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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 02.07.2008
Aktenzeichen: 3 Sa 186/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305
BGB § 305 c
BGB § 307
1. Das Entstehen einer betrieblichen Übung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber die Leistung, auf die sich die Übung bezieht, bei einzelnen Arbeitnehmern vertraglich "absichert".

2. Besteht eine betriebliche Übung dahin, dass der Arbeitgeber an ausscheidende Arbeitnehmer eine Ausgleichszahlung als Kompensation für eine nicht vorhandene betriebliche Altersversorgung zahlt, müssen Einschränkunge bzw. "negative Tatbetandsvoraussetzungen" in Bezug auf diese Übung, die für die Arbeitnehmer nicht erkennbar sind, vom Arbeitgeber in derselben Weise, wie dies für das Entstehen einer betrieblichen Übung erforderlich ist, der Belegschaft bekanntgegeben worden sein. Dies gilt z. B. in Bezug auf die Anrechnung tarifvertraglicher Abfindungen, die bei Ausscheiden aufgrund von Altersteilzeitverteinbarungen zum Ausgleich für Rentennachteile gewährt werden.

3. Schafft der Arbeitgeber eine betriebliche Regelung betreffend eine zusätzliche Arbeitgeberleistung in Textform und gibt er diese Regelung auf Betriebsversammlungen bekannt, spricht dies für den Willen, diese Leistung nach den selbstgesetzten Regeln in Zukunft zu gewähren. Die Arbeitnehmer können deshalb in einem solchen Fall von einem Rechtsbindungswillen des Arbeitgebers ausgehen. 4. Eine umfassende Abgeltungsklausel, die angesichts der äußeren Vertragsgestaltung leicht überlesen werden kann, ist nach § 305 c Abs.1 BGB unwirksam.


Landesarbeitsgericht München

URTEIL

3 Sa 186/08

Verkündet am: 02.07.2008

In dem Rechtsstreit

erlässt die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 5. Juni 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder und die ehrenamtlichen Richter Christian Kastner und Katharina Faßnacht

im Namen des Volkes folgendes

Urteil:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 08.11.2007 - 3 Ca 209/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um einen vom Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf eine sogenannte Ausgleichszahlung wegen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis aufgrund einer betrieblichen Übung.

Der am 18.08.1943 geborene Kläger war vom 28.09.1972 bis 31.08.2006 bei der Beklagten als Arbeitnehmer beschäftigt. Am 25.01.2003 vereinbarten die Parteien einen Altersteilzeitvertrag nach dem Blockmodell, demzufolge die Arbeitsphase vom 01.03.2003 bis zum 30.11.2004 und die Freistellungsphase vom 01.12.2004 bis zum 31.08.2006 dauern sollte. In § 3, 3. Absatz des genannten Altersteilzeitvertrages ist - ohne drucktechnische Hervorhebung - unter der fettgedruckten Überschrift "Abfindung" ausgeführt, dass mit dem Abschluss dieser Vereinbarung und der ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bestehenden und beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten sind.

Am 14.01.2003/25.01.2003 schlossen die Parteien eine "Ergänzende Vereinbarung zum Altersteilzeitvertrag vom 10.12.2002", in deren Ziffer 2 geregelt ist, dass der Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG, § 3 Nr. 9 EStG und auf der Grundlage des § 10 des Tarifvertrages über Altersteilzeit vom 22.09.2000 (im Folgenden: TV ATZ) eine Abfindung in Höhe von Euro 9.288,00 brutto zum Austrittstermin abgerechnet erhält. In Ziffer 3 der Ergänzenden Vereinbarung ist - wiederum ohne drucktechnische Hervorhebung - geregelt, dass mit dem Abschluss dieser Vereinbarung und der ordnungsgemäßen Abrechnung des Arbeitsverhältnisses alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bestehenden und beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten sind.

Die Beklagte schuf unter dem 25.07.1990 eine "Ausgleichsregelung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 63. Lebensjahr" sowie unter dem 02.04.1992 eine "Ausgleichsregelung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Vollendung des 63. Lebensjahres" mit folgenden Inhalten:

a) Regelung vom 25. Juli 1990

Ausgleichsregelung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor dem 63. Lebensjahr

1. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen dem 60. und 63. Lebensjahr wegen Bezug einer Rente (Erwerbsunfähigkeit, Berufsunfähigkeit bzw. vorgezogenes Altersruhegeld Schwerbehinderter) wird für jeden Differenzmonat zwischen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und Vollendung des 63. Lebensjahres eine Ausgleichszahlung in Höhe von DM 500 / Monat gezahlt.

2. Der Höchstbetrag für die Ausgleichzahlung beträgt DM 18.000.

3. Der Ausgleichbetrag wird unabhängig von einer eventuellen Wiederbesetzung des Arbeitsplatzes gezahlt.

4. Falls steuerrechtlich die Möglichkeit besteht, im Rahmen von Personalanpassungsmaßnahmen den Ausgleichsbetrag steuerfrei zu gewähren, erfolgt steuerfreie Auszahlung gemäß § 3, Abs. 9 EStG.

5. Eine Arbeitslosenmeldung im Zusammenhang mit dieser Ausgleichszahlung darf nicht erfolgen (Regresswirkung § 128 AFG).

6. Die Ausgleichszahlung erfolgt nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge unbefristeten Rentenbezugs.

7. Bei Renteneintritt zwischen dem 55. und dem 60. Lebensjahr erfolgt ebenfalls die Höchstzahlung in Höhe von DM 18.000.

8. Voraussetzung für eine Ausgleichszahlung ist eine mindestens 15jährige Betriebszugehörigkeit.

9. Falls im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung anderweitige Vereinbarungen getroffen werden, ist diese Regelung gegenstandslos.

10. Es besteht Einvernehmen, dass "Altfälle" von dieser Ausgleichszahlung nicht betroffen werden.

b) Regelung vom 02. April 1992

Ausgleichsregelung wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Vollendung des 63. Lebensjahres

1. Betriebszugehörigkeit mindestens 15 Jahre

2. Sockelbetrag DM 6.000,00 netto

3. Steigerungsbetrag für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit > 15 Jahr DM 1.200,00 max. bis 25 Jahre DM 18.000,00 netto

4. Jubiläumsregelung bleibt unabhängig von dieser Ausgleichsregelung bestehen

5. Steuerfreiheit der Ausgleichszahlung

Die Ausgleichszahlung erfolgt im Rahmen eines Auflösungsvertrages

6. Austritt vor Vollendung des 63. Lebensjahres

Die Regelungen hinsichtlich Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Bezug einer Rente etc. (siehe Entwurf vom 25.07.1990) bleiben nach wie vor bestehen, jedoch gilt zwischen dem 60. und 63. Lebensjahr die jeweils gültige Regelung gemäß nachstehender Tabelle

 AlterMax. Ausgleich DM15 Jahre Betriebszugehörig. DM20 Jahre Betriebszugehörig. DM25 Jahre Betriebszugehörig. DM
6018.00018.000+ 0+ 0
61 12.000+ 0+ 6.000
62 6.000+ 6.000+12.000
63 6.00012.00018.000
64 6.00012.00018.000
65 6.00012.00018.000

Mit diesen Regelungen begegnete die Beklagte dem Druck des Betriebsrats, der die Einführung einer betrieblichen Altersversorgung gefordert hatte. Die Regelung wurde wiederholt auf Betriebsversammlungen vom ehemaligen Personalleiter der Beklagten und von Betriebsratsmitgliedern erläutert.

Unstreitig haben im Zeitraum zwischen 1990 und 2002 ca. 100 ausscheidende Arbeitnehmer von der Beklagten Abfindungszahlungen erhalten, wobei der Rechtsgrund dieser Zahlungen zwischen den Parteien streitig ist. In den Jahren 1990 bis 1999 sind nach einer von der Beklagten in einem anderen Verfahren vorgelegten Liste lediglich fünf Arbeitnehmer ohne Abfindung ausgeschieden.

Der Kläger erhielt bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 31.08.2006 die in der "Ergänzenden Vereinbarung zum Altersteilzeitvertrag vom 10.12.2002", zu Ziffer 2., genannte Abfindung auf der Grundlage von § 10 des TV ATZ vom 22.09.2000 in Höhe von Euro 9.288,00 brutto. Die vom Kläger darüber hinaus geltend gemachte Ausgleichszahlung nach der betrieblichen Regelung lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug vorgebracht, die Ausgleichsregelungen 1990 und 1992 seien als Regelungsabrede mit dem Betriebsrat anzusehen, die Ausgleichsregelung sei seit 1992 unverändert bis zum Ausscheiden des damaligen Personalchefs der Beklagten praktiziert worden. Allein im Zeitraum 1990 bis 1999 hätten 107 Arbeitnehmer eine entsprechende Abfindungszahlung auf der Grundlage der betrieblichen Regelung erhalten. In den Jahren 1992 bis 2004 seien es weit mehr als die von der Beklagten aufgeführten 96 Mitarbeiter gewesen. Somit habe eine betriebliche Übung dahingehend bestanden, dass Mitarbeiter, die bei Ausscheiden das 63. Lebensjahr vollendet haben und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 25 Jahren aufweisen, eine Ausgleichszahlung in Höhe von insgesamt DM 18.000,00 = Euro 9.203,25 erhalten. Der Kläger hat weiter vorgetragen, die Voraussetzungen für die Ausgleichszahlung nach der Ausgleichsregelung vom 02.04.1992 lägen vor. Es mache keinen Unterschied, ob der Mitarbeiter aufgrund eines Auflösungsvertrages oder in sonstiger Weise ausscheide.

Der Kläger hat ferner vorgebracht, der geltend gemachte Anspruch entfalle nicht deshalb, weil er eine Abfindung nach dem TV ATZ erhalten habe. Denn diese Zahlung sei ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und kompensiere die Differenz zwischen Arbeitsentgelt und anschließender Rentenzahlung. Die Ausgleichszahlung nach der betrieblichen Regelung stelle dagegen einen Ausgleich für die nicht vorhandene betriebliche Altersversorgung dar; dies ergebe sich schon aus Ziffer 9 der Ausgleichsregelung vom 25.07.1990, wonach die gesamte Regelung gegenstandslos werden solle, falls im Rahmen einer betrieblichen Altersversorgung anderweitige Vereinbarungen getroffen werden. Somit seien dieses Regelungen als eine Kompensation für eine nicht bestehende betriebliche Altersversorgung gedacht gewesen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte handele rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf die Abgeltungsklausel gemäß der "Ergänzenden Vereinbarung" vom 25.01.2003 berufe.

Er hat im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagte zur Zahlung von Euro 9.203,25 nebst fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 01.09.2006 zu verurteilen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat vorgetragen, eine Regelungsabrede bestehe mangels einer entsprechenden Annahmeerklärung des Betriebsrats nicht. Auch eine Gesamtzusage scheide wegen des Fehlens einer Verpflichtungserklärung gegenüber den Arbeitnehmern aus. Eine betriebliche Übung sei nicht entstanden, weil die Beklagte zwar in einigen Fällen mit ausscheidenden Mitarbeitern Abfindungsregelungen getroffen und in der Vergangenheit auch an ausscheidende Mitarbeiter Abfindungen gezahlt habe, obwohl diese die vom Kläger genannten Voraussetzungen nicht erfüllt hätten, weil es aber andererseits eine Vielzahl von Fällen gebe, bei denen aufgrund individueller Vereinbarung die Abfindungshöhe sowohl nach oben als auch nach unten von der vom Kläger genannten "Regelungsabrede" abgewichen worden sei und weil vor allem im Zeitraum von 1990 bis 2004 insgesamt 96 Arbeitnehmer ausgeschieden seien, die keine Zahlung nach der Ausgleichsregelung erhalten hätten. Eine Vielzahl dieser Mitarbeiter hätten zwar Abfindungszahlungen erhalten, jedoch nicht auf Basis der Ausgleichsregelung, sondern aus anderen Gründen. Auch habe kein Arbeitnehmer im gesamten Zeitraum eine Abfindung aus dieser Ausgleichsregelung erhalten, wenn er bereits aufgrund anderer Verpflichtungen seitens der Beklagten oder aufgrund individueller Vereinbarung eine vergleichbare Zahlung habe beanspruchen können. Somit liege ein gleichartiges Verhalten des Arbeitgebers in gleichgelagerten Fällen nicht vor.

Die Beklagte hat auch vorgetragen, die in Ziffer 5 der Ausgleichsregelung vom 02.04.1992 genannte Tatbestandsvoraussetzung des "Auflösungsvertrages" liege im Falle des Klägers nicht vor, weil dieser aufgrund eines Altersteilzeitvertrages ausgeschieden sei.

Die Beklagte hat des Weiteren darauf verwiesen, der ehemalige Personalleiter habe bei seiner Zeugenvernehmung in dem vom Kläger angeführten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Augsburg (6 Ca 4416/02) ausgesagt, die Regelung sei so praktiziert worden, allerdings nicht als Ersatz für eine Altersversorgung. Es habe keine Betriebsvereinbarung gegeben, sondern es sei eine Regelung im Einzelfall gewesen, Mitarbeitern das frühere Ausscheiden zu erleichtern. Die Beklagte hat daraus gefolgert, die Ausgleichszahlung sei kein Ersatz für eine nicht vorhandene betriebliche Altersversorgung, zumal auf eine solche kein Anspruch bestehe und auch der Betriebsrat eine Altersversorgungsregelung hinsichtlich des "Ob" nicht durchsetzen könne.

Die Beklagte hat im Übrigen darauf verwiesen, die Parteien hätten die "Ergänzende Vereinbarung zum Altersteilzeitvertrag" gerade deshalb getroffen, weil Doppelansprüche auf Abfindung gemäß § 10 TV ATZ und nach der betrieblichen Ausgleichsregelung ausgeschlossen werden sollten. Beide Zahlungen verfolgten den gleichen Zweck, nämlich die Belohnung der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Schließlich hat die Beklagte vorgebracht, der geltend gemachte Anspruch sei aufgrund der in der "Ergänzenden Vereinbarung zum Altersteilzeitvertrag" enthaltenen Ausgleichsquittung ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat mit Endurteil vom 08.11.2007, auf das hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien im Übrigen sowie der Einzelheiten der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, der Klage vollumfänglich stattgegeben, weil der geltend gemachte Anspruch auf einer betrieblichen Übung beruhe. Die Ausgleichsregelungen vom 25.07.1990 und 02.04.1992 seien eindeutig und klar und belegten eine entsprechende betriebliche Übung ausreichend; rechtserhebliche Einwendungen der Beklagten seien nicht ersichtlich und auch nicht ausreichend vorgetragen. Die an den Kläger gemäß § 10 TV ATZ gezahlte Abfindung verfolge einen anderen Zweck als die betriebliche Ausgleichsregelung. Während die tarifliche Leistung mögliche Rentennachteile bei vorzeitigem Ausscheiden ausgleichen wolle, ziele die betriebliche Ausgleichszahlung auf die Kompensation einer fehlenden betrieblichen Altersversorgung ab. Doppelansprüche seien somit nicht ersichtlich. Die Beklagte könne sich nicht auf die im Altersteilzeitvertrag enthaltene Abgeltungsklausel berufen, weil diese der Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 BGB mangels hinreichender Bestimmtheit nicht standhalte.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 08.02.2008 zugestellte Endurteil vom 08.11.2007 mit einem am 28.02.2008 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 15.04.2008 innerhalb verlängerter Frist eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie bleibt dabei, dass eine betriebliche Übung der vom Kläger behaupteten Art nicht entstanden sei. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 14.09.2005 - 5 Sa 308/05 - habe keine Rechtswirkungen auf das vorliegende Verfahren, weil sie einen anderen Sachverhalt betroffen habe.

Die Beklagte wiederholt ihren erstinstanzlichen Vortrag, wonach ein gleichartiges, regelmäßiges und wiederholt praktiziertes Verhalten des Arbeitgebers nicht vorliege, weil die Beklagte in keinem einzigen Fall zusätzlich zu einer sich aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergebenden Abfindungszahlung Ausgleichszahlungen aufgrund der Regelungen vom 02.04.1992 oder 25.07.1990 geleistet habe. Von 96 ausscheidenden Arbeitnehmern im fraglichen Zeitraum hätten 75 Abfindungszahlungen aus anderen Gründen erhalten, nämlich 61 Arbeitnehmer aufgrund einer Regelung gemäß Art. 56 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und 15 weitere Arbeitnehmer aufgrund des TV ATZ. Weitere Zahlungen, insbesondere aufgrund der angeblichen betrieblichen Regelungen, habe die Beklagte diesen Arbeitnehmern nicht gezahlt.

Die Beklagte weist ferner, ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholend, auf die identischen Zwecke der Leistungen gemäß den genannten betrieblichen Regelungen einerseits und dem TV ATZ hin, ferner auf den Anspruchsausschluss wegen Unterzeichnung der Ausgleichsquittung in der "Ergänzenden Vereinbarung".

Sie beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 08.11.2007 abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und weist in Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags insbesondere darauf hin, dass die streitige betriebliche Übung gerichtsbekannt und auch vom Landesarbeitsgericht München in der Entscheidung vom 14.09.2005 - 5 Sa 308/05 - bestätigt worden sei. Die Beklagte habe sich an dieses landesarbeitsgerichtliche Urteil gehalten. Streitig sei allenfalls, ob eine negative Tatbestandsvoraussetzung dahingehend bestehe, dass ein Mitarbeiter zur Erlangung der betrieblichen Ausgleichszahlung keine Altersteilzeit-Vereinbarung abgeschlossen habe müsse; hierfür habe die Beklagte jedoch keinen Beweis erbracht. Eine solche Differenzierung wäre dem Kläger zufolge unzulässig wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 17 TV ATZ.

Der Kläger hält auch daran fest, dass die Abfindung gemäß TV ATZ und die betriebliche Ausgleichszahlung unterschiedliche Zwecke verfolgten.

Nach wie vor ist der Kläger der Auffassung, dass die Ausgleichsquittungen in der Altersteilzeitvereinbarung und der "Ergänzenden Vereinbarung" irrelevant seien.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 14.04.2008 und des Klägers vom 20.05.2008 verwiesen. Ferner wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05.06.2008 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass eine betriebliche Übung dahingehend besteht, dass ältere Arbeitnehmer, die ab Vollendung des 63. Lebensjahres ausscheiden, nach der betrieblichen Ausgleichsregelung vom 02.04.1992 eine Ausgleichszahlung erhalten, die nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit DM 18.000,00 = Euro 9.203,25 (brutto) beträgt. Denn die Beklagte hat regelmäßig ein Verhalten wiederholt, aus dem die Arbeitnehmer schließen konnten, die Beklagte werde bei Vorliegen der in der Ausgleichsregelung vom 25.07.1990 bzw. 02.04.1992 genannten Voraussetzungen eine Ausgleichszahlung in der dort genannten Höhe erbringen. Damit sind aufgrund einer regelmäßig stillschweigend anzunehmenden Annahmeerklärung der Arbeitnehmer (§ 151 BGB) - und auch des Klägers - entsprechende vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen entstanden (vgl. z. B. BAG 20.11.1990 - 1 AZR 643/89; BAG 27.06.1985 - 6 AZR 392/81; BAGE 23, 213, 217 ff.).

1. Aus der Sicht der Arbeitnehmer war im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers von einem Rechtsbindungswillen der Beklagten auszugehen, auf unbestimmte Zeit eine betriebliche Ausgleichszahlung aufgrund der Ausgleichsregelungen der Jahre 1990 und 1992 zu erbringen:

a) Die genannten Ausgleichsregelungen (Anlagen K 1 und K 2) - sind von der Arbeitgeberin selbst erstellt worden. Sie sind als abstrakt-generelle, "normative" Regelung formuliert.

b) Vor allem aber sind diese Regelungen unstreitig in Betriebsversammlungen erörtert, bekanntgemacht und erläutert worden, ohne dass von der Beklagten in der Betriebsöffentlichkeit auf irgendeine Weise bekannt gemacht worden wäre, es bestünden für die betrieblichen Ausgleichszahlungen gemäß diesen Ausgleichsregelungen irgendwelche Einschränkungen oder Vorbehalte über deren Inhalte bzw. tatbestandliche Voraussetzungen hinaus. Dass in diesen Verlautbarungen im Rahmen von Betriebsversammlungen keine rechtsverbindlichen Zusagen an einzelne Arbeitnehmer, an Arbeitnehmergruppen oder - in Form einer Gesamtzusage - an alle Beschäftigten gemacht wurden, kann unterstellt werden, ohne dass dadurch eine betriebliche Übung ausschiede. Denn für eine solche Übung ist es gerade kennzeichnend, dass keine ausdrückliche Zusage einer Arbeitgeberleistung erfolgt.

c) Unstreitig hat die Beklagte in den Jahren von 1990 bis 2002 in ca. 100 Fällen Abfindungen an ausscheidende Arbeitnehmer gezahlt, nach dem Vortrag der Beklagten jedoch nicht aufgrund der genannten betrieblichen Regelungen, sondern in 61 Fällen aufgrund Art. 56 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, in 15 weiteren Fällen aufgrund des TV ATZ und im Übrigen auf der Grundlage von Einzelvereinbarungen mit den jeweiligen ausscheidenden Mitarbeitern. Die Beklagte hat des Weiteren den Vortrag des Klägers, sie habe in dem Verfahren, das mit dem Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 14.09.2005 - 5 Sa 308/05 - abgeschlossen worden ist, eine Liste vorgelegt, aus der sich ergebe, dass 107 Arbeitnehmer in den Jahren 1990 bis 1999 beim Ausscheiden eine Abfindung erhielte und nur fünf Arbeitnehmer ohne Abfindung ausschieden, nicht bestritten. Sie hat allerdings, wie ausgeführt wurde, den vom Kläger behaupteten Rechtsgrund dieser Zahlungen in Abrede gestellt und - bereits im ersten Rechtszug - darauf hingewiesen, es sei zwar zutreffend, dass auch Mitarbeiter eine Abfindung von der Beklagten erhalten hätten, welche die von der Klägerseite behaupteten Voraussetzungen erfüllten, davon gebe es jedoch eine Vielzahl von Fällen, bei denen aufgrund individueller Vereinbarung die Abfindungshöhe sowohl nach oben als auch nach unten von der vom Kläger angegebenen Regelung abgewichen sei.

Daraus ergibt sich, dass auch nach dem Vortrag der Beklagten diese jedenfalls in den Jahren 1990 bis 1999, aber auch noch danach, in einer Vielzahl von Fällen an ausscheidende Arbeitnehmer Abfindungen gezahlt hat. Die Beklagte hat sich auch nicht konkret dahin eingelassen, dass in den vom Kläger genannten 107 Fällen - und ggf. in wie viel Fällen - die Voraussetzungen für Ausgleichszahlungen nach den genannten betrieblichen Regelungen nicht bestanden. Es ist somit davon auszugehen, dass in diesen Fällen die ausscheidenden Arbeitnehmer die Voraussetzungen für eine Ausgleichszahlung nach den betrieblichen Regelungen erfüllten.

d) Dies ergibt sich bei unbefangener Betrachtung auch aus der von der Beklagten zitierten Aussage des im Verfahren 6 Ca 4416/02 vor dem Arbeitsgericht Augsburg vernommenen früheren Personalleiter der Beklagten, die Regelung sei so praktiziert worden, allerdings nicht als Ersatz für eine Altersversorgung. Dasselbe ergibt sich aus den vom Landesarbeitsgericht München im Urteil vom 14.09.2005 - 5 Sa 308/05 - wiedergegebenen Zeugenaussagen. Die Beklagte hat nicht vorgebracht, dass der Inhalt der dort zitierten Aussagen falsch wiedergegeben sei. Wenn es, wie die Beklagte behauptet, keinen einzigen Fall gibt, in welchem zusätzlich zu einer sich aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergebenden Abfindungszahlung Ausgleichszahlungen aufgrund der Regelungen vom 02.04.1992 oder 25.07.1990 geleistet wurden, ist kaum verständlich, warum diese überhaupt geschaffen und insbesondere in Betriebsversammlungen vorgestellt wurden. Eine Erklärung für ein solch merkwürdiges Verhalten ist die Beklagte schuldig geblieben. Wenn die Beklagte darauf hinweist, dass der ehemalige Personalleiter bei der erwähnten Zeugeneinvernahme ausgesagt habe, es sei eine Regelung im Einzelfall gewesen, Mitarbeitern das frühere Ausscheiden zu erleichtern, und wenn sie einräumt, in einigen Fällen mit ausscheidenden Mitarbeitern solche Regelungen getroffen zu haben, schließt dies das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht aus, denn eine auf gleichförmiges Verhalten gestützte Übung wird nicht dadurch entwertet, dass der Arbeitgeber, aus welchen Gründen auch immer, für die Leistung, die Gegenstand der betrieblichen Übung ist, in Einzelfällen eine ausdrücklich formulierte Anspruchsgrundlage in Form einer Individualvereinbarung schafft. Das Landesarbeitsgericht München hat bereits im Urteil vom 14.09.2005 - 5 Sa 308/05 - ausgeführt, es sei nicht von Bedeutung, dass die Ausgleichsregelung noch zum Inhalt einer individuellen Aufhebungsvereinbarung gemacht worden sei, weil dort die jeweils geltenden Regelungen angewandt worden seien. Das Entstehen einer betrieblichen Übung ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Arbeitgeber die Leistung, auf die sich die Übung bezieht, bei einzelnen Arbeitnehmern einzelvertraglich "absichert".

e) Gerade hiervon ist jedoch auszugehen, auch wenn in einer unbekannten Zahl von Fällen die Zahlung "aufgestockt" und in einer ebenso unbekannten Zahl von Fällen die Höhe der Zahlung abgesenkt worden ist. Mangels einer näheren Darstellung der Zahl und der Art dieser Abweichungsfälle ist davon auszugehen, dass jedenfalls in einer Vielzahl von Fällen in den Jahren 1990 bis 2002 und darüber hinaus an ausscheidende Mitarbeiter der Beklagten, die die Voraussetzungen der genannten betrieblichen Regelungen erfüllten, Ausgleichszahlungen geleistet wurden, die hinsichtlich ihrer Höhe jedenfalls in etwa den in diesen betrieblichen Regelungen festgelegten und der Belegschaft bekannt gemachten Beträgen entsprachen.

f) Wenn die Beklagte - entgegen der von ihr selbst zitierten Zeugenaussage des ehemaligen Personalleiters - die Ausgleichszahlungen nicht aufgrund der "praktizierten" betrieblichen Regelung geleistet haben will, sondern auf der Basis anderer Rechtsgrundlagen, ändert diese Darstellung am Entstehen der vom Kläger behaupteten betrieblichen Übung nichts. Denn entscheidend ist nicht, welche rechtliche Grundlage bzw. Konstruktion die Beklagte anwenden wollte, sondern wie ihr Verhalten aus der Sicht der Arbeitnehmer zu bewerten war. Dass die Beklagte aber gegenüber der Belegschaft verlautbart hätte, sie wolle Ausgleichszahlungen an ausscheidende Arbeitnehmer nicht mehr entsprechend den von ihr selbst erstellten und bekannt gemachten Regelungen, sondern aus ganz anderen Rechtsgründen zahlen, ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich. Die Beklagte muss sich somit an der im Betrieb bekannt gegebenen Regelung (Anlagen K 1, K 2) und der Zahlung von Leistungen bei Ausscheiden von Mitarbeitern festhalten lassen, weil dadurch der Eindruck entstanden ist bzw. entstehen musste, die genannten Regelungen würden tatsächlich als betriebliche Regelungen durchgeführt.

2. Es ist unerheblich, dass der Kläger - im Gegensatz zu dem der Entscheidung des Landsarbeitsgerichts München vom 14.09.2005 (5 Sa 308/05) zugrunde liegenden Fall - nicht unmittelbar wegen des Bezugs einer Altersrente ausgeschieden ist, sondern aufgrund der Vereinbarung eines Altersteilzeitverhältnisses.

a) Denn es ist nach dem Inhalt der genannten betrieblichen Ausgleichsregelungen unerheblich, ob Arbeitnehmer unmittelbar in die gesetzliche Rente wechseln oder nach Abschluss eines Altersteilzeitvertrages. Dem Kläger ist darin beizupflichten, dass der Nichtabschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nach dem Inhalt der betrieblichen Regelungen keine (negative) Tatbestandsvoraussetzung für die Ausgleichszahlung ist. Dieser Inhalt ist eindeutig. Die von der Beklagten behauptete Einschränkung war, geht man vom Vortrag der Beklagten aus, für die Arbeitnehmer nicht erkennbar. Sie ist allenfalls eine Mentalreservation der Beklagten geblieben. Auch wenn es bei der Beklagten außer dem Kläger keinen einzigen Fall gegeben hätte, in dem an einen aufgrund eines Altersteilzeitvertrages ausscheidenden Arbeitnehmer erklärtermaßen eine Ausgleichszahlung nach der betrieblichen Regelung geleistet wurde, kann sich der Kläger mangels Verlautbarung einer negativen Tatbestandsvoraussetzung der genannten Art auf die von ihm vorgetragene betriebliche Übung berufen.

b) Die Beklagte kann in diesem Zusammenhang auch nicht damit gehört werden, der Kläger sei, anders als in Ziffer 5 der Ausgleichsregelung vom 02.04.1992 festgelegt, nicht aufgrund eines "Auflösungsvertrages" ausgeschieden. Denn sowohl der Altersteilzeitvertrag vom 25.01.2003 als auch die "Ergänzende Vereinbarung" enthalten Aufhebungsvereinbarungen. Dies ergibt sich zum einen aus § 4 des Altersteilzeitvertrages, der auf den TV ATZ und somit auch auf dessen § 15 (Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses) verweist, und zum anderen aus Ziffer 1 der "Ergänzenden Vereinbarung". Entscheidend ist nicht die Bezeichnung der Vereinbarung, sondern ihr Inhalt. Somit kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Kläger "im Rahmen eines Auflösungsvertrages" ausgeschieden ist.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird der Anspruch des Klägers nicht dadurch ausgeschlossen, dass er eine Abfindung nach dem TV ATZ erhalten hat. Eine Anrechnung der einen Leistung auf die andere findet nicht statt. Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

a) Denn zum einen enthält weder die betriebliche Ausgleichsregelung vom 25.07.1990 noch die entsprechende Regelung vom 02.04.1992 eine solche Einschränkung. Zum anderen dienen die tarifvertragliche Abfindung einerseits und die betriebliche Ausgleichszahlung andererseits unterschiedlichen Zwecken. Zwar ist nach der Regelung vom 02.04.1992 die Ausgleichszahlung bei den 60- bis 63-Jährigen umso höher, je früher das Ausscheiden stattfindet; dies könnte dafür sprechen, dass auch die betriebliche Ausgleichszahlung eine Entschädigung für das vorgezogene Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis und den damit verbundenen Rentenverlust ist. Dem steht jedoch entgegen, dass jedenfalls bei den Arbeitnehmern, die nach Vollendung des 63. Lebensjahres ausscheiden, eine weitere Verringerung der betrieblichen Ausgleichszahlung nicht mehr stattfindet. Bei diesen Mitarbeitern bleibt die Ausgleichsleistung vielmehr - auf der Grundlage der jeweils zurückgelegten Betriebszugehörigkeitsdauer - gleich hoch. Wäre die Ausgleichszahlung bei den 63-Jährigen und älteren Arbeitnehmern eine Kompensation für die Rentennachteile, müsste sie je nach dem Alter bei Ausscheiden absinken.

b) Gegen die Annahme, die tarifliche Abfindungszahlung und die betriebliche Ausgleichzahlung beträfen denselben Regelungszweck, spricht auch die Entstehungsgeschichte der betrieblichen Regelung. Die Beklagte ist dem Vortrag des Klägers, diese Regelung sei geschaffen worden, um Forderungen des Betriebsrats nach einer betrieblichen Altersversorgung zu begegnen, nicht entgegengetreten. Sie hat lediglich ausgeführt, weder der Betriebsrat noch die Arbeitnehmer könnten eine betriebliche Altersversorgungsregelung erzwingen bzw. beanspruchen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Beklagte, um vor solchen Forderungen "ihre Ruhe zu haben", die betriebliche Ausgleichsregelung in die Welt gesetzt hat. Wenn sie nun der Auffassung ist, die betriebliche Ausgleichsregelung stelle keine Kompensation für eine fehlende betriebliche Altersversorgung dar, mag dies insoweit korrekt sein, als eine solche Verknüpfung weder dem Wortlaut der Ausgleichsregelungen zu entnehmen ist, noch von der Beklagten ausdrücklich verlautbart sein mag. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass dann, wenn eine betriebliche Konstellation der genannten Art vorliegt, derzufolge der Arbeitgeber als taktische Antwort auf Forderungen aus der Belegschaft nach Einführung einer betrieblichen Altersversorgung eine Regelung über eine Ausgleichszahlung bei Ausscheiden auch nach Vollendung des 63. Lebensjahres schafft, diese Ausgleichsregelung nicht primär dem Ausgleich von Rentennachteilen wegen vorzeitigen Ausscheidens dient. Davon ist zu Recht auch das Landesarbeitsgericht München in der Entscheidung vom 14.09.2005 (5 Sa 308/05) ausgegangen.

c) Nach allem stellt der Vortrag der Beklagten, die betriebliche Ausgleichszahlung diene - ebenso wie die tarifliche Abfindungszahlung - allein dem Zweck, Rentennachteile wegen vorzeitigen Ausscheidens zu kompensieren, eine nicht durch entsprechende Tatsachen gestützte Pauschalbehauptung dar, die den vom Kläger vorgetragenen Zweck der betrieblichen Ausgleichszahlung nicht zu erschüttern vermag.

4. Die Beklagte kann sich nicht auf die Abgeltungsklauseln im Altersteilzeitvertrag und der "Ergänzenden Vereinbarung" berufen. Denn diese Klauseln halten der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen nicht stand. Das Berufungsgericht folgt insoweit dem Arbeitsgericht im Ergebnis, aber nicht in der Begründung.

a) Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren nicht in Abrede gestellt hat, dass die Abgeltungsklauseln gemäß § 3 des Altersteilzeitvertrages und Ziffer 3 der "Ergänzenden Vereinbarung" Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB darstellen, war nicht zu prüfen, ob es sich hier um solche vorformulierte und von der Beklagten gestellte Vertragsbedingungen handelt, die für eine Vielzahl von Verträgen gelten sollen. Für eine solche Annahme sprechen im Übrigen Erscheinungsbild und Inhalt der genannten Verträge (z. B. BAG 01.03.2006 - 5 AZR 363/05).

b) Die genannten Abgeltungsklauseln sind zwar nicht unbestimmt, aber überraschend im Sinne von § 305 c Abs. 1 BGB.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. BAG 16.04.2008 - 7 AZR 132/07; BAG 14.08.2007 - 8 AZR 973/06; BAG 08.08.2007 -7 AZR 605/06; BAG 27.07.2005 - 7 AZR 443/04; BAG 23.02.2005 - 4 AZR 139/04; BAG 06.08.2003 - 7 AZR 9/03) sind Vertragsklauseln dann überraschend, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Ihnen muss ein "Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt" innewohnen. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere das äußere Erscheinungsbild des Vertrages. Auch die Unterbringung einer Klausel an einer unerwarteten Stelle im Text kann sie als überraschende Klausel erscheinen lassen. Das Überraschungsmoment ist umso eher zu bejahen, je belastender die Bestimmung ist. Im Einzelfall muss der Verwender darauf besonders hinweisen oder die Klausel drucktechnisch hervorheben.

bb) Alle diese Voraussetzungen einer Überraschungsklausel sind vorliegend gegeben. Die Beklagte hat sowohl die Abgeltungsklausel in § 3 des Altersteilzeitvertrages als auch in Ziffer 3 der "Ergänzenden Vereinbarung" versteckt.

Dies gilt insbesondere für § 3 des Altersteilzeitvertrages. Dort wird die Aufmerksamkeit des Lesers durch die fettgedruckte Überschrift "Abfindung" auf die für den Arbeitnehmer positive Tatsache einer Abfindungszahlung gelenkt. Diese Abfindungszahlung wird im zweiten Absatz des § 3 näher erläutert. Nach dieser sehr plakativen Überschrift und der Darstellung der Abfindungsregelung erwartet der Leser schlechterdings nicht, dass ihm im nachfolgenden Vertragstext eine Abgeltungsklausel angesonnen wird. Vielmehr wird der Leser - gleich ob juristischer Laie bzw. im Erfassen von Vertragstexten unerfahren oder ob juristisch vorgebildet und im Umgang mit Vertragstexten geübt - typischerweise geneigt sein, den Text des § 3 nicht mit der gebührenden Sorgfalt und Konzentration zu erfassen, zumal die fettgedruckte Überschrift "Abfindung" suggeriert, es finde sich im nachfolgenden Text lediglich eine Abfindungsregelung. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird auf den Regelungspunkt "Abfindung" gelenkt und vom Regelungspunkt "Ausgleichsquittung" abgelenkt. Dies bewirkt in aller Deutlichkeit den vom Bundesarbeitsgericht angesprochenen Überrumpelungs- und Übertölpelungseffekt.

Angesichts der Gefährlichkeit der genannten Klausel für den vertragsschließenden Arbeitnehmer - potenzieller Verzicht auf Ansprüche - und ihre gegenständlichen Reichweite, die darin besteht, dass nicht nur einzelne, sondern alle gegenseitigen Ansprüche aus dem bestehenden und beendeten Arbeitsverhältnis abgegolten sein sollen, hätte sie drucktechnisch deutlich hervorgehoben werden müssen, sei es durch Aufnahme in einen eigenen Vertragsparagraphen oder auf sonstige Weise. Alles in allem lädt das äußere Erscheinungsbild des Altersteilzeitvertrages geradezu zum Überlesen der Abgeltungsklausel ein.

Dasselbe gilt in Bezug auf die in Ziffer 3 der "Ergänzenden Vereinbarung" enthaltenen Abgeltungsklausel. Auch diese Vereinbarung lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers zunächst auf die Beendigungsabrede und sodann auf die Abfindung. Irgendein Hinweis darauf, dass in der letzten Ziffer der "Ergänzenden Vereinbarung" ein allumfassender Anspruchsverzicht enthalten ist erfolgt nicht, weder durch eine Überschrift noch durch eine drucktechnische Hervorhebung oder eine Einrahmung, auch nicht durch Fettdruck oder einen sonstigen "optischen Stolperstein". Auch hier wird der Vertragspartner des Verwenders, insbesondere wenn er wie der Kläger nicht juristisch vorgebildet ist, dadurch eingelullt, dass die für ihn nachteilige Klausel an eine günstige Bestimmung angehängt wird.

c) Nach allem ist die Abgeltungsklausel nicht Vertragsbestandteil geworden.

Die Geltendmachung des Anspruchs auf Ausgleichszahlung gemäß betrieblicher Übung ist nicht vertraglich ausgeschlossen.

5. Die Höhe des Anspruchs ist unstreitig.

6. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

7. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Im Einzelnen gilt:

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten Revision einlegen.

Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.



Ende der Entscheidung

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