klägers, die den Schluss begründen, dass er im Zeitpunkt der Kündigung den Sonderkündigungsschutz des § 15 Abs. 1 KSchG genoss, nicht in erheblicher Weise entgegengetreten.

aa. So war die Beklagte schon aus prozessrechtlichen Gründen daran gehindert, die Behauptung des Klägers, er habe sowohl am 06.09.2002 als auch am 05.03.2003 als Ersatzmitglied an einer Betriebsratssitzung teilgenommen, mit Nichtwissen zu bestreiten. Das Bestreiten mit Nichtwissen erweist sich sowohl nach § 138 Abs. 2 ZPO als auch nach 138 Abs. 4 ZPO als unzureichend.

aaa. Der Kläger hat bereits mit der Klageschrift zusammen das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 06.09.2002 vorgelegt, in dem der Kläger als Teilnehmer der Betriebsratssitzung aufgeführt wird und aus dem überdies hervorgeht, dass der Betriebsrat in der fraglichen Sitzung über bestimmte von der Beklagten beantragte personelle Einzelmaßnahmen abgestimmt hat. Ebenfalls mit der Klageschrift hat der Kläger ein Schreiben vorgelegt, das sich auf die finanzielle Abrechnung der Zeit bezieht, die der Kläger am 05.03.2003 mit der Teilnahme an der Betriebsratssitzung verbracht hat. Mit Schriftsatz vom 24.10.2003 hat der Kläger sodann Anwesenheitsliste und Protokoll der Betriebsratssitzung vom 05.03.2003 vorgelegt. Auch hierin ist er als Sitzungsteilnehmer namentlich aufgeführt. Darüber hinaus geht aus dem Protokoll hervor, dass unter anderem der Kläger im Rahmen der Sitzung zum Tagesordnungspunkt "Bericht aus den Bereichen/Abteilungen" ein recht umfangreiches Statement abgegeben hat. Durch Vorlage dieser schriftlichen Unterlagen hat der Kläger zugleich konkludent behauptet, dass diese Urkunden anlässlich der Betriebsratssitzungen vom 06.09.2002 und 05.03.2003 wahrheitsgemäß erstellt worden sind.

bbb. Die Beklagte hat hingegen die vom Kläger vorgelegten schriftlichen Unterlagen in ihrem Sachvortrag ignoriert und hierzu in keiner Weise Stellung genommen. Insbesondere hat sie nicht einmal andeutungsweise behauptet, dass in den vorgelegten Protokollen die Teilnahme des Klägers an den Sitzungen der Wahrheit zuwider bestätigt worden sei. Schon deshalb hat die Anwesenheit des Klägers in den Sitzungen gemäß § 138 Abs. 2 ZPO als unstreitig zu gelten.

ccc. Dasselbe folgt aber auch aus § 138 Abs. 4. Nach dieser Vorschrift ist es einer Partei nicht nur dann verwehrt, eine Erklärung mit Nichtwissen zu bestreiten, wenn sie eigene Handlungen und Wahrnehmungen betrifft, sondern auch dann, wenn es um Vorgänge im eigenen Geschäfts- oder Verantwortungsbereich geht. Dann ist die Partei nämlich in der Lage und prozessual auch verpflichtet, sich zu erkundigen (BAG - 2 AZR 163/03 - vom 12.02.2004; BGHZ 109, 205; BGH NJW 1986, 3199; Baumbach/Hartmann, ZPO, § 138 Rz. 51 ff.; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rz. 16). Ohne Verstoß gegen die Wahrheitspflicht darf eine Partei die Behauptung der Gegenpartei nur bestreiten, wenn ihr subjektiver Wissensstand darauf schließen lässt, die erhobene Behauptung sei unwahr. Lässt dagegen der subjektive Wissensstand diesen Schluss nicht zu, so darf sie nicht bestreiten. Sie darf sich dann auch nicht mit Nichtwissen erklären, sofern sie eigene Kenntnisse hat, die für die Wahrheit der Behauptung sprechen. Die Partei darf sich weder "blind stellen" noch "mauern". Mit Nichtwissen darf sie sich nur dann erklären, wenn sie zu der behaupteten Tatsache aus eigener oder in ihrem Geschäfts- oder Verantwortungsbereich gewinnbarer Erkenntnis nichts erklären kann. Wo eigenes Wissen vorhanden ist oder nach der Lebenserfahrung eigenes Wissen vorhanden sein muss, darf die Partei nicht mit Nichtwissen bestreiten (BAG a.a.O.; Zöller/Greger, ZPO, § 138 Rz. 13).

ddd. Da der Beklagten spätestens im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens die Sitzungsprotokolle und Teilnehmerlisten der beiden fraglichen Betriebsratssitzungen vorlagen, sich aus dem Sitzungsprotokoll vom 06.09.2002 ergibt, dass der Betriebsrat über personelle Einzelmaßnahmen Beschlüsse gefasst hat, die von der Beklagten beantragt worden sein müssen, und von dem Kläger oder für den Kläger bezüglich der Sitzungsteilnahme vom 05.03.2003 finanzielle Ansprüche bei der Beklagten angemeldet worden sind, so betrafen die fraglichen Sitzungen nicht nur - mittelbar - auch eigene Handlungen der Beklagten, sondern die Beklagte hatte auch vielfältige Möglichkeiten, eigene Wahrnehmungen herbeizuführen und sich zu unterrichten, so dass nach der Lebenserfahrung bei der Beklagten eigenes Wissen über die Betriebsratssitzungen und die Teilnahme des Klägers darin vorhanden seien konnten ( zum Ganzen BAG 2 AZR 163/03 vom 12.02.2004, EzA § 15 nF KSchG Nr.56, zu einem in nahezu jeder Hinsicht vergleichbaren Sachverhalt).

bb. In ebenfalls nicht erheblicher Weise hat die Beklagte auch mit Nichtwissen bestritten, dass die vor dem Kläger auf den Wahlbewerberlisten stehenden (Ersatz-) Betriebsratsmitglieder zum Zeitpunkt des Nachrückens des Klägers verhindert gewesen seien.

aaa. Der besondere Kündigungsschutz des Ersatzmitglieds gemäß § 15 Abs.1 S.2 KSchG entfällt nicht schon dann, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass ein Vertretungsfall in Wahrheit nicht vorgelegen hat (BAG a.a.O.; ErfK/Ascheid § 15 KSchG Rn.334; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsrecht Rn. 1612). Ausgeschlossen ist der Schutz des § 15 KSchG vielmehr nur dann, wenn der Vertretungsfall durch kollusive Absprachen zum Schein herbeigeführt wird oder das Ersatzmitglied weiß oder sich ihm aufdrängen muss, dass kein Vertretungsfall vorliegt (BAG a.a.O.; BAGE 53,23). Dass ein solcher Ausschlusstatbestand vorläge, hat die Beklagte selbst nicht behauptet, geschweige denn, entsprechende Anhaltspunkte substantiiert vorgetragen.

bbb. Unabhängig davon durfte die Beklagte aber auch die Behauptungen des Klägers über die Verhinderung der vorrangig zu ladenden Betriebsrats- und Ersatzbetriebsratsmitglieder nicht mit Nichtwissen bestreiten. Der Kläger hat im Schriftsatz vom 24.10.2003 minuziös aufgeführt, welche vorrangigen Betriebsrats- und Ersatzbetriebsratsmitglieder am 05.03.2003 aus welchen Gründen verhindert waren. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich, dass insgesamt 23 Betriebsrats- bzw. Ersatzbetriebsratsmitglieder am 05.03.2003 aus vier verschiedenen Gründen verhindert waren, entweder weil sie Urlaub hatten, weil sie arbeitsunfähig krank waren, weil sie zwischenzeitlich aus dem Unternehmen ausgeschieden waren oder weil eine dienstliche Verhinderung vorlag. Alle vier Verhinderungsgründe fallen in den eigenen Wahrnehmungsbereich der Beklagten. Der Arbeitgeber kann bei einer geordneten Personalführung ohne weiteres und ohne großen Aufwand nachvollziehen, ob ein bestimmter Arbeitnehmer an einem bestimmten Tag Urlaub hatte oder krank gemeldet war. Erst recht gilt dies für die Frage, ob ein bestimmter Arbeitnehmer an einem bestimmten Tag noch im Arbeitsverhältnis gestanden hat. Auch der für zwei der 23 Betriebsrats- bzw. Ersatzbetriebsratsmitglieder angegebene Verhinderungsgrund der "dienstlichen Verhinderung" ist für den Arbeitgeber durch einfache Nachfrage aufklärbar.

cc. Indessen hat es die Beklagte unterlassen, sich mit den erstinstanzlichen Tatsachenbehauptungen des Klägers, aus denen dieser seinen besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG herleiten kann, gehörig auseinanderzusetzen. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass das Bestreiten der Beklagten letztendlich ins Blaue hinein erfolgt ist.

c. Schließlich irrt die Beklagte, wenn sie annimmt, sie habe einen prozessrechtlichen Anspruch darauf, dass das Berufungsgericht den Rechtsstreit nochmals vertagt - und die Entscheidung des Kündigungsschutzprozesses damit nochmals um einige Monate verzögert -, um ihr Gelegenheit zu geben, den in der Klageerwiderung erster Instanz sowie dem weiteren Verlauf erster Instanz und in der Berufungsbegründung unterlassenen Sachvortrag ggf. nachholen zu können.

aa. Die prozessuale Hinweis- und Fürsorgepflicht des Gerichts dient nicht dazu, Versäumnisse in der eigenen Prozessführung nachträglich kompensieren zu können. Gemäß § 282 Abs. 1 ZPO hat jede Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Gemäß § 61 a ArbGG kommt dabei gerade in Kündigungsschutzprozessen dem Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung noch eine gesteigerte Bedeutung zu. Bereits in der vorgerichtlichen Stellungnahme des Betriebsrats vom 24.04.2003 wird an herausgehobener Stelle auf den besonderen Kündigungsschutz des Klägers als Ersatzmitglied des Betriebsrats hingewiesen. Der Kläger selbst hat den Gesichtspunkt des Sonderkündigungsschutzes bereits in seiner Klageschrift vom 13.05.2003 aufgegriffen und bereits mit der Klageschrift aussagekräftige Unterlagen über seine Betriebsratstätigkeit vorgelegt. Der Beklagten musste somit schon vor Prozessbeginn, erst recht aber mit Zugang der Klageschrift bewusst sein, dass der Gesichtspunkt des Sonderkündigungsschutzes ein Hauptangriffsmittel des Klägers gegen die Wirksamkeit der streitigen Kündigung sein werde. Die Beklagte hatte somit vom ersten Tag des Prozessbeginns an ausreichend Anlass, Zeit und Gelegenheit, ihre Rechtsverteidigung zu diesem Punkt hieb- und stichfest vorzubereiten. Gleichwohl konzentriert sich die erstinstanzliche Klageerwiderung der Beklagten vom 05.09.2003 (!) zu den hier interessierenden Punkten auf ein Bestreiten mit Nichtwissen.

Der Kläger hat sodann in seinem Schriftsatz vom 24.10.2003, der der Beklagtenvertretung unstreitig noch am selben Tag per Telefax zugegangen ist, seinen Sachvortrag zum Thema Sonderkündigungsschutz durch weitere Einzelheiten konkretisiert und ergänzende Unterlagen vorgelegt. Es handelte sich hierbei lediglich um die Ergänzung und weitere Präzisierung eines Sachvortrags, der im Kern schon in der Klageschrift vorhanden war und somit alles andere als ein neues prozessuales Angriffsmittel darstellte. Selbst diese konkretisierte Version des klägerischen Sachvortrags war der Beklagten zwölf Tage vor dem erstinstanzlichen Kammertermin bekannt. Der verbleibende Zeitraum bis zum Kammertermin war mehr als ausreichend, um die Beklagte in die Lage zu versetzen, spätestens im Kammertermin auch ihr eigenes diesbezügliches Vorbringen zu substantiieren, wobei es in tatsächlicher Hinsicht allenfalls einer einfachen internen Nachschau bedurft hätte. Die Beklagte hat es indessen unter Außerachtlassung ihrer prozessualen Sorgfaltspflichten erstinstanzlich bei ihrem unsubstantiierten Vorbringen aus der Klageerwiderung belassen.

bb. Die Beklagte hat aber auch nicht etwa die Gelegenheit der am 06.04.2004, also mehr als ein halbes Jahr nach dem 24.10.2003 vorgelegten Berufungsbegründung zum Anlass genommen, ihren eigenen Sachvortrag zum Thema Sonderkündigungsschutz in seiner Vortragsdichte und Substantiierung dem Niveau des klägerischen Vorbringens anzupassen. Dabei schreibt § 67 Abs. 4 ArbGG ausdrücklich vor, dass neue Angriffs- und Verteidigungsmittel, soweit sie nicht ohnehin bereits verspätet sind, vom Berufungskläger spätestens in der Berufungsbegründung vorgebracht werden müssen. Entsprechendes gilt für die notwendige Substantiierung bereits erstinstanzlich angesprochener Angriffs- und Verteidigungsmittel.

cc. Bei alledem kann die Beklagte sich schließlich auch nicht etwa darauf berufen, dass sie angesichts des Inhalts der Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils darauf hätte vertrauen können, zum Thema Sonderkündigungsschutz nichts mehr vortragen zu müssen. Gerade das Gegenteil ist der Fall.

aaa. Zwar hat das Arbeitsgericht in seinen Entscheidungsgründen die Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung allein damit begründet, dass die Beklagte in mehrfacher Hinsicht gegen § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG verstoßen und keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung durchgeführt habe. Damit hat das Arbeitsgericht jedoch lediglich aus der Fülle der vom Kläger gegen die streitige Kündigung vorgebrachten Angriffsmittel ein bestimmtes herausgegriffen. Scheitert die Wirksamkeit einer Kündigung bereits an einer nicht ordnungsgemäß durchgeführten Betriebsratsanhörung, so kann das Gericht sonstige gegen die Wirksamkeit einer Kündigung vorgebrachte Argumente dahingestellt sein lassen. Genau dies hat es getan.

bbb. Das Arbeitsgericht hat dagegen mit keinem Wort auch nur angedeutet, dass es alle anderen Angriffe des Klägers gegen die Kündigung für nicht stichhaltig hält und die fehlerhafte Betriebsratsanhörung der einzige Unwirksamkeitsgrund für die Kündigung sei. Nur im letzteren Fall hätte die Beklagte unter Umständen Zweifel daran haben können, ob es im Rahmen der Berufungsbegründung notwendig sein würde, auf die übrigen Angriffsmittel des Klägers weiter einzugehen. So liegt der Fall jedoch gerade nicht. Stattdessen musste der Beklagten bewusst sein, dass sie, selbst wenn es ihr gelänge, die Bedenken gegen die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG auszuräumen, damit nur ein einzelnes formales Hindernis für die Wirksamkeit der streitigen Kündigung ausgeräumt hätte. Sämtliche übrigen vom Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung vorgebrachten Rügen, auf die das arbeitsgerichtliche Urteil in den Entscheidungsgründen nicht näher eingegangen ist, standen jedoch weiterhin unverändert im Raum. In Anbetracht der die Beklagte treffenden Darlegungs- und Beweislast für die die Rechtswirksamkeit der streitigen Kündigung bedingenden Tatsachen bedurften daher alle Rügen des Klägers, soweit sie geeignet erscheinen konnten, die Kündigung zu Fall zu bringen, einer eingehenden und substantiierten Erwiderung. Diese hatte, soweit dazu erstinstanzlich keine Gelegenheit mehr bestanden haben sollte, spätestens in der Berufungsbegründung zu erfolgen.

2. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt:

a. Die Kündigung der Beklagten vom 27.04.2003 ist nicht nur wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG rechtsunwirksam, sondern auch gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial nicht gerechtfertigt. Die Beklagte hat nicht darzulegen vermocht, dass die Kündigung des Klägers durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die dessen Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegenstehen.

aa. Zwar hat die Beklagte behauptet: Weil sie sich im Jahre 2002 entschlossen habe, auf Grund der eingetretenen Verluste sich auf das Kerngeschäft des Kabelfernsehens zu konzentrieren, sei der Tätigkeitsbedarf für die sog. Haustürvertreter wie dem Kläger dauerhaft entfallen.

bb. Nach dem weiteren Sachvortrag der Beklagten kann dies aber dennoch nicht so verstanden werden, dass alle Tätigkeitsbereiche für Mitarbeiter wie den Kläger in Wegfall geraten sind. Im Weiteren trägt die Beklagte nämlich vor, sie haben den Personalbestand in diesen Bereichen "reduziert" und "fast allen" Verkaufsberatern (Haustürvertretern) gekündigt. Im Rahmen der Ausführungen zur Sozialauswahl ergibt sich sodann, dass mindestens 16 von der Beklagten namentlich benannte Arbeitnehmer weiterhin in mit den arbeitsvertraglichen Tätigkeiten des Klägers vergleichbaren Aufgabenfeldern weiterbeschäftigt werden. Wenn somit aber selbst nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten keineswegs alle Arbeitsplätze für Verkaufsberater weggefallen sind, hätte die organisatorische Umstrukturierung im Bereich der Verkaufsberater im Einzelnen näher dargestellt werden müssen. Es hätte vorgetragen werden müssen, woraus sich ergibt, für wieviele Arbeitsplätze im Bereich der Verkaufsberatung der Beschäftigungsbedarf künftig weggefallen ist und für wieviele Arbeitsplätze das nicht der Fall ist.

b. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass die streitige Kündigung auch deshalb nicht sozial gerechtfertigt ist, weil die Beklagte in ihrem Sachvortrag nicht plausibel gemacht hat, dass sie bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer die in § 1 Abs. 3 KSchG aufgeführten Sozialkriterien ausreichend beachtet hat.

Nach ihrem eigenen Vorbringen hat die Beklagte (mindestens) 14 Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl herausgenommen, weil sie der Auffassung war, dass deren Weiterbeschäftigung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG im berechtigten betrieblichen Interesse liege. Hierzu hat die Beklagte aber nicht, wie dies erforderlich gewesen wäre, objektiv nachprüfbare Fakten vorgetragen, sondern sich im Wesentlichen auf allgemein gehaltene Wertungen und abstrakte Pauschalurteile beschränkt, die in dieser Form einer Beweiserhebung nicht zugänglich gewesen wären.

c. Darüber hinaus bestehen, wie vom Arbeitsgericht in den Vordergrund gestellt, sehr wohl auch Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung unter dem Gesichtspunkt des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG.

aa. Dabei mag dahinstehen, ob es sich bei der Betriebsratsanhörung vom 17.04.2003 um eine unzulässige sog. Vorratsanhörung gehandelt haben mag.

bb. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Anhörung bestehen deshalb, weil bereits der Betriebsrat selbst in seinem Stellungnahmeschreiben vom 24.04.2003 beanstandet hat, dass er aus den ihm übergebenen Listen nicht habe erkennen können, wie die Beklagte im Einzelnen die Vergleichsgruppen zur Sozialauswahl gebildet und die wechselseitige Austauschbarkeit der einzelnen Arbeitnehmer bestimmt hat. Wenn bereits der Betriebsrat anhand der ihm übergebenen Listen sich nicht in der Lage sah, den Prozess der Vergleichsgruppenbildung ausreichend nachvollziehen zu können, so ist das Berufungsgericht erst recht dazu nicht in der Lage, weil die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht einmal diese Listen selbst vorgelegt hat. Die Rüge des Betriebsrats, die sich der Kläger durch die Bezugnahme des Betriebsratsschreibens vom 24.04.2003 in der Klageschrift zu eigen gemacht hat, kann somit vom (Berufungs-) Gericht nicht auf ihre objektive Berechtigung hin überprüft werden. Es ist jedoch Aufgabe der Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass der Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört wurde. Dazu hätte die Beklagte einen Sachvortrag vorlegen müssen, der geeignet gewesen wäre, die betreffende Rüge des Betriebsrats zu widerlegen. Dies ist nicht geschehen.

d. Schließlich spricht auch Vieles dafür, dass die streitige Kündigung wegen Verstoßes gegen Ziffer 6 Satz 1 der Betriebsvereinbarung über die Mitbestimmung bei Einstellungen und Kündigungen vom 18.12.2002 rechtsunwirksam ist.

aa. Nach dieser Betriebsvereinbarung bedurfte die Kündigung des Klägers der Zustimmung des Betriebsrats, es sei denn, dass die Kündigung durch einen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zustande gekommenen Interessenausgleich/Sozialplan gedeckt wäre. Auf die Betriebsratsanhörung vom 17.04.2003 hin hat der Betriebsrat der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 24.04.2003 ausdrücklich widersprochen. Bis dahin lag somit eine nach Ziffer 6 Satz 1 der Betriebsvereinbarung vom 1812.2002 notwendige Zustimmung des Betriebsrats nicht vor.

bb. Am 25.04.2003 ist dann zwar zunächst zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ein Interessenausgleich zustande gekommen. Es mag auch zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sich dieser Interessenausgleich auch auf eine Kündigung des Klägers bezieht, obwohl der von der Beklagten vorgelegte rudimentäre und unvollständige Text dies in keiner Weise erkennen lässt. Der Kläger hat aber unter Bezugnahme auf die Antragsschrift in dem Verfahren 16 BV 145/03 geltend gemacht, dass das rechtswirksame Zustandekommen des Interessenausgleichs zur gerichtlichen Überprüfung steht, und sich die Bedenken gegen das rechtswirksame Zustandekommen zu eigen gemacht. Auch hierauf ist die Beklagte nicht näher eingegangen.

cc. Auch dieser Gesichtspunkt bedarf jedoch keiner abschließenden und vertiefenden Erörterung, da die streitgegenständliche Kündigung bereits auf Grund des zu Gunsten des Klägers eingreifenden Sonderkündigungsschutzes und der genannten anderen Gründe sich als rechtsunwirksam erweist.

3. Ist die Kündigung unwirksam, so ist der Kläger auch antragsgemäß - vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses - tatsächlich weiterzubeschäftigen. Ebenso ist die Beklagte verpflichtet, für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges die monatliche Vergütung an den Kläger in unstreitiger Höhe von 3.795,28 € brutto weiterzuzahlen. Spezielle Einwendungen gegen den vom Kläger geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch und die Verzugslohnforderung hat die Beklagte weder erst- noch zweitinstanzlich erhoben. Insbesondere die Höhe des dem Kläger zustehenden Annahmeverzugsgehalts ist somit unstreitig. Die Verzinsungspflicht ergibt sich aus den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften.

III. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen gemäß § 97 ZPO der Beklagten zur Last.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Gegen diese Entscheidung ist daher ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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