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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 03.06.2009
Aktenzeichen: 9 Sa 1406/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 286
ZPO § 522
1. Die Verwerfung der Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist gegenstandslos, wenn dem Berufungskläger aufgrund eines danach eingegangenen Antrags Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden muss.

2. Erhebliche Abweichungen bei der feinmotorischen Koordination (Strichbeschaffenheit, Druckgebung, Bewegungsfluss und Bewegungsabfolge) können der Annahme einer willkürlichen Schriftveränderung im Sinne einer bewussten Schriftverstellung entgegenstehen.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 07.05.2008 - 9 Ca 387/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Lohnansprüche des Klägers für die Monate Oktober 2005 bis Dezember 2005 erfüllt hat.

Der Kläger war bei der Beklagten als Auslieferungsfahrer von Oktober 2005 bis Dezember 2005 beschäftigt. Bei der Einstellung wurde vereinbart, dass der Kläger als geringfügig Beschäftigter einen Lohn in Höhe von EUR 400,00 pro Monat erhalten sollte.

Der Kläger bezog während des Beschäftigungszeitraums Arbeitslosengeld von der Bundesagentur für Arbeit, die gemäß einem Bescheid vom 9. November 2006 durch Datenaustauch von Sozialversicherungsträgern über das Arbeitsverhältnis unterrichtet wurde. Auf Aufforderung teilte die Beklagte mit, der Kläger habe als Arbeitsentgelt für Oktober 2005 EUR 250,00, für November 2005 EUR 400,00 und für Dezember 2005 EUR 400,00 erhalten. Daraufhin hob die Bundesagentur für Arbeit mit Bescheid vom 24. Februar 2006 die Bewilligung von Arbeitslosengeld auf, soweit der Kläger mehr als den Freibetrag in Höhe von EUR 165,00 pro Monat als Arbeitsentgelt erhalten hatte.

Eine Aufforderung des Klägers, einen Nachweis über die Zahlung des Lohns zu erbringen, beantwortete die Beklagte mit Schreiben vom 2. März 2006 wie folgt:

"Nachweis über den Lohnausgleich: Durch mein Vertrauen lasse ich keinen unterschreiben. Herr A und Herr M B , meine anderen Fahrer, haben gleichzeitig mit Ihnen den Lohn erhalten. Da ich (ihn) bar ausgezahlt habe, sind Herr A und Herr M B meine Zeugen. Wenn ich Ihnen den Lohn nicht ausgezahlt hätte, (hätten) Sie logischerweise nicht bei mir bis Dezember weiter gearbeitet. Es ist eine Unverschämtheit, wie Sie sich geäußert haben."

Gegen die teilweise Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung erhob der Kläger mit Schreiben vom 6. März 2006 Widerspruch, in dem er u. a. ausführte, er sei bei der Beklagten vom 17. Oktober 2005 bis 21. Oktober 2005 unentgeltlich eingearbeitet worden und habe danach im Zeitraum 24. Oktober 2005 bis 31. Oktober 2005 an 6 Tagen, im Zeitraum 3. November 2005 bis 30. November 2005 an 3 Tagen und im Zeitraum 1. Dezember 2005 bis 2. Dezember 2005 an 2 Tagen gearbeitet. Für diese insgesamt 11 Arbeitstage habe er kein Entgelt von der Beklagten erhalten.

Nachdem die Bundesagentur für Arbeit durch Bescheid vom 9. November 2006 den Widerspruch des Klägers gegen die teilweise Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung zurückgewiesen hatte mit dem Hinweis auf die Angaben der Beklagten über das vom Kläger bezogene Arbeitsentgelt, hat der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 20. November 2006 von der Beklagten Zahlung von Arbeitsentgelt auf der Grundlage der Angaben der Beklagten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit gefordert.

Die Beklagte antwortete darauf mit Schreiben vom 20. November 2006, sie habe dem Kläger den Lohn ausgezahlt. Wörtlich heißt es u. a.:

"Wir quittieren keinem Fahrer, dass er das Geld ausgezahlt bekommen hat, weil die Geldpapiere erst am Ende des Monats kommen und wir das Geld am 15. eines jeden Monats zahlen. Nachdem wir das Geld bezahlt haben, bekommen wir die Papiere ca. am 25. bis 30. eines jeden Monats zurück. Bisher hat keiner der Fahrer unterschrieben..."

Daraufhin hat der Kläger am 15. Januar 2007 die vorliegende Zahlungsklage beim Arbeitsgericht Köln erhoben.

Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 6. August 2007 vortragen ließ, nunmehr seien drei vom Kläger unterzeichnete Zahlungsquittungen vorgefunden worden, aus denen sich ergebe, dass er den Lohn in Höhe von insgesamt EUR 1.050,00 erhalten habe, hat das Arbeitsgericht Köln das Gutachten eines Schriftsachverständigen darüber eingeholt, ob die Unterschriften vom Kläger geleistet worden sind. Es hat danach der Klage durch Urteil vom 7. Mai 2008 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Gutachter habe mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % festgestellt, dass die Unterschriften nicht vom Kläger geleistet worden seien. Die von der Beklagten beantragte Vernehmung der Zeugen I K und M B hat es abgelehnt mit der Begründung, das Gutachten sei eindeutig und die Beklagte habe nicht klar erklärt, wer das Geld gezahlt habe und wer den Kläger habe quittieren lassen.

Gegen das am 23. Juli 2008 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 25. August 2008 (Montag) Berufung einlegen lassen. Die Berufungsbegründungsfrist ist auf Antrag der Beklagten bis zum 23. Oktober 2008 verlängert worden. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2008 hat das Landesarbeitsgericht Köln die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung nicht eingegangen ist. Durch Beschluss vom 19. November 2008 hat es aus dem Grund die Berufung als unzulässig verworfen.

Am 21. November 2008 hat die Beklagte die Berufungsbegründung eingereicht und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist beantragt. Zur Begründung hat ihr anwaltlicher Prozessbevollmächtigter ausgeführt, er habe selbst die ordnungsgemäß unterzeichnete Berufungsbegründung in einem korrekt adressierten und ausreichend frankierten Briefumschlag am 17. Oktober 2008 bei der Bundespost in K aufgegeben. Der Brief müsse bei der Post verloren gegangen sein.

Sie behauptet weiterhin, das Arbeitsentgelt sei ausgezahlt worden und die Quittungen seien vom Kläger unterzeichnet worden, der dabei seine Unterschrift verändert habe. Sie rügt, das Arbeitsgericht Köln hätte ihrem Antrag auf Vernehmung der Zeugen I K und M B stattgeben müssen.

Die Beklagte beantragt,

1. ihr wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

2. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 7. Mai 2008 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

1. den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen,

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt weiter vor, das Arbeitsentgelt sei nicht ausgezahlt worden.

Im Berufungsverfahren ist Beweis darüber erhoben worden, ob die Beklagte an den Kläger für den Monat Oktober 2005 EUR 250,00 und für die Monate November 2005 und Dezember 2005 jeweils EUR 400,00 gezahlt hat, durch Vernehmung der Zeugen I K und M B . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom 3. Juni 2009 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und auch fristgerecht eingelegt worden.

Wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihr Prozessbevollmächtigter hat durch Versicherung an Eides Statt glaubhaft gemacht, dass die Berufungsbegründungsschrift nach ordnungsgemäßer Unterzeichnung in einem korrekt adressierten und ausreichend frankierten Umschlag rechtzeitig an das Landesarbeitsgericht Köln abgesandt worden ist. Der Verlust des Briefes bei der Postbeförderung führt zu einer nicht verschuldeten Fristversäumung. Der Posteingang bei Gericht muss vom Absender nicht überwacht werden (vgl. dazu: Zöller-Greger, ZPO, 27. Auflage, § 233 Rdn. 23 Postverkehr).

Da der Beklagten wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, ist die Verwerfung der Berufung durch den Beschluss vom 19. November 2008 gegenstandslos, ohne dass es einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf (vgl. Zöller-Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 522 Rdn. 26 m.w.N.).

II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Köln zu Recht die Beklagte verurteilt, an den Kläger als Lohn für die Monate Oktober 2005 bis November 2005 EUR 1.050,00 nebst Zinsen zu zahlen.

1. Zwischen den Parteien ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht streitig, dass ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von insgesamt EUR 1.050,00 für die Monate Oktober 2005 bis Dezember 2005 entstanden ist.

2. Die Beklagte hat auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht bewiesen, dass die Lohnansprüche des Klägers erfüllt worden sind.

Für das Gericht steht nach der Vernehmung der Zeugen I K und M B nicht fest, dass die Beklagte dem Kläger den Lohn hat auszahlen lassen.

a. Zwar hat der Zeuge K bekundet, er habe im Auftrag der Beklagten dem Kläger auf dem Gelände der Firma K in G zweimal Lohn ausgezahlt. Er konnte jedoch keine Angaben darüber machen, wann und in welcher Höhe Lohn von ihm gezahlt worden ist.

Auch der Zeuge B , der nach eigenen Angaben einmal im Auftrag des Zeugen I K an den Kläger Lohn weitergeleitet hat, konnte keine genauen Angaben über den Auszahlungszeitpunkt und über die Höhe des Betrages machen.

b. An der Richtigkeit der Würdigung der von der Beklagten vorlegten Quittungen durch das Arbeitsgericht Köln hat sich auch nach Vernehmung der beiden Zeugen nichts geändert.

Der Schriftsachverständige hat überzeugend festgestellt, dass die Unterschriften mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht vom Kläger geleistet worden sind. Er hat bei seiner Bewertung auch ausdrücklich die Möglichkeit einer willkürlichen Schriftveränderung im Sinne einer bewussten Schriftverstellung durch den Kläger einbezogen. Er hat sie verneint, weil bei der feinmotorischen Koordination (Strichbeschaffenheit, Druckgebung, Bewegungsfluss und Bewegungsabfolge) erhebliche Abweichungen bestehen. Art und Ausmaß dieser Abweichungen seien auch unter der Zusatzhypothese der Schriftverstellung kaum erklärlich. Insbesondere sei nicht plausibel, dass der Kläger in einem Zeitraum von zwei bis drei Monaten jeweils mit ähnlichen Abweichungen seine Unterschrift bei Übergabe des Geldes verstellt habe.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht die widersprüchlichen Erklärungen der Beklagten darüber, ob die Übergabe des Geldes durch den Kläger quittiert worden ist, als weiteres Indiz gegen die Echtheit der Unterschriften angesehen.

Nachdem die Beklagte zunächst mit vorgerichtlichen Schreiben vom 2. März 2006 und 20. November 2006 ausgeführt hat, es seien - wie auch bei anderen Fahrern - keine Quittungen ausgestellt worden, sollen dann im Verlauf des erstinstanzlichen Rechtsstreits doch bei ihr Quittungen vorgefunden worden sein. Diese Widersprüchlichkeit hat die Beklagte auch im zweitinstanzlichen Verfahren nicht erklären können. Die Aussage des Zeugen I K über den Verbleib der Quittungen und ihr späteres Auffinden (Aufbewahrung in einem Motorradkoffer auf einem Schrank im Keller und Auffinden nach einem Wasserschaden) stellt keinen ernst zu nehmenden Beitrag bei der Aufklärung dar. Im Übrigen wird auch durch sie nicht plausibel, weshalb zunächst bestimmt und generell das Einholen von Zahlungsquittungen verneint worden ist.

c. Der Umstand, dass der Kläger erst nach der teilweisen Aufhebung der Arbeitslosengeldbewilligung schriftlich seine Lohnansprüche geltend gemacht hat, begründet - wie auch die vorgerichtliche Angabe gegenüber der Bundesagentur, er habe insgesamt nur an 11 Tagen gearbeitet - Zweifel an der Richtigkeit des Vorbringens des Klägers. Diese sind jedoch nicht geeignet, das Gericht von der Richtigkeit der Angaben der Beklagten über die Zahlungen zu überzeugen. Vielmehr führen sie bei einer Gesamtbewertung des beiderseitigen Vorbringens und des Ergebnisses der Beweisaufnahmen durch Sachverständigengutachten und Zeugenvernehmung zu einem non liquet. Den Nachteil hat die Beklagte als beweisbelastete Partei zu tragen.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, bei der sich keine grundsätzlichen Rechtsfragen stellen, die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch nicht beantwortet sind.

Ende der Entscheidung

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