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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 10.03.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 727/04
Rechtsgebiete: NachwG, TVG, BGB


Vorschriften:

NachwG § 2 Abs. 1 Nr. 10
NachwG § 4
TVG § 8
BGB § 242
BGB § 249
BGB § 284
BGB § 286
1. Wird ein gewerblicher Arbeitnehmer von einem Straßenbauunternehmen seit rund 18 Jahren beschäftigt, wobei die Zeiten der Beschäftigung jeweils von ca. Dezember bis ca. April des Folgejahres nach Ausspruch einer entsprechenden Arbeitgeberkündigung unterbrochen wurden, ist das Arbeitsverhältnis trotz der Unterbrechungen in Bezug auf die Nachweispflicht des Arbeitgebers nach dem NachwG wie ein ununterbrochenes Arbeitsverhältnis zu behandeln, das gem. § 4 NachwG bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestanden hat.

2. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Aushändigung einer Urkunde im Sinne von § 2 NachwG besteht in solchen Fällen nur, wenn der Arbeitnehmer dies gem. § 4 Satz 1 NachwG verlangt hat.

3. Ein Arbeitgeber, der die ihm obliegende Nachweispflicht nicht erfüllt, haftet dem Arbeitnehmer gem. §§ 286, 284, 249 BGB auf Schadensersatz. Der Schaden kann auch in einem Anspruchsverlust bestehen, der deshalb eingetreten ist, weil der Arbeitnehmer aus Unkenntnis eines auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Tarifvertrags eine tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht eingehalten hat (vgl. BAG v.17.04.2002 - 5 AZR 89/01).

4. Die Berufung des Arbeitgebers auf eine tarifvertragliche Ausschlusssfrist ist nicht allein deshalb treuwidrig, weil dieser weder seiner Verpflichtung zur Aushändigung einer Niederschrift nach § 2 Abs.1 NachwG noch der Pflicht zur Bekanntgabe des Tarifvertrags nach § 8 TVG nachgekommen ist (BAG v.05.11.2003 - 5 AZR 676/02; BAG v.23.01.2002 - 4 AZR 56/01).


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 727/04

Verkündet am: 10.03.2005

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter F. Thomsen und R. Greil für Recht erkannt:

Tenor: Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 02.03.2004 - 4 Ca 319/03 Tr - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um vom Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachte Ansprüche auf restliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Der Kläger war seit 1984 bei der Beklagten, die Straßenbauarbeiten und hierbei überwiegend Fahrbahnmarkierungen ausführt, als Kolonnenführer einer Markiererkolonne beschäftigt. Dabei wurden die Beschäftigungszeiten jeweils von ca. Dezember bis ca. April nach entsprechenden Arbeitgeberkündigungen unterbrochen. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag der Parteien besteht nicht. Zwischen den Parteien ist streitig, wie sich die Vergütung des Klägers errechnet. Der Kläger war wegen eines Arbeitsunfalls ab 03.08.2002 länger als 6 Wochen infolge Krankheit arbeitsunfähig. Die Beklagte zahlte ihm für "Krankstunden" im August 2002 2.285,23 € brutto und im September 2002 1.202,75 € brutto. Sie ging dabei von einer Grundvergütung für 180 Regelarbeitsstunden pro Monat zu je 14,15 € brutto und einer Überstundenvergütung für jede weiter anfallende monatliche Überstunde in Höhe von 17,69 € brutto aus und zog unter Berufung auf § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG die von ihr so genannten "saisonbedingten Überstunden" sowie die von ihr gezahlten Auslösen nicht zur Berechnung der Höhe des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts heran. Der Kläger forderte demgegenüber mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 18.11.2002 die Beklagte zur Fortzahlung der dem Kläger zustehenden "Akkordvergütung" für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit auf. Nachdem die Beklagte dies mit Schreiben vom 21.11.2002 ablehnte, wiederholte der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 22.01.2003 sein Begehren auf Nachzahlung restlicher Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf der Basis der ihm ausgezahlten durchschnittlichen Vergütung der Monate April bis Juli 2002 in Höhe von rund 4.100,-- € monatlich.

Mit der am 28.04.2003 beim Arbeitsgericht eingegangen und am 10.05.2003 der Beklagten zugestellten Klage vom 23.04.2003 hat der Kläger die behaupteten Ansprüche auf restliche Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für August und September 2002 weiter verfolgt. Er hat im ersten Rechtszug beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 3.151,96 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und zur Begründung vorgebracht, gemäß § 4 Abs. 1a Satz 1 EFZG seien die "saisonbedingten Überstunden" ebenso wie die Auslösen nicht zur Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts heranzuziehen. Auch seien die geltend gemachten Ansprüche gemäß § 15 BRTV-Bau verfallen.

Das Arbeitsgericht Rosenheim hat mit Endurteil vom 02.03.2004, auf das hinsichtlich des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im einzelnen und der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Ansprüche des Klägers seien wegen der Ausschlussfrist des § 15 BRTV-Bau verfallen; der Kläger habe jedenfalls die zweite Stufe der Ausschlussfristregelung nach § 15 Abs. 2 BRTV-Bau versäumt, weil er seine Ansprüche nicht innerhalb von 2 Wochen nach der Ablehnung der Beklagten im Schreiben vom 21.11.2002, sondern erst mit der Klage vom 23.04.2003 gerichtlich geltend gemacht habe. Die Berufung auf diese Ausschlussfrist sei nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen, auch wenn die Beklagte ihrer Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 NachwG zur Aushändigung einer Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen und einem schriftlichen Hinweis auf den anzuwendenden Tarifvertrag nicht nachgekommen sei. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Nachweispflicht nach §§ 286 Abs. 1, 284 Abs. 2, 249 BGB berufen, weil den Kläger jedenfalls ein wesentliches Mitverschulden treffe. Ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 223 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 NachwG bestehe nicht, weil letztgenannte Bestimmung kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei.

Der Kläger hat gegen das ihm am 27.05.2004 zugestellte Endurteil vom 02.03.2004 am 06.08.2004 (Faxeingang) Berufung eingelegt und diese - nach Fristverlängerung bis 09.08.2004 - am 06.08.2004 (Schriftsatzeingang) begründet.

Er bringt vor, das Arbeitsgericht sei zu unrecht von einem Mitverschulden des Klägers an der Verursachung des Schadens durch Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist ausgegangen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichts sei ihm kein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten gemäß §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB zuzurechnen, weil ein Hinweis auf den Tarifvertrag erstmals mit Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 11.02.2003 erfolgt sei, also nach Ablauf sämtlicher Ausschlussfristen. Verursacher des Schadens bei Verletzung der Hinweispflicht aus dem NachwG sei und bleibe die Beklagte. Nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts treffe den Beklagten eine Schadensersatzpflicht nach § 286 Abs. 1 BGB, weil er sich mit der Aushändigung der Niederschrift gemäß § 2 Abs. 1 NachwG in Verzug befunden habe.

Der Kläger beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 02.03.2004, Aktenzeichen 4 Ca 319/03 Tr wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.151,96 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der erstinstanzlichen Klage zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie trägt unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils und die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts vor, die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen müsse beim anwaltlichen Vertreter des Klägers als Rechtskenntnis vorausgesetzt werden. Eine Unkenntnis sei dem Kläger nach § 278 BGB zuzurechnen. Auch sei zu berücksichtigen, dass zwischen den Prozessparteien eine langjährige arbeitsvertragliche Beziehung bestanden habe, die seit langem von der Anwendung des BRTV-Bau geprägt sei. Der Kläger habe seit Rückkehr zur Stundenentlohnung vor etwa 8 Jahren und seit Inkrafttreten des NachwG keine Forderung auf Niederlegung der wesentlichen Vertragsbedingungen in einem Nachweis nach § 2 Abs. 1 NachwG erhoben. Der Kläger könne nicht die Berufung der Beklagten auf die tarifliche Ausschlussfrist als unredlich darstellen, wenn er seinerseits in der Vergangenheit kein Interesse an den normativen Elementen seines Arbeitsverhältnisses gehabt habe.

Hinsichtlich des sonstigen Vorbringens der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 05.08.2004 und 19.11.2004, des Beklagten vom 20.09.2004 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 17.02.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Ansprüche des Klägers aufgrund der Ausschlussfristregelung des allgemeinverbindlichen § 15 BRTV-Bau verfallen sind, weil jedenfalls die zweite Stufe der Ausschlussfrist gemäß § 15 Nr. 2 BRTV-Bau - Erfordernis der gerichtlichen Geltendmachung innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung des Anspruchs durch die Beklagte mit Schreiben vom 21.11.2002 - nicht gewahrt ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Das Berufungsgericht folgt dem Erstgericht auch darin, dass die Berufung der Beklagten auf die Ausschlussfrist nicht treuwidrig wäre, selbst wenn sie der Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 NachwG zur Aushändigung einer Niederschrift mit den wesentlichen Vertragsbedingungen einschließlich eines schriftlichen Hinweises auf den anzuwendenden Tarifvertrag (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG) nicht nachgekommen wäre (BAG vom 17.04.2002 - 5 AZR 89/01 - und vom 05.11.2003 - 5 AZR 676/02).

Abgesehen davon ist die Berufung auf die Ausschlussfrist auch nicht dann treuwidrig, wenn die Beklagte den Tarifvertrag entgegen § 8 TVG nicht im Betrieb ausgelegt hätte, weil der Zweck von § 8 TVG die Ermöglichung der Kenntnisnahme von Tarifverträgen ist und nicht zu verhindern, dass der Arbeitnehmer wegen seiner Unkenntnis Vermögensnachteile erleidet (BAG vom 23.01.2002 - 4 AZR 56/01).

Schließlich folgt das Berufungsgericht dem Erstgericht darin, dass eine schadensersatzrechtliche Grundlage für die geltend gemachten Ansprüche nicht besteht.

Zwar erscheint der Ansatz des Klägers zutreffend, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gemäß §§ 286, 284, 249 BGB auf Schadensersatz haftet, wenn er seine Nachweispflichten nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des Klägers - und anscheinend auch des Erstgerichts - hat die Beklagte jedoch gegen ihre Verpflichtung aus § 2 Abs.1 NachwG nicht verstoßen. Denn trotz der rechtlichen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses in den Wintermonaten ist die Beschäftigung des Klägers bei der Beklagten wie ein unbefristetes Dauerarbeitsverhältnis zu behandeln, weil ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen den rechtlich unterbrochenen Arbeitsverhältnissen bestand und besteht (vgl. BAG vom 18.01.1979 - 2 AZR 254/77). Entsprechend den Gepflogenheiten in der Baubranche ist die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses in der Winterpause im Falle der Wiedereinstellung zu Beginn der "Bausaison" nicht als endgültige Lösung der Parteien vom Arbeitsverhältnis zu werten, sondern - untechnisch gesprochen - lediglich als eine Art Ruhen, weil die Beschäftigung mit der bisherigen Art der Tätigkeit und zu den gleichen allgemeinen Arbeitsbedingungen - in der Regel ohne Aushandeln eines neuen Arbeitsvertrages - fortgesetzt wird. Deshalb ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auch als Dauerarbeitsverhältnis anzusehen, das gemäß § 4 NachwG bereits bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bestanden hat. Die Beklagte traf demnach nicht die Pflicht aus § 2 Abs. 1 NachwG, die voraussetzt, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes begründet worden ist. Eine Nachweispflicht hätte die Beklagte nur verletzt, wenn der Kläger gemäß § 4 Satz 1 NachwG die Aushändigung einer Niederschrift im Sinne von § 2 NachwG von der Beklagten verlangt hätte. Dies ist jedoch nicht geschehen.

Somit scheidet mangels einer Pflichtverletzung der Beklagten ein Anspruch des Klägers auf Ersatz des Schadens, der ihm durch die Versäumung der tarifvertraglichen Ausschlussfrist aus Unkenntnis der tariflichen Ausschlussfristregelung entstanden ist, aus. Ein etwaiges Mitverschulden des Klägers kann dahinstehen. Die Kammer neigt jedoch dazu, ein solches Mitverschulden mit der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung nicht anzunehmen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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