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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: 11 Ta 89/09
Rechtsgebiete: RVG


Vorschriften:

RVG § 23
RVG § 33
Die Entscheidung befasst sich mit der Wertfestsetzung bei einem Beschlussverfahren, in dem es um die Freistellung von zwei Betriebsratsmitgliedern von der Arbeitsleistung sowie von den Kosten der Teilnahme an einer zweitägigen Betriebsräteversammlung ging. Die Streitigkeit wurde überwiegend als vermögensrechtlicher Art eingestuft und daher der Gegenstandswert an den Kosten bzw. Aufwendungen orientiert, die der Arbeitgeberin durch die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an der Betriebsräteversammlung entstanden wären. Der nicht-vermögensrechtliche Aspekt der Auseinandersetzung wurde demgegenüber als nicht prägend für die Streitigkeit angesehen, so dass eine Bewertung auf der Grundlage des § 23 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz nicht in Betracht kam.
Landesarbeitsgericht München BESCHLUSS

11 Ta 89/09

In dem Beschwerdeverfahren

hat das Landesarbeitsgericht München durch den Vorsitzenden der Kammer 11, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus, ohne mündliche Verhandlung am 20. April 2009

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts vom 29. Januar 2009, Az.: 35 BVGa 5/09, in der Fassung des Beschlusses vom 26. Februar 2009, wird der bezeichnete Beschluss dahin gehend abgeändert, dass der Gegenstandswert für das Beschlussverfahren auf 1.500,-- € festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Die Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats sowie der zwei weiteren beteiligten Betriebsratsmitglieder haben die Festsetzung des Werts der anwaltlichen Tätigkeit in Höhe von 4.000,-- € im zu Grunde liegenden Beschlussverfahren zum Zwecke der Gebührenberechnung beantragt. Gegenstand des Verfahrens war die Verpflichtung der Arbeitgeberin im einstweiligen Verfügungsverfahren zur Freistellung von zwei Betriebsratsmitgliedern für die Teilnahme an einer Betriebsräteversammlung gemäß § 53 BetrVG in B. K. sowie zur Freistellung dieser Betriebsratsmitglieder von den hieraus entstehenden Kosten für die Unterbringung, Verpflegung sowie die Anfahrt dieser Betriebsratsmitglieder.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 29. Januar 2009 den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für den Vergleich auf 4.000,-- € festgesetzt.

Gegen diesen, den Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin am 9. Februar 2009 zugestellten Beschluss wendet sich diese mit ihrer beim Arbeitsgericht München am 11.2.2009 eingegangenen Beschwerde vom selben Tag, mit der sie die Herabsetzung der Festsetzung des Gegenstandswerts auf 1.500,-- € begehrt. Mit Beschluss vom 20.9.2006 hat das Arbeitsgericht München der Beschwerde nur dahingehend abgeholfen, dass die Wertfestsetzung für das Verfahren - nicht den Vergleich - gilt und hat im Übrigen die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht München vorgelegt.

Zur Begründung seiner Nichtabhilfeentscheidung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, es handele sich vorliegend um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit, bei der der Wert gemäß § 23 Absatz 3 RVG zu bestimmen sei. Da der Gesetzgeber es bislang unterlassen habe, für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren spezielle Wertvorschriften zu normieren, sei der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit in einem Beschlussverfahren auf den Hilfs- bzw. Auffangwert von 4000,-- € nach § 23 Absatz 3 Satz 2 Halbsatz 2 RVG festzusetzen, es sei denn, dieser Betrag erweise sich im Lichte der konkreten wertbestimmenden Faktoren als unangemessen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin habe sich der Streitgegenstand des Verfahrens nicht allein in dem Kostenrisiko der Betriebsratsmitglieder erschöpft. Gegenstand des Verfahrens sei nämlich insbesondere auch die Frage des Teilnahmerechts der Betriebsratsmitglieder an der Betriebsräte-Versammlung gewesen.

Hierzu hat sich die Arbeitgeberin in ihrer Stellungnahme dahingehend geäußert, dass es in dem einstweiligen Verfügungsverfahren ausschließlich um das Vergütungsrisiko der beiden Betriebsratsmitglieder sowie um die Frage der Kostentragung mit Blick auf Unterkunft, Verpflegung und Fahrtkosten gegangen sei. Die Tatsache, dass die Betriebsräte möglicherweise selber den Arbeitsausfall sowie die Unterbringungs-/ Verpflegungs- und Fahrtkosten zu tragen hätten, sei auch der einzige Grund gewesen, dass dem hier zu Grunde liegenden einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht München möglicherweise stattgegeben worden wäre. Genau dieses relevante Risiko lasse sich im Geldwert leicht beziffern und sei daher für den Gegenstandswert maßgeblich. Eine spezifizierte Kalkulation ergebe ein Kostenrisiko von etwa 730,-- € pro Betriebsratsmitglied. Dass dieses maßgebliche, genau bezifferbare Kostenrisiko vom Arbeitsgericht München nicht als Gegenstandswert herangezogen worden sei, sei nicht nachzuvollziehen.

Der Betriebsrat hat erwidert, die Festsetzung eines angemessenen Gegenstandswerts für das jeweilige Verfahren stehe im Ermessen des jeweiligen Gerichts. Ermessensfehler bestünden nicht. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt habe, seien auch betriebsverfassungsrechtliche Rechtspositionen wertbestimmende Faktoren, um deren Klärung es im Beschlussverfahren gehe. Verfahrensgegenstand sei nicht lediglich das Kostenrisiko der Betriebsräte sondern auch die Frage nach dem Teilnahmerecht der Betriebsräte an der Betriebsräteversammlung gewesen.

II.

Die Beschwerde ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt (§§ 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3 RVG, 567 Abs. 1 und Abs. 2 und 569 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO) und damit zulässig.

Sie ist auch begründet. Der Wert der im vorliegenden Beschlussverfahren zur Entscheidung gestellten Sachanträge entspricht den durch diese bei der Arbeitgeberin verursachten finanziellen Belastungen sowie auch dem wirtschaftlichen Verlust, der durch die entgangene Arbeitsleistung entstanden wäre, und beträgt nach den rechnerisch nicht bestrittenen Angaben der Arbeitgeberin ca. 1.460,-- €, aufgerundet 1.500,-- €.

Die Wertfestsetzung erfolgt im vorliegenden Beschlussverfahren aus Sicht des Beschwerdegerichts durch Bestimmung nach billigem Ermessen auf den Betrag von 1.460,-- €, aufgerundet 1.500,-- €, gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz RVG. Die vom Arbeitsgericht auf der Basis von § 23 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz RVG vorgenommene Festsetzung wird daher dahingehend abgeändert, dass der Gegenstandswert insgesamt 1.500,-- € beträgt.

1. Der Gegenstandswert bestimmt sich nach § 23 Abs 3 RVG, wenn der Rechtsanwalt nicht in einem gerichtlichen Verfahren und auch nicht im Zusammenhang mit einem gerichtlichen Verfahren tätig wird oder wenn - wie im vorliegenden Beschlussverfahren - in dem gerichtlichen Verfahren für die Gerichtsgebühren keine Wertvorschriften vorgesehen sind (Kroiß, RVG, 3. Aufl. § 23 RVG, Rz. 17).

a) Ergeben die in § 23 Abs 3 Satz 1 RVG genannten Wertvorschriften nicht den Gegenstandswert und steht er auch nicht sonst fest, so kommt es darauf an, ob genügend tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung bestehen. Liegen ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung vor, ist der Wert aufgrund dieser Anhaltspunkte nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei zu beachten ist, dass in vermögensrechtlichen Angelegenheiten nur deshalb von einer Schätzung abgesehen werden kann, wenn nach vernünftigem Ermessen keine Anhaltspunkte für eine Schätzung gewonnen werden können (Kroiß, a.a.O.).

b) Nur wenn der Gegenstandswert nicht feststeht und genügende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen und bei nicht-vermögensrechtlichen Gegenständen ist der Wert nach § 23 Abs 3, Satz 2, 2. Halbsatz RVG mit 4.000,00 EUR, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,00 EUR anzunehmen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben, so dass ein Rückgriff auf die in § 23 Abs 3, Satz 2, 2. Halbsatz RVG vorgesehene Festsetzungsbefugnis nicht in Betracht kommt.

2. Bei der vorliegenden Streitigkeit bezüglich der Freistellung von den Tagungskosten einschl. Anfahrt sowie der Übernahme der Vergütungspflicht für die ausgefallene Arbeitszeit liegt weder ein nicht-vermögensrechtlicher Streitgegenstand zugrunde noch ist davon auszugehen, dass genügende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Schätzung fehlen.

a) In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass nicht-vermögensrechtliche Streitgegenstände nur solche sind, die überwiegend nicht das Vermögen oder Einkommen der Beteiligten betreffen, sondern Rechtsgüter berühren, die für die Beteiligten ideelle Werte darstellen. Als Beispiele werden die Geltendmachung von Persönlichkeitsrechten, von Grundrechten, Adoptionen oder Personenstandsanerkennungen, die Unterlassung belästigender Telefonanrufe (BGH VersR 85, 185) oder etwa der Ausschluss aus einem Verein (OLG Köln MDR 84, 153) genannt (vgl. LAG Köln, Beschl. vo. 26.6.2007, Az.: 7 Ta 75/07, LAGE § 23 RVG Nr. 9 b, m.w.N.). Vermögensrechtliche Gegenstände liegen demgegenüber vor, wenn Geld oder geldwerte Leistungen verlangt werden. Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein vermögensrechtlicher Gegenstand typischer Weise gegeben, wenn Kostenerstattung vom Betriebsrat oder der Bezug von Fachzeitschriften oder die Anschaffung von Möbeln und sonstigen Geräten verlangt wird (Düwell-Kreuder, BetrVG, 2. Aufl., § 93 BetrVG, RZ.32).

b) Es kommt - wie auch hier - vor, dass Rechtsstreite zu beurteilen sind, bei denen ein und derselbe Streitgegenstand, also dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis, sowohl vermögensrechtlicher als auch nicht-vermögensrechtlicher Natur ist. In solchen Fällen wird der Gegenstand nur einmal bewertet, und zwar entweder als vermögensrechtlicher oder als nicht-vermögensrechtlicher Gegenstand, je nach dem, welche der beiden Eigenschaften des Gegenstandes überwiegt (Riedel/Sußbauer-Fraunholz, RVG, 9. Aufl, § 23, Rdnr. 52).

c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Beschwerdegericht zu der Auffassung gelangt, dass es sich vorliegend schwerpunktmäßig um einen vermögensrechtlichen Streitgegenstand handelt. Im zu entscheidenden Fall überlagern sich vermögensrechtliche und nicht-vermögensrechtliche Aspekte des Konflikts, wobei - anders etwa als in den häufig streitigen Fällen der Zustimmungsersetzung zu Versetzungen oder Eingruppierungen nach § 99 BetrVG - im vorliegenden Fall dem finanziellen Interesse der Arbeitgeberin ein komplementäres wirtschaftliches Interesse des Betriebsrats gegenübersteht. Dem begehrten wirtschaftlichen Vorteil des Betriebsrats (Vergütung für die ausgefallene Arbeitszeit, Tagungskosten, Fahrtkosten) steht ein entsprechender wirtschaftlicher Nachteil der Arbeitgeberin gegenüber. Der vermögensrechtliche Charakter der Auseinandersetzung überwiegt hier - ähnlich wie bei der Frage des Kostenersatzes nach § 40 BetrVG, z.B. bei der Nutzungsmöglichkeit eines PC - gegenüber der Frage, ob und inwieweit die Versagung der Bereitstellung der Mittel zu einer Einschränkung des Betriebsrats bei der Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Funktionen führt.

d) Der Wert des Gegenstands bemisst sich als Ergebnis der Bestimmung nach billigem Ermessen im Sinne von § 23 Abs. 3 Satz 2, 1. Halbsatz RVG nach der von der Arbeitgeberin mitgeteilten Berechnung der Vergütung für die ausfallende Arbeitszeit sowie die Tagungs- und Anfahrtskosten in Höhe von 2 mal 730,-- EUR, aufgerundet 1.500,-- €, die vom Betriebsrat im Ansatz nicht in Frage gestellt worden ist.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 33 Abs. 4 Satz 3 RVG).

Ende der Entscheidung

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