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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.09.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 1555/05
Rechtsgebiete: BBiG


Vorschriften:

BBiG § 22 Abs. 2 Nr. 1
1. Verdachtskündigungen sind im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen. Eine Ausnahme ist möglich, wenn der besondere Charakter des Ausbildungsverhältnisses eine vertiefte Vertrauensbasis zwischen Ausbilder und Auszubildendem erfordert. Ein solcher Ausnahmefall liegt nicht vor, wenn der Auszubildende den Posteingang bearbeitet und der Ausbilder ihn verdächtigt, mehrere Briefe der Berufsschule unterdrückt zu haben, mit denen der Ausbilder über wiederholte Verspätungen des Auszubildenden in der Berufsschule unterrichtet werden sollte, und mehrere Abmahnungen aus seiner Personalakte eigenmächtig entfernt zu haben.

2. Zur Erforderlichkeit einer letzten eindringlichen Abmahnung des Auszubildenden wegen wiederholter Verspätungen im Betrieb und in der Berufsschule vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung im fortgeschrittenen Ausbildungsstadium.


Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18. August 2005 - 1 Ca 1431/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch darüber, ob das zwischen ihnen begründete Ausbildungsverhältnis durch fristlose Kündigung der Beklagten vom 21. April 2005 beendet worden ist.

Die Klägerin, geboren am 10. April 1984, war seit dem 1. August 2003 Auszubildende bei der Beklagten für den Beruf einer Kauffrau für Bürokommunikation.

Mit Schreiben vom 21. April 2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Zur Begründung gab sie u. a. an, die Klägerin sei wiederholt und trotz Abmahnung verspätet zur Arbeit erschienen, zuletzt am 19. April 2005. Am 20. April 2005 sei sie deshalb abgemahnt worden. Danach habe ein Anruf in der Berufsschule ergeben, dass sie auch wiederholt zum Berufsschulunterricht verspätet erschienen sei und dies bereits Thema einer Schulkonferenz gewesen sei. Drei von der Berufsschule an die Beklagte gerichtete schriftliche Hinweise auf dieses Verhalten der Klägerin hätten den Geschäftsführer der Beklagten nicht erreicht. Da die Klägerin den Briefkasten leere und den Posteingang bearbeite, liege der Verdacht nahe, dass sie diese Briefe unterschlagen habe. Die Klägerin habe bei ihrer Befragung angegeben, sie wisse nur von einem Hinweisschreiben der Berufsschule, das allerdings an sie selbst gerichtet gewesen sei. Des weiteren seien zwei Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin verschwunden. Zudem habe die Klägerin ihre Klassen- und Prüfungsarbeiten trotz Anweisung der Berufsschule nicht von der Beklagten abzeichnen lassen.

Eine Verhandlung über die Wirksamkeit der Kündigung vor dem Schlichtungsausschuss der Industrie- und Handelskammer Bonn/Rhein-Sieg am 4. Mai 2005 blieb ergebnislos.

Mit der vorliegenden Klage, die am 11. Mai 2005 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen ist, wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung.

Sie hat vorgetragen, zu Beginn ihrer Ausbildung habe sie im August 2003 zwei Abmahnungen erhalten. Eine Abmahnung sei mit der Begründung erfolgt, sie habe einen Büroschlüssel verloren, einen Personalcomputer nicht abgeschaltet und einen Brief nicht zur Post gebracht. An den Inhalt der anderen Abmahnung könne sie sich nicht erinnern. Wegen verspäteten Dienstbeginns habe sie nur eine Abmahnung erhalten, und zwar die vom 20. April 2005. Zuvor sei sie lediglich ermahnt worden, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen. Sie habe regelmäßig über das reguläre Dienstende hinaus gearbeitet. Über die Verspätungen in der Berufsschule sei die Beklagte unterrichtet gewesen, da sie im Zeugnis 2003/2004 vermerkt gewesen seien. Sie habe keine Schreiben der Berufsschule unterschlagen und auch keine Schreiben aus ihrer Personalakte entfernt. Der Geschäftsführer habe sie vor Ausspruch der Kündigung nicht zu dem Vorwurf angehört, sie habe Schreiben unterdrückt.

Die Beklagte hat vorgetragen, die Klägerin habe sich wiederholt verspätet, und zwar im Jahr 2004 zehn- bis zwölfmal und ihm Jahr 2005 fünf- bis sechsmal. Sie sei deshalb zunächst ermahnt und im Juni/Juli 2004 zweimal abgemahnt worden. Beide Abmahnungen seien zu der Personalakte der Klägerin genommen worden. Nach der letzten Abmahnung vom 20. April 2005 habe ein Anruf in der Berufsschule ergeben, dass auch dort die Klägerin wiederholt verspätet erschienen sei, dies auf einer Klassenkonferenz erörtert worden sei und drei schriftliche Mitteilungen von der Berufsschule an die Beklagte gerichtet worden seien, die aber weder ihren Geschäftsführer noch eine andere Person im Betrieb erreicht hätten. In einem telefonischen Gespräch habe ihr Geschäftsführer der Klägerin vorgehalten, er habe den Verdacht, dass sie - die Klägerin - die drei schriftlichen Mitteilungen der Berufsschule an sich genommen habe. Auch habe er ihr vorgehalten, dass zwei schriftliche Abmahnungen aus ihrer Personalakte verschwunden seien. Die Klägerin habe mit einer Angestellten in einem Raum gesessen, in dem sich der Schrank mit den Personalakten und der Papierreserve befunden habe. Den Schlüssel zu dem Schrank habe die Angestellte in einem Rollcontainer aufbewahrt. Der Klägerin sei es möglich gewesen, unbeobachtet den Schlüssel an sich zu bringen, den Schrank aufzuschließen und die Schreiben aus der Personalakte zu entnehmen. Da die Klägerin den gegen sie gerichteten Verdacht nicht habe entkräften können, sei das Ausbildungsverhältnis fristlos gekündigt worden.

Das Arbeitsgericht Bonn hat der Kündigungsschutzklage durch Urteil vom 18. August 2005 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, es bestehe kein dringender Verdacht, dass die Klägerin drei Schreiben der Berufsschule aus der Eingangspost aussortiert und unterschlagen habe. Es sei nicht einmal sicher, dass die Schreiben überhaupt bei der Post aufgegeben worden seien. Es bestehe auch nicht der begründete Verdacht, dass die Klägerin zwei Abmahnungen aus ihrer Personalakte entfernt habe. Im Übrigen spreche der Wortlaut der Abmahnung vom 20. April 2005 dafür, dass es sich um die erste schriftliche Abmahnung wegen verspäteten Dienstbeginns gehandelt habe. Die Kündigung könne auch nicht mit wiederholtem verspäteten Dienstbeginn begründet werden, da die Klägerin zuletzt noch am 20. April 2005 abgemahnt worden sei. Die Beklagte sei verpflichtet, die Klägerin tatsächlich weiter auszubilden. Zudem habe sie ihr ein Zwischenzeugnis zu erteilen.

Das Urteil ist der Beklagten am 30. November 2005 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 7. Dezember 2005 Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Februar 2006 - am 23. Februar 2006 begründen lassen.

Sie trägt weiterhin vor, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin drei Schreiben der Berufsschule unterschlagen und zwei Abmahnungen aus ihrer Personalakte entfernt habe. Die bei der Post aufgegebenen Schreiben seien nicht an die Berufsschule zurückgelangt. Da allein die Klägerin mit dem Sortieren der eingehenden Post und der Verteilung an die zuständigen Bearbeiter betraut gewesen sei, bestehe der begründete Verdacht, dass sie diese Schreiben unterdrückt habe. Dafür spreche auch, dass nur sie ein Interesse an der Unterdrückung der Schreiben gehabt haben könne. Zu diesem Verdacht sei die Klägerin von ihrem Geschäftsführer vor Ausspruch der Kündigung angehört worden. Des weiteren bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin zwei ihr im Juni/Juli 2004 erteilte schriftliche Abmahnungen aus ihrer Personalakte entfernt habe. Den Schlüssel zu dem Schrank habe nur sie unbeobachtet an sich nehmen können. Für andere Angestellte habe kein Anlass bestanden, den Schlüssel zu dem Schrank herauszuverlangen. Die Klägerin sei auch zu diesem Vorwurf vor Ausspruch der Kündigung angehört worden.

Die fristlose Kündigung sei auch aufgrund der Vielzahl und des Ausmaßes der Verspätungen im Betrieb und in der Berufsschule gerechtfertigt. Die Abmahnung vom 20. April 2005 stehe dem Ausspruch der Kündigung nicht entgegen, da ihr erst danach die Verspätungen in der Berufsschule bekannt geworden seien.

Die Beklagte beantragt, nachdem die Parteien hinsichtlich des Antrags auf Weiterausbildung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18. August 2005 - 1 Ca 1431/05 - insoweit abzuändern als damit der Kündigungsschutzklage stattgegeben worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet, Schreiben der Berufsschule unterdrückt und Abmahnungsschreiben aus der Personalakte entfernt zu haben. Sie habe nicht ausschließlich die Eingangspost geöffnet. Sie sei regelmäßig an 1 1/2 Tagen wegen des Berufsschulunterrichts nicht im Betrieb gewesen. Zudem habe sie den Hausbriefkasten üblicherweise in Begleitung einer weiteren Auszubildenden geleert. Sie habe nicht gewusst, wo die Personalakten aufbewahrt worden seien. Zudem hätten andere Mitarbeiter Zugang zu dem Schrank gehabt, in dem Büromaterial aufbewahrt worden sei. Sie sei auch von dem Geschäftsführer vor Ausspruch der Kündigung nicht darauf hingewiesen worden, es bestehe gegen sie der Verdacht, dass sie Schreiben unterdrückt und aus ihrer Personalakte entfernt habe.

Die Beklagte hat das Ausbildungsverhältnis erneut im Dezember 2005 fristlos gekündigt, nachdem sie im Hinblick auf das erstinstanzliche Urteil die Klägerin bis dahin tatsächlich ausgebildet hatte. Die Parteien streiten in dem vor dem Arbeitsgericht Bonn anhängigen Rechtsstreit darüber, ob die Beklagte während dieser Zeit die Klägerin mit ausbildungsfremden Tätigkeiten betraut und sie diskriminiert hat. Ab 1. Januar 2006 hat die Klägerin bei einem anderen Ausbilder die Ausbildung fortgesetzt. Sie hat ihre Ausbildung erfolgreich am 12. Juni 2006 abgeschlossen.

Wegen des übrigen Vorbringens wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung, die nach der teilweisen Erledigungserklärung ausschließlich die Kündigungsschutzklage betrifft, hat in der Sache keinen Erfolg.

Zutreffend hat das Arbeitsgericht Bonn festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 21. April 2005 nicht beendet worden ist, weil kein wichtiger Grund im Sinne des § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG vorlag.

Nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG kann nach der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis nur aus wichtigem Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wobei die Kündigung schriftlich und unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen muss (§ 22 Abs. 3 BBiG).

1. Soweit die Beklagte die Kündigung damit begründet, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin drei an die Beklagte gerichtete Schreiben der Berufsschule unterdrückt habe und zwei Abmahnungen aus ihrer Personalakte entfernt habe, fehlt es aus folgenden Gründen an einem wichtigen Grund:

a. Das Vorbringen der Beklagten ist schon an sich nicht geeignet, den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen.

Verdachtskündigungen sind im Berufsausbildungsverhältnis grundsätzlich nicht zuzulassen. Eine nur in einem sehr engen Rahmen denkbare Ausnahme ist möglich, wenn der besondere Charakter des Ausbildungsverhältnisses eine vertiefte Vertrauensbasis zwischen den Vertragspartnern erfordert (vgl. KR-Weigand, 6. Aufl., §§ 14, 15 BBiG Rdn. 48; ErfK/Schlachter, 5. Aufl., § 15 BBiG Rdn. 4; Leinemann-Taubert, BBiG, § 15 Rdn. 59; Heinze ArbuR 1984, S. 237 ff.). In einem normalen Ausbildungsverhältnis ohne besondere Vertrauenssituation stehen dem Ausbildenden nach erfolgtem Aufklärungsversuch die Möglichkeiten der Abmahnung, ggf. auch der Versetzung, weit eher zur Verfügung als bei einem Arbeitnehmer, dessen Leistung an einem bestimmten Arbeitsplatz bereits bei der Einstellung fest eingeplant worden ist (so auch Heinze, a.a.O., S. 243).

Die Klägerin war als Auszubildende nicht dauernd mit Aufgaben betraut, die eine besondere Vertrauensstellung voraussetzen. Die behaupteten Verstöße betrafen zudem ausschließlich Briefe, in denen es um die Klägerin selbst ging. Die Beklagte konnte ohne weiteres dafür Sorge tragen, dass die Klägerin weder eingehende Briefe, die für sie nachteilig waren, in die Hand bekam, noch dass sie Zugang zu den Personalakten hatte. Dazu reichte es, mit der Bearbeitung des Posteingangs eine andere Auszubildende oder Angestellte zu betrauen sowie die Personalakten in einem gesonderten Schrank aufzubewahren und die zugangsberechtigten Personen anzuweisen, den Schrankschlüssel stets bei sich zu tragen oder ihn zu verschließen.

b. Zudem besteht kein dringender Verdacht, dass die Klägerin Briefe und Abmahnungen unterdrückt hat.

Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende (Indiz-)Tatsachen begründet sein. Die subjektive Wertung des Arbeitgebers ist unmaßgeblich. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen des Arbeitgebers reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Verdachts nicht aus. Der Verdacht muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Er muss darüber hinaus schwerwiegend sein. Es ist zu prüfen, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat oder die Pflichtverletzung begangen hat (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 10. Februar 2005 - 2 AZR 189/04 -; KR-Fischermeier, a.a.O., § 626 Rdn. 212).

Die Umstände, die von der Beklagten zur Begründung des Verdachts angeführt werden, die Klägerin habe drei Briefe der Berufsschule unterdrückt, reichen zur Rechtfertigung eines dringenden Verdachts nicht aus. Zum Einen steht nicht fest, dass die Briefe überhaupt der Beklagten zugegangen sind. Selbst wenn sie von der Berufsschule bei der Post aufgegeben worden sind, bedeutet dies nicht, dass sie auch in den Briefkasten der Beklagten gelangt sind. Es kann zu Fehlern beim Transport der Briefe gekommen sein. Zum Anderen kann nicht ausgeschlossen werden, dass nicht die Klägerin, sondern eine andere Auszubildende oder Arbeitnehmerin den Posteingang bearbeitete, als die Briefe eingingen. Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe regelmäßig an 1 1/2 Tagen die Berufsschule besucht. Schließlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass bei der betriebsinternen Weitergabe der Briefe oder der Bearbeitung Fehler geschehen sind. Angesichts dieser vielfältigen Fehlerquellen stellt die Schlussfolgerung der Beklagten, es könne nur eine bewusste Unterdrückung der Briefe durch die Klägerin in Betracht kommen, weil sie bei Anwesenheit für den Posteingang zuständig gewesen sei und die Briefe für sie nachteilig gewesen seien, nicht mehr als eine bloße Vermutung dar.

Gleiches gilt für die Umstände, die zur Begründung des Verdachts angeführt werden, die Klägerin habe zwei Abmahnungsschreiben aus ihrer Personalakte entfernt. Wenn die Abmahnungen in die Personalakte eingeheftet waren, können sie auf vielfache Weise wieder entfernt worden sein. Zugang zu den Personalakten hatten nicht nur die dazu befugten Personen, sondern auch andere, die wussten, wo der Schrankschlüssel aufbewahrt wurde. Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass bei der Bearbeitung der Personalakte durch dazu befugte Personen Schreiben - versehentlich - verloren gegangen sind.

c. Im Übrigen müsste auch die erforderliche Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfallen. Der störungsfreie Verlauf der Ausbildung war für die Klägerin von besonderer Wichtigkeit. Zudem stellt der Umstand, durch eine Verdachtskündigung die Ausbildungsstelle verloren zu haben, eine schwerwiegende Belastung für die weitere berufliche Entwicklung dar. Die Beklagte hatte dagegen keine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Interessen bei der Fortführung des Ausbildungsverhältnisses zu befürchten. Zum Einen handelte es sich ohnehin um ein befristetes Rechtsverhältnis. Zum Anderen konnte sie Vorkehrungen treffen, die ausschlossen, dass die Klägerin mit Schreiben der Beklagten und an die Beklagte gerichteten Briefen in Kontakt kam, die sie betrafen (vgl. zur Interessenabwägung: Heinze, a.a.O., S. 243).

2. Soweit die Kündigung damit begründet wird, die Klägerin sei wiederholt und trotz erteilter Abmahnungen zu spät zum Dienst und in der Berufsschule erschienen, fehlt es ebenfalls an dem erforderlichen wichtigen Grund.

a. Zwar kann eine Kette von Pflichtwidrigkeiten, die den Erfolg der Ausbildung gefährdet, an sich geeignet sein, nach vorheriger Abmahnung den Ausspruch einer fristlosen Kündigung gegenüber der Auszubildenden zu rechtfertigen (vgl. KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG Rdn. 50). Dies gilt auch für Verstöße gegen die Pflicht, am Berufsschulunterricht teilzunehmen (vgl. KR-Weigand, a.a.O., §§ 14, 15 BBiG Rdn. 64).

Die Klägerin hat wiederholt verspätet den Dienst im Betrieb angetreten. Sie ist auch wiederholt verspätet zum Berufsschulunterricht erschienen. Nach dem - von der Klägerin bestrittenen - Vorbringen der Beklagten war sie auch bereits im Juni/Juli 2004 wegen einschlägigen Fehlverhaltens abgemahnt worden.

b. Jedoch muss die erforderliche Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfallen. Sie hatte bei Ausspruch der Kündigung fast 2/3 ihrer Ausbildungszeit absolviert. Wegen der Verspätungen im Betrieb war ihr ein Tag vor Ausspruch der Kündigung eine "1. Abmahnung wegen Unpünktlichkeit" erteilt worden. Dadurch hatte die Beklagte zu erkennen gegeben, dass jedenfalls diese Pflichtwidrigkeiten aus ihrer Sicht noch nicht die Unzumutbarkeit einer Fortführung des Ausbildungsverhältnisses begründeten. Die erst danach bekannt gewordenen Verspätungen der Klägerin in der Berufsschule beeinträchtigten die Interessen der Beklagten nicht so schwer, dass nunmehr bereits eine fristlose Kündigung erfolgen durfte. Die Verspätungen waren gehäuft in den Monaten April 2004, Mai 2004 sowie im Zeitraum Mitte September 2004 bis Mitte Dezember 2004 aufgetreten. Die Berufsschule hatte in der Klassenkonferenz am 15. Dezember 2004 die Klägerin verwarnt und auf mögliche nachteilige Folgen weiterer Verspätungen hingewiesen. Offensichtlich hatte dies auch die Klägerin beeindruckt, da immerhin ein Zeitraum von fast vier Monaten verging bis zur erneuten Verspätung in der Berufsschule am 8. April 2005. Es kann zudem nicht davon ausgegangen werden, dass aufgrund der Verspätungen in der Berufsschule der termingerechte Abschluss der Ausbildung, an dem die Beklagte ein berechtigtes Interesse hatte, bereits konkret gefährdet war. In dem Schreiben der Berufsschule an die Beklagte vom 20. Dezember 2004 heißt es, die Klägerin habe zum damaligen Zeitpunkt überwiegend befriedigende Leistungen erbracht. Bestätigt wird dies durch den Umstand, dass die Klägerin trotz der Unterbrechung ihrer Ausbildung nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung vom 21. April 2005 und der weiteren Kündigung im Dezember 2005 sowie trotz des Wechsels des Ausbildungsbetriebes am 12. Juni 2006 termingerecht die Abschlussprüfung bestanden hat. Angesichts dieser Gegebenheiten und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bereits 2/3 der Ausbildungszeit absolviert waren, kann die Interessenabwägung nicht zugunsten der Beklagten ausfallen. Vielmehr war die Beklagte gehalten, eine letzte eindringliche Abmahnung gegenüber der Klägerin zu erklären. Sie hätte die Klägerin ebenso beeindrucken können wie der Ausspruch der Kündigung vom 21. April 2005, der offensichtlich dazu geführt hat, dass sie während der Weiterbeschäftigung aufgrund des erstinstanzlichen Urteils keine einschlägigen Pflichtverletzungen begangen hat. Jedenfalls hat die Beklagte dies im vorliegenden Verfahren nicht vorgetragen.

Nach alledem ist die Kündigung vom 21. April 2005 unwirksam.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen, auch soweit das Verfahren die Klageanträge auf Weiterausbildung und Erteilung eines Zwischenzeugnisses betrafen. In der Berufungsschrift hat sich die Beklagte mit den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den beiden weiteren Klageanträgen nicht gesondert auseinandergesetzt. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien waren daher entsprechend § 91 a ZPO der Beklagten auch insoweit die Kosten aufzuerlegen.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Dabei stellte sich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, der allein maßgebliche Tragweite bei der Entscheidung zukam.

Ende der Entscheidung

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