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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 06.06.2006
Aktenzeichen: 1 Ta 133/06
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
GVG § 17a
ArbGG § 48 Abs. 1
Hat sich ein Gericht trotz erhobener Rüge der Rechtswegsunzuständigkeit für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das für den von ihm zugrundegelegten Rechtsweg örtlich zuständige Gericht verwiesen, kann auf Vorlage des Adressatengerichts keine Bestimmung des im Rechtsweg und örtlich zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (analog) getroffen werden. Die Sache ist an das zuerst angerufene Gericht zur Durchführung des Vorabentscheidungsverfahrens nach § 17a GVG zurückzuverweisen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

1 Ta 133/06

In Sachen

hat die Erste Kammer des Landesarbeitsgerichts München ohne mündliche Verhandlung am 6. Juni 2006 durch die Präsidentin Mack beschlossen:

Tenor:

Das Arbeitsgericht München ist zuständig zur Vorabentscheidung über die Rechtswegszuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen.

Gründe:

I.

Die Klägerin, ein Unternehmen der Lebensversicherungsbranche, klagt vor dem Arbeitsgericht München gegen die Beklagte auf Rückzahlung von Provisionsvorschüssen. Die Beklagte hat ihren allgemeinen Wohnsitz in 01454 Radeberg in Sachsen. Radeberg gehört zum Gerichtsbezirk des Arbeitsgerichts Bautzen und des Amtsgerichts Kamenz.

Dem Rechtsverhältnis der Parteien liegt der am 11.06.2002 geschlossene "Vertrag über den hauptberuflichen selbständigen Außendienst im Sinne der §§ 84 ff., 92 HGB" zugrunde.

Mit Schriftsatz vom 09.01.2006 hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die "sachliche" und die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München gerügt. Die Beklagte lässt dazu ausführen, dass sie als selbständige Außendienstmitarbeiterin nicht in den Zuständigkeitsbereich der Arbeitsgerichtsbarkeit falle. Örtlich zuständig ist ihrer Meinung nach "allenfalls" das Arbeitsgericht Dresden.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Rechtswegszuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen nach § 5 Abs. 3 ArbGG gegeben sei, weil die Beklagte während der letzten sechs Monate ihrer Tätigkeit vor ihrem Ausscheiden im Durchschnitt nicht mehr als 1.000,00 EURO an Vergütung bezogen habe. Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München ergebe sich aus einer zwischen den Parteien getroffenen, nach Ansicht der Klägerin zulässigen vertraglichen Gerichtsstandvereinbarung.

Das Arbeitsgericht München hat sich mit Beschluss vom 15.03.2006 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit "an das örtlich zuständige Arbeitsgericht Dresden" verwiesen. Aus den Gründen seiner Entscheidung geht hervor, dass es die Beklagte für eine der Rechtswegszuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gemäß § 5 Abs. 3 ArbGG unterfallende Einfirmenvertreterin nach § 92a HGB hält und Dresden für das örtlich zuständige Arbeitsgericht.

Das Arbeitsgericht Dresden hat mit Beschluss vom 27.03.2006 festgestellt, dass der Rechtsstreit beim dortigen Arbeitsgericht nicht anhängig geworden sei, und hat die Sache dem Landesarbeitsgericht München zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Es hält den Verweisungsbeschluss für nicht bindend, da offensichtlich gesetzwidrig.

Zum einen sei das Arbeitsgericht Dresden unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt das örtlich zuständige Gericht. Zum anderen hätte das Arbeitsgericht München vorab durch einen Beschluss nach § 17a GVG über die Rechtswegszuständigkeit entscheiden müssen, nachdem die Zulässigkeit des Rechtswegs von der Beklagten ausdrücklich gerügt worden sei. Das Landesarbeitsgericht München müsse in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO das zuständige Gericht bestimmen.

II.

1. Das Landesarbeitsgericht München ist rechtlich gehindert, eine bindende Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO in analoger Gesetzesanwendung zu treffen. Ein Fall des § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO liegt nicht vor:

§ 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO betrifft nur die Fälle, in denen sich verschiedene Gerichte sachlich (i.S. von § 281 ZPO), funktionell oder örtlich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben (vgl. BGH vom 09.04.2002, NJW 2002, 2474). Das Verhältnis der Gerichte für Arbeitssachen zu den ordentlichen Gerichten wird seit der Änderung des § 48 ArbGG und der §§ 17 bis 17b GVG durch das Vierte VwGO-Änderungsgesetz vom 17.12.1990 nicht mehr als Frage der sachlichen Zuständigkeit, sondern als Frage der Rechtswegszuständigkeit angesehen (BAG vom 26.3.1992, AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG) 1979). Die Bestimmung der Rechtswegszuständigkeit erfolgt ausschließlich im Vorabentscheidungsverfahren nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG, das auf entsprechende Rüge einer Partei zwingend durchzuführen ist.

Eine konkludente Bejahung der Rechtswegszuständigkeit der Gerichte für Arbeits- sachen durch Verweisung des Arbeitsgerichts München wegen örtlicher Unzuständigkeit wäre allenfalls in Betracht gekommen, wenn keine der Parteien die vorab zu prüfende Frage der Unzulässigkeit des Rechtswegs aufgeworfen hätte (vgl. Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 5.Aufl. § 48 Rdnr. 66).

Auch das erkennende Gericht kann nicht etwa unter Unterstellung eines bestimmten Rechtswegs das dann örtlich zuständige Gericht bestimmen. Die Frage der Bestimmung des Rechtswegs ist in den § 17a und 17b GVG eigenständigen Regelungen unterworfen und abschließend geklärt (LAG Rheinland-Pfalz vom 23.07.1998, LAGE § 36 ZPO Nr. 2).

Erst wenn rechtskräftig feststeht, welcher Rechtsweg eröffnet ist, kann innerhalb dieses Rechtswegs das örtlich zuständige Gericht bestimmt werden.

2. Gleichwohl hat das erkennende Gericht auf die Vorlage des Arbeitsgerichts Dresden hin die Konsequenz aus dem fehlerhaften Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts München zu ziehen.

Die Konsequenz ist die "Zurückverweisung" an das Arbeitsgericht München zur Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg im Vorabentscheidungsverfahren nach §§ 17a und 17b GVG. Der Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts München war wegen offensichtlicher Gesetzeswidrigkeit nicht bindend (vgl. dazu BAG vom 19.03.2003, NZA 2003, 683 m.w.N. auf die Senatsrechtsprechung).

Eine krasse Rechtsverletzung i.S. der höchstrichterlichen Rechtsprechung, die die Durchbrechung der Bindungswirkung gemäß §§ 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, 48 Abs. 1 ArbGG gebietet, liegt hier bereits deswegen vor, weil von dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters (Einzelrichterentscheidung statt Kammerentscheidung nach § 48 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG) abgewichen und die Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung abgeschnitten wurde (§ 17a Abs. 4 Satz 2 GVG).

Ob darüber hinaus auch das rechtliche Gehör verletzt wurde, kann deshalb dahinstehen.

Gegen diesen Beschluss ist in entsprechender Anwendung von § 37 Abs. 2 ZPO ein Rechtsmittel nicht statthaft.

Ende der Entscheidung

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