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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 13.04.2007
Aktenzeichen: 11 TaBV 91/06
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 112 Abs. 5
Einzelfallentscheidung zur Frage, ob und in welchem Umfang die Einigungsstelle verpflichtet ist, einen sog. Berechnungsdurchgriff zu prüfen, bevor sie die Erstellung eines Sozialplan ablehnt, weil dieser den Fortbestand des Unternehmens gefährde.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

11 TaBV 91/06

Verkündet am: 13. April 2007

In dem Beschlussverfahren

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 13. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus sowie die ehrenamtlichen Richter Fehlner und Höhne beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 16. Mai 2006, Az.: 7 BV 9/04 L wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Gegenstand der Auseinandersetzung ist, ob das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich in einer von den Beteiligten gebildeten Einigungsstelle wirksam festgestellt worden ist und ob ein Spruch der Einigungsstelle Rechtsgültigkeit besitzt.

Der Beteiligte zu 1) ist der beim Betrieb M. ...in A. der Beteiligten zu 2) gebildete aus fünf Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Dieser Betrieb wurde mit Ablauf des 28. Februar 2003 geschlossen. Zuletzt waren in diesem Betrieb mehr als 70 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Beteiligte zu 2) (Arbeitgeberin) ist eine Gesellschaft der O. aus L. bestehend neben der Beteiligten zu 2) aus der M. .... GmbH & Co. KG. Unternehmensgegenstand beider Gesellschaften ist die Führung von Kaufhäusern (Modehäusern).

Die Beteiligte zu 2) unterhielt bis einschließlich 2002 Modehäuser. in A., B., L. und L. Die M. ... GmbH & Co. KG unterhielt zu diesem Zeitpunkt ein Modehaus in F..

Persönlich haftende Gesellschafterin der Beteiligten zu 2) ist die O. V. GmbH, vertreten durch die jeweils einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer B.B., G. G. und D. H..

Persönlich haftende Gesellschafterin der M. ... GmbH & Co. KG ist die L.S.V. GmbH, ebenfalls vertreten durch die jeweils einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer B. B. und G. G. sowie D. H.. Kommanditisten der Beteiligten zu 2) sowie der M. ... GmbH & Co. KG sind jeweils B. B. und S. B..

Den genannten Unternehmen nahe stehend ist die 1988 gegründete L.S. KG, deren Unternehmensgegenstand der An- und Verkauf und die Verwaltung von Immobilien sowie der Betrieb und die Verwaltung von Parkhäusern ist und deren Komplementär S. B. und deren Kommanditistin B. B. ist.

Die Beteiligte zu 2), die M. ... GmbH & Co. KG, die Komplementär-GmbHs dieser Gesellschaften sowie die L. S. KG haben laut Gesellschaftsvertrag jeweils einen Beirat, dessen Aufgabe darin besteht, die Tätigkeit der Geschäftsführung zu überwachen. Weiterhin bedürfen wesentliche Maßnahmen der Geschäftsführung der genannten Unternehmen der vorherigen Zustimmung des Beirats. Darüber hinaus hat der Beirat jeweils den Jahresabschluss festzustellen. Die Beiräte der genannten Unternehmen sind personengleich und bestehen aus Dr. H. G., H. M. sowie S. B..

Durch Prozessvergleich vom 20. September 2002 in einem beim Arbeitsgericht Weiden unter dem Aktenzeichen 4 BV 25/02 A geführten Beschlussverfahren einigten sich die Beteiligten darauf, dass zum 25.11.2002 eine Einigungsstelle gebildet, dass diese mit je zwei Beisitzern auf beiden Seiten besetzt werde und dass als Vorsitzender der damalige Vizepräsident des Arbeitsgerichts München W. W. fungiere. Die Einigungsstelle tagte insgesamt an fünf Sitzungstagen (9.12.2002, 17.1.2003, 11.3.1002, 12.5.2003 sowie 21.4.2004).

In der Verhandlung des ersten Sitzungstags am 9.12.2002 wurde ein Scheitern der Bemühungen zur Vereinbarung eines Interessenausgleichs festgestellt. Hierzu heißt es im Protokoll der Einigungsstellensitzung: "Nach einer weiteren Unterbrechung stellt Herr W. fest, dass die Verhandlungen über einen Interessenausgleich gescheitert sind."

In der Verhandlung des letzten Sitzungstags am 21. April 2004 erging unter Beteiligung des Vorsitzenden mit einer Stimmenmehrheit von 3 : 2 Stimmen folgender Beschluss: "Die Erstellung eines Sozialplans wird abgelehnt." Dies wurde in der schriftlichen Ausfertigung des Beschlusses vom Einigungsstellenvorsitzenden damit begründet, dass die Aufstellung eines Sozialplans den Fortbestand des Unternehmens gefährde.

Mit seinem zunächst beim Arbeitsgericht Weiden anhängig gemachten Antrag im Beschlussverfahren vom 15.5.2004 hat der Betriebsart die gerichtliche Feststellung begehrt, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht rechtswirksam festgestellt habe und dass der Spruch der Einigungsstelle vom 21.4.2004 rechtsunwirksam sei.

Zur Begründung hat der Betriebsrat vorgetragen, das Scheitern der Verhandlungen zu einem Interessenausgleich sei nicht rechtswirksam festgestellt worden, da dies nicht wie erforderlich durch einen Beschluss im Rahmen von § 76 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz erfolgt sei. Auch der Spruch der Einigungsstelle, von der Aufstellung eines Sozialplans abzusehen, sei nicht rechtswirksam. Die Einigungsstellenverhandlungen hätten nämlich unter wesentlichen Verfahrensfehlern gelitten. So seien den Beisitzern der Arbeitnehmerseite wesentliche Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt, sondern lediglich dem Einigungsstellenvorsitzenden zur Begutachtung übergeben worden, der sie alleine geprüft und den Beisitzern der Arbeitnehmerseite sodann die Unerheblichkeit für das Einigungsstellenverfahren mitgeteilt habe, ohne dass die Beisitzer sich selbst ein Bild hierüber hätten verschaffen können. Der Spruch der Einigungsstelle sei im Übrigen auch deswegen rechtsunwirksam, weil es im vorliegenden Fall nicht möglich gewesen sei, von der Erstellung eines Sozialplans gänzlich abzusehen.

Der Betriebsrat hat in erster Instanz folgenden Antrag gestellt:

1. Es wird festgestellt, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht rechtswirksam festgestellt hat.

2. Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 21.4.2004 rechtsunwirksam ist.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich habe deklaratorisch vom Vorsitzenden der Einigungsstelle festgestellt werden können, ohne dass es hierzu eines förmlichen Beschlusses bedurft hätte. Auch der Spruch der Einigungsstelle zur Nichtaufstellung eines Sozialplanes sei ordnungsgemäß. Verfahrensfehler hätten nicht vorgelegen, da den Beisitzern der Arbeitnehmerseite alle notwendigen Unterlagen zur Einsichtnahme übergeben worden seien. Soweit der Einigungsstellenvorsitzenden eine Vorprüfung vorgenommen habe, sei dies nicht zu beanstanden. Auch die unterlassene Aufstellung eines Sozialplanes als solche sei ermessensfehlerfrei, da bei jedweder Zahlung der Fortbestand des Unternehmens gefährdet gewesen sei. Die Gesellschafter der Arbeitgeberin seien nur bereit gewesen, aus ihrem Privatvermögen Zahlungen für die Fortführung des Betriebes, nicht aber auch für einen Sozialplan zu leisten. Eine Sozialplanaufstellung hätte - so die Arbeitgeberin - unweigerlich die Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens zur Folge gehabt.

Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der Anhörung in erster Instanz wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze (Blatt 1 ff., 94 ff., 130 ff., 212 ff., 226 ff.) ergänzend Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 16.5.2006, der dem Betriebsrat am 26. Juli 2006 zugestellt wurde, die Anträge des Betriebsrats abgewiesen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich sei in der Einigungsstellensitzung am 9.12.2002 vom Einigungsstellenvorsitzenden rechtswirksam festgestellt worden. Die Arbeitgeberin könne im Einigungsstellenverfahren nicht zur Beschlussfassung über einen Interessenausgleich gezwungen werden. Sanktioniert werde ein unterlassener Einigungsversuch über einen Interessenausgleich allein über einen dann entstehenden Nachteilsausgleichsanspruch nach § 113 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz. Sobald nur eine Seite keinen ernsthaften Willen zur Fortführung des Einigungsversuches mehr habe, seien die Interessenausgleichverhandlungen endgültig gescheitert. Da dem Einigungsstellenvorsitzenden die Verhandlungsleitung obliege, sei es seine Sache, das Scheitern sodann festzustellen. Eine solche Erklärung habe rein deklaratorischen, keinen konstitutiven Charakter. Die Form der Feststellung des Scheiterns sei gesetzlich nicht geregelt. Es bedürfe hierzu keines förmlichen Beschlusses. Ein Formerfordernis könne weder daraus abgeleitet werden, dass damit die Beendigung formal in den Händen des Einigungsstellenvorsitzenden liege, noch ließe sich dieses Formerfordernis aus § 76 Absatz 3 Satz 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz entnehmen.

Zur Frage der Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 21.4.2004 hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dieser sei weder im Hinblick auf die behaupteten Verfahrensfehler noch im Hinblick auf seinen materiellen Inhalt in einer Weise mangelhaft, dass hieraus die Rechtsunwirksamkeit folge.

Ein Verstoß gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze und insbesondere gegen den in Artikel 103 GG festgelegten rechtsstaatlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs liege nicht vor.

Es könne dahingestellt bleiben, ob die Beisitzer der Arbeitnehmerseite diverse Unterlagen zur eigenen Einsichtnahme erhalten hätten. Diese seien jedenfalls dem Vorsitzenden der Einigungsstelle zur Einsicht vorgelegen. Im Rahmen seiner Unparteilichkeit und in Ausübung der ihm zustehenden Verhandlungsleitung habe es ihm oblegen zu prüfen, ob bestimmte Unterlagen für die Einigungsstelle von Bedeutung sein könnten. Verneine er dies, würden sie im weiteren Verfahren nicht mehr herangezogen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die wesentlichen Entscheidungen von der gesamten Einigungsstelle und nicht vom Vorsitzenden alleine zu treffen seien. Es sei hier nämlich nur um eine notwendige Vorprüfung der für die Entscheidung erforderlichen Unterlagen durch den Vorsitzenden im Hinblick auf die gebotene Effektivität des gesamten Einigungsstellenverfahrens gegangen. Die von der Arbeitnehmerseite behauptete Nichtvorlage der Unterlagen sei aber auch deshalb kein wesentlicher Verfahrensfehler, weil die Einigungsstelle in ihrer Entscheidung in erster Linie auf das Gutachten des Wirtschaftsprüfers vom 9.2.2004 abgestellt habe. Es sei daher auch nicht zu beanstanden, wenn die Einigungsstelle nicht, wie von der Arbeitnehmerseite gefordert, über die weitere Unternehmensstruktur aufgeklärt worden sei. Dies gelte auch deswegen, da zum Zeitpunkt des Einigungsstellenspruchs die Modehäuser in A., B. und F. bereits geschlossen gewesen seien.

Das Arbeitsgericht Regensburg hat weiterhin ausgeführt, der Spruch der Einigungsstelle halte sich auch im Rahmen des eingeräumten Ermessens. Die Einigungsstelle habe bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf zu achten, des weder der Fortbestand des Unternehmens noch die Durchführung der notwendigen Strukturmaßnahmen zum Erhalt der Arbeitsplätze gefährdet würden. Das könne bedeuten, dass die Sozialplandotierung auf Null sinke. Dass jedwede Sozialplanleistung den Fortbestand des Unternehmens gefährdet hätte, ergebe sich aus dem Gutachten der Wirtschaftsprüfer vom 9.2.2004. Die Wirtschaftsprüfer kämen zu dem Ergebnis, dass die Tatsache, dass bisher weder Zahlungsunfähigkeit noch Überschuldung eingetreten sei, ausschließlich daraus resultiere, dass die Gesellschaft aus ihrem Privatvermögen erhebliche Zuschüsse geleistet hätten. Die Gesellschafter seien lediglich bereit, zur Sicherung der Unternehmensfortführung an den Standorten L. und L. weitere private Zahlungen einzubringen, nicht jedoch für Sozialplanleistungen. Aus eigener Kraft sei die Arbeitgeberin jedoch nicht in der Lage, wegen einer akuten Gefährdung des Fortbestandes des Unternehmens und damit der vorhandenen Arbeitsplätze Gelder für Sozialplanzahlungen aufzubringen. Das Wirtschaftsprüfergutachten sei nachvollziehbar und schlüssig. Es sei nicht erkennbar, dass unter Zugrundelegung dieses Gutachtens der Spruch der Einigungsstelle vom 21 April 2004 ermessensfehlerhaft sei.

Gegen diesen Beschluss hat der Betriebsrat mit Schriftsatz vom 17. August 2006, der am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen ist, Beschwerde eingelegt.

Unter Vertiefung und teilweise Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags führt der Betriebsrat zur Begründung aus, nach § 111 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz habe die Einigungsstelle und nicht der Vorsitzende eine Einigung zu versuchen. Das Scheitern dieses Einigungsversuches müsse daher auch die Einigungsstelle feststellen, denn sie trage nach dem Gesetz die Verantwortung dafür, dass der Versuch ernsthaft sei, nicht der Vorsitzende. In der Betriebsverfassung seien ausschließlich das Verfahren vor der Einigungsstelle und die Entscheidungen durch die Einigungsstelle vorgesehen, nicht die alleinige Entscheidung des Vorsitzenden. Dieser solle vielmehr ausweislich § 76 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz nachgeordnet tätig werden.

Zur Rechtsunwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 21. April 2004 trägt der Betriebsrat in zweiter Instanz vor, ermessensfehlerfrei sei der Sozialplan nur, wenn er wenigstens eine substantielle Milderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsehe. Eine Unterschreitung dieser Grenze sei allenfalls dann zulässig und geboten, wenn das Sozialplanvolumen für das Unternehmen wirtschaftlich sonst nicht vertretbar sei. In diesem Zusammenhang könne es jedoch auf die Möglichkeit eines so genannten Durchgriffs auf Konzernobergesellschaften ankommen. Im vorliegenden Fall habe der Sozialplan keine Milderung der Nachteile vorgesehen. Den möglichen Einwand hiergegen, dass das Volumen nicht wirtschaftlich vertretbar sei, habe die Einigungsstelle nicht ordnungsgemäß geprüft. Insbesondere habe sie den Berechnungsdurchgriff nicht ordnungsgemäß geprüft.

Die Beweisaufnahme, also die Prüfung der Tatsachen aus denen sich der Berechnungsdurchgriff ergeben könne - so der Betriebsrat weiter -, sei unter Ausschluss der Arbeitnehmerbeisitzer erfolgt. Die nicht ordnungsgemäße Besetzung eines Spruchkörpers in einem gerichtlichen Verfahren sei ein absoluter Revisionsgrund. Dass die Beweisaufnahme durch den Spruchkörper vorzunehmen sei, ergebe sich auch aus § 76 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz. Ausdrücklich sei nach dieser Norm zunächst vor einer Entscheidung im Spruchkörper zu beraten. Das sei zweifellos nur bei einheitlichem Erkenntnisstand denkbar. Es sei entgegen der Feststellung im Beschluss des Arbeitsgerichts Inhalt der Erörterung der Einigungsstelle gewesen, dass das Gutachten für 2004 keine Aussagen beinhaltete, sondern sich nur zu 2003 geäußert habe.

Dass sich die Einigungsstelle daher auf dieses Gutachten gestützt habe, sei unrichtig. Richtig sei vielmehr, dass der Arbeitgeber behauptet habe, 2004 sehe es genauso aus wie in dem Gutachten. Das Gutachten behandele die Liquiditätslage bis Ende 2003.

Der Betriebsrat beantragt im Beschwerdeverfahren:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburgs -, Landshut - vom 16.5.2006, 7 BV 9/04 L wird aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Einigungsstelle das Scheitern der Verhandlungen über einen Interessenausgleich nicht rechtswirksam festgestellt hat.

III. Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 21 April 2004 - zugestellt am 3.5.2004 rechtsunwirksam ist.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung führt sie aus, die Feststellung des Scheiterns der Interessenausgleichverhandlungen durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle könne nur deklaratorischen Charakter haben. Es komme darauf an, ob vor der Einigungsstelle genügend Gelegenheit bestanden habe, einen Interessenausgleich zu vereinbaren. Dies sei regelmäßig der Fall, wenn auf ernsthafte Weise unter Einbeziehung der Vorschläge der Einigungsstelle die von den Parteien vorgebrachten Argumente erörtert worden seien. Im vorliegenden Fall sei ernsthaft verhandelt worden. Dies ergebe sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 9.12.2002. Vorausgegangen seien bereits zwei Verhandlungstage mit dem Betriebsrat am 28. August 2002 und 2. Oktober.2002, an denen ebenfalls intensiv über die Vorschläge des Betriebsrats verhandelt worden sei. Der Antragsteller nenne auch jetzt keine Umstände, die noch hätten verhandelt werden müssen.

Zur Frage eines Berechnungsdurchgriffs trägt die Arbeitgeberin vor, die Möglichkeit eines solchen auf die Gesellschaft in Freiburg oder auf die Besitzgesellschaft sei beherrschendes Thema der Einigungsstelle gewesen. Die Arbeitgeberin habe auf einen entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden hin mit Schriftsatz vom 2.4.2003 ausführlich und in allen Details dargestellt, dass alle Gesellschaften getrennt veranlagt würden und dass keine Warenverschiebungen zulasten des Betriebes in A. durchgeführt worden seien. Der Betriebsrat habe hierzu mit Schriftsatz vom 29.7.2003 Stellung genommen, ohne allerdings konkret auf die Ausführungen der Arbeitgeberin im Schriftsatz vom 22. April 2003 einzugehen. Im Termin der Einigungsstelle am 21.4.2004 habe der Vorsitzende geäußert, dass die Voraussetzungen für eine Durchgriffshaftung nicht vorlägen.

Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der Anhörung wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze vom 26.9.2006 (Blatt 293 ff. der Akte) sowie 8.12.2006 (Blatt 324 ff. der Akte) ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Die Beschwerde des Betriebsrats hat keinen Erfolg, weil seine zulässigen Anträge nicht begründet sind.

Das Beschwerdegericht folgt der Entscheidung des Arbeitsgerichts im Ergebnis und in der Begründung, auf die Bezug genommen wird.

Zum Beschwerdevorbringen wird bemerkt:

1. Wirksame Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen der Einigungsstelle über einen Interessenausgleich am 9.12.2003

Die Feststellung des Scheiterns der Verhandlungen über einen Interessenausgleich durch den Vorsitzenden ist wirksam, weil sie den Verhandlungsstand zutreffend wiedergegeben hat.

Das Landesarbeitsgericht folgt der ausführlich begründeten Auffassung des Arbeitsgerichts, wonach die Form der Feststellung des Scheiterns des gesetzlich vorgeschriebenen Einigungsversuchs gesetzlich nicht vorgeschrieben ist und dass es letztlich auf den tatsächlichen Verhandlungsstand ankommt, dass also eine Erklärung eines der Mitglieder der Einigungsstelle- auch des Vorsitzenden - hierzu immer nur deklaratorischen Charakter haben kann.

Das Beschwerdegericht ist wie das Arbeitsgericht - auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens - der Auffassung, dass der Vorsitzende mit seiner Feststellung den Verhandlungsstand dahin gehend zutreffend beschrieben hat, dass der Versuch einer Einigung über einen Interessenausgleich im Zeitpunkt der Feststellung gescheitert war. Der Betriebsrat hat nämlich keine Verhandlungs- oder Themenpunkte nennen können, die nicht Gegenstand der vorausgegangenen Einigungsstellenverhandlung gewesen sind. Wenn die Arbeitgeberseite den Vorschlägen der Betriebsratsseite zur Frage eines Interessenausgleichs dann nicht gefolgt ist - was unstreitig ist - dann belegt dies, dass die Verhandlungen über einen Interessenausgleich gescheitert waren. Es ist zwar richtig, dass von einem Scheitern erst dann gesprochen werden kann, wenn zuvor mit dem ernsthaften Willen zur Einigung verhandelt worden ist (EK-Kania, 7. Aufl., §§ 112, 112 a BetrVG, Rz. 8; Kania/Toppich, NZA 2005, 749 ff. (751 f.)). Dass es an der erforderlichen Ernsthaftigkeit der Verhandlung gefehlt hat, ist jedoch nicht ersichtlich geworden.

2. Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs vom 21. April 2004

Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist der Einigungsstellenspruch vom 21. April 2004 nicht wegen Ermessensfehlerhaftigkeit unwirksam.

Gemäß § 76 Abs. 5 Satz 3 BetrVG fasst die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen.

Als Lex specialis bezüglich des Regelungsspielraums der Einigungsstelle betreffend die Aufstellung eines Sozialplan sieht § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG in diesem Zusammenhang vor, die Einigungsstelle habe bei ihrer Entscheidung über die Aufstellung eines Sozialplans sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten.

Dabei habe sie sich im Rahmen billigen Ermessens insbesondere auch von dem Grundsatz leiten zu lassen, dass sie bei der Bemessung des Gesamtbetrags der Sozialplanleistungen darauf zu achten habe, dass der Fortbestand des Unternehmens oder die nach Durchführung der Betriebsänderung verbleibenden Arbeitsplätze nicht gefährdet würden (§ 112 Abs. 5 Satz 2 Ziff. 3 BetrVG).

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, gehört zur Höhe der Sozialplandotierung auch, dass diese bei besonderen Umständen und einer akuten Gefährdung des Unternehmens Fortbestandes im Falle einer Sozialplanzahlung auf Null sinken kann.

Die Voraussetzungen für einen Null-Sozialplan sind im vorliegenden Fall gegeben. Das Beschwerdegericht folgt insoweit den zutreffenden Überlegungen des Arbeitsgerichts, das sich im Wesentlichen auf das Gutachten der Wirtschaftsprüfer vom 9. Februar 2004 gestützt hat.

Der Spruch der Einigungsstelle ist auch nicht deshalb ermessensfehlerhaft und damit unwirksam, weil - wie der Betriebsrat geltend gemacht hat - von der Einigungsstelle die Möglichkeiten eines so genannten Berechnungsdurchgriffs nicht hinreichend geprüft seien.

Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass das Gesetz bezüglich der wirtschaftlichen Vertretbarkeit auf das Unternehmen abstellt. Dieses ist die Arbeitgeberin.

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat allerdings in Bezug auf Fälle der Anpassung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung orientiert an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Durchbrechung des Trennungsprinzips die Rechtsfigur des Berechnungsdurchgriffs im qualifiziert faktischen Konzern entwickelt und zur Frage einer behaupteten Unterdotierung eines Sozialplans bemerkt, die Ermessensprüfung der Einigungsstelle müsse auch die Frage prüfen, ob statt einer isolierten Betrachtung ein Berechnungsdurchgriff geboten sei (BAG, Beschl. v. 24.8.2004, Az.: 1 ABR 23/03).

Für den bezeichneten Berechnungsdurchgriff müssen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zwei Voraussetzungen erfüllt seien: Zwischen dem primär haftenden Unternehmen und dem herrschenden Unternehmen muss eine verdichtete Konzernverbindung bestehen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn eine Beherrschungs- oder Ergebnisabführung besteht. Es reicht aber auch aus, wenn ein Unternehmen die Geschäfte des primär haftenden Unternehmens tatsächlich umfassend und nachhaltig führt (qualifiziert faktischer Konzern). Weiter ist für einen Berechnungsdurchgriffs erforderlich, dass die Konzernleitungsmacht in einer Weise ausgeübt worden ist, die auf die Belange des abhängigen Tochterunternehmens keine angemessene Rücksicht genommen und so die mangelnde Leistungsfähigkeit des primär haftenden Unternehmens verursacht hat (BAG, Urteil vom 4. Oktober 1994, Az.: 3 AZR 910/93, DB 1995,528).

Es kann dahingestellt bleiben ob diese Durchbrechung des Trennungsprinzips hier bereits deshalb ausscheidet, weil ein beherrschendes Unternehmen nicht existiert.

Selbst wenn man den vorliegenden Fall als mit einem faktischen Konzern vergleichbar ansieht, weil Frau B. B. sowohl in der Komplementär-GmbH der Arbeitgeberin wie auch in der Komplementär GmbH der K. ... GmbH & Co. KG einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin sowie Kommanditistin der Arbeitgeberin wie auch der K. ... GmbH & Co. KG war bzw. ist, sind die sonstigen Voraussetzungen eines Berechnungsdurchgriffs im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, die gegenseitigen Warentransferleistungen zwischen der K. ... GmbH & Co. KG und der Arbeitgeberin seien ohne Rücksicht auf die Belange der Arbeitgeberin angeordnet worden und hätten dadurch das wirtschaftliche Ergebnis der Arbeitgeberin für das Jahr 2002 und 2003 nachhaltig zum Schaden der Arbeitgeberin verschlechtert. Die Arbeitgeberin hat mit ihren Schreiben an den Einigungsstellenvorsitzenden vom 22.4.2003 sowie 25.10.2003 eingehend zu diesem Vorhalt Stellung genommen und schlüssig begründet, dass selbst bei Zugrundelegung der vom Betriebsrat behaupteten Überbewertung der transferierten Waren per Saldo maximal ein Ergebnisminus bei der Arbeitgeberin von 16.100 EUR entstanden ist. Der Betriebsrat ist diesen Berechnungen nicht spezifiziert entgegengetreten, so dass im Zusammenhang mit den vom Betriebsrat aufgegriffenen Transfervorgängen von der von der Rechtsprechung geforderten nachhaltigen Beeinträchtigung der Eigeninteressen des Unternehmens nicht ausgegangen werden kann.

Die Einigungsstelle hatte auch nicht - wie vom Betriebsrat verlangt - Anlass die Geschäftsführung der vorausgegangen Jahre anhand der Bilanzen und Ergebnisrechnungen der Unternehmen der Oberpaur-Gruppe nachzuvollziehen und auf die Arbeitgeberin schädigende bzw. benachteiligende Maßnahmen durch die personengleiche Geschäftsführerin der zwei Komplementär-GmbHs zu überprüfen. Hierzu lag ein hinreichender Anlass nicht vor, nachdem die Gesellschafter im Jahre 2003 noch eine Eigenkapitalaufstockung von 700.000 EUR vorgenommen haben, der lt. Gutachten der Wirtschaftsprüfer vom 9.2.2004 durch Gegenrechnung mit dem Jahresfehlbetrag 2003 in Höhe von 695.000 EUR nahezu völlig aufgebraucht war.

III.

Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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