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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 27.07.2006
Aktenzeichen: 2 Sa 255/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2 Satz 1
Betriebsbedingte Kündigung, die zum Ablauf einer innerbetrieblichen Beschäftigungsgesellschaft (betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit, beE) ausgesprochen wurde.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

2 Sa 255/06

Verkündet am: 27. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Preibisch und Bayer für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 10.01.2006 - 21 Ca 2591/04 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Arbeitgeberkündigung und die Weiterbeschäftigung des Klägers.

Der am 04.07.1962 geborene Kläger ist seit 08.07.1985 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist ausgebildeter Einzelhandelskaufmann und erlangte bei der Industrie- und Handelskammer Abschlüsse als Handelsfachwirt sowie über seine Eignung als Ausbilder. Während seiner Tätigkeit bei der Beklagten hat er an mehreren Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen, die im Schriftsatz des Klägers vom 30.11.2004 aufgelistet sind. Im Jahr 1995 erhielt der Kläger Handlungsvollmacht im Geschäftsverkehr, welche ihm im August 2004 mit Ablauf der Kündigungsfrist wieder entzogen wurde. Im Jahr 2001 erhielt der Kläger die Handlungsvollmacht für Personalangelegenheiten. Zum 01.01.2001 wurde er in den AT- und Mittleren Führungskreis aufgenommen. Ausweislich eines Zeugnisses vom 31.08.1997 war der Kläger bis dahin im Wesentlichen mit folgenden Aufgaben betraut:

- Überwachung und Abwicklung von Bestellungen für Kunden im In- und Ausland

- Korrespondenz bezüglich Reklamationen mit Zweigniederlassungen und Landesgesellschaften

- Erstellung von Zollpapieren

- Koordinierung von Wareneingängen (u. a. Zollvorlagen)

- Zusammenwirken mit Kunden, Werk und internen Vertriebsstellen bei der Bearbeitung von Retourenvorgängen

- Schriftverkehr (Kundeninformationen, Reklamation) teilweise in englischer Sprache

In diesem Zeugnis heißt es weiter:

Nach der Zusammenführung der Geschäftsbereiche Daten- und Informationstechnik sowie Kommunikationsendgeräte der S. AG zum 1. Oktober 1990 mit der N. C. AG zur S. I. AG, wechselte er als Vertriebskaufmann für das Auslandsgeschäft in die S. I.AG, Standort M..

Seine Schwerpunktländer waren hierbei Iran, Portugal, Jordanien, Pakistan, Syrien und Lybien.

Zu seinen Tätigkeiten gehörte die Erstellung von Angeboten und Verträgen vorwiegend komplexer Projekte, die kaufmännische Projektrealisierung und das Projektcontrolling. Er hatte bei seiner Tätigkeit häufig direkten Kundenkontakt.

Herr Sch. verfügt über ausgezeichnete betriebswirtschaftliche Kenntnisse, beherrscht die englische Sprache verhandlungssicher in Wort und Schrift und hat hervorragende PC-Kenntnisse.

Im vierten Quartal 2002 entschloss sich die Beklagte wegen starker Auftrags- und Umsatzrückgänge im Unternehmensbereich Information und Kommunikation Networks (ICN) zu einem erheblichen Personalabbau, von dem auch der Betrieb M. betroffen war. Die Beklagte vereinbarte mit dem Betriebsrat des Betriebs M. am 23.10.2002 einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In dem Interessenausgleich ist u. a. vorgesehen, dass insgesamt höchstens 1.100 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen werden und dass allen Arbeitnehmern, deren Kündigung beabsichtigt ist, zuvor der Übertritt in eine betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE) im Sinne von § 175 SGB III a. F. angeboten werden muss.

Der Kläger war bis 31.12.2002 im Unternehmensbereich ICN im Betrieb M. tätig. Am 14./30.12.2002 vereinbarten die Parteien eine Ergänzung zum Arbeitsvertrag. Danach tritt der Kläger ab 01.01.2003 in die beE ICN M. ein. In Ziffer 1 des Ergänzungsvertrages erklärt sich der Kläger damit einverstanden, dass Strukturkurzarbeit Null anfällt und eine darüber hinausgehende irgendwie geartete Beschäftigung nicht stattfindet. Nach Ziffer 2 der Vereinbarung ist der Kläger verpflichtet, an den innerhalb der beE angebotenen Fortbildungs-, Umschulungs- und Arbeitsvermittlungsmaßnahmen sowie sonstigen Angeboten und Veranstaltungen teilzunehmen. Dem Kläger wurde eine Verweildauer in der beE von 14 Monaten garantiert, wobei auch eine Verlängerungsmöglichkeit in Betracht kommen sollte (Ziffer 6 der Vereinbarung). Weiter weist die Beklagte den Kläger in der Vereinbarung darauf hin, dass die beE einen eigenen Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sowie des Betriebsverfassungsgesetzes darstelle, der nicht in die Standorte M. bzw. M.-P. integriert sei, und dass aus diesem Grunde im Falle einer betriebsbedingten Kündigung keine Sozialauswahl mit anderen S. Standorten stattfinden werde. Nach Ziffer 9 des Ergänzungsvertrages gelten die bisherigen Bestimmungen des Arbeitsverhältnisses unverändert fort, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Nach dem Eintritt in die beE bewarb sich der Kläger erfolglos für zahlreiche bei der Beklagten ausgeschriebene Stellen. Die Verweildauer des Klägers in der beE wurde einvernehmlich bis zum 31.08.2004 verlängert.

Mit Schreiben vom 26.01.2004 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.08.2004. Eine Betriebsratsanhörung fand nicht statt.

Der Kläger hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Er hat erstinstanzlich eine Übersicht über seine Bewerbungsaktivitäten vorgelegt und ist der Auffassung, dass er auf zahlreichen der genannten Stellen hätte weiterbeschäftigt werden können. Darüber hinaus hat er mit Schriftsatz vom 30.11.2004 weitere ausgeschriebene Stellen im kaufmännischen ÜT-Bereich aufgelistet, auf die er sich zwar nicht beworben hat, die er aber für ihn geeignet hält. In den erstinstanzlichen Schriftsätzen werden insgesamt 113 in Betracht kommende Stellen behandelt. Weiter ist der Kläger der Auffassung, die beE bilde keinen eigenständigen Betrieb. Daher habe die Beklagte die Sozialauswahl auf alle Arbeitnehmer des Betriebs M. erstrecken müssen und den dort bestehenden Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung hören müssen.

Dagegen ist die Beklagte der Auffassung, die Kündigung sei gerechtfertigt. Sie habe am 26.11.2003 entschieden, den Betrieb "beE G. Straße" schrittweise, spätestens aber mit dem Auslaufen des Strukturkurzarbeitergeldes zum 30.12.2004 stillzulegen und allen Arbeitnehmern unter Beachtung der jeweiligen Laufzeiten der Änderungsverträge zu kündigen. Dieses Vorgehen entspreche Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung vom 23.10.2002. Die beE sei ein eigenständiger Betrieb. Ihre Errichtung sei notwendige Voraussetzung für die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld nach § 216b SGB III n. F. Die Gewährung von Transferkurzarbeitergeld setze die Bildung einer beE voraus, in der alle Arbeitnehmer eines von Umstrukturierungsmaßnahmen betroffenen Betriebs zusammengeführt würden. Die beE verfolge einen eigenen arbeitstechnischen Zweck und habe eine eigenständige Arbeitsorganisation und Betriebsleitung. Deswegen habe die Sozialauswahl nicht auf die Arbeitnehmer im Betrieb H. erstreckt werden müssen. Aus dem gleichen Grund habe der dort bestehend Betriebsrat nicht angehört werden müssen.

Eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger bestehe nicht, da sie keine weitere beE errichtet habe und sich die arbeitsvertraglichen Pflichten des Klägers durch den Änderungsvertrag ausschließlich auf die Weiterqualifizierung und Vermittlung konkretisiert hätten. Andere freie Arbeitsplätze für den Kläger gebe es nicht und habe es nicht gegeben. Für die vom Kläger genannten Arbeitsplätze sei er nicht hinreichend qualifiziert gewesen. Es sei eine Einarbeitungszeit von mindestens neun Monaten notwendig gewesen. Dies sei ihr nicht zumutbar gewesen. Die Beklagte hat erstinstanzlich zu sämtlichen 113 Stellen, auf die sich der Kläger bezogen hat, Stellung genommen und ausgeführt, warum sie eine Weiterbeschäftigung des Klägers für unzumutbar hält.

Mit Endurteil vom 10.01.2006 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2004 nicht beendet worden sei. Es hat die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als kaufmännischen Angestellten zu unveränderten Bedingungen weiterzubeschäftigen. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung damit begründet, die Kündigung sei gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, da die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung den Betriebsrat des Betriebs M. hätte anhören müssen. Die beE bilde keinen eigenständigen Betrieb sondern sei Teil des Betriebs S. gegen der Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichts und des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Gegen dieses den Beklagtenvertretern am 24.01.2006 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 24.02.2006, die am 24.03.2006 begründet worden ist.

Nach Ansicht der Beklagten hat das Arbeitsgericht zu Unrecht angenommen, die Kündigung sei bereits auf Grund der fehlenden Anhörung des Betriebsrats M. unwirksam. Die beE stelle einen eigenständigen Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes dar. Dies sei in Ziffer 6.4 des Änderungsvertrages vom Dezember 2002 ausdrücklich und konstitutiv geregelt worden. Einer konstitutiven Feststellung dieses Umstandes stünden weder Sinn noch Wortlaut des Betriebsverfassungsgesetzes entgegen, denn durch die Regelung würden evtl. entstehende Streitigkeiten beseitigt und die Möglichkeiten zur Durchsetzung betriebsverfassungsrechtlicher Belange insbesondere der Arbeitnehmer verbessert. Außerdem erfülle die beE alle Kriterien des Betriebsbegriffes. Die Arbeitsmittel und die gesamte Organisation seien räumlich und inhaltlich völlig selbständig. Die personellen und sozialen Angelegenheiten würden ausschließlich innerhalb der beE geregelt. Etwas anderes ergebe sich entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts auch nicht aus der Gründung eines Beirats zur Kontrolle der beE. Die beE sei ein Ergebnis der Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen und deshalb habe dem Betriebsrat eine gewisse Kontrollmöglichkeit eingeräumt werden müssen. Die beE habe einen arbeitstechnischen Zweck verfolgt, der in der Vermittlung ehemaliger Arbeitnehmer in den ersten Arbeitsmarkt und der Schaffung der dafür notwendigen Voraussetzungen gelegen habe. Mit dem Übertritt in die beE sei der Kläger Arbeitnehmer dieses Betriebes geworden. Er habe keinerlei Pflichten mehr in Bezug auf den Produktionszweck des Betriebes Hofmannstraße gehabt.

Die Kündigung sei wegen dringender betrieblicher Erfordernisse sozial gerechtfertigt. Erstinstanzlich habe sie dargelegt, dass und warum der Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht bestanden habe und eine Sozialauswahl nicht erforderlich gewesen sei.

Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts bestehe auch kein Weiterbeschäftigungsanspruch. Dies gelte auch bei Unwirksamkeit der Kündigung. Durch den Änderungsvertrag habe sich der Kläger einvernehmlich und freiwillig von allen Arbeitspflichten entbinden lassen. Damit könne er sich nicht auf den Weiterbeschäftigungsanspruch berufen, der ihn vor dem unfreiwilligen Verlust der Beschäftigung schützen wolle. Außerdem könne ein Weiterbeschäftigungsanspruch nur im Rahmen der zuvor vom Kläger ausgeführten Tätigkeit bestehen. Dies sei über einen Zeitraum von beinahe zwei Jahren nur die eigene Qualifizierung und die Bemühung zur Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt gewesen. Auf die davor ausgeübten Tätigkeiten könne nicht abgestellt werden.

Die Beklagte stellt folgende Anträge:

I. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 10.01.2006, Az.: 21 Ca 2591/04 wird abgeändert.

II. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend. Der Betriebsrat des Betriebs Hofmannstraße hätte angehört werden müssen, da er jedenfalls nicht als Arbeitnehmer der beE zugeordnet worden sei. Er habe weder den arbeitstechnischen Zweck der beE verwirklicht, noch habe er einer für ein Arbeitsverhältnis typischen Weisungsbefugnis der Beklagten unterlegen. Er beruft sich auf die Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts, wonach zur Arbeitnehmereigenschaft im betriebsverfassungsrechtlichen Sinn der Einsatz zur Erfüllung des Betriebszwecks gehöre.

Auch nach Abschluss des Ergänzungsvertrags sei er Arbeitnehmer des Betriebs M. geblieben. Der Ergänzungsvertrag habe keine Änderung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung zum Betrieb H. bewirken können. Er habe ihn zwar von seiner Arbeitspflicht entbunden, das Arbeitsverhältnis habe aber unbefristet fortbestanden. Da das Arbeitsverhältnis nicht der beE zugeordnet werden könne, sei die Zuordnung zum Betrieb H. aufrechterhalten geblieben.

Es treffe auch nicht zu, dass personelle und soziale Angelegenheiten ausschließlich innerhalb der beE geregelt worden seien. Beispielsweise seien die Lohnabrechnung und Urlaubsverwaltung in der H. erfolgt.

Die Kündigung sei weiter sozialwidrig, da er hätte weiterbeschäftigt werden können und die Beklagte keine Sozialauswahl vorgenommen habe.

Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch bestehe, da keine besonderen Umstände vorlägen, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten begründen würden, ihn nicht weiterzubeschäftigen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 24.03.2006 und die Berufungserwiderung vom 21.04.2005 Bezug genommen, außerdem auf die Sitzungsniederschrift vom 29.06.2006.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, denn die Kündigung der Beklagten vom 26.01.2004 ist nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Die von der Beklagten geltend gemachten betrieblichen Erfordernisse sind nicht dringend, weil der Kläger auf mehreren freien Arbeitsplätzen hätte weiterbeschäftigt werden können. Deshalb kann dahinstehen, ob die Kündigung - wie vom Arbeitsgericht angenommen - nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG deshalb unwirksam ist, weil die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung den Betriebsrat H. nicht angehört hat. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung hat der Kläger einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

1. Eine betriebsbedingte Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen besteht. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist, auf einem anderen freien vergleichbaren Arbeitsplatz des Betriebs oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterzubeschäftigen. Diese Verpflichtung besteht auch, wenn der Arbeitnehmer den freien Arbeitsplatz nur nach einer für den Arbeitgeber zumutbaren Einarbeitung und Umschulung ausführen kann. Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch einer Beendigungskündigung von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz anbieten, auch zu geänderten Arbeitsbedingungen.

a) Die Verpflichtung der Beklagten zur Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen freien Arbeitsplatz im Unternehmen der Beklagten ist durch den Ergänzungsvertrag vom Dezember 2002 nicht aufgehoben worden (ebenso Urteil der 9. Kammer des LAG München vom 08.03.2006 - 9 Sa 667/05). Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten annimmt, dass durch die Ziffern 1 und 2 des Ergänzungsvertrags das Weisungsrecht der Beklagten eingeschränkt wurde, gilt dies nur für die Dauer der beE. Die Beklagte begründet ihre Kündigung damit, nach Ablauf der Verweildauer in der beE gebe es keine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger, also mit Umständen, die die Zeit nach dem Ablauf der beE betreffen. Für diese Zeit sind die Ziffern 1 und 2 der Ergänzungsvereinbarung nicht von Bedeutung. Aus Ziffer 9 der Ergänzungsvereinbarung ergibt sich nämlich, dass der bisherige Arbeitsvertrag

nicht abgelöst, sondern lediglich ergänzt wurde. Bei Beendigung der beE sollte das Arbeitsverhältnis mit dem vor Eintritt des Klägers in die beE geltenden Inhalt fortbestehen. Auch die zuvor bestehende Beschäftigungspflicht sollte wieder aufleben.

Mittelbar ergibt sich dies auch aus den Ziffern 6.3 der Ergänzungsvertrages sowie 5.1 des Sozialplans vom 23.10.2002. Dort kündigt die Beklagte zum Ablauf der Verweildauer in der beE eine betriebsbedingte Kündigung an. Damit wird davon ausgegangen, dass ohne eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses z.B. durch Kündigung die beiderseitigen arbeitsvertraglichen Pflichten fortbestehen.

Im Übrigen würde auch eine vertragliche Einschränkung des Direktionsrechts die Beklagte nicht von der Verpflichtung entbinden, den Kläger zu Bedingungen weiterzubeschäftigen, die nicht vertragsgemäß sind. Dies ergibt sich aus dem Vorrang der Änderungskündigung vor der Beendigungskündigung. § 2 KSchG ermöglicht eine Änderung des Arbeitsvertrags.

b) Die Beklagte hat nicht hinreichend dargelegt, dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich oder zumutbar war.

Der kündigende Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Kündigungsgründe. Dies gilt auch für die Dringlichkeit. Wenn der Arbeitgeber vorträgt, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, muss der Arbeitgeber unter Darlegung von Einzelheiten erläutern und im Streitfalle beweisen, aus welchen Gründen die Umsetzung auf einen konkreten freien Arbeitsplatz nicht möglich oder nicht zumutbar ist (APS-Kiel, 2. Aufl., Rn. 648 bis 650 zu § 1 KSchG mit weiteren Nachweisen). Jedenfalls bei drei vom Kläger aufgezeigten Stellen fehlt eine solche schlüssige Darlegung der Beklagten. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass sich die Obliegenheit der Beklagten zur Weiterbeschäftigung nicht auf die Suche nach solchen Stellen beschränkt, für die der Kläger die geeignetste und beste Besetzung gewesen wäre. Die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München (Urteil vom 12.01.2006 - 3 Sa 790/05) hat zu Recht ausgeführt, dass das Kündigungsschutzgesetz den Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung verpflichtet und diese Verpflichtung dem Bedürfnis nach einer Bestenauswahl vorgeht. Die Beklagte konnte also die Frage, ob ausgeschriebene Stellen mit dem Kläger besetzt werden können, nicht der jeweils ausschreibenden Organisationseinheit überlassen, die natürlich ein Interesse daran hatte, den besten Bewerber zu erhalten.

Bei den im Folgenden behandelten Stellen wird die Nummerierung aus den Schriftsätzen der Parteien übernommen.

41. Vertriebskaufmann (Jobnummer GER17199)

In der erstmals am 30.10.2003 veröffentlichten Stellenausschreibung wird ein Vertriebskaufmann/eine Vertriebskauffrau für die Aufgabe gesucht, Kunden vertriebskaufmännisch im Handelspartner- und Netzbetreibergeschäft BRD zu betreuen. Weitere Aufgaben sind die Auftragsbearbeitung mit SAP R/3 und alle damit im Zusammenhang stehenden Tätigkeiten, die Unterstützung der im Außendienst tätigen Mitarbeiter, das Forderungsmanagement, das Kostencontrolling, die Auswertung und Berichterstattung, die Liefersteuerung, die Mengenplanung sowie die Preispflege.

Die Beklagte begründet die von ihr angenommene fehlende Eignung des Klägers vor allem damit, der Kläger verfüge nicht über die erforderliche Ausbildung. Außerdem würden ihm die geforderten SAP-Kenntnisse und die Erfahrung mit der Auftragsbearbeitung in SAP R/3 fehlen. Er habe keine Berufserfahrung im Bereich der Kundenbetreuung des Handelpartner-/Netzbetreibergeschäfts und im Produktgeschäft. Trotz möglicher Vorkenntnisse des Klägers würde seine Einarbeitung mindestens zwölf Monate betragen.

Damit hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger nicht auf der Stelle hätte weiterbeschäftigt werden können. Er hat zwar keinen Hochschulabschluss, aber plausibel und ausführlich dargelegt, dass er durch seine Aus- und Weiterbildung Kenntnisse erworben hat, die ihn zur Erfüllung der Aufgaben befähigen. Unbestritten hat der Kläger einen Abschluss als Handelsfachwirt und die IHK-Ausbildereignungsprüfung bestanden. Die Beklagte hat auch nicht bestritten, dass der Kläger zahlreiche Qualifizierungsmaßnahmen wahrgenommen hat, die er im Schriftsatz vom 30.11.2004 im Einzelnen dargestellt hat. Schließlich wurde der Kläger im Jahr 2001 in den AT- und Mittleren Führungskreis aufgenommen und hatte von 1995 bis 2004 Handlungsvollmacht. Ohne näheres Eingehen der Beklagten auf die Aus- und Weiterbildung des Klägers und seine Entwicklung im Unternehmen ist davon auszugehen, dass seine Ausbildung der Übernahme der genannten Aufgaben nicht entgegensteht.

Auch die weiteren Einwände der Beklagten überzeugen nicht. Die Beklagte hat nur pauschal behauptet, dem Kläger würden die geforderten SAP-Kenntnisse und Erfahrungen mit der Auftragsbearbeitung in SAP R/3 fehlen. Sie ist aber nicht näher auf den Sachvortrag des Klägers eingegangen, wonach er über SAP-Kenntnisse verfüge. In der vom Kläger vorgelegten Auflistung von Qualifikationsmaßnahmen finden sich sechs SAP-Kurse, davon drei zu SAP R/2. Selbst wenn der Kläger bisher noch keine Auftragsbearbeitung in SAP R/3 gemacht hat, ist eine von der Beklagten angenommene Einarbeitungszeit von zwölf Monaten nicht nachvollziehbar. Bei belegten Kenntnissen in SAP R/2 ist selbst die vom Kläger angenommene Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten schon relativ lang bemessen. Wenn die Beklagte schließlich ausführt, der Kläger verfüge nicht über zwingend benötigte Erfahrungen im Bereich der Kundenbetreuung des Handelspartner-/Netzbetreibergeschäfts und im Produktgeschäft, so steht dies im Widerspruch zur Stellenausschreibung. Dort werden eine Berufserfahrung von fünf Jahren und Erfahrungen im Umgang mit Kunden vorausgesetzt, nicht aber Erfahrungen im auszuübenden Geschäft. Unbestritten verfügt der Kläger über die in der Stellenausschreibung geforderten Erfahrungen. Die Beklagte hat auch nicht näher zu der Behauptung des Klägers Stellung genommen, dass er Kenntnisse im Kostencontrolling habe, die in der elektronischen Personalakte dokumentiert seien. Für einen Vertriebskaufmann sind natürlich Kenntnisse der zu vertreibenden Produkte erforderlich. Kaum nachvollziehbar ist allerdings, wenn solche Kenntnisse schon als Einstellungsvoraussetzungen verlangt werden, denn dann kommen für die zu besetzende Stelle vor allem Personen in Betracht, die das Produkt schon einmal vertrieben haben. Abgesehen davon, dass es nicht viele solche Personen geben wird, ist ein Wechsel der Vertriebsmitarbeiter auch innerhalb des Unternehmens häufig wünschenswert.

Für die Sozialwidrigkeit der Kündigung ist es vorliegend letztlich unerheblich, ob die am 30.10.2003 erstmals ausgeschriebene Stelle zur Zeit der Kündigung am 26.01.2004 noch unbesetzt war. Eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigungsmöglichkeit besteht zwar grundsätzlich nur dann, wenn ein anderer Arbeitsplatz zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt ist. Eine sozialwidrige Kündigung liegt aber auch dann vor, wenn zwar zum Kündigungszeitpunkt keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer mehr bestand, der Arbeitgeber diesen Zustand aber selbst treuwidrig herbeigeführt hat (BAG vom 06.12.2001 - 2 AZR 695/00; APS-Kiel, aaO, Rn. 608 zu § 1 KSchG).

Wenn man hier zu Gunsten der Beklagten annimmt, die ausgeschriebene Stelle GER 17199 sei zur Zeit der Kündigung des Klägers bereits anderweitig besetzt gewesen, worauf sich die Beklagte allerdings nicht beruft, so ist die Kündigung gleichwohl sozialwidrig, denn die Nichtberücksichtigung des Klägers bei der Stellenbesetzung würde objektiv den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht gerecht. Dabei muss dieses Verhalten der Beklagten im vorliegenden Fall nicht als treuwidrig bezeichnet werden. Aus der Sicht der Beklagten war das Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger nicht erst zur Zeit der Kündigung weggefallen, sondern schon vor dem Eintritt des Klägers in die beE am 01.01.2003. Tatsächlich wurde der Kläger jedenfalls ab diesem Zeitpunkt von der Beklagten nicht mehr zu den Bedingungen seines früheren Arbeitsverhältnisses beschäftigt, sondern der Kläger erklärte sich im Dezember 2002 damit einverstanden, dass eine irgendwie geartete Beschäftigung nicht stattfindet. Während der Zugehörigkeit des Klägers zur beE wusste die Beklagte, dass sie das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger nach dem Ende der beE nur durch eine gerichtlich überprüfbare Kündigung beenden kann. In Ziffer 6.3 der Ergänzungsvereinbarung wird zwar eine betriebsbedingte Kündigung zum Ablauf der garantierten Verweildauer in der beE angekündigt. Andererseits ist auch geregelt, dass das Recht des Mitarbeiters, die Kündigung arbeitsgerichtlich überprüfen zu lassen, unberührt bleibt. Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes war die Beklagte schon vor dem Ablauf der beE verpflichtet, den Kläger auf einem geeigneten Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.

42. Vertriebskaufmann (Jobnummer GER17323)

Die Parteien tragen übereinstimmend vor, dass diese Stelle der Stellennummer 21 (Jobnummer 48909) entsprach. Gesucht wurde also ein Vertriebskaufmann/eine Vertriebskauffrau mit folgenden Aufgaben:

- Vertriebskaufmännische Aufgaben:

Gestaltung von Angebot und Angebotserstellung, Vorbereitung von Vertragsentwürfen im Vertriebsumfeld, Selbständige Vertragsvorbereitung und -verhandlung

- Kaufmännische Betreuung von Landesgesellschaften und Direktkunden

- Diverse vertriebliche Controllingaufgaben: Umsatz, Forderungen, Bestände, Kosten

- Sonderthemen: Prozessorientierte Aufgabenstellungen

Der Einwand der Beklagten, der Kläger verfüge nicht über die bevorzugte Stammhauslehre, steht nach Ansicht der Kammer einer Weiterbeschäftigung des Klägers auf dieser Stelle nicht entgegen. Durch seine kaufmännische Ausbildung, Qualifikationsmaßnahmen bei der Beklagten und seine bisherigen Tätigkeiten bei der Beklagten hat der Kläger Kenntnisse erworben und Erfahrungen gesammelt, die ihn in gleicher Weise wie einen Absolventen einer der Stammhauslehre zur Erfüllung der geforderten Aufgaben befähigen. Auf die Ausführungen zur Stellennummer 41 wird ergänzend Bezug genommen. Dies gilt auch für die Kenntnisse der Auftragsbearbeitung in SAP R/3. Zu den Erfahrungen hat der Kläger konkret vorgetragen, er habe zehn Jahre lang u. a. den kaufmännischen Angebotsteil erstellt, Verträge entworfen, modifiziert, beurteilt, analysiert und verhandelt. Seine vorhandenen MS-Access-Kenntnisse könnten innerhalb weniger Wochen intensiviert werden. Mit mehreren Landesgesellschaften habe er teilweise intensiven Geschäftskontakt gehabt. Hierauf geht die Beklagte nicht mehr näher ein und behauptet lediglich pauschal, der Kläger sei nicht in der Lage, die Angebots- und Auftragsentwicklung nach betriebswirtschaftlichen Aspekten zu analysieren.

102. Vertriebskaufmann/-frau Transportation Solution B. (Jobnummer GER20222)

Nach den übereinstimmenden Sachvortrag der Parteien wurde ein Mitarbeiter für kaufmännische Vertriebsaufgaben im Projekt- und Produktgeschäft für den Vertrieb Südeuropa gesucht (kaufmännische Angebots- und Auftragsbearbeitung; Controllingaufgaben; interne und externe Berichterstattung).

Die Beklagte führt aus, der Kläger verfüge in den heranzuziehenden Technologien MS-Office und SAP R/3 nur über Grundwissen, weshalb ein schnelles und eigenständiges Arbeiten nicht gewährleistet sei. Es sei eine Einarbeitungszeit von mindestens acht Monaten erforderlich. Dies ist schon im Hinblick auf die Qualifizierungsmaßnahmen, die der Kläger unbestritten wahrgenommen hat, nicht nachzuvollziehen. Selbst wenn der Kläger nur über Grundkenntnisse in den genannten Programmen verfügte, werden keine acht Monate benötigt, bis damit eigenständig gearbeitet werden kann. Abgesehen davon wäre der Beklagten eine Einarbeitungszeit von acht Monaten wohl zumutbar gewesen (siehe hierzu APS-Kiel, aaO, Rn. 619 ff zu § 1 KSchG). Die Kündigungsfrist des Klägers betrug schon sieben Monate.

Die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Klägers auf dieser Stelle kann nicht damit begründet werden, der Kläger besitze nicht die gewünschte interkulturelle Erfahrung. Dieser Sachvortrag ist nicht hinreichend konkret, denn die Beklagte geht nicht auf den Sachvortrag des Klägers ein, er habe von 1990 bis 2002 im Auslandsvertrieb mit Mitarbeitern und Kunden unterschiedlichster Nationalitäten und Kulturen zusammengearbeitet und sei u. a. sechs Monate in den USA gewesen.

2. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu Recht stattgegeben.

Zur Begründung wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Ein überwiegendes Interesse der Beklagten, den Kläger nicht weiterbeschäftigen zu müssen, besteht nicht. Insbesondere kann nicht angenommen werden, durch den Abschluss des Ergänzungsvertrags vom Dezember 2002 habe der Kläger freiwillig auf seine Beschäftigung verzichtet. Wie ausgeführt galten die Regelungen des Ergänzungsvertrags über die Einschränkung des Weisungsrechts und die Nichtbeschäftigung des Klägers nur für die Verweildauer des Klägers in der beE. Deshalb bezieht sich der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers nicht auf die nur für diese Verweildauer geltenden Tätigkeiten.

II.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO trägt die Beklagte die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.

III.

Dieses Urteil ist unanfechtbar, denn der Kläger ist nicht beschwert und ein Grund, für die Beklagte die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegt nicht vor. Auf § 72a ArbGG (Nichtzulassungsbeschwerde wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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