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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 14.06.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 1237/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1
KSchG § 15
Wird eine Arbeitnehmerin, deren bisheriger Arbeitsplatz weggefallen ist, für die Dauer des besonderen Kündigungsschutzes für Wahlbewerber gem. § 15 Abs.3 KSchG und der Kündigungsfrist nach einer im Anschluss an den genannten Schutzzeitraum ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung mit anderen als den bisherigen Aufgaben beschäftigt, steht dies dem für die Rechtswirksamkeit der Kündigung erforderlichen Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht entgegen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 1237/06

Verkündet am: 14. Juni 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter Oberrainer und Ammicht für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 25.10.2006 - 34 Ca 18731/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen ordentlichen Kündigung sowie um die von der Klägerin begehrte Weiterbeschäftigung bis zum Abschluss des Rechtsstreits.

Die Klägerin war vom 01.10.1973 bis 31.03.1999 bei der Beklagten beschäftigt und wurde ab 02.01.2001 erneut eingestellt und als Sekretärin des Gemeinschaftsbetriebsrats der Konzerngruppe O. am Standort H. beschäftigt gemäß Arbeitsvertrag vom 28.02.2000, der keine Anrechnung der Vordienstzeit vorsieht. Der Gemeinschaftsbetriebsrat trat am 07.04.2005 zurück, weil das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20.10.2003 - 7 ABR 18/03 - festgestellt hatte, dass die Unternehmen der Konzerngruppe keinen Gemeinschaftsbetriebsrat zu bilden hatten. Nachfolgend kam es bei 10 Konzernunternehmen zu außerplanmäßigen Betriebsratswahlen und zur Wahl eines jeweils eigenen Betriebsrats. Die Klägerin, die Wahlbewerberin bei der Wahl zum Betriebsrat der Beklagten am 09.05.2005 war, jedoch nicht gewählt wurde, wurde zuletzt - während des nachwirkenden Kündigungsschutzes als Wahlbewerberin und während der Kündigungsfrist - als Sekretärin zweier Betriebsratsgremien von Unternehmen der Unternehmensgruppe O. beschäftigt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach Anhörung des Betriebsrats, der der beabsichtigten Kündigung mit Schreiben vom 24.11.2005 "widersprach", mit Schreiben vom selben Tage zum Ablauf des 28.02.2006.

Gegen diese Kündigung wendet sich die Klägerin, die geltend macht, ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen und die Sozialauswahl sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Auch sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden.

Die Beklagte bringt demgegenüber vor, der bisherige Arbeitsplatz der Klägerin sei wegen Auflösung des Gemeinschaftsbetriebsrats weggefallen. Die Klägerin sei lediglich aufgrund des Sonderkündigungsschutzes als Wahlbewerberin bis zum Ablauf dieses Schutzes und der Kündigungsfrist als Sekretärin zweier Betriebsratsgremien der Gruppe "zwischenbeschäftigt" worden. Deshalb sei eine Sozialauswahl nicht durchzuführen gewesen, abgesehen davon, dass die beiden Arbeitnehmerinnen, die in der Abteilung Personalabrechnung eine Tätigkeit ausführten, die auch der Klägerin während des ersten Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten oblag, nicht mit der Klägerin vergleichbar und aufgrund ihrer Sozialdaten sozial schwächer als diese seien.

Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 25.10.2006 - 34 Ca 18731/05 -, auf das hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der Einzelheiten der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, die Klage abgewiesen, weil der Arbeitsplatz der Klägerin durch die Auflösung des Gemeinschaftsbetriebsrats weggefallen sei, deren Einsatz als Sekretärin zweier bei anderen Gesellschaften gebildeter Betriebsratsgremien lediglich eine Zwischenbeschäftigung gewesen sei, die dem Wegfall ihres Arbeitsplatzes nicht entgegen stehe, weil die Klägerin nicht mit den von ihr genannten Arbeitnehmerinnen in der Abteilung Personalabrechnung vergleichbar und die Betriebsratsanhörung nicht zu beanstanden sei.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 22.11.2006 zugestellte Endurteil vom 25.10.2006 mit einem am 24.11.2006 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Frist mit einem am 22.02.2007 per Fax eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach sie als Sekretärin zweier Betriebsratsgremien der Unternehmensgruppe nicht lediglich "zwischenbeschäftigt" worden sei. Diese Betriebsräte hätten Anspruch auf eine Sekretärin und dies auch gegenüber der Geschäftsleitung geltend gemacht. Auch sei die Tätigkeit der Klägerin nicht weggefallen, weil die Dienstleistung für andere Unternehmen durch die Beklagte "systemimmanent" sei. Die Klägerin verlange nicht Schaffung eines Arbeitsplatzes, sondern Fortsetzung ihrer zuletzt ausgeübten Tätigkeit. Sie meint, die Auffassung de Arbeitsgerichts, dass die zwei Kolleginnen in der Personalrechnung nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen seien, selbst wenn die Klägerin im früheren Arbeitsverhältnis bei der Beklagten genau dieselbe Tätigkeit ausführen gehabt habe, sei "singulär". Vor allem sei, wenn - nach Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts - eine Sozialauswahl nicht durchzuführen gewesen sei, das Nachschieben sozialer Auswahlgesichtspunkte durch die Beklagte unzulässig.

Die Klägerin beantragt deshalb:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 25. Oktober 206, Az. 34 Ca 18731/05 wird abgeändert.

II. Es wird nach den Schlussanträgen der Kläger I. Instanz erkannt.

Die Beklagte beantragt

kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

Sie hält daran fest, dass die Klägerin während ihres Sonderkündigungsschutzes und der Kündigungsfrist lediglich "zwischenbeschäftigt" worden sei. Eine Zusicherung der Beklagten, als "Springersekretärin" für Einzelbetriebsräte der Unternehmensgruppe tätig werden zu dürfen, bestehe nicht. Die Beklagte habe insoweit auch keinen Vertrauenstatbestand geschaffen. Sie weist darauf hin, die Klägerin habe im ersten Rechtszug noch vorgetragen, die anderen Betriebsratsgremien hätten keine Betriebsratssekretärin verlangt. Damit sei der jetzige Vortrag der Klägerin nicht zu vereinbaren. Der Betriebsratsvorsitzende der B. GmbH habe erst nach Ablauf der Kündigungsfrist beim Betriebsleiter H. nachgefragt, ob es generell möglich sei, dem Betriebsrat stundenweise eine Schreibkraft zur Verfügung zu stellen. Es sei jedoch weder eine verbindliche schriftliche Anfrage hierzu noch ein Beschluss des Betriebsrats vorgelegt worden. Der Betriebsleiter habe die Gestellung einer Mitarbeiterin des Vertriebs bei Bedarf im angemessenen Umfang zugesichert. Hierzu sei es jedoch nicht mehr gekommen, weil der Betriebsrat auf dieses Angebot bis heute nicht zurückgekommen sei, sondern seine Büroarbeiten wieder selbst erledige. Ebenso wenig sei Büropersonal durch andere Betriebsratsgremien der Gruppe eingefordert worden. Die Beklagte meint, jedes einzelne Betriebsratsgremium hätte den Anspruch getrennt geltend machen müssen. Die Aufgabe der Beklagten umfasse nicht die Gestellung einer Betriebsratssekretärin für die einzelnen Betriebsräte des Konzerns am Standort H.. Dies obliege alleine der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten. Eine konkrete Mitteilung an die Einzelbetriebsräte, der Arbeitsplatz der Klägerin falle weg, sei nicht erforderlich.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag, demzufolge eine Sozialauswahl entbehrlich ist und im Übrigen die von der Klägerin genannten Arbeitnehmerinnen weder mit dieser vergleichbar noch im Verhältnis zu ihr sozial stärker sind. Die Beklagte meint schließlich, sie sei nicht durch § 102 BetrVG gehindert, sich auf die größere Schutzbedürftigkeit dieser anderen Arbeitnehmerinnen zu berufen, zumal die Klägerin die Beweislast für Auswahlfehler trage. Abgesehen davon seien dem Betriebsratsvorsitzenden F. in seiner Eigenschaft als EDV-Operator alle Sozialdaten bekannt gewesen.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 22.02.2007 und der Beklagten vom 30.04.2007 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 14.06.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist ungegründet.

1. Das Erstgericht ist mit zutreffender, überzeugender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kündigung vom 25.11.2005 wirksam ist. Insoweit wird zunächst gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Ergänzend hierzu wird - vor allem zu den mit der Berufung vorgebrachten Angriffen - ausgeführt:

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der bisherige Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen. Die Klägerin war nicht als Sekretärin für verschiedene Klein-Betriebsratsgremien tätig, sondern als Sekretärin eines elfköpfigen Gemeinschaftsbetriebsrats. Dieser existiert nicht mehr. Auch im Arbeitsvertrag kommt - in § 1 Abs. 1 - zum Ausdruck, dass die Klägerin Sekretärin "des" Betriebsrats bei O., mithin als Sekretärin des in der Unternehmensgruppe gebildeten einzigen Betriebsrats, tätig war.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist diese zuletzt als Sekretärin zweier Betriebsratsgremien der Unternehmensgruppe lediglich "zwischenbeschäftigt" worden. Dies ergibt sich daraus, dass sie während des Bestehens des Sonderkündigungsschutzes als Wahlbewerberin gemäß § 15 KSchG und nachfolgend während der Kündigungsfrist beschäftigt werden musste - die Klägerin hatte, solange das Arbeitsverhältnis bestand, einen Beschäftigungsanspruch - und dass ihr bisheriger Arbeitsplatz als Sekretärin des Gemeinschaftsbetriebsrats weggefallen war. Bei einer solchen Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die bisherige Tätigkeit unmöglich geworden ist, kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass die nunmehr zugewiesene - zwangsläufig andersartige - Arbeit dem Wegfall der (bisherigen) Beschäftigungsmöglichkeit entgegensteht. Bei dieser Sachlage kann vorliegend auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte einen Arbeitsplatz einer "Springersekretärin" der Betriebsratsgremien der Unternehmensgruppe eingerichtet hätte, der von der Klägerin zu besetzen wäre. Vielmehr müsste insoweit eine entsprechende unternehmerische Entscheidung erkennbar sein, einen solchen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag der Beklagten keine entsprechende Zusage gegenüber der Klägerin gemacht wurde. Soweit diese im Berufungsverfahren vorgetragen hat, die Betriebsratsgremien hätten den Anspruch auf eine Sekretärin gegenüber der Geschäftsleitung geltend gemacht, ist zum einen nicht ersichtlich, warum welcher Betriebsrat Anspruch auf eine Sekretariatskraft in welchem zeitlichen Umfang hat. Zum anderen ist nicht konkret nachvollziehbar, welches Mitglied welchen Betriebsratsgremiums wann in welcher Form gegenüber welcher Geschäftsleitung die Zurverfügungstellung einer Sekretariatskraft geltend gemacht hätte. Die Klägerin hat insoweit schlicht eine "Behauptung ins Blaue" aufgestellt. Damit ist der Wegfall des Arbeitsplatzes der Klägerin nicht substantiiert bestritten.

2. Zu Recht hat die Beklagte darauf hingewiesen, sie sei nicht verpflichtet, einen neuen Arbeitsplatz zur Ermöglichung der Weiterbeschäftigung der Klägerin zu schaffen.

3. Die Sozialauswahl ist schon deshalb nicht zu bestanden, weil die beiden von der Klägerin genannten Arbeitnehmerinnen - so sie denn vergleichbar wären, wie nicht - sozial schwächer sind als die Klägerin. Dies gilt auch in Bezug auf die Arbeitnehmerin S., die im Gegensatz zur Klägerin und ihrer Kollegin Sch. nicht verheiratet, sondern ledig ist. Denn diese Kollegin ist von den drei seitens der Klägerin für vergleichbar gehaltenen Arbeitnehmerinnen diejenige mit dem höchsten Lebensalterunterschied (11 Jahre) zur Klägerin und mit dem größten Unterschied bei der Dauer der Unternehmenszugehörigkeit seit Neueinstellung der Klägerin. Für die Anrechnung der Vordienstzeit der Klägerin bei der Beklagten bis 31.03.1999 ist keine Rechtgrundlage ersichtlich (zur Anrechnung von Vordienstzeiten vgl. BAG vom 02.06.2005 - 2 AZR 480/04).

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich die Beklagte im Kündigungsschutzprozess auf die Fehlerfreiheit der Sozialauswahl berufen, obwohl sie in der Betriebsratsanhörung und auch noch während des Kündigungsschutzprozesses "an sich" der Auffassung war, eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen. Denn dem Arbeitgeber obliegt bei der betriebsbedingten Kündigung nicht die Durchführung eines Auswahlverfahrens in dem Sinne, dass die Kündigung mangels Vornahme einer sozialen Auswahlentscheidung zwangsläufig rechtsunwirksam wäre. Die Kündigung scheitert also nicht auf der Ebene der Sozialauswahl, wenn sich - ungeachtet der Nichtdurchführung eines Auswahlverfahrens durch den Arbeitgeber - objektiv ergibt, dass die gekündigte Person im Verhältnis zu den vergleichbaren Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen die sozial Stärkste ist (vgl. zu dieser Problematik KR-Etzel, 7. Aufl., § 1 Rn. 687; vgl. auch BAG vom 15.07.2004 - 2 AZR 376/04 -, wo sich das Gericht mit der Ordnungsmäßigkeit der Sozialauswahl auseinandersetzt, obwohl der Arbeitgeber nach Auffassung des Gerichts nach dem Grundsatz der subjektiven Determination nicht verpflichtet war, dem Betriebsrat die Sozialdaten anderer Arbeitnehmerinnen mitzuteilen, weil er der für den Betriebsrat erkennbaren Auffassung war, diese Mitarbeiterinnen seien mit der zu kündigenden Arbeitnehmerin nicht vergleichbar).

4. Schließlich scheitert die Kündigung nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG an einer unzureichenden Betriebsratsanhörung. Diese ist auch in Bezug auf die Sozialauswahl nicht zu beanstanden, weil die Beklagte, die der Auffassung war, es gebe keine vergleichbaren Arbeitnehmer, dem Betriebsrat keine Sozialdaten anderer Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter mitteilen musste (vgl. BAG, a.a.O.).

5. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

6. Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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