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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 30.04.2008
Aktenzeichen: 2 Sa 1069/07
Rechtsgebiete: BGB, TVG


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
TVG § 1
TVG § 4
TVG § 5
Die Bezugnahme auf jeweils geltende Tarifverträge in einem vor 2002 abgeschlossenen Arbeitsvertrag kann auch dann als Gleichstellungsabrede ausgelegt werden, wenn die Tarifverträge bei Abschluss des Arbeitsvertrages allgemeinverbindlich waren.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 1069/07

Verkündet am: 30.April 2008

In dem Rechtsstreit

hat die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Irene Braun und Wolfgang Heinlein für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 17.10.2007 - 6 Ca 4435/06 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin Anspruch auf tarifliche Entgelterhöhungen hat.

Die Klägerin war von Juli 1995 bis September 2006 bei der Beklagten, einem Möbeleinzelhandelsunternehmen beschäftigt. § 17 des Arbeitsvertrages vom 1.7.1995 lautet:

"I. Soweit sich aus diesem Vertrag nichts anderes ergibt, finden die Tarifverträge für den bayerischen Einzelhandel in ihrer jeweils geltenden Fassung sowie die Betriebsordnung Anwendung. Der/die Arbeitnehmer(in) bestätigt, dass er/sie von den geltenden Tarifverträgen für den Bayerischen Einzelhandel Kenntnis genommen hat; sie stehen jederzeit zur Einsicht zur Verfügung; dies gilt auch für die Betriebsordnung. Die Bestimmungen dieses Vertrages gehen den allgemeinen tariflichen und betrieblichen Bestimmungen vor, soweit diese nicht zwingend sind.

II. Die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis ist durch die tarifvertraglich festgelegten Ausschlussfristen begrenzt."

Beim Abschluss des Arbeitsvertrages wurde ein Musterarbeitsvertrag des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels verwendet.

Im Jahre 1995 und in den Folgejahren waren die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels allgemeinverbindlich. Die Allgemeinverbindlichkeit des Gehaltstarifvertrages endete 1999, die des Manteltarifvertrages 2000.

Mit Schreiben vom 15.4.2003 erklärte die Beklagte gegenüber dem Landesverband des Bayerischen Einzelhandels gemäß § 4 a der LBE-Satzung den Ausschluss der Tarifbindung. Diese Erklärung wirkte zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge.

Der neue Gehaltstarifvertrag vom 25.7.2003, der zum 1.5.2003 in Kraft trat, beinhaltete u.a. eine Erhöhung der Tarifvergütung zum 1. August 2003, die für die Klägerin monatlich € 35,-- ausgemacht hätte. Die im gleichen Tarifvertrag geregelte weitere Entgelterhöhung ab August 2004 hätte bei der Klägerin - bezogen auf die Vergütung von August 2003 - € 71,-- monatlich betragen. Die Beklagte gab beide Tariferhöhungen nicht an die Klägerin weiter. Unstreitig war sie beim Inkrafttreten des neuen Gehaltstarifvertrages zum 1.5.2003 nicht mehr tarifgebunden.

Mit Schreiben vom 18.10.2006 wandte sich die Prozessbevollmächtigte der Klägerin wegen eines zwischen den Parteien geführten Rechtsstreits an den Beklagtenvertreter und teilte mit, im Laufe der Jahre hätten sich tarifvertraglich Erhöhungen ergeben, die die Klägerin nicht erhalten habe. Es sei daher anhand der jeweils geltenden Gehaltstarifverträge für die Vergangenheit abzurechnen und der sich ergebende Nettobetrag der Klägerin zu zahlen.

Mit ihrer am 27.12.2006 beim Arbeitsgericht Regensburg eingegangenen und der Beklagten am 4.1.2007 zugestellten Klage hat die Klägerin die Tariflohnsteigerungen von August 2003 bis September 2006 geltend gemacht. Sie meint, angesichts der vertraglichen Bezugnahme der Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels stehe ihr ab August 2003 die erhöhte tarifliche Vergütung zu. Die Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag könne nicht als Gleichstellungsabrede angesehen werden, da der Tarifvertrag bei Abschluss des Arbeitsvertrages für allgemeinverbindlich erklärt gewesen sei.

Dagegen sieht die Beklagte in der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels eine bloße Gleichstellungsabrede, die mit dem Wechsel in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung für die Beklagte keine Bedeutung mehr habe.

Mit Endurteil vom 17.10.2007 hat das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung von insgesamt € 2.195,-- nebst Zinsen abgewiesen. § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages begründe keinen Anspruch der Klägerin auf Zahlung der jeweiligen tariflichen Vergütung. Die für sich als dynamische Verweisung zu lesende Inbezugnahme der Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels stelle eine bloße Gleichstellungsabrede dar. Damit erfasse sie nicht mehr den nach dem Austritt der Beklagten aus der Tarifbindung abgeschlossenen Gehaltstarifvertrag. Die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede beruhe auf der Annahme, mit der Bezugnahmeklausel im Formulararbeitsvertrag eines tarifgebundenen Arbeitgebers solle nur die auf Arbeitnehmerseite ggf. fehlende Tarifgebundenheit ersetzt werden. Für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer solle der Inhalt des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden, der für tarifgebundene ohnehin gelte. Eine derartige vertragliche Anbindung an die dynamische Tarifentwicklung sei aber nicht mehr geboten, wenn die Tarifbindung für den Arbeitgeber ende. Wie nach den einschlägigen tarifrechtlichen Regelungen (§§ 3 Abs. 3, 4 Abs. 5 TVG) in solchen Fällen die folgenden tariflichen Änderungen mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit nicht mehr gelten würden, fänden sie auch aufgrund der Gleichstellungsabrede auf die nicht tarifgebundenen Beschäftigten keine Anwendung mehr. Das Bundesarbeitsgericht habe zwar im Urteil vom 14.12.2005 (4 AZR 536/04 - NZA 2006, 607) eine Änderung seiner Rechtsprechung angekündigt und diese Ankündigung im Urteil vom 18.4.2007 (4 AZR 653/05 - DB 2007, 2598) umgesetzt. Aus Gründen des Vertrauensschutzes könnten aber vor dem 1.1.2002 abgeschlossene "Altverträge" weiter im Sinne der früheren Rechtsprechung ausgelegt werden. An der Qualifizierung der Vereinbarung in § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages als Gleichstellungsabrede ändere die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gegebene Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge nichts. Eine Auslegung des Arbeitsvertrages ergebe, dass die Vertragsparteien mit der Verweisungsklausel die Zeit nach einem Wegfall der Allgemeinverbindlichkeit hätten abdecken wollen. Nach dem Ende der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels in den Jahren 1999 bzw. 2000 habe die Bezugnahmeklausel zunächst die Gleichstellung tarifgebundener und nicht tarifgebundener Beschäftigter sicher gestellt. Erst im Jahre 2003 sei mit dem Wechsel der Beklagten in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung die Notwendigkeit einer weiteren Gleichstellung entfallen.

Im Übrigen seien die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche verfallen, wenn die Tarifverträge des Bayerischen Einzelhandels gelten würden. Nach § 23 Nr. 2, 2. Unterabsatz des Manteltarifvertrages seien Ansprüche innerhalb dreier Monate nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Diese Frist habe die Klägerin nicht gewahrt, denn ihre Klage sei erst am 4.1.2007 und damit nach dem Ablauf der Ausschlussfrist zugestellt worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien in erster Instanz sowie der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin am 31.10.2007 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 29.11.2007, die am 29.1.2008 begründet worden ist, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

Die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht einen Verfall ihrer Ansprüche angenommen, denn mit ihrem Schreiben vom 18.10.2006 habe sie die Ansprüche geltend gemacht. § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages enthalte keine Gleichstellungsabrede. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts könne nicht auf die vorliegende Konstellation übertragen werden, dass die einschlägigen Tarifverträge aufgrund ihrer Allgemeinverbindlichkeit ohnehin für alle Arbeitnehmer gültig sind und zwar unabhängig von einer vertraglichen Bezugnahme. Der Wille des Arbeitgebers, eine Gleichstellungsabrede zu treffen, sei nicht ersichtlich. Damit sei die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gleichstellungsabrede auf den vorliegenden Fall, in dem die Tarifverträge bei Abschluss des Vertrages allgemeinverbindlich gewesen seien, nicht zu übertragen. Die Argumentation des Arbeitsgerichts sei auch deswegen nicht nachvollziehbar, weil bei Vertragsabschluss das Außerkrafttreten der Allgemeinverbindlichkeit der Einzelhandelstarifverträge nicht nahe gelegen habe

Die Klägerin beantragt, das Endurteil des Arbeitsgericht aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von jeweils € 35,-- für die Monate August 2003 bis Juli 2004, von jeweils € 71,-- brutto für die Monate August 2004 bis September 2006 sowie von Zinsen zu verurteilen. Wegen des genauen Wortlauts des Antrags wird auf die Berufungsbegründung vom 29.1.2008 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend. Die Klägerin habe den geltend gemachten Anspruch zwar durch Schreiben vom 18.10.2006 geltend gemacht, der diesbezügliche Sachvortrag sei allerdings im Berufungsverfahren als verspätet zurückzuweisen. Zutreffend habe das Arbeitsgericht § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages als Gleichstellungsabrede angesehen. Bei Vertragsschluss sei ein massenhaft verwendeter Formulararbeitsvertrag des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels benutzt worden. Wenn die Formulierung nicht ins Leere gehen solle, könne aus ihr nur geschlossen werden, dass ein Zeitpunkt habe abgedeckt werden sollen, zu dem keine Allgemeinverbindlichkeit mehr bestehe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 29.1.2008, die Berufungserwiderung vom 28.2.2008 sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.4.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 64 Abs. 2 b, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist unbegründet, weil das Arbeitsgericht zu Recht angenommen hat, dass sich aus § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages entgegen seinem Wortlaut kein Anspruch der Klägerin auf Vergütung nach dem Gehaltstarifvertrag vom 25.7.2003 ergibt, sondern diese vertragliche Regelung eine bloße Gleichstellungsabrede darstellt. Das Arbeitsgericht hat dieses Ergebnis ausführlich auf der Basis der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und überzeugend begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird deshalb auf den Gliederungspunkt B.I. der Entscheidungsgründe Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Lediglich ergänzend und zu den Ausführungen in der Berufungsbegründung wird auf Folgendes hingewiesen.

Die Klägerin weist im Ausgangspunkt zutreffend darauf hin, dass kein Bedürfnis nach Vereinbarung einer Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtgewerkschaftsmitgliedern besteht, wenn die Gleichstellung aller Arbeitnehmer durch die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge sicher gestellt ist. Allerdings gibt eine Allgemeinverbindlichkeit keine Gewähr für eine dauerhafte Gleichstellung. Sie setzt nicht nur für jeden neuen Tarifvertrag, also auch einen Änderungstarifvertrag, einen neuen Antrag einer Tarifvertragspartei voraus, sondern grundsätzlich auch, dass die tarifgebundenen Arbeitgeber mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die Allgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint (§ 5 Abs. 1 TVG). Der Wegfall der Allgemeinverbindlichkeit der Einzelhandelstarifverträge war somit schon im Jahre 1995 ohne Weiteres denkbar und kann keineswegs "nicht nahe liegend" bezeichnet werden, wie dies die Klägerin tut.

Bei einer Auslegung des Arbeitsvertrages kann den Vertragsparteien nicht unterstellt werden, sie hätten eine überflüssige Regelung treffen wollen. Für die Dauer der Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge bedurfte es allerdings keiner Bezugnahme im Arbeitsvertrag, um deren Geltung herbeizuführen. Damit hat die vertragliche Regelung nur nach dem Ende der Allgemeinverbindlichkeit eine Bedeutung. Diese liegt allerdings nicht darin, ohne Rücksicht auf die Tarifbindung der Beklagten Ansprüche auf künftige tarifvertragliche Leistungen zu begründen. Jedenfalls bei dem vorliegenden "Altvertrag" aus dem Jahre 1995 scheidet eine Auslegung dahingehend aus, dass die Parteien dauerhaft und ohne Lösungsmöglichkeit für die Beklagte eine Bindung an künftige Tarifverträge erreichen wollten. Damit verbleibt nur eine Auslegung als Gleichstellungsabrede.

III.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Klägerin die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.

IV.

Dieses Urteil ist für die Beklagte unanfechtbar, denn sie ist nicht beschwert. Die Zulassung der Revision für die Klägerin beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Frage, ob arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln auf Tarifverträge, die bei Abschluss des Arbeitsvertrages bereits allgemein verbindlich sind, eine bloße Gleichstellungsabrede darstellen, hat allein schon wegen der massenhaft verwendeten Musterarbeitsverträge des Landesverbandes des Bayerischen Einzelhandels grundsätzliche Bedeutung.

Ende der Entscheidung

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