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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.06.2007
Aktenzeichen: 8 TaBVGa 4/07
Rechtsgebiete: ArbGG


Vorschriften:

ArbGG § 81
Die Antragsbefugnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung für im Beschlussverfahren geltend gemachter Ansprüche. Sie ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen und für jeden Antrag zu prüfen.

Die Antragsbefugnis kann nur dann bejaht werden, wenn ein Antragsteller Träger eines streitbefangenen Rechts ist und daher geltend machen kann, durch die angegriffene Regelung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen zu sein (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 - AP BetrVG 1972, EzA BetrVG 2001, § 77 Nr. 4 zu b) III 2 a) der Gründe m. w. N.; BAG, Beschluss vom 21.07.2004 - 7 ABR 58/03 - EzA § 47 BetrVG 2001 Nr. 1 zu B I. 2 der Gründe; HWK/Bepler ArbGG § 81 Rz. 9 m. w. N.).


Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) bis 5) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 07.03.2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beteiligte zu 7. ist der 35-köpfige Betriebsrat des bundesweit organisierten Betriebs V der Beteiligten zu 6.

Der Betrieb V hat im Unternehmen der Beteiligten zu 6. die Funktion eines Vermittlungs- und Qualifizierungsbetriebes mit dem Geschäftsauftrag, rationalisierungsbetroffene Beschäftigte aus ihren jeweiligen bisherigen Organisationseinheiten aufzunehmen und auf andere Arbeitsplätze innerhalb oder außerhalb des Konzerns zu vermitteln. Der Vermittlungsprozess selbst ist im Tarifvertrag Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung (TV Ratio) geregelt.

Von den 35 gewählten Mitgliedern des Beteiligten zu 7. sind 25 Mitglieder Beamtenvertreter und 10 Mitglieder TV-Angestellte. Von den Beamtenvertretern entfallen 12 auf die Liste ver.di, 2 auf die Liste DBVKom und 11 auf die sog. Minderheitenliste.

Die Beteiligten zu 1. bis 5. sind gewählte Betriebsratsmitglieder der Minderheitenliste, der Beteiligte zu 4. darüber hinaus Mitglied des Betriebsausschusses.

Von den 10 in den Betriebsrats gewählten TV-Angestellten sind wiederum 8 aus der Liste ver.di und 2 aus der sog. Minderheitenliste in den Betriebsrat gewählt.

Der Betriebsrat verabschiedete eine Betriebsvereinbarung temporärer Einsätze (Kopien Bl. 13 ff. d. A.).

Dabei wurde die Zustimmung zu dieser Betriebsvereinbarung in der Betriebsratssitzung vom 18. und 19.10.2006 gegen die Stimmen der Minderheitsfraktion des Betriebsrats erteilt.

Die endgültige Unterzeichnung der dann in Kraft gesetzten Betriebsvereinbarung erfolgte unter dem 13.12.2006.

Mit ihrem am 27.01.2007 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangenen Antrag machen die Beteiligten zu 1. bis 5. die Nichtigkeit bzw. Rechtsunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung geltend und haben beantragt,

1. den Beteiligten zu 6. und 7. wird aufgegeben, die Anwendung der zwischen ihnen abgeschlossenen "Betriebsvereinbarung temporäre Einsätze" vom 19.10.2006 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen;

2. dem Beteiligten zu 7. wird aufgegeben, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sämtliche ihm im Rahmen des § 99 BetrVG und der §§ 28, 29 PostPersRG erteilten Informationen den Antragstellern vollständig zur Verfügung zu stellen und erhaltene Unterlagen vollständig zugänglich zu machen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat dabei Zweifel geäußert, ob für die geltend gemachten Ansprüche ein Verfügungsanspruch zu bejahen sei. Wie zu § 87 BetrVG vom BAG entschieden, verstoße die Regelung einer Betriebsvereinbarung dann nicht gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats, wenn dem Arbeitgeber - aus welchen Gründen auch immer - eine Freiheit eingeräumt werde, die einem mitbestimmungsfreien Zustand nahe komme. Vereinbarten danach die Betriebsparteien bestimmte Grundsätze und Kriterien dem die mitzubestimmende Materie entsprechen muss, so könne die Regelung im Einzelfall auch dem Arbeitgeber überlassen werden. Übertragen auf den vorliegenden Fall sei daher zu erwägen, ob nicht bereits eine die Voraussetzungen der §§ 99 BetrVG, 28 PostPersRG genügende mitbestimmungsrechtliche Regelung in der Betriebsvereinbarung festgelegt worden sei.

Jedenfalls aber sei der für eine Entscheidung im einstweiligen Verfügungsverfahren erforderliche Verfügungsgrund nicht zu bejahen. Das Vorliegen eines Verfügungsgrundes setze voraus, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichungen des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werden könne. Jedenfalls der Zeitablauf zwischen der Beschlussfassung des Betriebsrats in der Betriebsratssitzung vom 18. und 19.10.2006 bezogen auf die am 13.12.2006 in Kraft getretene Betriebsvereinbarung und der geltend gemachten einstweiligen Verfügung mit Schriftsatz vom 26.01.2007, eingegangen beim Arbeitsgericht am 27.01.2007, bewirke, ein Eilbedürfnis im Sinne einer Selbstwiderlegung durch die Beteiligten zu 1. bis 5. zu verneinen.

Gegen diesen den Beteiligten zu 1. bis 5. unter dem 30.03.2007 zugestellten Beschluss I. Instanz wenden sich die Beteiligten zu 1. bis 5. mit ihrer am 30.04.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Beschwerde, die in der Beschwerdeschrift gleichzeitig begründet worden ist.

Der Verfügungsanspruch ergibt sich daraus, dass die Betriebsvereinbarung gegen höherrangiges Recht verstoße.

Die Betriebsvereinbarung führe zu einer Bildung von regionalen Sonderbetriebsräten und zugleich zu einer Änderung der Zusammenfassung von Betrieben, ohne dass gemäß § 3 Abs. 2 BetrVG die Tarifparteien beteiligt gewesen seien. Ferner sei das Mitbestimmungsverfahren gemäß §§ 99 ff. BetrVG für die im Betrieb beschäftigten Tarifarbeitnehmer verändert. Insbesondere könne der Einsatz der Transfermitarbeiter mit deren Zustimmung entgegen den Regelungen der §§ 100, 101 BetrVG beginnen, ohne dass der Abstimmungsprozess des Betriebsrats beendet zu sein brauche.

Bezüglich der Beamten verdränge die Betriebsvereinbarung unzulässigerweise die Mitbestimmung gemäß § 28, 29 PostPersRG. Gemäß § 35 PostPersRG könne die betriebliche Interessenvertretung aber nicht abweichend durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geregelt werden.

Hinsichtlich des Verfügungsgrundes trügen die Bedenken des Arbeitsgerichts nicht, da der Beschluss des Betriebsrats vom 18. und 19.10.2006 unter dem Vorbehalt weiterer Veränderungen bis zur Unterzeichnung gestanden habe, sei dieser bereits nicht im Sinne des endgültigen Abschlusses einer Betriebsvereinbarung zu verstehen. Demgemäß ergebe aus den Umständen, dass der Betriebsrat das Prinzip der Betriebsvereinbarung grundsätzlich gebilligt habe, bis zur Unterzeichnung kein Korrekturbedarf und keine Möglichkeit und Notwendigkeit die am 27.01.2007 beantragte einstweilige Verfügung gerichtlich einzuklagen. Einem einstweiligen Rechtsschutzantrag vor dem 13.12.2006 hätte das Rechtsschutzbedürfnis gefehlt.

Von der Unterzeichnung der Betriebsvereinbarung habe der Beteiligte zu 1. erstmals am 20.12.2006 erfahren, die Beteiligten zu 2. bis 4. seien erst in der Betriebsratssitzung vom 09./10.01.2007 von der konkreten Durchführung und den im Verfahren dargestellten konkreten Verfahrensweisen nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung in Kenntnis gesetzt worden. Damit könne entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts der Verfügungsgrund für die begehrte einstweilige Verfügung nicht wegen Verfristung versagt werden.

Die Beteiligten zu 1. bis 5. beantragen,

1. den Beteiligten zu 6. und 7. wird aufgegeben, die Anwendung die zwischen ihnen bestehenden "Betriebsvereinbarung temporäre Einsätze" (BV Temp) vom 19.10.2006 in der zuletzt geänderten Fassung vom 19.03.2007 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen;

2. dem Beteiligten zu 7. wird aufgegeben, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache sämtliche ihm im Rahmen des § 99 BetrVG und der §§ 28, 29 PostPersRG erteilten Informationen den Beteiligten zu 1. bis 5. vollständig zur Verfahren zu stellen und erhaltene Unterlagen vollständig zugänglich zu machen.

Die Beteiligte zu 6. beantragt,

die Beschwerde bezogen auf den Antrag zu 1. zurückzuweisen.

Der Beteiligte zu 7. beantragt,

die Beschwerde bezogen auf die Anträge zu 1. und 2. zurückzuweisen.

Die Beteiligten zu 6. und 7. verteidigen unter Vertiefung ihres Sachvortrags den Beschluss erster Instanz unter Hinweis darauf, dass die "Betriebsvereinbarung temporärer Einsätze" (BV Temp) ordnungsgemäß zustande gekommen sei und deren Regelungsinhalte keinen Verstoß gegen höherrangiges Recht darstellten.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten und die gewechselten Schriftsätze beider Instanzen Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig.

Die Beteiligten zu 1. bis 5. haben gegen den ihnen unter dem 30.03.2007 zugestellten Beschluss erster Instanz fristwahrend am 30.04.2007 Beschwerde eingelegt und die Beschwerde fristwahrend - gleichzeitig in der Beschwerdeschrift - begründet.

2. Die Beschwerde führt nicht zu einer Änderung des Beschlusses erster Instanz:

Dem Antragsbegehren der Beteiligten zu 1. bis 5. war allein deshalb schon der Erfolg zu versagen, weil die Beteiligten zu 1. bis 5. für die geltend gemachten Ansprüche nicht antragsbefugt sind.

Die Antragsbefugnis ist Zulässigkeitsvoraussetzung für im Beschlussverfahren geltend gemachter Ansprüche.

Sie ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amts wegen und für jeden Antrag zu prüfen.

Sie kann nur dann bejaht werden, wenn ein Antragsteller Träger eines streitbefangenen Rechts ist und daher geltend machen kann, durch die angegriffene Regelung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen zu sein (HWK/Bepler ArbGG § 81 Rz. 9 m. w. N.).

Antragsbefugnis und Beteiligtenstatus fallen nicht notwendig zusammen; das Arbeitsgerichtsgesetz besagt nichts darüber, ob ein Beteiligter im Beschlussverfahren einen Antrag stellen kann.

Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen (§ 81 Abs. 1 ArbGG). Regelmäßig kann nur derjenige ein gerichtliches Verfahren einleiten, der Träger eines streitbefangenen Rechts sein kann. Er muss durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen sein können. Dies ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 - AP BetrVG 1972, EzA BetrVG 2001, § 77 Nr. 4 zu b) III 2 a) der Gründe m. w. N.; BAG, Beschluss vom 21.07.2004 - 7 ABR 58/03 - EzA § 47 BetrVG 2001 Nr. 1 zu B) I. 2 der Gründe).

Mit den geltend gemachten Anträgen zu 1. und 2., zu 1. gerichtet gegen die Beteiligten zu 6. und 7., zu 2. gerichtet gegen den Beteiligten zu 7, nehmen die Beteiligten zu 1. bis 5. nicht eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte wahr.

Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte in Anwendung einer Betriebsvereinbarung sind die Mitbestimmungspartner, die die Betriebsvereinbarung abgeschlossen haben.

Dies sind zum die Beteiligte zu 6. und der Beteiligte zu 7.

Den Beteiligten zu 6. trifft dabei die Verpflichtung, die Betriebsvereinbarung durchzuführen, § 77 Abs. 1 S. 1 BetrVG, den Beteiligten zu 7. die Verpflichtung darauf zu achten, dass die Betriebsvereinbarung durchgeführt wird, § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Für die Geltendmachung der Bedenken, die die Beteiligten zu 1. bis 5. gegen die Betriebsvereinbarung temporäre Einsätze (BV Temp) in das Verfahren einführen, wäre daher - soweit hierin mit der Argumentation der Beteiligten zu 1. bis 5. ein Verstoß gegen höherrangiges Recht liegen sollte - der Betriebsrat zuständig, da hiernach ein Verstoß gegen Gesetz festzustellen wäre, worüber der Betriebsrat gleichfalls zu wachen hat, § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Daraus leitet ab, dass schon eine Betriebsratsminderheit (Minderheitenliste) nicht gegen den Willen der Mehrheit des Betriebsrats dessen Rechte geltend machen kann (Schwab/Wet ArbGG, § 81 Rdnr. 80; GMPM/Mathes, § 81 Rz. 65; LAG Düsseldorf, Beschluss vom 24.10.1989 - 16 (5) TaBV 67/89 - BB 1990, 184; LAG Hessen, Beschluss vom 21.04.1988 - 12 TaBV 111/87 -; DB 1988, 487).

Die Beteiligten zu 1. bis 5. sind allerdings lediglich eine Minderheit der in den Beteiligten zu 7. gewählten Mitglieder der sog. Minderheitenliste.

Damit ist die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. bis 5. zu verneinen.

Die geltend gemachten Anträge erweisen sich damit als unzulässig.

3. Nach Maßgabe der Zurückweisung der geltend gemachten Anträge wegen fehlender Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1. bis 5. kann dahinstehen, ob für den geltend gemachten Anspruch mit der Begründung der Beschwerde ein Verfügungsanspruch zu bejahen ist, für den ein Verfügungsgrund als gegeben angenommen werden kann.

Jedenfalls seien zum Verfügungsgrund die Bedenken aus der Kammersitzung vom 15.06.2007 wiederholt, dass für die Beteiligten zu 1. bis 5. spätestens durch die Beschlussfassung des Betriebsrats vom 18./19.10.2006 geklärt gewesen sein muss, dass die für gesetzwidrig gehaltene "Betriebsvereinbarung temporäre Einsätze" (BV Temp) betrieblich in Kraft gesetzt werden würde. Jedenfalls gerechnet ab diesem Zeitpunkt erscheint die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe für den Erlass einer einstweiligen Verfügung durch beim Arbeitsgericht Bonn am 27.01.2007 eingegangen Antrag verfristet, so dass der für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verlangende Verfügungsgrund nicht mehr bejaht werden kann.

Nach ständiger Rechtsprechung kann nämlich durch zu langes Zuwarten eine Dringlichkeitsvermutung durch die antragstellenden Beteiligten selbst widerlegt werden (vgl. Hess. LAG vom 05.07.2006 - 2 SaGa 632/06 -; Hess. LAG vom 24.02.2005 - 14 SaGa 54/05 -; Zöller, ZPO, 640 Rn. 4; Thomas/Putzo, ZPO, § 640 Rn. 5 unter Hinweis auf umfangreiche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte).

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

III.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 92 Abs. 1 S. 3 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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