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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 17.06.2003
Aktenzeichen: 9 Sa 443/03
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 613 a Abs. 1
BGB § 613 a Abs. 4
KSchG § 1 Abs. 2 Ziff. 1 b
KSchG § 1 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 9 Sa 443/03

Verkündet am: 17.06.2003

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 17.06.2003 durch die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Dr. Borrmann als Vorsitzende sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Scharnke und Löder

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 19.03.2003 - 3 Ca 4651/02 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Mit der Klage hat sich die 27 Jahre alte Klägerin, die seit dem 01.03.2000 bei der Beklagten als Gastronomieleitung, Bankettleitung und Direktionsassistentin zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.750,00 € beschäftigt ist, unter Berufung auf § 613 a Abs. 4 BGB gegen eine von der Beklagten am 28.11.2002 mit Wirkung zum 31.12.2002 ausgesprochene Kündigung gewandt.

Die Beklagte hat hierzu behauptet, die Bewerberin ihres Hotelbetriebes in H habe bei den Übernahmeverhandlungen im November 2002 darauf hingewiesen, dass die Beklagte vor Übergang des Betriebes zum 01.01.2003 eine Umstrukturierung durchführen müsse, u. a. die Bankett- und die Gastronomieleitung streiche, ab 01.01.2003 solle ein bei der A-Gruppe beschäftigter stellvertretender Direktor die Aufgaben aus dem Gastronomiebereich wahrnehmen, die im Bankettbereich anfallenden Arbeiten würden fortan im Rahmen der A-Gruppe durch einen eigenen Vertriebsmitarbeiter wahrgenommen, der nicht nur für den Betrieb des ehemaligen Hotelbetriebes in H, sondern auch für den Betrieb in anderen zur A-Gruppe gehörenden Hotels zuständig sei.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag der Klägerin erkannt: Die Erweiterung des Kündigungsrechts des Veräußerers um Gründe, die allein in der Sphäre des Erwerbers lägen und von diesem erst mit dem Betriebsübergang aufgrund einer weitergehenden betriebsübergreifenden unternehmerischen Planung verwirklicht werden könnten würde dem Zweck des § 613 a IV BGB vereiteln, wonach Kündigungen aus Anlass des Betriebsüberganges ausgeschlossen sind.

Gegen dieses der Beklagten am 09.04.2003 zugestellte Urteil hat sie am 17.04.2003 Berufung eingelegt und diese am 25.04.2003 begründet.

Sie verweist unter Berufung auf die bislang nur durch Pressemitteilung bekannt gegebene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.03.2003, 8 AZR 97/02 darauf, dass die A-Gruppe beabsichtigt, die früher von der Klägerin wahrgenommenen Aufgaben anders zu verteilen. Aus Sicht der Beklagten hätten im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist, d. h. am 31.12.2002, keine freien Arbeitsplätze bestanden, auf denen die Klägerin habe weiterbeschäftigt werden können. Bei der Beklagten gebe es wegen der Aufgabe der Geschäftstätigkeit keine Beschäftigungsmöglichkeit für die Klägerin, auch die A-Gruppe beschäftige in dem übernommenen Betrieb der Beklagten keine vergleichbaren Mitarbeiter. § 613 a Abs. 4 BGB bezwecke keine "künstliche Verlängerung" des Arbeitsverhältnisses bei einer vorhersehbar fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers bei dem Erwerber. Hätte die A-Gruppe die Betriebsleitung bei Vertragsunterzeichnung Ende November 2002 übernommen und die Kündigung ausgesprochen, so hätte ohne weiteres festgestanden, dass das in diesem Fall zwischen der A-Gruppe und der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit dem 31.12.2002 sein Ende gefunden habe. Aus welchen Gründen dies anders sein soll, wenn der Betriebsübergang nicht sofort mit Vertragsunterzeichnung am 28.729.11.2002 vollzogen, sondern erst zum 31.12.2002 umgesetzt worden sei, sei nicht nachvollziehbar.

Sie beantragt,

unter Abänderung der Entscheidung des Arbeitsgerichts Siegburg vom 19.03.2003 - 3 Ca 4651/02 -, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist darauf, dass sie auch bei der Erwerberin hätte weiter beschäftigt werden können. Sie habe eine Ausbildung als Hotelkauffrau und sei somit auch in anderen Arbeitsbereichen einsetzbar. Die Erwerberin verfüge über eine Hotelkette, die bundesweit Stellen ausschreibe. Außerdem habe die Möglichkeit bestanden, die geplante Umstrukturierung erst zum 01.03.2003 zu installieren, so dass eine "künstliche Verlängerung der Beschäftigung" vermeidbar gewesen sei. Jedenfalls habe der Klägerin nach dem ultima-ratio-prinzip eine vorhandene freie Stelle im Restaurationsbereich angeboten werden müssen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien eingereichten Urkunden und Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet, sie ist mithin zulässig.

In der Sache hatte sie keinen Erfolg. Das Berufungsgericht geht mit dem Arbeitsgericht davon aus, dass die der Klägerin gegenüber erklärte Kündigung nach § 613 a Abs. 4 BGB rechtsunwirksam ist.

Zwar bleibt nach Satz 2 dieser Bestimmung das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unberührt, vorliegend erfolgte die Kündigung aber wegen des Betriebsüberganges.

Eine Kündigung erfolgt wegen eines Betriebsüberganges, wenn dieser der tragende Grund, nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. Die Bestimmung soll als spezialgesetzliche Regelung des allgemeinen Umgehungsverbotes verhindern, dass der in § 613 a Abs. 1 BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird (BAG, Urteil vom 18.07.1996 - 8 AZR 127/94 -). Das Kündigungsverbot ist deshalb nur dann nicht einschlägig, wenn es neben dem Betriebsübergang einen sachlichen Grund gibt, der "aus sich heraus" die Kündigung zu rechfertigen vermag. Die Bestimmung schützte damit nicht vor Risiken, die sich jederzeit unabhängig vom Betriebsübergang aktualisieren können (BAG a. a. O.).

Vorliegend erfolgt die Kündigung der Klägerin jedoch wegen des Betriebsüberganges. Gerade das von der Beklagten dargelegte "Erwerberkonzept" zeigt, dass keine anderen betrieblichen Gründen vorgelegen haben wie etwa Rationalisierung zur Verbesserung der betrieblichen Funktionsfähigkeit und damit der Verbesserung der Verkaufschancen: Ohne den Betriebsübergang wäre der Arbeitseinsatz der Klägerin nicht entbehrlich geworden und mithin ihre Arbeitsaufgaben nicht umverteilt worden.

Das von der Beklagten vorgetragene "Erwerberkonzept" rechtfertigt nicht die ausgesprochene Kündigung. Die Beklagte beruft sich nach Auffassung des Berufungsgerichts zu Recht auf die nicht veröffentlichte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.03.2003. Zwar hat das Bundesarbeitsgerichts in der hierzu allein vorliegenden Pressemitteilung Nr. 24/03 ausgeführt, dass eine Kündigung des Veräußerers aufgrund eines Erwerberkonzeptes dann nicht gegen § 613 a Abs. 4 BGB verstößt, wenn ein verbindliches Konzept oder ein Sanierungsplan des Erwerbers vorliegt, dessen Durchführung im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigungserklärung bereits greifbare Formen angenommen hat. Nach Auffassung des BAG steht der Schutzgedanke des § 613 a Abs. 4 BGB der Zulassung einer solchen Kündigung nicht entgegen, denn die Regelung bezwecke keine "künstliche Verlängerung" des Arbeitsverhältnisses bei einer vorhersehbar fehlenden Beschäftigungsmöglichkeit des Arbeitnehmers bei dem Erwerben. Das BAG bezieht diese neuere Auffassung, wonach für die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung des Veräußerers nach dem Erwerberkonzept nicht darauf ankommt, ob das Konzept auch bei dem Veräußerer hätte durchgeführt werden können aber ausdrücklich auf den Fall der Insolvenz. Außerdem bezieht sich die Entscheidung auf einen Sachverhalt, in dem ein unmittelbar dem Alleingeschäftsführer unterstellter Betriebsorganisationsleiter entlassen werden sollte, weil die Geschäftsführer der künftigen Erwerberin dessen Aufgaben selbst übernehmen, also den Betriebs selbst leiten wollten. Vorliegend geht es aber um einen anders gelagerten Sachverhalt, der zwar eine Umverteilung der Aufgaben der Klägerin auf andere Mitarbeiter der Erwerberin führen soll, nicht aber um einen Wegfall des Arbeitsplatzes selbst: Nur der Inhaber des Arbeitsplatzes soll ausgetauscht werden, die Arbeit selbst bleibt als Arbeitnehmertätigkeit erhalten. Damit ist schon fraglich, ob davon auszugehen ist, dass der Arbeitsplatz der Klägerin nach dem "Erwerberkonzept" überhaupt wegfällt. Eine einzelne Unternehmerentscheidung, die zur Umverteilung von Arbeit führt mit der Folge, dass dadurch ein "Arbeitsplatz wegfällt", erfüllt wohl nicht die Voraussetzungen eines "verbindlichen Konzeptes" oder eines "Sanierungsplanes" im Sinne der herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die eine Außerachtlassung des Schutzzweckes von § 613 a Abs. 4 BGB rechtfertigen könnte.

Die Anwendung von § 613 a Abs. 4 BGB führt im Falle der beabsichtigten Umverteilung von Arbeit auf Arbeitnehmer des Erwerberbetriebes auch nicht zu einer "künstlichen Verlängerung" des Arbeitsverhältnisses bei voraussehbar fehlender Beschäftigungsmöglichkeit: Die Umverteilung der Arbeit könnte auch auf den Zeitpunkt nach Ablauf einer vom Erwerber auszusprechenden Kündigung bzw. Kündigungsfrist verschoben werden. Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass die Arbeitnehmer, die neu eingesetzt werden sollen, bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist ihre frühere Tätigkeit auch weiter verrichten können.

Das Berufungsgericht vermochte sich auch der Auffassung der Beklagten, die Kündigung nach dem "Erwerberkonzept" müsse auch deshalb anerkannt werden, weil die A-Gruppe bei einer schon mit Vertragsschluss vorgenommenen Übertragung der Leitungsmacht eine vergleichbare Kündigung hätte aussprechen können, nicht anzuschließen. Bei Kündigung durch die A-Gruppe wären betriebsverfassungsrechtliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen gewesen, außerdem hätte die Klägerin nach § 1 Abs. 2 Ziff. 1 b KSchG einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung auch in anderen Betrieben der Unternehmensgruppe gehabt, es wären die Sozialauswahlkriterien nach § 1 Abs. 3 KSchG zu beachten gewesen und die Klägerin hätte einen dementsprechenden Auskunftsanspruch. Schließlich müsste dem ultima-ratio-prinzip Rechnung getragen werden: Die A-Gruppe hätte darzulegen, dass auch zu veränderten Arbeitsbedingungen eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in ihrem Bereich nicht möglich gewesen wäre. Dass eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten im Hinblick auf die inzwischen durchgeführte Geschäftsaufgabe nicht durchführbar ist, ist insoweit ohne Bedeutung. Die Anerkennung des hier behaupteten "Erwerberkonzeptes" würde dazu führen, dass der Klägerin allein wegen des Betriebsüberganges die ihr nach dem Kündigungsgesetz zustehende Bestandssicherung in einer nicht zu rechtfertigenden Weise entzogen wurde.

Da mithin das von der Beklagten vorgetragene "Erwerberkonzept" der A-Gruppe nicht ausreicht um anzunehmen, dass die Kündigung nicht wegen der Betriebsübernahme erfolgt ist, ist die von der Beklagten ausgesprochene Entlassung nach § 613 a Abs. 4 BGB rechtsunwirksam.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97, 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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