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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 867/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305
BGB § 305 c
1. Es stellt eine überraschende Klausel im Sinne von § 305 c Abs.1 BGB dar, wenn in einem Arbeitsvertrag, der in die Form eines Briefs des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer gekleidet ist und die Unterschrift beider Vertragsparteien enthält, nach einer fett gedruckten Betreffzeile mit dem Wortlaut "Ihre Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis" im zweiten Absatz des Schreibens im dritten Satz - nach Festlegung einer Probezeit von sechs Monaten und einer Kündigungsmöglichkeit "des Probearbeitsverhältnisses" mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende - die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf der Probezeit (vorbehaltlich einer Verlängerungsvereinbarung spätestens 14 Tage vor Fristablauf) geregelt ist, und wenn diese Klausel nicht durch Fettdruck oder sonstige drucktechnische Gestaltung hervorgehoben ist.

2. Der Überraschungseffekt kann sich auch aus dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags ergeben (im Anschluss an BAG 27.07.2005, Az 7 AZR 443/04, BAG 23.02.2005, Az4 AZR 139/04, BAG 06.08. 2003, Az 7 AZR 9/03).

3. Zum Erscheinungsbild des Vertrags im Sinne des Schutzes vor überraschenden Klauseln gehören bei einem in Briefform gekleideten Arbeitsvertrag nicht nur die Bestimmungen über den reinen Vertragsinhalt, d. h. die Regelung der wechselseitigen Rechte und Pflichten bzw. der Vertragsbedingungen, sondern auch die unter der Kopfzeile des Arbeitgebers und dem Adressfeld sowie über der persönlichen Anrede stehende Betreffzeile.Hier: Übernahme eines Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 867/05

Verkündet am: 10. November 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter Giljohann und Langer für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20.07.2005 - 9 Ga 133/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Verfügungsklägers ist unbegründet.

Es kann dahinstehen, ob der vom Verfügungskläger geltend gemachte Verfügungsanspruch - Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - besteht. Denn es fehlt jedenfalls an einem Verfügungsgrund im Sinne von § 940 ZPO für die hier vorliegende Leistungs- oder Befriedigungsverfügung (dazu z.B. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 31a vor § 935; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 940 Rdn. 6).

Die Vereitelung der Durchsetzung des Verfügungsanspruchs - hier: Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung - durch Zeitablauf reicht entgegen der Auffassung des Verfügungsklägers für die Bejahung eines Verfügungsgrundes bei der Leistungsverfügung nicht aus, zumal gerade bei der Leistungsverfügung ein besonders strenger Maßstab an die Prüfung des Verfügungsgrundes anzulegen ist. Vielmehr muss in Fällen der vorliegenden Art, in denen die Vereitelung des Verfügungsanspruchs droht, der Rechtsverlust zu wesentlichen Nachteilen im Sinne von § 940 ZPO führen. Das bloße Überwiegen des Interesses des Arbeitnehmers an einer Beschäftigung gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung reicht hierfür nicht aus.

Die Kammer folgt nicht der Auffassung, dass die Anforderungen an den Verfügungsgrund bei der Beschäftigungsverfügung in einem proportionalen Verhältnis zur Offenkundigkeit der Verletzung des vertraglichen Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers zu sehen sind mit der Folge, dass allein die offensichtliche Rechtswidrigkeit der Maßnahme des Arbeitgebers den Erlass der Einstweiligen Verfügung rechtfertigen könne. Abgesehen davon, dass hier das Bestehen eines Verfügungsanspruchs alles andere als offensichtlich ist, muss zu den wesentlichen Nachteilen, die der Nichterlass der beantragten Einstweiligen Verfügung mit sich brächte, deutlich mehr vorgetragen werden als der Hinweis darauf, dass wegen Rechtswidrigkeit der Arbeitgebermaßnahme der Verfügungsanspruch besteht und dieser bei Nichterlass der Einstweiligen Verfügung vereitelt würde.

Somit reicht auch im vorliegenden Falle der geltend gemachte Rechtsverlust, der darin besteht, dass der Verfügungskläger für die Dauer der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitspflicht freigestellt ist, für sich genommen für die Annahme eines ihm nicht zuzumutenden, wesentlichen Nachteils noch nicht aus (ebenso LAG München vom 24.04.2003 - 10 Sa 301/03 mit weiteren Rechtssprechungsnachweisen; LAG München 07.08.2003 - 3 Sa 655/03; LAG München vom 10.03.2005 - 3 Sa 1257/04).

Auch der Gesichtspunkt der Justizgewährung (vgl. LAG München, NZA 1994, 997; LAG München vom 19.09.2004 - 2 Sa 490/02) führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es ist ein im Rechtsleben immer wieder vorkommender Vorgang, dass bestehende Ansprüche durch Zeitablauf - z.B. bei längerer Verfahrensdauer aufgrund einer Überlastung der Gerichte oder wegen eines geschickten prozessualen Taktierens des Anspruchsgegners - vereitelt werden. Gerade auch in solchen Fällen reicht die Anspruchsvereitelung für sich genommen für die Ausnahme eines Verfügungsgrundes nicht aus. Sonst würde in solchen Fällen auf das Erfordernis eines wesentlichen Nachteils im Sinne von § 940 ZPO verzichtet (ebenso LAG München vom 24.04.2003 - 10 Sa 301/03).

Dass es für den Erhalt der beruflichen Fähigkeiten und die Gewährleistung der Persönlichkeit des Verfügungsklägers unerlässlich ist, ihn die wenigen Wochen bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu beschäftigen, vermochte das Berufungsgericht nicht nachzuvollziehen. Zum einen ist nicht konkret dargetan, inwiefern durch die Nichtbeschäftigung des Verfügungsklägers für die restliche - vergleichsweise kurze - Dauer der Kündigungsfrist seine Persönlichkeit Schaden nähme. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass in dieser kurzen Zeit mit einem tief greifenden technologischen Wandel im Berufsbereich des Klägers zu rechnen wäre, der nicht durch andere Mittel als durch tatsächliche Beschäftigung kompensiert werden könnte, z.B. durch Studium von Fachliteratur, Besuch von Fortbildungsveranstaltungen etc.. Dass der Verfügungskläger seine beruflichen Kenntnisse und Fähigkeit im ständig wandelnden, mittlerweile hochtechnologischen Sektor des Brauereiwesens durch aktive Betätigung im Betrieb der Verfügungsbeklagten pflegen müsse, ist eine Pauschalbehauptung, die mehr oder weniger für alle qualifizierteren Tätigkeiten zutrifft. Ständiges Lernen und kontinuierliche Fortbildung durch berufliche Tätigkeit ist sicher wünschenswert. Dass die Verweigerung dieser Lern- bzw. Fortbildungsmöglichkeiten für etwas mehr als einen (verbleibenden) Monat den Erhalt der beruflichen Qualifikation des Klägers gefährden würde, ist jedoch im vorliegenden Falle mangels näheren Sachvortrags nicht erkennbar.

Ebenso vermag das vom Verfügungskläger in seiner Eidesstattlichen Versicherung vom 18.06.2005 vorgebrachte Argument, er müsste sich bei einer Rückkehr in den Betrieb am 01.12.2005 aufgrund des Betriebsratswiderspruchs erst mit erheblichem Aufwand wieder einarbeiten, das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht zu begründen. Denn mit einer Einarbeitung in eine neue Arbeitsaufgabe, die dem Kläger im Rahmen des weit gefassten arbeitsvertraglichen Aufgabenbereichs und insbesondere aufgrund der sog. Versetzungsklausel (§ 1 Ziffer 2. des Arbeitsvertrages vom 22.12.2000) jederzeit zugewiesen werden könnte, muss er immer rechnen.

Nach allem ist von wesentlichen Nachteilen, die sich auf die Nichtbeschäftigung als solche beziehen und letzten Endes in der Persönlichkeitsrechtsverletzung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG wurzeln - z.B. beruflicher Qualifikationsverlust, Schmälerung der Arbeitsmarktchancen durch Verlust von Fähigkeiten oder Fertigkeiten, gesundheitliche Probleme als Folge der Nichtbeschäftigung - nicht auszugehen.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sich auch aus einem Wertungsvergleich mit § 102 Abs. 5 BetrVG nicht ableiten lässt, es sei auch in Fällen der vorliegenden Art zunächst kein Vortrag des Arbeitnehmers zu einem Verfügungsgrund erforderlich. Denn im Fall des § 102 Abs. 5 BetrVG wird ein vorläufiges Weiterbeschäftigungsverhältnis begründet, das vor allem dem gekündigten Arbeitnehmer seine Vergütungsansprüche und damit die Existenzgrundlage erhält. Deshalb erscheint es gerechtfertigt, in diesen Fällen auf die konkrete Darlegung eines Verfügungsgrundes zu verzichten. Der vorliegende Fall ist demgegenüber davon gekennzeichnet, dass die Verfügungsbeklagte für die Dauer der Suspendierung während der Kündigungsfrist das Arbeitsentgelt weiter zahlt. Der Verfügungskläger ist somit existentiell abgesichert. Dies rechtfertigt es, hinsichtlich der Darlegung eines Verfügungsgrundes bei den durch § 940 ZPO vorzeichneten gesetzlich Anforderungen zu verbleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel statthaft (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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