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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 831/05
Rechtsgebiete: TVG


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 3
TVG § 4 Abs. 5
1. Nach dem Verbandaustritt des Arbeitgebers führt die Vereinbarung der Tarifvertragsparteien, die Mindestlaufzeit eines Tarifvertrages um einen erheblichen Zeitraum (hier um 41 Monate) zu verlängern, zum Ende der verlängerten Tarifgebundenheit i. S. v. § 3 Abs. 3 TVG.

2. Unterschreibt der Arbeitnehmer einen vom Arbeitgeber entworfenen Vertragstext, der inhaltliche Abweichungen von einem gemäß § 4 Abs. 5 TVG nachwirkenden Tarifvertrag enthält, so kommt eine "andere Abmachung" i. S. v. § 4 Abs. 5 TVG zustande, die insoweit zum Ende der Tarifnachwirkung führt. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer in einem Begleitschreiben den Vorbehalt einer "rechtlichen Überprüfung" erhebt, ohne jedoch deutlich zu machen, dass er den Vertrag nur mit tarifkonformem Inhalt zustande kommen lassen will.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 28.04.2005 in Sachen 1 Ca 12491/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, in welcher Höhe der Klägerin die in § 6 des zwischen den Parteien abgeschlossenen Altersteilzeitvertrages geregelten Leistungen zustehen.

Wegen des Sach- und Streitstandes I. Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 28.04.2005 Bezug genommen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde der Klägerin am 01.06.2005 zugestellt. Die Klägerin hat hiergegen am 17.06.2005 Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Frist bis zum 01.09.2005 - am 01.09.2005 begründen lassen.

Die Klägerin meint, das Arbeitsgericht habe bei seiner Entscheidung die Rechtslage verkannt. Die von den Tarifvertragsparteien am 04.07.2003 vereinbarte Verlängerung der Mindestlaufzeit des TV Altersteilzeit habe die auf § 3 Absatz 3 TVG beruhende tarifliche Nachbindung der Beklagten nicht beendet. Dies gelte um so mehr, als zum Zeitpunkt der Vereinbarung des Altersteilzeitvertrages vom 30.07.2004 die ursprüngliche Mindestlaufzeit des Tarifvertrages noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Zumindest habe aber noch die Tarifbindung aus Nachwirkung gemäß § 4 Absatz 5 TVG bestanden. Der Altersteilzeitvertrag vom 30.07.2004 stelle keine "andere Abmachung" dar, die die Nachwirkung aus § 4 Absatz 5 TVG hätte aufheben können. Aus ihrem Begleitschreiben zum Altersteilzeitvertrag vom 30.07.2004 habe die Beklagte ersehen können, dass sie, die Klägerin, den Altersteilzeitvertrag nur unter der Bedingung habe abschließen wollen, dass die in § 6 des Vertrages erwähnten Aufstockungsleistungen in derjenigen Höhe zu erbringen sei, wie sie in §§ 5 Absatz 3, 6 TV Altersteilzeit vorgesehen sind. Sie, die Klägerin habe somit ein neues, geändertes Vertragsangebot unterbreitet, welches die Beklagte durch ihre Unterschrift unter der Vertragsurkunde angenommen habe.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 28.04.2005 - 1 Ca 12491/04 -, nach den Schlussanträgen der Klägerin I. Instanz zu entscheiden mit der Maßgabe, dass Zinsen jeweils in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen sind.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt das Ergebnis und die Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils mit Rechtsausführungen. Insbesondere macht sie geltend, dass die Klägerin den ursprünglichen Vertragstext des Altersteilzeitvertrages ohne Änderungen und ohne Hinweis auf irgendwelche Vorbehalte oder Einschränkungen unterzeichnet habe. Auch unter Hinzunahme des Begleitschreibens sei bei einer Gesamtwertung ein abgeändertes Vertragsangebot nicht zu erkennen, zumal die Klägerin gewusst habe, dass die Beklagte einer individualvertraglichen Vereinbarung der Inhalte der §§ 5 Absatz 3, 6 TV Altersteilzeit niemals zugestimmt hätte. Sie, die Beklagte, habe das Begleitschreiben nur so verstehen können, dass die Klägerin sich einerseits mit dem vorgelegten Vertragsentwurf einverstanden erklärte, andererseits aber eine rechtliche Überprüfung einer eventuell Kraft Gesetzes bestehenden Tarifbindung vorbehalten wollte.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungs- und der Berufungserwiderungsschrift wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Absatz 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft und wurde im Rahmen der in § 66 Absatz 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, entgegen dem Inhalt des von beiden Parteien unterzeichneten Altersteilzeitvertrages vom 30.07.2004 die dort in § 6 des Vertrages geregelten Leistungen nicht in der vertraglichen Höhe zu erhalten, sondern in derjenigen Höhe, die sich aus §§ 5 Absatz 3, 6 TV Altersteilzeit ergäbe. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Einzelnen überzeugend begründet und dabei auch, soweit erforderlich, auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung hingewiesen. Das Berufungsgericht kann an die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils anknüpfen. Lediglich zusammenfassend und ergänzend ist aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht noch Folgendes auszuführen:

1. Unstreitig bestand im Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitvertrages der Parteien keine beiderseitige originäre Tarifbindung mehr. Unstreitig ist die Beklagte zum 31.12.2001 aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten.

2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht begründet, dass und warum die sich nunmehr anschließende verlängerte Tarifgebundenheit nach § 3 Absatz 3 TVG am 04.07.2003 ihr Ende gefunden hat. An diesem Tag haben die Tarifvertragsparteien nämlich den im Zeitpunkt der Beendigung der originären Tarifbindung der Beklagten bestehenden TV Alterteilzeit erstmals geändert. Die Mindestlaufzeit des Tarifvertrages wurde um 41 Monate verlängert. Eine solche Veränderung wirkt sich nicht nur auf die Zulässigkeit von Arbeitskämpfen aus, sondern berührt auch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit der dem Tarifvertrag unterworfenen Parteien in erheblichem Maße. Gerade auch die zur Zeit aktuellen tarifpolitischen Auseinandersetzungen in anderen Branchen belegen die erhebliche Bedeutung tarifvertraglicher (Mindest-) Laufzeitvereinbarungen. Es kann daher in Überstimmung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, auf die das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, keinem Zweifel unterliegen, dass auch eine Änderung (nur) der Laufzeitvereinbarung eines Tarifvertrages zu einer Beendigung der nachwirkenden Tarifgebundenheit im Sinne von § 3 Absatz 3 TVG führt.

3. Die Beklagte ist auch unter dem Gesichtspunkt des § 4 Absatz 5 TVG nicht mehr an die Vorgaben des TV Altersteilzeit gebunden. Sie ist auch unter dem Gesichtspunkt des § 4 Absatz 5 TVG nicht verpflichtet, der Klägerin die in § 6 des Alterteilzeitvertrages geregelten Leistungen in derjenigen Höhe zu gewähren, die der TV Alterteilzeit in seinen §§ 5 Absatz 3, 6 vorschreibt. Die Geltung der Rechtsnormen des Tarifvertrages ist nämlich dadurch beendet worden, dass die Parteien mit Abschluss ihres individuellen Altersteilzeitvertrages vom 30.07.2004 "eine andere Abmachung" im Sinne von § 4 Absatz 5 TVG getroffen haben.

a. Die Klägerin hat den Alterteilzeitvertrag mit unverändertem textlichen Inhalt so unterschrieben, wie er von der Beklagten entworfen worden war. Die Klägerin hat ihrerseits ein Angebot zum Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit dem von der Beklagten vorgeschlagenen Inhalt abgegeben und dieses Angebot ist von der Beklagten durch deren Unterschrift angenommen worden.

b. Daran ändert auch das Begleitschreiben der Klägerin vom 30.07.2004 nichts, das sie dem mit ihrer Unterschrift versehenen Altersteilzeitvertrag beigefügt hatte. Das Arbeitsgericht hat den Inhalt des Begleitschreibens und seine rechtliche Bedeutung zutreffend gewürdigt. Die Beklagte konnte, wie jeder andere objektive Erklärungsempfänger, den Inhalt des Begleitschreibens gerade nicht so verstehen, dass die Klägerin das Zustandekommen des Altersteilzeitvertrages davon abhängig machen wollte, dass die in § 6 des Altersteilzeitvertrages geregelten Leistungen in der in §§ 5 Absatz 3, 6 TV Altersteilzeit vorgesehenen Höhe gezahlt würden. Erst recht konnte die Beklagte das Begleitschreiben der Klägerin nicht so verstehen, dass die Klägerin ihr damit den Abschluss eines Altersteilzeitvertrages mit dem gegenüber in § 6 des Vertragstextes abgeänderten Inhalt anbieten wollte, dass der Aufstockungsbetrag nach § 6 Absatz 1 statt 20 % 30 % und nach § 6 Absatz 2 statt 80 % 90 % betragen solle.

Vielmehr kommt in dem Begleitschreiben der Klägerin vom 30.07.2004 objektiv lediglich zum Ausdruck, dass der Klägerin bewusst geworden war, dass die in § 6 des Altersteilzeitvertrages vorgesehenen Leistungen der Höhe nach hinter den in § 5 Absatz 3 und § 6 des TV Altersteilzeit vorgesehenen Leistungen zurückblieben, und dass sie deshalb rechtlich überprüfen lassen wolle, ob nicht für die Arbeitsvertragsparteien die Vorgaben des Tarifvertrages zwingend maßgeblich seien, sei es z.B., dass der Klägerin der Verbandsaustritt der Beklagten nicht bekannt oder zumindest nicht nachgewiesen war, dass sie das Ende der Tarifbindung im Sinne von § 3 Absatz 3 TVG überprüfen lassen wollte, dass sie irrig davon ausging, dass ihre eigene Verbandszugehörigkeit für eine zwingende Tarifbindung beider Parteien ausreichte o. ä. Mit anderen Worten konnte die Beklagte nach dem objektiven Empfängerhorizont davon ausgehen, dass die Klägerin mit ihrer Unterschrift den Altersteilzeitvertrag mit dem von der Beklagten vorgeschlagenen unveränderten Inhalt akzeptierte, sich jedoch lediglich vorbehielt zu überprüfen, ob der Inhalt des Vertrages gegen zwingendes höherrangiges Recht verstieße.

c. Diese Auslegung entspricht im Übrigen auch der objektiven Interessenlage der Parteien. Der Klägerin war, wie die Beklagte stets unwidersprochen vorgetragen hat, bekannt, dass die Beklagte eine individualvertragliche Vereinbarung, wonach sie die in § 5 Absatz 3 und § 6 des TV Altersteilzeit genannten Leistungen in der dort geregelten Höhe zu zahlen hätte, nicht akzeptieren würde. Der Klägerin war aber andererseits gerade nicht daran gelegen, das Zustandekommen des Altersteilzeitvertrages insgesamt nur wegen des Inhalts von dessen § 6 aufs Spiel zu setzen. Dies wird tendenziell auch dadurch bestätigt, dass die Klagepartei noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eine gütliche Einigung dahingehend, dass der Altersteilzeitvertrag rückwirkend aufgehoben würde, ausdrücklich als uninteressant abgelehnt hat.

4. Schließlich kann die Klägerin auch daraus nichts für sich herleiten, dass in § 1 Absatz 2 des Altersteilzeitvertrages auf den Arbeitsvertrag vom 02.08.1995 in der Fassung vom 12.11.2002 Bezug genommen wird und dieser Arbeitsvertrag wiederum in seinem § 12 die Anwendung tarifvertraglicher Bestimmungen regelt. Dabei übersieht die Klägerin bereits, dass nach § 13 Absatz 3 Satz 2 des Altersteilzeitvertrages die Bestimmungen des Arbeitsvertrages vom 02.08.1995 nur insoweit maßgeblich bleiben, soweit in dem Altersteilzeitvertrag nichts anderes vereinbart ist.

Die Berufung der Klägerin konnte bei alledem keinen Erfolg haben.

III. Die Kostenfolge ergibt aus § 97 Absatz 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel nicht gegeben.



Ende der Entscheidung

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