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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 23.07.2003
Aktenzeichen: 10 Sa 904/02
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, BetrVG, BGB


Vorschriften:

ArbGG § 66 Abs. 1
ArbGG § 66 Abs. 1 Satz 2
ArbGG § 66 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 222 Abs. 1
ZPO § 522 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 1
ZPO § 520 Abs. 3
BetrVG § 77
BGB § 187 Abs. 1
BGB § 188 Abs. 2
1. Gem. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist auch die Berufung gegen ein nicht zugestelltes Urteil des Arbeitsgerichts spätestens sieben Monate nach der Verkündung zu begründen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Partei nicht gewährt werden, wenn die Fristversäumung darauf beruht, dass der Prozessbevollmächtigte der Partei selbst ein Faxgerät fehlerhaft bedient.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 904/02

Verkündet am: 23.07.03

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23.07.03 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Moeller sowie die ehrenamtlichen Richter Wolfgang Hoff und Walter Brunner für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 16.4.2002 (Az.: 32 Ca 6683/01) wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger macht mit der Klage Vergütungsansprüche für Oktober, November und Dezember 1999 sowie die Abgeltung restlichen Urlaubs geltend, während der Beklagte die Rückzahlung einer vorab geleisteten Tantieme in Höhe von DM 22.500,-- im Wege der Widerklage vom Kläger verlangt.

Das Arbeitsgericht hat am 16.4.2002 folgendes Endurteil verkündet:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 3.834,69 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.11.1999 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.812,11 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.12.1999 zu zahlen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 1.278,23 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.1.2000 zu zahlen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 4.793,36 brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.3.2001 zu zahlen.

5. Die Widerklage wird abgewiesen.

6. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

7. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 24.222,-- festgesetzt.

Das Urteil ist in vollständiger Form und mit Rechtsmittelbelehrung versehen dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 28.4.2003 zugestellt worden.

Mit einem am 8.10.2002 bei dem Landesarbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte gegen das Urteil vom 16.4.2002 Berufung einlegen lassen und mit einem am 8.11.2002 eingegangenen Schriftsatz wegen kanzleimäßiger Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt.

Mit Beschluss vom 8.11.2002 hat der Vorsitzende der 10. Kammer diesem Antrag entsprochen und die Berufungsbegründungsfrist bis 16.12.2002 verlängert.

Mit einem am 16.12.2002 um 15.39 Uhr per Fax abgesandten und im Original am 18.12.2002 eingegangenen Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mitgeteilt, dass er nicht in der Lage sei, eine Berufungsbegründung vorzulegen, da das Endurteil des Arbeitsgerichts nicht vorliege. Es werde daher davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründungsfrist noch nicht zu laufen begonnen habe und er im anderen Fall um einen richterlichen Hinweis bittet.

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten ist daraufhin am gleichen Tag gegen 18.00 Uhr durch den Vorsitzenden der Kammer telefonisch darauf hingewiesen worden, dass die Frist in jedem Fall am gleichen Tag ablaufe und nicht mehr verlängert werden könne. Er wurde gleichzeitig auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Berufungsbegründung bei nicht vorliegenden Entscheidungsgründen hingewiesen.

Am gleichen Tag sind daraufhin unter der Absenderangabe des Anschlusses des Prozessbevollmächtigten des Beklagten unter der Uhrzeit 19.21 Uhr zwei leere Seiten per Fax an das LAG übersandt wurden (Bl. 276 - 277 d.A.).

Am 17.12.2002 sind erneut per Fax zwei handschriftlich gefertigte Seiten mit dem Absender des Prozessbevollmächtigten des Beklagten eingegangen, die Berufungsanträge sowie die Ausführungen enthalten, dass eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Urteil nicht möglich sei, weil dem Beklagten auch die mutmaßlichen Gründe nicht bekannt seien.

Mit einem ebenfalls am 17.12.2002 eingegangenen Schriftsatz hat der Beklagte schließlich die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, am 16.12.2002 sei zum Zeitpunkt des Telefongesprächs mit dem Vorsitzenden die Rechtsanwaltsgehilfin nicht mehr im Büro anwesend gewesen. Daraufhin habe der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründung handschriftlich angefertigt. Die beiden Seiten habe er danach auf das Faxgerät gelegt, um sie dem LAG zu übersenden. Tatsächlich hätten nach Sendung sowohl Sendebericht wie Sichtschild am Gerät den Vermerk "OK" angezeigt. Tatsächlich sei die Übersendung auch um 18.22 Uhr erfolgt. Das Gerät habe noch Sommerzeit angezeigt.

Am nächsten Vormittag sei dann die Kanzlei von der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts informiert worden, dass dort nur zwei leere Seiten angekommen seien. Es habe sich herausgestellt, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten, der mit dem Umgang des Faxgeräts nicht vertraut sei, die Seiten verkehrt herum eingelegt habe. Dem Beklagten treffe daher keine Schuld an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe aufgrund des Sendeberichts davon ausgehen dürfen, dass die Übersendung ordnungsgemäß erfolgt sei.

Der Beklagte beantragt daher,

Dem Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

den Antrag zurückzuweisen, weil von einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten bei Versäumung der Frist auszugehen sei.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Beklagten ist unzulässig.

Die Berufung des Beklagten ist zwar gem. § 64 Abs. 1 ArbGG statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig begründet wurde (§§ 520 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Dies hat das Landesarbeitsgericht gem. § 66 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 522 Abs. 1 ZPO von Amts wegen zu prüfen (vgl. BAG vom 20.2.2001 - 9 AZR 11/01; BAG vom 6.9.1994 -AP Nr. 50 zu § 1 TVG "Tarifverträge; Einzelhandel"). Mangelt es an einem gesetzlichen Erfordernis des Rechtsmittels, ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen.

1. Gem. § 66 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 1 ZPO ist eine Berufung durch einen den Erfordernissen des § 520 Abs. 3 ZPO genügenden Schriftsatz innerhalb eines Monats nach Zugteilung des in vollständiger Form abgefassten Urteils zu begründen.

a) Zutreffend weist allerdings der Beklagte darauf hin, dass eine Zustellung des Urteils des Arbeitsgerichts vom 16.4.2002 in vollständiger Form erst über ein Jahr später erfolgt ist.

aa) Das Gesetz sieht aber gerade für diesen Fall vor, dass sowohl die Berufungsfrist wie die Berufungsbegründungsfrist spätestens mit Ablauf von 5 Monaten nach der Verkündung beginnen (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Aus dieser Gesetzesregelung wird deutlich, dass im Fall der unterbliebenen Zustellung eines Urteils zur Verhinderung des Eintritts dessen Rechtskraft nicht nur dennoch die Einlegung der Berufung erforderlich ist sondern diese auch zu begründen ist.

bb) Dies ist nicht nur möglich (vgl. BGH MDR 2000, 293) sondern auch erforderlich. Es genügt, wenn sich die Begründung mit den mutmaßlichen Gründen der Entscheidung auseinandersetzt (vgl. BAG vom 5.3.1997 - AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG 1972 "Tarifvorbehalt"; BAG vom 13.3.1995 - AP Nr. 12 zu § 66 ArbGG 1979).

b) Der Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG hat der Beklagte durch die Einlegung der am 8.10.2002 eingegangenen Berufungsschrift auch zunächst entsprochen. Auf seinen Antrag ist die gem. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG auch bei nicht zugestellten Urteil am Montag, den 18.11.2002 ablaufende Begründungsfrist bis 16.12.2002 verlängert worden (§ 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG). Bis zum Ablauf dieses Tages hätte daher gemäß der §§ 222 Abs. 1 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB die Berufungsbegründung bei dem Landesarbeitsgericht München eingehen müssen.

c) Dies ist aber nicht der Fall. Denn der am 16.12.2002 eingegangene Schriftsatz enthält den der gesetzlichen Regelung und seinem vorhergehenden Verlängerungsantrag auch widersprechenden rechtsirrigen Hinweis, die Begründungsfrist habe nicht zu laufen begonnen. Die nach dem telefonischen Hinweis des Vorsitzenden eingegangenen zwei Blätter enthielten weder Text noch Unterschrift. Die erst am 17.12.2002 bei dem Landesarbeitsgericht München eingegangenen beiden handschriftlichen Blätter wie auch der am gleichen Tag eingegangene Schriftsatz sind daher verspätet und konnten die Berufungsbegründungsfrist nicht wahren.

2. Dem Beklagten kann wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (§§ 233, 236 Abs. 1 ZPO). Denn der Beklagte war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten, das dem Beklagten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.

a) Beruht die Fristversäumung darauf - wie der am 16.12.2002 eingegangene Schriftsatz nahelegt -, dass dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten die - neue - gesetzliche Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nicht bekannt war, wäre bereits dies schuldhaft (vgl. OLG Stuttgart MDR 2002, 1220).

b) Wird auf die unzureichende Übermittlung der beiden handschriftlich gefertigten Seiten durch Telefax abgestellt, stellt auch dies ein Verschulden dar.

aa) Zwar besteht kein Zweifel daran, dass eine Berufungsbegründungsschrift auch per Telefax an das Rechtsmittelgericht übermittelt werden kann. Dies setzt aber voraus, dass das vollständige Schriftstück auch bis zum letzten Tag der Frist 24.00 Uhr dort eingeht (vgl. BAG vom 27.6.2002 - NZA 2003, 574).

bb) Dabei ist zwar richtig, dass die Anforderungen der Gewährung rechtlichen Gehörs (Artikel 103 GG) es erfordern, dass die aus der Wahl des Übermittlungswegs herrührenden besonderen Risiken der technischen Gegebenheit des gewählten Kommunikationsmittels nicht auf den Nutzer abgewälzt werden dürfen. Dies gilt aber nur, wenn das Risiko dafür und damit die entscheidende Ursache für die Fristversäumung in der Sphäre des Gerichts liegt (vgl. BVerfG NJW 2001, 3473; BGH MDR 2003, 766).

cc) Dies ist hier gerade nicht der Fall. Die gescheiterte Übermittlung des handschriftlichen Schreibens am 16.12.2002 hatte ihre Ursache in einer Fehlbedienung des Telefaxgeräts durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten persönlich. Liegt danach das Zugangshindernis in der Sphäre des Absenders, trifft ihn auch das Verschulden (vgl. BVerwG NJW 1988, 2814; Liwinska MDR 2000, 500, 505 m.w.N.). Für die Schaffung der Voraussetzungen der ordnungsgemäßen Übermittlung des Schriftsatzes trägt der Rechtsanwalt die persönliche Verantwortung (vgl. BAG vom 20.8.1997 - AP Nr. 19 zu § 66 ArbGG 1979; BAG vom 30.3.1995 - AP Nr. 11 zu § 66 ArbGG 1979). Ebenso, wie wenn eine falsche Nummer für die Übersendung ermittelt bzw. gewählt wird, ist bei einer fehlerhaften Bedienung des Faxgeräts von einem Verschulden des Rechtsanwalts auszugehen (vgl. BGH MDR 1999, 190). Dies gilt gerade auch dann, wenn der Rechtsanwalt diese Bürotätigkeit nicht durch eine Angestellte ausführen lässt, sondern wie hier selbst übernimmt (vgl. BGH MDR 2001, 889).

II.

Die Berufung des Beklagte musste daher mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen werden.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen nach § 72 a ArbGG der Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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