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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 15.10.2003
Aktenzeichen: 8 Sa 832/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 55 Abs. 1
InsO § 209 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 210
1. Der Urlaubsanspruch ist ein Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, von den nach dem Arbeitsverhältnis entstehenden Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne die übrigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts zu verändern (ständige Rechtsprechung BAG vom 08.09.1998 - 9 AZR 161/97 - DB 1999, 994; vom 19.04.1994 BB 1994, 1569).

2. Bei Urlaubsgewährung durch den Insolvenzverwalter liegt daher eine Inanspruchnahme (§ 209 Abs. 2 Nr. 3) der Gegenleistung des Arbeitsvertrages, der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, durch den Insolvenzverwalter nicht vor. Der Anspruch auf Urlaubsentgelt ist somit nicht eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 sondern lediglich eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

3. Für Leistungsklagen, mit denen Masseverbindlichkeiten i. S. d. §§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt werden, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.


Tenor:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg - 1 Ca 4080/02 - vom 08.05.2003 - wird abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

(gem. § 69 ArbGG)

Gegenstand des Rechtsstreits sind vom Kläger geltend gemachte Ansprüche auf Urlaubsentgelt für den Zeitraum 17. bis 31.05.1999.

Der Kläger war bei der Gemeinschuldnerin, der Firma D G bis einschließlich Mai 1999 beschäftigt.

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde am 31.03.1999 das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger wurde nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Beklagten beschäftigt, der dem Kläger sodann für die Zeit vom 17. bis 31.05.1999 Erholungsurlaub gewehrte.

Am 17.05.1999 zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an.

Für den Urlaubszeitraum macht der Kläger gegen den Beklagten das Urlaubsentgelt in rechnerisch unstreitiger Höhe von 807,20 EUR brutto geltend.

Das Arbeitsgericht hat dem Klageantrag entsprechend den Beklagten zur Zahlung verurteilt und angenommen, der geltend gemachte Anspruch unterfalle § 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 InsO, so dass das Vollstreckungsverbot gemäß § 210 InsO der Durchsetzbarkeit des Anspruchs nicht entgegenstehe.

Ergänzend wird auf die Begründung des Urteils erster Instanz Blatt 43 d. A. Bezug genommen.

Gegen dieses dem Beklagten am 31.07.2003 zugestellte Urteil erster Instanz wendet sich dessen Berufung vom 31.07.2003, die gleichzeitig unter dem 31.07.2003 begründet worden ist.

Die Berufung macht geltend, dass das Arbeitsgericht verkenne, dass § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO an die tatsächliche Inanspruchnahme der Gegenleistung, also der Arbeitskraft, anknüpfe. Bei der Gewährung von Erholungsurlaub handele es sich demgegenüber gerade nicht um eine "tatsächliche Inanspruchnahme" der Arbeitskraft. Vielmehr sei der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ein Freistellungsanspruch, der die Pflicht des Arbeitgeber zur Zahlung des Arbeitsentgelts nicht berühre. Habe der Beklagte also den Kläger durch Urlaubsgewährung von der Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt, so habe der Beklagte gleichzeitig die Gegenleistung des Klägers gerade nicht in Anspruch genommen. Daraus leite ab, dass der Anspruch auf Urlaubsentgelt § 209 Abs. 1 Nr. 3 unterfalle, so dass das aus § 210 InsO resultierende Vollstreckungsverbot nach angezeigter Masseunzulänglichkeit der Durchsetzbarkeit des geltend gemachten Anspruchs entgegenstehe. Die Klage erweise sich als unzulässig.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 08.05.2003 - 1 Ca 4080/02 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil erster Instanz und vertritt die Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Urteils, dass es sich bei dem Anspruch des Klägers auf Urlaubsentgelt um sog. Neumasseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 InsO handele.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten sowie die gewechselten Schriftsätze beider Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 31.07.2003 zugestellte Urteil erster Instanz fristwahrend mit der am 31.07.2003 eingelegten und begründeten Berufung Rechtsmittel eingelegt.

Die Berufungsbegründung setzt sich im Einzelnen mit dem Urteil erster Instanz auseinander und erfüllt damit die formalen Voraussetzungen an ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel.

II. Die Berufung ist begründet.

Die Klage ist unzulässig.

Für Leistungsklagen, mit denen Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 55 Abs. 1, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO verfolgt werden, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.

Nach § 210 InsO ist, sobald der Insolvenzverwalter die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat, die Vollstreckung wegen einer Masseverbindlichkeit im Sinne der §§ 55 Abs. 1 Nr. 2, 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO unzulässig.

Die eingeklagte Forderung des Klägers auf Urlaubsabgeltung ist eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO.

Die Voraussetzungen des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO sind nämlich bezogen auf den geltend gemachten Anspruch auf Urlaubsentgelt nicht anzunehmen, da für die Urlaubsdauer des Arbeitsverhältnisses nicht von der Inanspruchnahme der Gegenleistung eines Arbeitnehmers des Arbeitsvertrages durch den Insolvenzverwalter ausgegangen werden kann.

Wie der Begriff der "Inanspruchnahme" i.S.d § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu verstehen ist, ist umstritten. Teilweise wird dafür eine auf Erfüllungsverlangen gerichtete Willensbetätigung des Insolvenzverwalters vorausgesetzt (Marotzke, gegenseitige Verträge im neuen Insolvenzrecht, 3. Auflage, Rn. 14.49 f.; Spliedt ZIB 2001, 1941, 1946; Mayer GZWIR 2001, 309, 212 f.). Demgegenüber wird andererseits angenommen, dass schon das bloße Erlangen der Gegenleistung ausreiche (MünchKomm-InsO/Hefermehl, § 209 Rn. 30; zu § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO auch LG Essen NZI 2001, 217) zum Teil allerdings mit der Einschränkung, dass etwa bei einer Mietsache der Insolvenzverwalter die Mietsache tatsächlich nutze bzw. die Nutzung nicht aufgebe (Frankfurter Kommentar zur InsO/Schuhmacher, 3. Auflage, § 55 Rn. 35 und Frankfurter Kommentar zur InsO/Kießner § 209 Rn. 34; Kübler/Prütting/Pape, InsO § 55 Rn. 69).

Die amtliche Begründung der Bundesregierung (zu § 321 Abs. 2 Nr. 3 des Entwurfs einer InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 220) führt zur Erläuterung der Vorschrift aus, dass ein Arbeitnehmer, der seine vertragliche Leistung voll zu erbringen habe, weiterhin Anspruch auf volle Vergütung für diese Arbeitsleistung habe.

Ein solches Verständnis, das auf die Möglichkeit des Insolvenzverwalters zur Verhinderung der Masseverbindlichkeit abstellt, entspricht auch dem systematischen Zusammenhang des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO, mit der Regelungen in korrespondierenden Vorschriften, die zwischen freiwillig begründeten und aufgezwungenen Verbindlichkeiten der Insolvenzordnung unterscheiden:

Zu § 209 Abs. 2 Nr. 2 InsO, der auf die Kündigungsmöglichkeit des Insolvenzverwalters abstellt, führt die amtliche Begründung (a.a.O.) aus, hierdurch habe der Verwalter die Möglichkeit, das Entstehen neuer Forderungen zu verhindern. Entsprechendes gilt für die Haftungsnorm des § 61 Satz 1 InsO.

In gleicher Weise unterscheidet § 90 InsO hinsichtlich des Vollstreckungsverbots für Verbindlichkeiten, die nicht durch eine Rechtshandlung des Insolvenzverwalters begründet worden sind. Die amtliche Begründung der Bundesregierung (zu § 101, a.a.O., S. 138) unterscheidet insoweit ausdrücklich zwischen oktroierten und gewillkürten Masseverbindlichkeiten; sie stellt hierbei auf den Vertrauensschutz der Partner ab, die mit dem Insolvenzverwalter neue Verträge abschließen. An diesen Wertungen hat die vom Bundestag vorgenommene Umgestaltung der Vorschrift zu § 90 InsO in der jetzigen Fassung - die nur das Ziel hatte, das Insolvenzgericht von Einstellungsentscheidungen zu entlasten - nichts geändert (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/8302 S. 165 zu § 101).

Demnach gilt, dass bezogen für Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis grundsätzlich der Insolvenzverwalter das Entstehen einer Neumasseverbindlichkeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit dadurch verhindern kann, dass er den Arbeitnehmer freistellt, anstatt seine Arbeitsleistung in Anspruch zu nehmen.

Von einer solchen Freistellung ist vorliegend auszugehen. Im Falle der Urlaubsgewährung liegt nämlich - worauf die Berufungsbegründung zutreffend aufmerksam macht - gerade nicht die Inanspruchnahme der Gegenleistung des Arbeitsvertrages, die Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, durch den Insolvenzverwalter vor.

Der Urlaubsanspruch ist nämlich ein Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber, von den nach dem Arbeitsverhältnis entstehenden Arbeitspflichten befreit zu werden, ohne die übrigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, insbesondere Pflicht zur Zahlung des Arbeitsentgelts zu verändern (ständige Rechtsprechung BAG vom 08.09.1998 - 9 AZR 161/97 - DB 1999, 994; vom 19.04.1994 BB 1994, 1569).

Damit bedurfte es nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Beklagten keiner neuerlichen eigenständigen Erklärung gegenüber dem Kläger, von der Arbeitsleistung freigestellt zu sein. Vielmehr lag eine Freistellung, die die Annahme einer "Inanspruchnahme" iSd § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO ausschließt schon in der Urlaubsgewährung vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit.

Jedes andere Verständnis liefe im Übrigen darauf hinaus, vom Insolvenzverwalter eine Vorgehensweise zu verlangen, die rechtlich zweifelhaft und jedenfalls nicht masseschonend wäre, nämlich nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Urlaubsgewährung zu widerrufen und gleichzeitig den Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freizustellen.

Hierdurch entstünden Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO für einen Anspruch auf Arbeitsentgelt aus Annahmeverzug und darüber hinaus ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung.

Zudem wäre eine solche Vorgehensweise nur dann zu gestatten, wenn in einem derartigen Fall eine zwingende Notwendigkeit den Urlaub widerrufen zu können, angenommen würde (vgl. hierzu BAG vom 19.12.1991 - 2 AZR 397/91 - RzK I 6 a Nr. 82; Dersch/Neumann, BUrlG § 37, 38); grundsätzlich ist nämlich ein Anspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer seinen Urlaub abzubrechen oder zu unterbrechen, nicht gegeben (vgl. Leinemann/Link BUrlG § 7 Rn. 37, 40; GK BUrlG Bachmann § 7 Rn. 50 ErfK/Dörner § 7 BUrlG Rn. 43).

Demzufolge ist mit der Berufungsbegründung davon auszugehen, dass bereits durch die Urlaubsgewährung wegen des Verständnisses des Urlaubsanspruchs als Freistellungsanspruch gegen den Arbeitgeber davon auszugehen ist, dass es für den Zeitraum des Urlaubs an einer Inanspruchnahme der Gegenleistung im Sinne des § 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO durch den Insolvenzverwalter fehlt.

Damit erweist sich, wie die Berufung zutreffend geltend macht, der Anspruch auf Urlaubsentgelt als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 209 Abs. 1 Nr. 3 InsO, so dass § 210 InsO als Vollstreckungsverbot nach angezeigter Masseunzulänglichkeit der Durchsetzbarkeit des Anspruchs entgegensteht und die klageweise Geltendmachung des Anspruchs unzulässig macht.

Auf die Berufung des Beklagten war daher das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg abzuändern und die Klage abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

IV. Der Rechtsstreit hat grundsätzliche Bedeutung. Die Kammer hat daher die Revision zugelassen.

Ende der Entscheidung

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