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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 26.01.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 1249/04
Rechtsgebiete: BGB, KSchG, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1 Abs. 2
BetrVG § 102
1. Zu den Voraussetzungen für die Erschütterung des Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

2. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat fälschlich dahin informiert, der zu kündigende Arbeitnehmer habe für bestimmte Fehlzeiten keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beigebracht, so kann er die Kündigung nicht im Nachhinein darauf stützen, die in Wirklichkeit doch vorgelegte AU sei erschlichen worden.


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13.07.2004 in Sachen 5 Ca 1336/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen mit der klarstellenden Maßgabe, dass festgestellt wird, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 27.01.2004 aufgelöst worden ist, sondern bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der betriebsbedingten Kündigung vom 02.03.2004 am 31.03.2004 fortbestanden hat.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch darum, ob das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis aufgrund einer verhaltensbedingten, außerordentlichen und fristlosen Kündigung vom 27.01.2004 sein Ende gefunden oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung vom 02.03.2004 am 31.03.2004 fortbestanden hat. Der am 30.10.1970 geborene, ledige Kläger war seit dem 21.06.2000 bei der Beklagten als Lagerarbeiter beschäftigt. Er verdiente monatlich 1.700,00 € brutto. Mittlerweile wurde der Betrieb der Beklagten zum 31.03.2004 ersatzlos geschlossen. Im Hinblick hierauf hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 02.03.2004 unter Einhaltung der im einschlägigen Hausmanteltarifvertrag vorgesehenen Kündigungsfristen betriebsbedingt zum 31.03.2004 gekündigt. Die Rechtswirksamkeit dieser Kündigung wird vom Kläger in der Berufungsinstanz nicht mehr in Frage gestellt. Zuvor hatte die Beklagte dem Kläger jedoch mit Schreiben vom 27.01.2004 eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung ausgesprochen, welche hilfsweise fristgerecht zum 18.02.2004 wirken sollte. Hiergegen hatte der Kläger am 06.02.2004 Kündigungsschutzklage eingereicht. Der verhaltensbedingten Kündigung lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der dritten Kalenderwoche 2004 war der Kläger zur Nachtschicht eingeteilt, welche Abends um 22:00 Uhr beginnt und morgens um 06:00 Uhr endet. Am Morgen des 14.01.2004 hatte ein anderer Lagerarbeiter einen Arbeitsunfall erlitten und war für den Rest der Woche krankheitsbedingt ausgefallen. Daraufhin hatte der Zeuge K , der die Funktion eines Betriebsleiters ausführte, gegen 10:30 Uhr beim Kläger angerufen und diesen aufgefordert, für den Rest der Woche, beginnend am 15.01.2004 um 07:00 Uhr, anstelle des erkrankten Kollegen in der Frühschicht zu arbeiten. Der Kläger hatte hiergegen Einwände erhoben. Die näheren Einzelheiten des Telefonats sind streitig geblieben. Am Abend des 14.01.2004 war der Kläger zur Nachtschicht erschienen, zu der er ursprünglich eingeteilt gewesen war. Der Zeuge K hatte jedoch darauf bestanden, dass der Kläger erst am nächsten Morgen in der Frühschicht arbeiten solle, und ihn wieder nach Hause geschickt. Am nächsten Morgen teilte der Kläger telefonisch mit, dass er schlecht geschlafen habe und einen Arzt und Zahnarzt aufsuchen werde. Dementsprechend erschien er zur Frühschicht nicht. Für die Zeit vom 15.01.2004 bis 18.01.2004 jeweils einschließlich legte der Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor (Bl. 40 d. A.). Mit Schreiben vom 19.01.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur Absicht einer verhaltensbedingten fristlosen Kündigung gegenüber dem Kläger an. Darin teilte sie dem Betriebsrat unter anderem mit, dass der Kläger "seit dem 21.06.2002 bei uns als Lagerarbeiter beschäftigt" ist und dass er "auch keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 15.01.2004 eingereicht" habe. Auf den vollständigen Text der Betriebsratsanhörung (Bl. 28 - 30 d. A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 22.01.2004 (Bl. 31/32 d. A.) widersprach der Betriebsrat der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung. Mit Schreiben vom 27.01.2004 sprach die Beklagte eine fristlose Kündigung aus, die hilfsweise fristgerecht zum 18.02.2004 gelten sollte. Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt gewesen. Er hat behauptet, in dem Telefonat vom 14.01.2004 habe der Zeuge K autoritär angeordnet, dass er am nächsten Tag zur Frühschicht zu erscheinen habe. Er, der Kläger, habe den nächsten Tag bereits anderweitig disponiert gehabt, sei in dem Telefonat aber überhaupt nicht zu Wort gekommen. Außerdem hat der Kläger unter anderem die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats gerügt. Der Kläger hat, soweit für das Berufungsverfahren noch von Interesse, beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 27.01.2004 nicht aufgelöst worden ist. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe auf die telefonische Aufforderung, in der Frühschicht einzuspringen, geantwortet, dass er dazu keine Lust habe. Der Zeuge K habe dann den Kläger ausdrücklich daraufhin gewiesen, dass das Nichterscheinen zur Frühschicht als Arbeitsverweigerung gewertet würde und er für diesen Fall mit der Kündigung zu rechnen habe. Der Kläger habe dazu geäußert, dass sei ihm egal, dann solle er ihm doch kündigen. Mit Urteil vom 13.07.2004 hat das Arbeitsgericht Köln festgestellt, dass die arbeitgeberseitige Kündigung vom 27.01.2004 weder als außerordentliche Kündigung den Anforderungen des § 626 BGB entspreche noch eine berechtigte verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes beinhalte. Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 29.09.2004 zugestellt. Sie hat dagegen am 18.10.2004 Berufung einlegen und diese am 26.11.2004 begründen lassen. Die Beklagte wiederholt ihre Behauptungen zur Vorgeschichte der Kündigung und vertritt in rechtlicher Hinsicht die Ansicht, dass die vom Kläger vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegend nicht den üblichen Beweiswert beanspruchen könne, da der Kläger sein Nichterscheinen bereits am 14.1.2004 angekündigt habe. Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 13.07.2004 - 5 Ca 1336/04 - teilweise aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen. Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung der Gegenseite kostenpflichtig zurückzuweisen. Auch der Kläger wiederholt seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und verteidigt die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wurde auf die in der schriftlichen Betriebsratsanhörung vom 19.01.2004 enthaltenen Fehlinformationen hinsichtlich des Eintrittsdatums des Klägers und der Nichtvorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hingewiesen. Wegen der Erklärungen, die der Beklagtenvertreter und der Kläger persönlich hierzu abgegeben haben, wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26.01.2005 Bezug genommen. Entscheidungsgründe: I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet. II. In der Sache konnte die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg haben. 1. Das Arbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen seines Urteils vom 13.07.2004 zutreffend festgestellt, dass die verhaltensbedingte Kündigung der Beklagten vom 27.01.2004 weder als außerordentliche, noch als ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auflösen können. Lediglich zur Vermeidung von Missverständnissen hat sich das Berufungsgericht veranlasst gesehen, durch die Neufassung des Urteilstenors klarzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien ausschließlich durch die betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 02.03.2004 aufgelöst worden ist und nicht durch die Kündigung vom 27.01.2004. 2. Für die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.01.2004 fehlt es an einem sie rechtfertigenden wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, wie bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. a. Der Vorwurf einer Arbeitsverweigerung im Sinne eines unentschuldigten Fehlens in der Frühschicht vom 15.01.2004 kann nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen; denn der Kläger hat der Beklagten eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt am 15.01.2004, vorgelegt, die ihn bereits für den 15.01.2004 und weiter bis zum 18.01.2004 als arbeitsunfähig ausweist. Das Arbeitsgericht konnte somit in der Tat dahingestellt sein lassen, ob die Beklagte im Wege ihres arbeitgeberseitigen Direktionsrechts befugt war, den Kläger sofort schon für die Frühschicht am 15.01.2004 zum Schichtwechsel zu veranlassen; denn aufgrund der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung musste der Kläger am 15.01.2004 weder in der Frühschicht, noch in der Nachtschicht tätig werden. b. Wenn die Beklagte nunmehr den Versuch unternimmt, die Kündigung vom 27.01.2004 unter dem Gesichtspunkt einer Kündigung wegen "erschlichener Krankschreibung" zu rechtfertigen, kann sie damit aus mehreren Gründen nicht gehört werden: aa. Zum einen hat die Beklagte zu dem Kündigungsgrund der "erschlichenen Krankschreibung" den Betriebsrat nicht angehört. Im Gegenteil hat die Beklagte in der schriftlichen Anhörung vom 19.01.2004 dem Betriebsrat gegenüber die Behauptung aufgestellt, der Kläger habe keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 15.01.2004 eingereicht, obwohl im vorliegenden Kündigungsschutzprozess das Gegenteil zwischen den Parteien stets unstreitig war. Es stellt aber eine wesentliche Änderung des Sachverhalts dar, ob eine Kündigung auf den Vorwurf gestützt werden soll, ein Arbeitnehmer habe unentschuldigt gefehlt, in dem er einfach "blau gemacht" habe, oder ob der Kündigungsvorwurf lautet, der Arbeitnehmer habe zwar eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt, dieser sei jedoch aus bestimmten Gründen kein Glauben zu schenken. bb. Zum anderen reichen die von der Beklagten vorgebrachten Tatsachenbehauptungen - einmal zu ihren Gunsten unterstellt, diese könnten nachgewiesen werden - in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Einzelfalles (noch) nicht aus, um den Beweiswert der vom Kläger vorgebrachten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Zwar hat der Kläger - den Behauptungen der Beklagten zur Folge - dem Zeugen K gegenüber zum Ausdruck gebracht, dass er "keine Lust" habe, am Folgetag in der Frühschicht zu arbeiten, und sich ausdrücklich auch gegenüber der für den Fall des Nichterscheinens erfolgten Androhung einer Kündigung gleichgültig gezeigt. Auch die Beklagte hat aber nicht behauptet, dass der Kläger bei dieser Gelegenheit bereits mit seiner Krankmeldung gedroht habe. Nimmt man hinzu, dass ein plötzlicher Schichtwechsel von der Nachtschicht zur Tagschicht durchaus geeignet sein kann, gesundheitliche Unregelmäßigkeiten hervorzurufen, reichte der Sachvortrag der Beklagten auch noch nicht aus, um die vom Kläger beigebrachte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in ihrem Beweiswert zu erschüttern. 3. Hinzu kommt, dass die Kündigung der Beklagten auch gemäß § 102 Abs. 2 S. 2 u. 3 BetrVG als unwirksam angesehen werden muss. Dabei steht anerkanntermaßen der Fall einer falschen und/oder unvollständigen Information des Betriebsrats dem Fall gleich, dass der Betriebsrat vor einer Kündigung gar nicht angehört wird. a. In der Anhörung vom 19.01.2004 hat die Beklagte zum einen ein falsches Eintrittsdatum des Klägers angegeben. Sie hat - im Unterschied zu der späteren Betriebsratsanhörung zur betriebsbedingten Kündigung - dem Betriebsrat mitgeteilt, der Kläger sei erst seit dem 21.06.2002 bei ihr beschäftigt. In Wirklichkeit war der Kläger jedoch bereits seit dem 21.06.2000 Arbeitnehmer der Beklagten. Ob ein Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Beurteilung eines bestimmten Kündigungssachverhalts jedoch erst seit ca. 1 1/2 Jahren oder mit 3 1/2 Jahren bereits mehr als doppelt so lange beschäftigt ist, kann bei der Gewichtung des Kündigungsgrundes eine Rolle spielen. b. Ob dieser Gesichtspunkt bereits für sich allein ausreicht, um die Kündigungsanhörung als unwirksam erscheinen zu lassen, kann jedoch dahingestellt bleiben; denn im Zusammenhang mit der Schilderung des Kündigungsgrundes enthält die Darstellung in dem Anhörungsschreiben vom 19.01.2004, wie bereits erwähnt, die weitere Fehlinformation, dass der Kläger für den streitigen 15.01.2004 keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingereicht habe. Diese Fehlinformation stellt den Charakter des Kündigungsgrundes jedoch in einem grundlegend falschen Licht dar. c. Die Beklagte kann auch nicht damit gehört werden, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers im Zeitpunkt der Abfassung des Anhörungsschreiben am 19.01.2004 "möglicherweise" bei ihr noch nicht eingegangen gewesen sei. In Anbetracht von § 138 Abs. 4 ZPO stellt dies bereits keine ordnungsgemäße Sachverhaltserklärung "in eigenen Angelegenheiten" der Beklagten dar, zumal die Protokollerklärung des Klägers gewichtig dafür spricht, dass die "spekulativen" Überlegungen zum Zeitpunkt des Eingangs der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei der Beklagten nicht zutreffen. d. In jedem Fall wäre die Beklagte aber gehalten gewesen, den Betriebsrat unmittelbar nach Eingang der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über diese Veränderung des kündigungsrelevanten Sachverhalts zu informieren. Dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Klägers nicht einmal bis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der hier streitigen Kündigung vom 27.01.2004 bei der Beklagten vorgelegen hätte, hat die Beklagte selbst nicht behauptet. 4. Aus den genannten Gründen ist die Kündigung der Beklagten vom 27.01.2004 nicht nur als außerordentliche, sondern auch als ordentliche, fristgerechte verhaltensbedingte Kündigung unwirksam. Es verbleibt damit somit bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch betriebsbedingte Kündigung zum 31.03.2004. III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 ZPO. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist in der vorliegenden Einzelfallentscheidung nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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