Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 19.02.2004
Aktenzeichen: 4 Sa 894/03
Rechtsgebiete: KSchG, EStG, ArbGG, ZPO, BGB


Vorschriften:

KSchG § 9
KSchG § 10
EStG § 3 Nr. 9
ArbGG § 64 Abs. 2
ZPO § 160 Abs. 3 Ziff. 1.
ZPO § 162 Abs. 1
BGB § 133
1. Der, vorbehaltene, Widerruf eines Prozessvergleiches stellt tatbestandlich ein Gestaltungsrecht dar und muss sich deshalb, aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers, aus dem Gesamtzusammenhang der Erklärung nach Auslegung (§ 133 BGB) als klarer, unzweifelhafter und eindeutiger Wille ergeben, die aufschiebende Bedingung des Rechtsgeschäfts unter Widerrufsvorbehalt nicht eintreten lassen zu wollen.

2. Erklärt die Partei vor Vergleichsabschluss, dass sie zu einem Schriftsatz der Gegenpartei ergänzend Stellung nehmen wolle und einen entsprechenden Schriftsatz bereits (z.T.) diktiert habe, und wird sodann innerhalb der (hier verlängerten) Widerrufsfrist des nachfolgenden Prozessvergleichs ein Schriftsatz mit inhaltlichen Ausführungen zu einer Kündigung eingereicht, der - ohne den Begriff Widerruf zu verwenden - lediglich zur Sache Stellung nimmt, ist dieser Schriftsatz im Zweifel nicht als Widerruf des vorangegangenen Prozessvergleichs auszulegen.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 894/03

Verkündet am: 19. Februar 2004

In dem Rechtsstreit

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. Januar 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richter Brandl und Hertle für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 20. Mai 2003 - 4 Ca 202/03 Tr - wird auf Kosten der Beklagen zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten hier um die Rechtswirksamkeit eines Prozessvergleiches.

Der, ausweislich der vorliegenden Unterlagen, am 30.09.1953 geborene Kläger war gemäß Dienst-/Anstellungsvertrages vom 29.04.1994 (Bl. 9-14 d.A.) ab 01.06.1994 bei der Firma ... die nach seinem Vorbringen zur Unternehmensgruppe der Beklagten gehört, zunächst als Leiter des Walzwerkes und seit 01.12.1999 als Betriebsleiter ... tätig. Der Kläger schied zum 30.04.2000 bei den ... aus ("Bestätigungsschreiben" vom 18.04.2000, Bl. 17 d.A.) und übernahm anschließend eine Tätigkeit in Rumänien für zwei Tochtergesellschaften bzw. Unternehmen in Rumänien, die zum Unternehmensbereich der Beklagten gehören, der Firma ... Trägerin eines Stahlwerks, sowie der Vertriebsgesellschaft Firma ... wobei der Kläger mit letzterer Gesellschaft einen "Verwaltungsvertrag" (undatiert, Bl. 18-21 d.A.) schloss, nach dem der Kläger eine vertraglich festgelegte Vergütung von 4,8 Millionen Lei, entsprechend 480,00 DM bzw. 245,42 Euro/Monat, erhielt, während eine restliche Vergütung von 13.051,00 DM (6.672,87 Euro) brutto/Monat die Beklagte zahlte. Mit in Bukarest unter dem 29.03.2002 unterzeichnetem Bestätigungsschreiben (Bl. 22 d.A.) legte der Kläger sein "Amt als Verwalter der ... mit sofortiger Wirkung nieder". Daraufhin kündigte die Beklagte den mit ihr bestehenden Anstellungsvertrag mit Schreiben vom 10.04.2002 (Bl. 25 d.A.) gegenüber dem Kläger mit sofortiger Wirkung fristlos.

Mit Klageschriftsatz vom 23.04.2002 erhob der Kläger Feststellungsklage gegen die Kündigung der Beklagten vom 10.04.2002.

Nachdem die Beklagte in diesem Verfahren mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19.11.2002 (Bl. 46 f d.A.) Kündigungsgründe dargelegt und der Kläger seinerseits mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 03.01.2003 (Bl. 84 f d.A.) hierzu Stellung genommen hatten, wies der Prozessbevollmächtigte der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 21.01.2003 im erstinstanzlichen Verfahren unstreitig daraufhin, dass er bereits eine Erwiderung zum Schriftsatz des Klägers vom 03,01.2003 (ganz oder teilweise) diktiert habe. Daraufhin schlossen die Parteien in dieser mündlichen Verhandlung am 21.01.2003 einen widerruflichen Prozessvergleich folgenden Wortlauts:

Vergleich:

1. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher fristgemäßer betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung vom 11.04.2002 zum 31.07.2002.

2. Die Beklagte rechnet für die Monate April, Mai, Juni und Juli 2002 ordnungsgemäß ab und zahlt dem Kläger den sich ergebenden Betrag auf der Basis eines jeweiligen Monatsgehaltes von Euro 6.672,87 brutto aus, soweit dies bisher noch nicht geschehen ist. Der Urlaub des Klägers ist im Freistellungszeitraum eingebracht.

3. Die beklagte Partei verpflichtet sich, an die Klagepartei als soziale Abfindung gemäß §§ 9,10 KSchG, § 3 Nr. 9 EStG Euro 26.000,00 zu zahlen.

4. Mit Erfüllung dieses Vergleiches sind sämtliche finanzielle Ansprüche zwischen den Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung gegeneinander abgegolten, gleich auf welchen Rechtsgrund sie beruhen mögen.

5. Dieser Vergleich wird rechtswirksam, wenn er nicht von einer der Parteien schriftlich gegenüber dem Arbeitsgericht Rosenheim, Kammer Traunstein, in Traunstein bis spätestens 04.02.2003 widerrufen wird. (Bl. 113 f/115 d.A.)

Nachdem der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 28.01.2003 (Bl. 124 d.A.) die Verlängerung der im Prozessvergleich vom 21.01.2003 vereinbarten Vergleichswiderrufsfrist (04.02:2003) bis zum 14.02.2003 wegen seiner Kanzleiabwesenheit beantragt und das Arbeitsgericht mit Beschluss vom 29.01.2003 (Bl. 118 d.A.) darauf hingewiesen hatte, dass Vergleichswiderrufsfristen als Parteivereinbarung keiner gerichtlichen Verlängerungsmöglichkeit unterlägen und deshalb eine Fristverlängerung nur durch Parteivereinbarung erfolgen könne - weshalb gleichzeitig dem Kläger aufgegeben wurde, unverzüglich mitzuteilen, ob Einverständnis mit der beantragten Verlängerung der Vergleichswiderrufsfrist bis zum 14.02.2003 bestehe -, teilte dieser mit Schriftsatz vom 30.01.2003 (Bl. 129 d.A.) mit, dass Einverständnis mit einer Verlängerung der Vergleichswiderrufsfrist bis zum 14.02.2003 bestehe, woraufhin das Arbeitsgericht mit weiterem Beschluss vom 04.02.2003 (B. 128 d.A.) feststellte, dass die Parteien durch Parteivereinbarung die Widerrufsfrist in Ziff. 5 des Vergleiches vom 21.01.2002 bis 14.02.2003 verlängert hätten.

Am 12.02.2003 ging beim Arbeitsgericht Rosenheim - Hauptgericht - ein Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 11.02.2003 - der am 13.02.2003 dort eingehend an die Kammer Traunstein des Arbeitsgerichtes Rosenheim weitergeleitet wurde - ein, der in Erwiderung "zum Schriftsatz des Klägers vom 03.01.2003" auf annähernd sechs Seiten die Kündigungsgründe näher erläutert, ohne dass der Begriff "Widerruf des Prozessvergleiches vom 21.01.2003 verwendet ist.

In einem Telefongespräch am 14.02.2003 teilte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten unstreitig dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass der Prozessvergleich bereits widerrufen sei bzw. widerrufen werde. Mit Schriftsatz vom 18.02.2003 (Bl. 140 f d.A.) wiesen die Prozessbevollmächtigten der Beklagten "klarstellend" darauf hin, dass mit ihrem Schriftsatz vom 11.02.2003 der Vergleich vom 21.01.2003 widerrufen worden sei, was sich aus dem Inhalt letzteren Schriftsatzes eindeutig ergebe.

Das Arbeitsgericht Rosenheim hat mit Endurteil vom 20.05.2003 - auf das wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen sowie des streitigen Vorbringens und der Anträge der Parteien im ersten Rechtszug zur hier zunächst allein entscheidungserheblichen Problematik der Rechtswirksamkeit des Vergleiches vom 21.01.2003 verwiesen wird - den Antrag der Beklagten auf Fortsetzung des Verfahrens zurückgewiesen und festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 21.01.2003 erledigt worden sei mit der Begründung, dass die Erklärung des Widerrufs eines Prozessvergleiches zwar eine auslegungsfähige Prozesshandlung sei, der Schriftsatz vom 11.02.2003 jedoch keine Erklärung enthalte, die als Widerruf des Vergleiches vom 21.01.2003 ausgelegt werden könne, da dort weder ein ausdrücklicher Widerruf des Vergleiches ausgesprochen worden sei noch mit irgendeinem Wort auf den Vergleich vom 21.01.2003 Bezug genommen werde, so dass es naheliegend sei, dass es sich bei dem Schriftsatz vom 11.02.2003 um den vom Beklagtenvertreter im Termin am 21.01.2003 als bereits diktiert angekündigten Schriftsatz gehandelt habe. Die Einreichung des Schriftsatzes vom 11.02.2003 könne auch aus prozesstaktischen Gründen erfolgt gewesen sein, um etwa einem Widerruf des Vergleiches durch den Kläger vorzubeugen, wobei gegen einen Widerruf seitens der Beklagten auch spreche, dass dieser Schriftsatz nicht an das Arbeitsgericht Rosenheim, Kammer Traunstein, - als Widerrufsadressaten - gerichtet sei. Die mündliche telefonische Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Kläger am 14.02.2003 stelle keinen schriftlichen Widerruf gem. Ziff. 5. des Vergleiches dar.

Gegen dieses den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 01.08.2003 zugestellte Endurteil richtet sich deren Berufung mit Schriftsatz vom 06.08.2003, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München einngegangen, zu deren Begründung sie mit Schriftsatz vom 30.09.2003, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, vorgetragen hat, dass mit dem Schriftsatz vom 11.02.2003 als bestimmenden Schriftsatzes die aufgrund Parteivereinbarung bis 14.02.2003 verlängerte Vergleichswiderrufsfrist gewahrt worden sei, da dieser Schriftsatz als Widerruf des Prozessvergleiches vom 21.01.2003 ausgelegt werden müsse, nachdem die Beklagte hier über sieben Seiten darlege, weshalb die ausgesprochene Kündigung nach ihrer Meinung wirksam sei, und sich hieraus die Erklärung ergebe, dass der Vergleich nicht gewünscht sei. Wenn die Beklagte davon ausgegangen wäre, dass der Vergleich rechtswirksam gewesen sei, wäre ein entsprechender Schriftsatz überhaupt nicht mehr notwendig gewesen. Hinzu komme, dass dieser Schriftsatz innerhalb der verlängerten Vergleichswiderrufsfrist bei Gericht eingegangen und vorab sogar per Telefax übersandt worden sei, um sicherzustellen, dass er noch fristgerecht eingehe. Bei der Auffassung des Arbeitsgerichtes, dass die Einreichung dieses Schriftsatzes auch aus prozesstaktischen Gründen erfolgt sein könne, handle es sich um eine in keiner Weise nachvollziehbare Spekulation. Auch sei dem Bevollmächtigten des Klägers am 14.02.2003 telefonisch mitgeteilt worden, dass der Vergleich bereits widerrufen sei. Aus Sicht des Gerichtes habe aus diesem Schriftsatz deshalb nur abgeleitet werden können, dass insbesondere der dortigen Darstellung, dass die Kündigung rechtmäßig und das beanstandete Verhalten des Klägers nicht haltbar gewesen seien, nur entnommen habe werden können, dass der Vergleich widerrufen habe werden sollen.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichtes Rosenheim, Kammer Traunstein, verkündet am 20.05.2003, Az. 4 Ca 202/03 Tr, wird dahingehend abgeändert, als die Klage abgewiesen wird.

2. Das Erstgericht wird angewiesen, das erstinstanzliche Verfahren fortzuführen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim - Kammer Traunstein - vom 20.05.2003, Az. 4 Ca 202/03 Tr (früher 4 Ca 331/02 Tr) kostenpflichtig zu verwerfen.

Der Kläger trägt im Zweiten Rechtszug, dass der Schriftsatz vom 11.02.2003 weder einen ausdrücklichen Vergleichswiderruf enthalte noch als solcher auszulegen sei, da es sich eindeutig ergebe, dass es sich genau um den Schriftsatz handle, der im Termin vom 21.01.2003 vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten als bereits als Erwiderung auf den klägerischen Schriftsatz vom 03.01.2003 diktiert und in Kürze bei Gericht eintreffend angekündigt worden sei. Bei diesem Schriftsatz handle es sich um eine klassische Erwiderung, die sich mit den Argumenten des klägerischen Schriftsatzes vom 03.01.2003 über sieben Seiten im einzelnen auseinandersetze und nichts darüber aussage, ob der geschlossene Vergleich gewünscht werde oder nicht. Aus dem Verfahren über die vom Beklagtenvertreter gewünschte Verlängerung der Vergleichswiderrufsfrist ergebe sich, dass bis einschließlich 09.02.2002 auf Seiten der Beklagen wohl noch keine Klarheit darüber geherrscht habe, ob der Vergleich widerrufen werden solle oder nicht. Wäre zum Zeitpunkt dieses Schriftsatzes (11.02.2003) diese Frage entschieden gewesen, hätte tatsächlich nichts nähergelegen als überhaupt keinen Schriftsatz zu Gericht zu senden oder zu erklären, dass der Vergleich seitens der Beklagten widerrufen werde - was belege, dass dieser Schriftsatz vor der Kanzleiabwesenheit des Bevollmächtigten der Beklagen offenbar fertig diktiert, in seiner Abwesenheit geschrieben und dann am 11.02.2003 abgesandt worden sei, wofür auch spreche, dass dieser Schriftsatz gerade nicht an das Arbeitsgericht Rosenheim, Kammer Traunstein, in Traunstein -gegenüber welcher ein Vergleichswiderruf erfolgen hätte müssen - adressiert gewesen sei. Auch belege der weitere Schriftsatz der Beklagten vom 18.02.2003 mit einer Klarstellung, dass bereits der Schriftsatz vom 11.02.2003 als Widerruf des Prozessvergleiches vom 21.01.2003 anzusehen sei, dass letzterer doch nicht so offensichtlich als Widerruf zu verstehen gewesen sei. Die telefonische Erklärung des Bevollmächtigten der Beklagten gegenüber dem Klägervertreter am 14.02.2003, dass dieser den Vergleich widerrufen habe/widerrufen werde, spiele keine Rolle, weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht Erklärungsempfänger hinsichtlich einer Erklärung zum Widerruf des Vergleiches gewesen sei.

Wegen des Sachvortrags der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 30.09.2003 und vom 30.10.2003.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass der Rechtsstreit durch den Prozessvergleich vom 21.01.2003 beendet (erledigt) worden ist (da dieser nicht rechtzeitig widerrufen worden ist - wobei sich der weitergehende Antrag/Ausspruch hinsichtlich einer Fortsetzung des Verfahrens als überflüssig erweist).

Es kann offenbleiben, ob die mit materiellrechtlicher Wirkung zwischen den Parteien vereinbarte Verlängerung der Widerrufsfrist des in der mündlichen Verhandlung am 21.01.2003 protokollierten Prozessvergleiches auch in prozessual wirksamer Form überhaupt, wie im gerichtlichen Feststellungsbeschluss vom 04.02.2003 festgehalten, erfolgen konnte - durch dieses Verfahren die gemäß §§ 160 Abs. 3 Ziff. 1., 162 Abs. 1 ZPO protokollierte und vorgelesene Widerrufsregelung des Vergleiches auch prozessual wirksam verändert/verlängert werden konnte -, da auch in diesem Fall der Prozessvergleich vom 21.01.2003 innerhalb der bis 14.02.2003 verlängerten Widerrufsfrist nicht widerrufen worden wäre.

1. Der Widerruf stellt materiellrechtlich - als aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB, vgl. etwa BGH, U. v. 27.10.1983, AP Nr. 33 zu § 794 ZPO) für die Wirksamkeit des Vergleiches - tatbestandlich als solches ein Gestaltungsrecht dar - er folgt aus der im Vergleich festgelegten Rechtsmacht, das schwebend wirksame Rechtsgeschäft unwirksam zu machen, und verhindert damit das Wirksamwerden des Vergleiches im materiellrechtlichen und im prozessrechtlichen Sinn.

Da Gestaltungsrechte auf die Rechtsstellung des Erklärungsempfängers ohne dessen Zutun einwirken, muss sich ihre Ausübung, der Wille des Erklärenden zur einseitigen Rechtsänderung - zur Anfechtung, zum Rücktritt, zur Kündigung und eben zum Widerruf -, klar und unzweideutig aus der Erklärung ergeben (vgl. etwa Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl. 2004, Überbl v § 104 Rz. 17). Gestaltungsrechte unterliegen wegen ihrer Wirkung in besonderem Maße den Grundsätzen der Klarheit, Bestimmtheit und Bedingungsfeindlichkeit; sie können auch nicht mehr zurückgenommen werden. Zwar sind Erklärungen auszulegen - nach § 133 BGB so, wie sie der Erklärungsempfänger unter Würdigung der ihm bekannten Umstände nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen konnte (vgl. etwa BAG, U. v. 15.03.1991, AP Nr. 2 zu § 47 BBiG - II. 1. a) der Gründe -). Entsprechend etwa der ständigen Rechtsprechung zum Tatbestand der Kündigung, der Auslegung einer Erklärung als solcher, muss der Erklärende zwar nicht das Wort "Widerruf verwenden; es muss sich, aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers, aus dem Gesamtzusammenhang jedoch unzweifelhaft und ohne weiteres der eindeutige Wille ergeben, im Sinne des Widerrufs die aufschiebende Bedingung des Rechtsgeschäfts unter Widerrufsvorbehalt nicht eintreten lassen zu wollen, das schwebend wirksame Rechtsgeschäft nicht in Rechtswirksamkeit erwachsen lassen zu wollen.

2. Gemessen hieran könnte dem Schriftsatz der Beklagen vom 11.02.2003 zur Überzeugung auch der Berufungskammer unter Berücksichtigung aller Umstände nicht der konkludente, wenngleich notwendig eindeutige, Wille der Beklagten zum Widerruf des Prozessvergleichs vom 21.01.2003 entnommen werden.

Maßgeblich für die Auslegung/Würdigung dieses Schriftsatzes ist: die Beklagte, deren Prozessbevollmächtigter, hatte in der mündlichen Verhandlung am 21.01.2003, nach dem ausdrücklich zugestandenen Vorbringen der Klagepartei, zunächst ausdrücklich geäußert, dass er zum Schriftsatz des Klägers vom 03.01.2003, mit dem die im (ersten) Klageerwiderungsschriftsatz vom 19.11.2002 vorgetragenen Kündigungsgründe im Wesentlichen bestritten und der Vorwurf von Pflichtverletzungen des Klägers im Einzelnen zu widerlegen versucht worden waren, noch Stellung nehmen wolle und eine Erwiderung hierzu bereits (ganz oder teilweise) diktiert/gefertigt sei; der Schriftsatz vom 11.02.2003 bezieht sich, hiermit auf den ersten Blick übereinstimmend, bereits im Einleitungssatz allein auf eben den Schriftsatz des Klägers vom 03.01.2003 und begründet inhaltlich, ausschließlich in Erwiderung auf letzteren Schriftsatz des Klägers, die Kündigungsgründe näher;

- der Schriftsatz vom 11.02.2003 bezieht sich andererseits mit keinem Wort, weder unmittelbar noch mittelbar - in irgendeiner Weise erkennbar - auf die mündliche Verhandlung vom 21.01.2003 und/oder den dort, nach der vorigen Erklärung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, widerruflich geschlossenen Prozessvergleich, sondern legt, faktisch losgelöst, die Verantwortlichkeit des Klägers für die ihm vorgeworfenen Forderungsausfälle/fehlenden Besicherungen von Rechtsgeschäften mit Dritten näher als zuvor geschehen und in ins Einzelne gehender Auseinandersetzung mit der Rechtsverteidigung des Klägers in seiner Replik vom 03.01.2003 auf die (erste) Klageerwiderung dar;

- der Schriftsatz vom 11.02.2003 war, anders als noch der Klageerwiderungsschriftsatz vom 19.11.2003, gerichtet an das Arbeitsgericht Rosenheim (Hauptgericht) in Rosenheim, nicht, wie in der Widerrufsregelung im Prozessvergleich ausdrücklich vereinbart, an die Kammer (Zweigstelle) Traunstein des Arbeitsgerichtes Rosenheim, gegenüber der der Vergleichswiderruf zwingend allein erfolgen hätte können (hier unabhängig davon, dass dieser Schriftsatz tatsächlich informell dorthin weitergeleitet worden und rechtzeitig - jedenfalls gemäß der nach dem gerichtlichem Beschluß vom 04.02.2003 als wirksam verlängert angesehenen Widerrufsfrist - dort eingegangen gewesen wäre);

- auch die evidente Zeit-/Datenfolge spricht nicht für einen Widerrufswillen im Schriftsatz vom 11.02.2003: der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hatte mit Faxschriftsatz vom 28.01.2003 die Verlängerung der im Prozessvergleich auf 04.02.2003 festgelegten Vergleichswiderrufsfrist mit der Begründung "beantragt", dass er als alleiniger Sachbearbeiter in der 6. KW (= 03.02. - 09.02.2003) kanzleiabwesend sein werde. Die Datierung des inkriminierten Schriftsatzes auf den 11,02.2003 - den darauffolgenden Dienstag nach Ablauf der 6. KW - drängt allerdings zunächst auf, das dieser - nach seinen vorigen Vorbringen: zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2003 bereits (teilweise) diktiert/gefertigt gewesene - Schriftsatz während dieser akzentuierten Kanzleiabwesenheit fertiggestellt und unmittelbar nach deren Beendigung abgesandt worden sein mag!

Auch unter Einbeziehung weiter zum einen der im Wesentlichen unstreitigen Tatsache, dass die Prozessbevollmächtigten beider Parteien am 14.02.2003, dem letzten Tag der "verlängerten" Widerrufsfrist des Prozessvergleiches, miteinander telefonierten und dort der Prozessbevollmächtigte der Beklagten gegenüber dem Prozessvertreter des Klägers zum Ausdruck brachte, dass er - der Prozessbevollmächtigte der Beklagten - den Vergleich widerrufen habe/werde, konnte der (Prozessbevollmächtigte des) Kläger(s) dem Schriftsatz der Beklagten vom 11.02.2003 jedenfalls nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen, dass dieser einen Widerruf des Prozessvergleichs darstellen solle - auch wenn dort zum anderen nochmals ergänzend die Kündigungsgründe näher erläutert, die Wirksamkeit der Kündigung damit akzentuiert ist. Dieser Schriftsatz bezog sich, wie zuvor in der mündlichen Verhandlung dezidiert angekündigt, materiellrechtlich auf den letzten Schriftsatz des Klägers - zunächst auch ausschließlich -, nicht etwa, jedenfalls subkutan, aber noch irgendwie erkennbar, auf die mündliche Verhandlung vom 21.01.2003 und den dort geschlossen gewesenen Prozessvergleich.

Des Weiteren macht der Kläger durchaus nicht unnachvollziehbar geltend, dass solche, materiellrechtlich argumentierenden, Schriftsätze - zumal, wenn sie als solche vor Vergleichsabschluss unstreitig bereits als gefertigt oder in der Vorbereitung befindlich angekündigt waren - auch prozesstaktischer Natur sein können und allerdings in der Prozesspraxis nach Erfahrung des Gerichts jedenfalls nicht völlig selten auch sind: Hiermit soll im Einzelfall unter Umständen die Gegenpartei ihrerseits von einer möglichen - ggf. befürchteten - Absicht eines Widerrufs abgehalten werden - der Prozessvergleich vom 21.01.2003 war für beide Seiten gleichermaßen widerruflich -, mit Hinweisen auf die Schwere des vorgeworfenen Fehlverhaltens als Kündigungsbegründung soll gegebenenfalls nicht auszuschließenden "Nachbesserungs"-Überlegungen der widerruflich vereinbarten Regelung vorgebeugt werden o.a. (vgl. auch BAG, U. v. 22.01.1998, AP Nr. 47 zu § 794 ZPO - II. 2. der Gründe - mit zust. Anm. Dütz/Dörrwächter). Im vorliegenden Fall wäre es auch nicht gänzlich fernliegend gewesen anzunehmen, dass dieser - nach unstreitiger Aussage des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor Vergleichsabschluss: bereits (weitgehend) vorbereitete (diktierte) - Schriftsatz während seiner folgenden Kanzleiabwesenheit in der 6. KW 2003, welchen Umstand er eben zur Begründung seines "Antrages" auf Verlängerung der Vergleichswiderrufsfrist geltend gemacht hatte, sodann unmittelbar zu Beginn der 7. KW ohne nähere Koordinierung mit der aktuellen Prozesssituation versandt worden sein mag - deshalb völlig unabhängig von dieser anzusehen gewesen wäre ...

Nach allem spricht unter Berücksichtigung der gesamten Umstände durchaus einiges dafür, dass der Kläger dem Schriftsatz vom 11.02.2003 gegebenenfalls entnehmen hätte können - nachdem er wohl zeitgleich/zeitnah mit dessen Erhalt im Telefongespräch mit dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 14.02.2003 (fern)mündlich über die Widerrufsabsicht informiert war -, dass es sich bereits hierbei um einen Widerruf im rechtlichen Sinne gehandelt haben könnte. Allerdings ließen die weitergehenden Umstände (insbesondere, wie ausgeführt, Adressierung dieses Schriftsatzes nicht an die im Vergleich als Widerrufsadressat verbindlich festgelegte Kammer Traunstein des Arbeitsgerichtes Rosenheim, Ankündigung eines ebensolchen Schriftsatzes als bereits (weitgehend) vorbereitet vor Vergleichsabschluss - wie dann aus Sicht des Klägers augenscheinlich vorgelegt - und die völlige inhaltliche und semantische Lösung dieses Sachverhaltes vom Prozessvergleich und der aktuellen prozessualen Situation) einen, erforderlichen, zumindest annähernd eindeutigen Schluss nicht zu, aus der maßgeblichen Sicht des Klägers habe es sich beim Schriftsatz vom 11.02.2003 jedoch um einen (konkludenten) Widerruf des Vergleichs handeln sollen/müssen. Zumindest nach Maßgabe der eingangs dargelegten besonderen Anforderungen an einen Widerruf als Gestaltungsrecht hinsichtlich dessen Klarheit/Eindeutigkeit kann dem Schriftsatz der Beklagten vom 11.02.2003 dieser Inhalt zur Überzeugung auch der Berufungskammer nicht beigemessen werden.

3. Dem Kläger ist es auch nicht etwa nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) - welcher Grundsatz auch im Prozessrecht Anwendung findet - verwehrt, sich auf die Wirksamkeit des Prozessvergleiches vom 21.01.2003 zu berufen. Die bloße mündliche - hier telefonische - Mitteilung über die Absicht des Vergleichswiderrufs - die als solche natürlich, wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat, selbst keinen Widerruf des Vergleiches darstellen kann, da dieser ausdrücklich an die Einhaltung konstitutiver Schriftform (§§ 127 Abs. 1, 126 Abs. 1 BGB) geknüpft war - lässt ebensowenig bereits den zwingenden Schluss auf eine tatsächlich bestehende Absicht eines Vergleichswiderrufs zu wie etwa sogar die Übermittlung einer beglaubigten Abschrift eines Widerrufsschriftsatzes direkt an den Prozessgegner - die es diesem verwehren würde, sich auf das Fehlen eines (wirksamen) Widerrufes zu berufen (vgl. BAG, U. v. 22.01.1998, aaO - II. 2. aE der Gründe - ; U. v. 21.02.1991, AP Nr. 41 zu § 794 ZPO - II. 3. der Gründe - ; LAG Düsseldorf, U. v. 08.04.1997, Az. 6 Sa 120/97 (dokumentiert in Juris) als Vorinstanz zu BAG, U. v. 22.01.1998, aaO; siehe auch Dütz/Dörrwächter in Anm. zu BAG, AP Nr. 47 zu § 794 ZPO - II. 2. a f der Gründe-).

Es wäre Sache der Beklagten gewesen, bei Ungewissheit/Unsicherheit über die Auslegung ihres Schriftsatzes vom 11.02.2003 als etwa konkludenter Widerrufserklärung des Prozessvergleiches vom 21.01.2003 dies nicht erst mit Schriftsatz vom 18.02.2003 nachträglich und damit eo ipso untauglich (war der Vergleich allerdings bereits widerrufen, war dies überflüssig - war der Vergleich noch nicht widerrufen, wäre eine solche "Klarstellung" verspätet ...) klarzustellen zu versuchen, sondern dies bis 14.02.2003 (ausgehend von einer wirksamen Verlängerung der Vergleichswiderrufsfrist in der ursprünglich protokollierten Form ... !) - notfalls per Fax, in welcher Übermittlungsform dieser Schriftsatz, anders als die Beklagte annimmt, nach dem vorliegenden Akteninhalt nicht bereits vorweg eingegangen war! -, aus ihrer Sicht vorsorglich, nachzuholen und ausdrücklich rechtzeitig einen Widerruf zu erklären.

4. Damit ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen (so dass es wegen Rechtswirksamkeit des den Feststellungsrechtsstreit beendenden Vergleiches nicht darauf ankommt, ob zwischen dem Kläger und der hiesigen Beklagten überhaupt ein, als Arbeitsvertrag zu qualifizierendes, Vertragsverhältnis bestanden hatte und auf dieses, dann, überhaupt deutsches (Arbeits)Recht Anwendung gefunden hätte ...).

III.

Die Beklagte hat demgemäß die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.

Die Berufungskammer hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

Zurück