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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 04.09.2002
Aktenzeichen: 7 Sa 415/02
Rechtsgebiete: MTArb, KSchG, BGB


Vorschriften:

MTArb § 59
KSchG § 1
BGB § 626 I
1) Eine Kündigung wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten kommt regelmäßig nur als ordentliche Kündigung in Betracht (BAG DB 2002, 100 ff.; BAG NZA 1993, 598 ff.).

2) Der Durchschnittsfall einer solchen ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung rechtfertigt auch dann keine außerordentliche Kündigung, wenn die ordentliche Kündigung bei dem betroffenen Arbeitnehmer tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist und die außerordentliche Kündigung mit einer der Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist verbunden wird.

3) Eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung kommt vielmehr nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen in Betracht. Dazu muss das nach der Zukunftsprognose zu erwartende Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung so krass sein, dass nur noch von einem "sinnentleerten" Arbeitsverhältnis gesprochen werden kann (BAG a.a.O.).


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 7 Sa 415/02

Verkündet am: 04.09.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 04.09.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Czinczoll als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Staschik und Breuer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.11.2001 in Sachen 5 Ca 1837/01 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und der Gründe, die das Arbeitsgericht Bonn dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 21.11.2001 Bezug genommen. Wegen des Umfangs der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin seit Beginn des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1983 bis zum Ausspruch der Kündigung wird auf die Aufstellung der Beklagten im Kündigungsschreiben vom 06.06.2001 Bezug genommen (Bl. 12 f. d. A.).

Das Urteil des ersten Rechtszuges wurde der Beklagten am 27.03.2002 zugestellt. Sie hat hiergegen am 25.04.2002 Berufung eingelegt und diese am 22.05.2002 begründet.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beanstandet, dass sie erstinstanzlich nicht ausreichend Gelegenheit erhalten habe, zu dem vorübergehenden Einsatz der Klägerin in der sog. Tagesklinik Stellung zu nehmen. Die Klägerin sei dort nämlich nur vertretungsweise in der Zeit vom 29.10. bis 12.011.2001 eingesetzt worden. In der Essensverteilung seien dort nur Arbeiten im Umfang von ca. vier Stunden täglich angefallen. Um den Arbeitsplatz mit Tätigkeiten für eine Vollzeitkraft aufzufüllen, habe die frühere Arbeitsplatzinhaberin dementsprechend auch neben Putzarbeiten täglich Arbeiten in der Bettenzentrale verrichten müssen. Für diese Tätigkeiten habe die Klägerin auf Grund ihrer mangelnden körperlichen Eignung nicht eingesetzt werden können. Alles in allem sei der Arbeitsplatz in der Tagesklinik somit keineswegs körperlich weniger belastend gewesen als der Stammarbeitsplatz der Klägerin in der neurochirurgischen Klinik. Dies habe das Arbeitsgericht verkannt und daher zu Unrecht auf die Möglichkeit abgestellt, dass bei einem Einsatz der Klägerin in der Tagesklinik geringere krankheitsbedingte Fehlzeiten zu erwarten seien.

Wie die Beklagte darüber hinaus, von der Klägerin unwidersprochen, vorgetragen hat, ist der Arbeitsplatz der Essensverteilung in der Tagesklinik nach dem zwischenzeitlichen Ausscheiden der früheren regulären Arbeitsplatzinhaberin umorganisiert und an eine Fremdfirma vergeben worden, und zwar in der Weise, dass lediglich während der Essenszeiten von 7:00 - 9:00 Uhr und 11:00 - 13:00 Uhr jeweils ein Leiharbeitnehmer eingesetzt werde.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass alle Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung der Klägerin erfüllt seien.

Sie beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 21.11.2001 (Aktenzeichen 5 Ca 1837/01) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte hat die Klägerin über die ihr eingeräumte Auslauffrist des Arbeitsverhältnisses hinaus vorläufig weiterbeschäftigt. Die Klägerin hat vom 12.09. bis 10.10.2001 eine stationäre Kurmaßnahme absolviert. In der Zeit ab Beendigung der Kur, aus welcher die Klägerin ausweislich des Entlassungsberichts (Bl. 84 d. A.) als "gebessert" und "sofort arbeitsfähig" entlassen worden war, bis zum Tag der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 04.09.2002 haben sich ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten wie folgt entwickelt:

19. bis 25.11.2001; 14.01.2002; 21.01. bis 25.01.2002; 11. bis 15.03.2002; 30.03 bis 28.04.2002.

Zuletzt ist die Klägerin auf Station 3 der neurochirurgischen Klink eingesetzt worden.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG a. F. statthaft und wurde auch gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG a. F. fristgerecht eingelegt und begründet.

II. In der Sache selbst konnte die Berufung der Beklagten jedoch keinen Erfolg haben. Die mit sozialer Auslauffrist ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 06.06.2001 ist rechtsunwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zur Auflösung gebracht. Die streitige Kündigung erfüllt nicht die Voraussetzungen, die an eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung im Sinne der §§ 59 MTArb, 626 Abs. 1 BGB zu stellen sind. Dem Ergebnis des arbeitsgerichtlichen Urteils ist somit beizutreten.

1. Im Ausgangspunkt ist zunächst festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß § 59 MTArb nur noch außerordentlich gekündigt werden kann. Die außerordentliche Kündigung setzt einen "wichtigen Grund" voraus. Dieser ist nur gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer es dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Dienstverhältnis fortzusetzen. Die Maßstäbe, die bei der Subsumtion dieser Voraussetzungen anzuwenden sind, entsprechen grundsätzlich denen des § 626 Abs. 1 BGB, wie schon die gleichlautende Formulierung zeigt (Scheuring/Steingen/Banse/Thivessen, MTArb, § 59 Erl.1; zum gleichlautenden § 54 BAT: BAG AP Nr.1 zu § 54 BAT; BAG AP Nr.17 zu § 72 a ArbGG 1979 ).

2. Eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kommt regelmäßig nur als ordentliche Kündigung in Betracht. Es ist nämlich eine krankheitsbezogene Sachverhaltskonstellation nur schwer vorstellbar, in der es dem Arbeitgeber nicht einmal mehr zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis wenigstens noch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen (BAG DB 2002, 100 ff.; BAG NZA 1993, 598 ff.; BAG AP § 133 c GewO Nr. 3).

3. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG kommt allerdings eine Ausnahme von dieser Regel bei Arbeitnehmern in Betracht, bei denen eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist. Dabei betont das BAG jedoch stets, dass auch dann, wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist, eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen für den Arbeitgeber im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sei (BAG DB 2002, 100 ff.; BAG NZA 2000, 142; BAG NZA 1995, 1100 ff.; BAG NZA 1993, 598 ff.).

a. Auch eine außerordentliche Kündigung wegen häufiger krankheitsbedingter Fehlzeiten setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus, welche nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung zu bestimmen ist.

aa. Nach der Aufstellung der Beklagten hat die Klägerin von Beginn ihres Arbeitsverhältnisses im Jahre 1983 an bis zum Ausspruch der Kündigung im Jahre 2001 durchschnittlich jährliche Arbeitsunfähigkeitszeiten im Umfang von ca. 59 Arbeitstagen zu verzeichnen. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass die Klägerin in einer Sechs-Tage-Woche beschäftigt ist, so haben ihre krankheitsbedingten Fehlzeiten, sieht man einmal vom Eintrittsjahr 1983 ab, nur in vier Kalenderjahren den gesetzlichen sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum unterschritten, und dann jeweils auch nur geringfügig. Dabei zeigen die jährlichen Fehlzeitenmengen ein periodisches Auf und Ab, ohne dass jedoch eine dauerhaft sich verfestigende aufsteigende oder absteigende Tendenz feststellbar ist. So hatte die Klägerin in den Jahren 1993 bis 1997 Fehlzeiten zwischen 59 und 85 Arbeitstagen jährlich. In den Jahren 1998 und 1999 unterschritt sie sodann mit 35 und 34 Arbeitstagen knapp die Sechswochengrenze, kehrte aber in den Jahren 2000 und 2001 wieder zu Fehlzeitenmengen im vorherigen Umfang zurück.

bb. Diese über einen langen Zeitraum zu beobachtenden statistischen Verhältnisse entfalten eine Indizwirkung dahin, dass die Beklagte auch in Zukunft weiterhin mit krankheitsbedingten Fehlzeiten entsprechenden Umfangs zu rechnen hat.

cc. Diese Indizwirkung hat die Klägerin auch nicht ausreichend zu erschüttern vermocht. Ihr pauschaler Hinweis darauf, dass die Krankheitszeiten in den Jahren 2000 und 2001 "im wesentlichen auf einer bakteriellen Hautinfektion an den beiden Beinen beruhten", erscheint zum einen unsubstantiiert, lässt zum anderen nicht erkennen, worauf sich die Annahme gründet, solche Erkrankungen würden in Zukunft sich nicht wiederholen, und enthält überdies keinerlei Aussage über die Fehlzeitensituation in den Jahren zuvor.

dd. Auch die von der Klägerin vom 12.09. bis 10.10.2001 absolvierte Kur führt zu keinen anderen Beurteilung der Zukunftsprognose. Dies zeigen die schon kurze Zeit nach Ende der Kur erneut aufgetretenen Fehlzeiten zwischen November 2001 und April 2002. Es bedarf daher keiner weiteren Erörterung, ob die Ergebnisse der Kur überhaupt Berücksichtigung finden können, da sie erst nach Ausspruch der streitigen Kündigung angetreten wurde.

b. Die Beklagte hat auch vortragen können, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen geführt haben.

aa. So hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass sie während der Dauer krankheitsbedingter Ausfallzeiten der Klägerin im Laufe des Beschäftigungsverhältnisses bis zum Ausspruch der hier streitigen Kündigung bei einem monatlichen Einkommen von zuletzt 3.600,00 DM brutto insgesamt 115.766,53 DM an Entgeltfortzahlungskosten habe aufbringen müssen. Davon waren im Zeitraum ab dem 03.02.1998 bis zum Ausspruch der Kündigung 39.948,15 DM angefallen.

bb. Zusätzlich hat die Beklagte darauf hingewiesen, dass im Rahmen des Schichtbetriebes auf der Station der Ausfall auch nur einer Arbeitskraft von anderen Mitarbeiterinnen, die selbst eigene Stationen in gleichem Umfang zu betreuen haben, nicht annähernd kompensiert werden könne. Die jeweiligen Arbeiten griffen ineinander und seien deshalb zeitlich nicht verschiebbar. Bei regelmäßigen Arbeitsausfällen müssten somit immer wieder Teile der Arbeiten unerledigt bleiben und z. B. Warmspeisen verspätet verteilt werden.

c. Ungeachtet der tendenziell negativen gesundheitlichen Zukunftsprognose und des Vorliegens erheblicher betrieblicher Belastungen auf Grund der regelmäßig wiederkehrenden krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin ergibt die auf der dritten Stufe der Prüfungsvoraussetzungen vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin für die Beklagte (noch) nicht unzumutbar im Sinne von §§ 626 Abs. 1 BGB, 59 MTArb ist.

aa. Das Berufungsgericht verkennt dabei nicht, dass als zeitlicher Bezugspunkt für die Zumutbarkeitsprüfung bei der außerordentlichen Kündigung eines tarifvertraglich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers nicht auf die Dauer einer fiktiven Kündigungsfrist abzustellen ist, sondern auf die zu erwartende tatsächliche künftige Vertragsbindung (BAG NZA 1993, 600 f.). Im Falle der im Jahre 1950 geborenen Klägerin ist somit zu berücksichtigen, dass selbst eine vorzeitige Inanspruchnahme der Sozialversicherungsrente bei regulärem Verlauf der Dinge nicht vor dem Jahr 2010 in Betracht kommen wird.

bb. Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen ist davon auszugehen, dass auch im öffentlichen Dienst ein Arbeitsverhältnis auf den gegenseitigen Austausch von Leistungen ausgerichtet ist (BAG NZA 1993, 601). Dieses Austauschverhältnis ist vorliegend zu Lasten der Beklagten signifikant beeinträchtigt, da die Beklagte nach Lage der Dinge auch in Zukunft mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Klägerin im Umfang von durchschnittlich 20 bis 25 % der jährlichen Soll-Arbeitstage in der Sechs-Tage-Woche rechnen muss.

cc. Der Beklagten ist auch zugute zu halten, dass sie in der Vergangenheit gegenüber der Klägerin für lange Zeit in hohem Maße soziale Rücksicht bewiesen hat; denn es ist nicht zu verkennen, dass die gesundheitlichen Probleme der Klägerin das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis schon nahezu während der gesamten bisherigen Beschäftigungszeit gestört und beispielsweise in den Jahren 1988 und 1989 zu Ausfallzeiten im Umfang von 100, bzw. 101 Arbeitstagen geführt haben. Die Beklagte hat dabei auch hohe Entgeltfortzahlungskosten in Kauf genommen, und es liegt auf der Hand, dass im Schichtbetrieb eines Krankenhauses häufige Krankheitszeiten einer Mitarbeiterin regelmäßig auch arbeitsorganisatorische Probleme hervorrufen.

dd. Anders als nach dem am Ende der ersten Instanz erreichten Sach- und Streitstand kann die Klägerin dem auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Beklagte es als mildere Maßnahme im Vergleich zum Ausspruch einer Kündigung versäumt habe, sie in die sog. Tagesklinik zu versetzen, da eine dort weniger belastende Arbeitssituation die Chance eröffnet hätte, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten nicht mehr in gleicher Menge auftreten würden. Nach dem Vortrag der Parteien und den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz vermag die Berufungskammer nämlich im Ergebnis nicht nachzuvollziehen, warum der Arbeitsplatz in der Essensausgabe der sog. Tagesklinik so, wie er in der Vergangenheit für eine Vollzeitkraft ausgestaltet war, bei objektiver Betrachtung körperlich weniger belastend gewesen wäre als der Stammarbeitsplatz auf der Station in der neurochirurgischen Klinik. Auch ist nicht erkennbar geworden, wie dieser Arbeitsplatz anders hätte organisiert werden können, so dass er einerseits zwar nach objektiven Maßstäben genügend Tätigkeitsinhalt für eine Vollzeitkraft aufgewiesen hätte, andererseits aber nicht mit körperlich anstrengenden Arbeiten verbunden gewesen wäre. Ferner hat die Klägerin selbst betont, dass es für sie schon aus wirtschaftlichen Gründen auch keine Alternative dargestellt hätte, ihren arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeitumfang etwa auf die Hälfte zu reduzieren. Aus diesen Gründen bedarf es auch keiner näheren Erörterung, welche Rolle es spielt, dass der Arbeitsplatz in der Tagesklinik als solcher zwischenzeitlich nicht mehr vorhanden ist.

ee. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass der Verlust des Arbeitsplatzes die Klägerin in ihrer gegenwärtigen und zu erwartenden zukünftigen Situation besonders hart treffen würde. Zwar spricht es nicht gegen, sondern vielmehr gerade für die Beklagte, dass sie während der nahezu gesamten Dauer des im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung etwa 18 Jahre lang bestehenden Arbeitsverhältnisses die durch die gesundheitlichen Probleme der Klägerin entstehenden Auswirkungen auf ihren Arbeitseinsatz geduldig hingenommen hat. Demgegenüber ist jedoch auch zu registrieren, dass die Chancen der Klägerin, auf dem Arbeitsmarkt eine anderweitige Beschäftigung zu finden, mit der sie ihren Lebensunterhalt sicherstellen könnte, im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung, in welchem sie wenige Tage vor der Vollendung ihres 51. Lebensjahres stand, bereits drastisch gesunken waren. Dies gilt um so mehr, als die Klägerin nicht nur gesundheitlich angeschlagen ist, sondern auch über keinerlei qualifizierte Ausbildung verfügt und nur für einfachere gewerbliche Tätigkeiten eingesetzt werden kann.

ff. Die geschiedene Klägerin ist aber auch nicht nur wirtschaftlich auf die Einkünfte aus ihrem Arbeitsverhältnis angewiesen, sondern für sie bildet das Arbeitsverhältnis auch einen zentralen Bezugspunkt für ihre sozialen Kommunikationsmöglichkeiten. Darüber hinaus hat sich auch die Klägerin in dem lang dauernden bisherigen Arbeitsverhältnis betriebstreu gezeigt und mit einer solchen Beschäftigungsdauer einhergehende Besitzstände erworben, die sie in einem neuen Arbeitsverhältnis, sofern sie ein solches in absehbarer Zeit überhaupt finden würde, nicht in gleichem Umfang nochmals aufbauen könnte.

gg. Wägt man nunmehr die beiderseitigen Interessen gegeneinander ab, so kommt zur Überzeugung des Berufungsgerichts einem Grundsatz ausschlaggebende Bedeutung zu, den das BAG in seiner Rechtsprechung zur außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung tariflich unkündbarer Arbeitnehmer aufgestellt und beständig bekräftigt hat: "Auch wenn eine ordentliche Kündigung tariflich oder vertraglich ausgeschlossen ist, kann eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer nur in eng zu begrenzenden Ausnahmefällen für den Arbeitgeber im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sein" (BAG DB 2002, 100 ff.; ebenso BAG NZA 2000, 142; BAG NZA 1995, 1100 ff.; BAG NZA 1993, 600). Und weiter: "Bei einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung ist der schon bei einer ordentlichen Kündigung zu beachtende strenge Prüfungsmaßstab auf allen drei Prüfungsstufen erheblich verschärft. Er muss den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind" (BAG DB 2002, 100 ff.).

Dementsprechend lagen in Fällen, in denen das BAG die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung tariflich, bzw. vertraglich unkündbarer Arbeitnehmer wegen häufiger Kurzerkrankungen bejaht hat, extreme Sachverhaltskonstellationen zu Grunde, bei denen die Intensität der eingetretenen Störung des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses weit über den Durchschnittsfall einer rechtswirksamen ordentlichen Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen hinaus ging. So fehlte der Arbeitnehmer in dem der Entscheidung vom 18.01.2001 (DB 2002, 100 ff.) zu Grunde liegenden Fall in den fünf Jahren vor Ausspruch der Kündigung 143 Arbeitstage, 173 Arbeitstage, 175 Arbeitstage, 160 Arbeitstage und 177 Arbeitstage und verursachte allein in diesem Zeitraum Gehaltsfortzahlungskosten in Höhe von 213.977,24 DM. In dem der Entscheidung vom 09.09.1992 zu Grunde liegenden Fall (NZA 1993, 598 ff.) hatte der dortige Kläger in den sechs Jahren vor der Kündigung durchschnittliche krankheitsbedingte Fehlzeiten in einem Umfang von 101 Arbeitstagen jährlich (soweit ersichtlich in der Fünf-Tage-Woche, davon in den drei letzten Jahren vor der Kündigung 128 Tage, 90 Tage und 186 Tage), und er hatte überdies selbst angegeben, dass er sich trotz eines vorangegangenen Klinikaufenthalts gesundheitlich weiterhin schlecht fühle und selbst mit einem weiteren Ansteigen seiner krankheitsbedingten Ausfälle rechne.

Bei derart krassen Missverhältnissen von Leistung und Gegenleistung - in dem Fall vom 18.01.2001 stand die betroffene Arbeitnehmerin zu 3/4 bis 4/5 der jährlich anfallenden Arbeitstage regelmäßig krankheits- bzw. urlaubsbedingt nicht zur Verfügung - spricht das BAG von einem "sinnentleerten" Arbeitsverhältnis (NZA 1993, 601; DB 2002, 100 ff.), dessen Aufrechterhaltung dem Arbeitgeber auch gegenüber einem eigentlich unkündbaren Arbeitnehmer schlechterdings nicht mehr zugemutet werden kann.

hh. Mit derartigen Ausnahmekonstellationen, in denen das BAG zu Recht die Wirksamkeit auch einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung anerkannt hat, ist der vorliegende Fall nicht zu vergleichen. Die auch vorliegend gegebene und auf Grund der Zukunftsprognose weiterhin zu erwartende Störung des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses erreicht nicht die Intensität, die es schon rechtfertigen könnte, von einem bereits "sinnentleerten" Arbeitsverhältnis zu sprechen.

Dabei ist auch zu bedenken, dass die Zukunftsprognose für die Klägerin zwar im Hinblick auf eine zu befürchtende Fortdauer der von der Beklagten errechneten Durchschnittsfehlzeiten in Höhe von ca. 59 Arbeitstagen pro Jahr in der Sechs-Tage-Woche negativ ist, dass aber auch keinerlei Anzeichen dafür vorhanden sind, dass in absehbarer Zukunft mit einer weiteren Verschlechterung gerechnet werden müsste. Eine Verschlechterungsgefahr lässt sich weder der Fehlzeitenkurve vor Ausspruch der Kündigung entnehmen, noch sonstigen Umständen einschließlich auch den seit Ausspruch der Kündigung eingetretenen Entwicklungen, sofern diesen hier überhaupt Relevanz zukommen kann.

Die von der Beklagten errechnete durchschnittliche Fehlzeitenhäufigkeit im Umfang von 59 Arbeitstagen pro Jahr ist gleichbedeutend mit einer Fehlzeitenquote im Umfang von 20 bis 25 % der zur Verfügung stehenden Gesamtjahresarbeitszeit. Die Fehlzeitenquote der Klägerin liegt damit deutlich über dem gesetzlichen sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum und damit wohl im kritischen Bereich, der für eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung in Betracht käme. Allerdings wird der kritische Fehlquotenwert in der Instanzrechtsprechung teilweise auch erst bei Fehlzeiten von über 25 % als erreicht angesehen (LAG Hamm DB 82, 283; LAG Düsseldorf DB 80, 1078; LAG Düsseldorf DB 83, 723; LAG Hamm DB 81, 11093; Küttner/Eisemann, Personalbuch 2002 Nr. 258 Rz. 21).

Vorliegend mag somit ggf. ein Durchschnittsfall gegeben sein, bei dem eine ordentliche krankheitsbedingte Kündigung gegenüber einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer hätte wirksam sein können. Es würde aber Sinn und Zweck der tariflichen Unkündbarkeitsvorschrift des § 59 MTArb nicht gerecht, gegenüber der ordentlich nicht mehr kündbaren Klägerin die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung schon dann zuzulassen, wenn nur die üblichen Kriterien für eine entsprechende ordentliche Kündigung erfüllt sind. § 59 MTArb und andere sinnverwandte Tarifvorschriften wollen gerade Arbeitnehmern, die in einer besonders langjährigen arbeitsvertraglichen Verbundenheit zu ihren Arbeitgebern stehen, einen besonderen Bestandsschutz gewähren. Dies gilt auch für personenbedingte Kündigungen. Gerade deswegen verlangt die oben zitierte BAG-Rechtsprechung solchen Arbeitnehmern gegenüber bei der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung "erheblich verschärfte" Prüfungsmaßstäbe und die Beschränkung der außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung auf "eng begrenzte Ausnahmefälle". Kriterien, die den vorliegenden Fall über den Durchschnittsfall einer in Betracht kommenden ordentlichen krankheitsbedingten Kündigung hinaus zu einem solchen Ausnahmefall im Sinne der BAG-Rechtsprechung machen könnten, sind für das Berufungsgericht nicht ersichtlich.

Im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen muss dem Interesse der Klägerin an der Aufrechterhaltung ihres Arbeitsplatzes somit im Ergebnis der Vorrang eingeräumt werden.

Demnach konnte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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