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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 18.03.2004
Aktenzeichen: 4 TaBV 47/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 10 aF
BetrVG § 47
BetrVG § 47 Abs. 2
BetrVG § 47 Abs. 2 S. 1
BetrVG § 47 Abs. 2 S. 2
BetrVG § 47 Abs. 2 S. 3
BetrVG § 47 Abs. 2 S. 4
BetrVG § 47 Abs. 7
BetrVG § 47 Abs. 7 S. 2 nF
BetrVG § 48
BetrVG § 49
Nach der Aufhebung des für die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat geltenden Gruppenprinzips in § 47 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG in der bis Juli 2001 geltenden alten Fassung durch das BetrV-ReformG 2001 kann bereits während der gesetzlich geregelten Übergangsphase bis zur Neuwahl des entsendenden Betriebsrates gem. Art. 14 i.V.m. Art. 1 Nr. 35 lit. a BetrV-ReformG eine - nach wie vor jederzeit und grundlos mögliche - Abberufung des noch nach dem Gruppenprinzip entsandten Mitgliedes des Gesamtbetriebsrates im Wege der Mehrheitsentscheidung des Betriebsrates ohne Rücksicht auf das Gruppenprinzip erfolgen. Andernfalls würde die nunmehrige paritätische Stimmenrepräsentation des Gesamtbetriebsratsmitgliedes (§ 47 Abs. 7 BetrVG nF) zu einer im Einzelfall tendenziell dramatischen Verfälschung des Stimmengewichts des noch als Vertreter der (Arbeiter- oder Angestellten-)Gruppe entsandten Betriebsratsmitglieds führen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES Beschluss

4 TaBV 47/03

Verkündet am: 18. März 2004

In dem Beschlussverfahren

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Anhörung vom 18. März 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richterin Hönig-Achhammer und den ehrenamtlichen Richter Dünne für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. bis 3. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 17. Juli 2003 - 22 BV 151/03 - wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

A.

Die Beteiligten zu, nunmehr, 1. bis 3. machen die Unwirksamkeit ihrer Abberufung als Mitglied - Beteiligter zu 1. - bzw. Ersatzmitglieder- Beteiligte zu 2. und zu 3. - des Gesamtbetriebsrates, des Beteiligten zu 4., im Unternehmen der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 6. geltend.

Die Beteiligten zu 1. bis 3. sind Mitglieder des Betriebsrates (Beteiligten zu 5.) im Betrieb ... der Arbeitgeberin. Dessen insgesamt 29 Mitglieder wurden im Mai 2001, vor Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, im Wege der Gruppenwahl gemäß § 10 BetrVG aF gewählt, wobei die Beteiligten zu 1. bis 3. die (einzigen) drei gewählten Betriebsratsmitglieder der Gruppe der Arbeiter sind (über die einzige Vorschlagsliste der Arbeitergruppe: "Offene Liste - IG Metall Infineon" gewählt wurden), während die 26 Mitglieder der Mehrheitsgruppe der Angestellten in diesem Betriebsrat über drei für diese Gruppe eingereichte Vorschlagslisten (Wahlniederschrift vom 23.05.2001, Bl. 173/174 d. A.) gewählt wurden. In der ersten Sitzung des konstituierten Betriebsrates am 18.06.2001 (Protokoll, Bl. 10/Rückseite der Akten) wurden der Beteiligte zu 1. als Gruppenvertreter der Arbeitergruppe und die Beteiligten zu 2. und zu 3. als Ersatzmitglieder in getrennter Wahl der Betriebsratsmitglieder der Arbeitergruppe in den Gesamtbetriebsrat entsandt. Mit Beschluss des Betriebsrates vom 09.04.2003 wurden die Beteiligten zu 1. bis 3. als Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrates abberufen.

Im vorliegenden Verfahren machen die Beteiligten zu 1. bis 3. die Unwirksamkeit letzteren Abberufungsbeschlusses vom 09.04.2003 und die Feststellung geltend, dass sie nach wie vor Mitglieder bzw. Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrates sind.

Das Arbeitsgericht München hat mit dem angefochtenen Beschluss vom 17. Juli 2003, auf den wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des Vorbringens sowie der Anträge der Beteiligten im ersten Rechtszug verwiesen wird, die Anträge mit der Begründung zurückgewiesen, dass im Anschluss an das vorgelegte Gutachten von ... die Auslegung der Übergangsvorschrift des Art. 14 des Betriebsverfassungsreformgesetzes (BetrVG-ReformG) und der §§ 47 bis 49 BetrVG nF ergebe, dass der Abberufungsbeschluss des Betriebsrates vom 09.04.2003 rechtswirksam sei, da die in der Übergangsregelung angeordnete Fortgeltung des § 47 Abs. 2 BetrVG aF für zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des neuen Betriebsverfassungsgesetzes bereits nach altem Recht gewählte Betriebsräte so zu verstehen sei, dass kleineren Betriebsräten bis zur Neuwahl weiterhin zwei Gesamtbetriebsratsmitglieder zustünden, die wegen des Gruppenschutzes in den Gesamtbetriebsrat entsandt worden seien, jedoch vom Gesetzgeber ein Fortwirken des Gruppenschutzes bei der Abrufung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern nicht gewollt gewesen sei. Die Einbeziehung auch des Satzes 4 des § 47 Abs. 2 BetrVG aF in die Übergangsregelung vertrage sich weder mit § 49 noch mit § 47 Abs. 7 BetrVG und dürfte damit ein Redaktionsversehen gewesen sein, da die Mitglieder des Gesamtbetriebsrates nunmehr jeweils die Hälfte der Wahlberechtigten ihres Betriebes repräsentierten und deshalb bei Fortgeltung ihrer Gesamtbetriebsratszugehörigkeit als Gruppenvertreter unter Umständen erheblich an Stimmengewicht verlieren oder gewinnen würden - so dass es dem Betriebsrat möglich sein müsse, die Gruppenvertreter durch Mehrheitsbeschluss abzuberufen und Betriebsratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat zu entsenden, die nach seiner Überzeugung alle Wahlberechtigten mit größerer Legitimation vertreten würden.

Gegen diesen den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten zu 1. bis 3. am 01.08.2003 zugestellten Beschluss richtet sich deren Beschwerde mit Schriftsatz vom 01.09.2003, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung diese innerhalb der verlängerten Beschwerdebegründungsfrist mit Schriftsatz vom 08.10.2003 vorgetragen haben, dass der Gesetzgeber in Art. 14 BetrVG-ReformG eindeutig und willentlich festgelegt habe, dass die Struktur der betriebsverfassungsrechtlichen Organe, soweit sie auf der Unterscheidung beider Gruppen beruhten, nicht während der laufenden Amtszeit verändert werden dürfe. Solange der auf Basis des Gruppenschutzes gebildete Betriebsrat in seiner strukturellen Zusammensetzung nicht in Frage gestellt werde, existiere de facto der Gruppenschutz weiter. Den Gruppenschutz sofort aufzugeben, die hieraus entstandenen Strukturen aber nicht anzutasten, würde heißen, es zuzulassen, dass Betriebsratsmehrheiten, die diesen Umstand ausschließlich ihrer Zugehörigkeit zur Mehrheitsgruppe verdankten, gegen den Willen der Mehrheit der Wähler Entscheidungen erzwingen könnten, ohne dass es hierfür eine gesetzliche Grundlage gebe. Der erklärte gesetzgeberische Wille sei es, auch Kleinbetrieben zwei Mitglieder des Gesamtbetriebsrates, wenn sie diese bisher gehabt hätten, zu erhalten, was die Differenzierung nach den bisherigen Gruppen und damit die Aufrechterhaltung des Gruppenschutzes während der Übergangszeit beinhalte. Der Gesetzgeber habe in der Übergangsphase bis zur Neuwahl nicht nur die Größe, sondern auch die Zusammensetzung des nach altem Recht gewählten (Gesamt)Betriebsrates beibehalten wollen. Jedenfalls müsste, entsprechend einem zuletzt vorgelegten Gutachten von ... die Bestellung der Mitglieder des Gesamtbetriebsrates nach Wegfall des Gruppenschutzes nach den Grundsätzen des Verhältniswahlrechtes erfolgen, was konsequent dann auch für eine Abberufung notwendig wäre, so dass die Abberufungsentscheidung hier jedenfalls nicht durch Mehrheitsbeschluss erfolgen hätte können.

Die Beteiligten zu 1. bis 3. beantragen:

I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 17.07.2003, Aktenzeichen 22 BV 151/03, wird abgeändert.

II. Es wird festgestellt, dass der Beteiligte zu 1. Mitglied des Gesamtbetriebsrats der ... ist

III. Es wird festgestellt, dass die Abberufung des Beteiligten zu 1. als Mitglied des Gesamtbetriebsrats der ... durch Betriebsratsbeschluss vom 09.04.2003 rechtsunwirksam ist.

IV. Es wird festgestellt, dass die Beteiligten zu 2. und 3. stellvertretende Gesamtbetriebsratsmitglieder der ... sind.

V. Es wird festgestellt, das die Abberufung der Beteiligten zu 2. und 3. als stellvertretende Mitglieder des Gesamtbetriebsrats der ... durch Betriebsratsbeschluss vom 09.04.2003 rechtsunwirksam ist.

Die Beteiligten zu 4. und 5. beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Gesamtbetriebsrat und der Betriebsrat als Beteiligte zu 4. und 5. tragen im Beschwerdeverfahren vor, dass die wörtliche Anwendung der Abberufungsregelung in § 47 Abs. 2 S. 4 BetrVG aF nach der Übergangsregelung zu einer Verfälschung des Wahlergebnisses führen würde im Hinblick auf die Legitimation der Gesamtbetriebsratsmitglieder nach Gruppenzugehörigkeit, die nunmehr nach § 47 Abs. 7 BetrVG nF jeweils die Hälfte der Wahlberechtigten repräsentierten, statt wie bisher nur ihre Gruppenmitglieder, was durch die Stimmenverhältnisse der hier im Mai 2001 durchgeführten Betriebsratswahl untermauert werde - in die Wählerliste seien hier insgesamt 5.239 Wahlberechtigte, darunter 4.848 Angestellte und 391 Arbeiter, eingetragen gewesen, wobei die Wahlbeteiligung; bei den Angestellten mit etwa 56 % geringfügig höher als diejenige bei den Arbeitern gelegen habe. Durch die nunmehr angeordnete Stimmenteilung der beiden vom Betriebsrat in den Gesamtbetriebsrat entsandten Betriebsratsmitglieder verfüge der Vertreter der Arbeitergruppe nicht mehr über 391 Stimmen, sondern, wie der Angestelltenvertreter, über 2.603 Stimmen, somit 6,66 Mal soviele Stimmen, wie bei Durchführung der Wahl überhaupt für ihn abgegeben hätten werden können. Im Gesamtbetriebsrat ergebe sich hieraus eine Verschiebung von bisher 6.900 Stimmen der Angestellten zu 4.042 Stimmen der Arbeiter auf, bei nunmehriger Stimmenteilung, 6.315 Stimmen der Angestellten zu 6.049 Stimmen der Arbeiter. Eine derartige Entwertung abgegebener Stimmen könne nicht allein mit der Aufrechterhaltung eines Gruppenschutzes bis zu einer Neuwahl gerechtfertigt werden. Das bisherige Verhältnis von drei Vertretern der Arbeiter zu 26 Vertretern der Angestelltengruppe entspreche in etwa dem Verhältnis von Angestellten und Arbeitern im verfahrensgegenständlichen Betrieb. Der Gesetzgeber habe nicht erreichen wollen, dass nach In-Kraft-Treten des Betriebsverfassungsreformgesetzes durch die nunmehrige Stimmenteilung der von ihm für überholt gehaltene Gruppenschutz übersteigert werde und in einem betrieblichen Entscheidungsgremium der Minderheitsgruppe das mehr als sechsfache Gewicht, wie sonach hier, zukomme.

Die Entsendung der Mitglieder des Gesamtbetriebsrates durch einfachen Mehrheitsbeschluss des entsendenden Betriebsrates sei nicht zu beanstanden, da eine förmliche Wahl hier nicht beschlossen worden sei.

Wegen des Vortrags der Beteiligten im Beschwerdeverfahren im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 08.10.2003 und vom 12.03.2004, nebst der jeweiligen Anlagen, sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18.03.2004.

B.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die Beschwerde der Antragsteller und Beteiligten zu 1. bis 3. - der erstinstanzlich weitere Antragsteller und dortige Beteiligte zu 2., Herr ... ist nicht mehr beteiligt, wobei sein Rechtsschutzinteresse als, über die "Offene Liste - IG Metall..." gewählter, Angestelltenvertreter von vornherein fraglich war - ist statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 u. Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO) und deshalb zulässig.

Zusammengefasst zielen die Anträge der Beteiligten zu 1. bis 3., zulässig, auf Feststellung der Unwirksamkeit des Abberufungsbeschlusses des Betriebsrates und Beteiligten zu 5. vom 09.04.2003 und damit darauf, dass der Beteiligte zu 1. sowie die Beteiligten zu 2. und 3. weiter Mitglied bzw., in dieser Reihenfolge, Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrats und Beteiligten zu 4. sind.

II.

Die Beschwerde ist nicht begründet.

Das Beschwerdegericht nimmt Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes (§ 69 Abs. 2 ArbGG entsprechend) und weist ergänzend und zusammenfassend auf Folgendes hin.

Der Beschluss des Betriebsrates und, nunmehr, Beteiligten zu 5. vom 09.04.2003, mit dem dieser die Beteiligten zu 1. bis 3. als Mitglied bzw. als Ersatzmitglieder des Gesamtbetriebsrates (§ 47 Abs. 3 BetrVG nF) abberufen hat, ist wirksam, da dieser Beschluss durch Mehrheitsentscheidung zulässig ohne Rücksicht auf den Gruppenschutz gemäß der alten Fassung des Betriebsverfassungsgesetzes erfolgen konnte.

1. a) Bis zur Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes durch das zum 28.07.2001 in Kraft getretene Betriebsverfassungsreformgesetz entsandte der Einzelbetriebsrat in den Gesamtbetriebsrat ausnahmsweise ein Mitglied - wenn ihm lediglich Mitglieder einer Gruppe, nur der Angestelltengruppe oder nur der Arbeitergruppe, angehörten -, sonst, im Regelfall, zwei Mitglieder, von denen eines der Arbeitergruppe und das andere der Angestelltengruppe anzugehören hatten (§ 47 Abs. 2 S. 1 u. S. 2 BetrVG aF, im letzteren Fall nach näherer Maßgabe der Wahlvorschriften des § 47 Abs. 2 S. 3 BetrVG aF). In gleicher Weise war bei der, jederzeit und ohne Begründung möglichen, Abberufung von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrates durch den entsendenden Einzelbetriebsrat zu verfahren (§ 47 Abs. 2 S. 4 BetrVG aF, § 49 BetrVG aF/nF).

b) Nach der Neuregelung durch das BetrV-ReformG entsendet jeder Einzelbetriebsrat in Betrieben mit in der Regel bis zu 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern, also mit maximal drei Betriebsratsmitgliedern, ein Betriebsratsmitglied, in größeren Betrieben zwei Betriebratsmitglieder in den Gesamtbetriebsrat, unabhängig von der, nicht mehr wahl- und damit entsendungsrelevanten, Gruppenzugehörigkeit (§§ 47 Abs. 2, 9 S. 1 BetrVG nF).

c) Nach der Übergangsregelung in Art. 14 des BetrV-ReformGes vom 27.07.2001 gilt für im Zeitpunkt dessen In-Kraft-Tretens (28.07.2001) bestehende Betriebsräte (u. a.) Art. 1 Nr. 35 lit. a dieses Gesetzes = damit die Neufassung des § 47 Abs. 2 BetrVG mit der Aufgabe des für die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat bisher in der Regel maßgeblichen Gruppenprinzip erst bei Neuwahl des Betriebsrates, also erst nach einer in der Regel maximal vierjährigen Übergangsperiode - während dieser Übergangszeit gilt somit die Altfassung des § 47 Abs. 2 BetrVG mit dem für die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat maßgeblich gewesenen Gruppenprinzip weiter.

2. Nach Auffassung auch der Beschwerdekammer ist die Neuregelung der Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrates unabhängig vom, generell für das Betriebsverfassungsgesetz aufgegebenen, Gruppenprinzip so auszulegen, dass auch während der zeitlichen Geltung der Übergangsbestimmung eine Abberufung der noch im Wege des Gruppenprinzips entsandten Mitglieder des Gesamtbetriebsrates durch den Einzelbetriebsrat im Wege der Mehrheitsentscheidung ohne Rücksicht auf das Gruppenprinzip erfolgen kann.

a) Die Auslegung von Gesetzen hat zunächst vom Wortlaut auszugehen und sich sodann an dem systematischen Zusammenhang, der Gesetzesgeschichte und dem Normzweck auszurichten, soweit dieser im Gesetz erkennbaren Ausdruck gefunden hat (vgl. etwa BAG, U. v. 06.07.2000, AP Nr. 6 zu § 113 InsO - II. 1. d. Gründe, m. w. N. -).

b) aa) Zwar verweist zunächst der Wortlaut der Übergangsregelung in Art. 14 S. 2 des BetrV-ReformGes auf die vorläufige Weitergeltung der Altfassung des die Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrates nach dem Gruppenprinzip regelnden § 47 Abs. 2 BetrVG - nicht jedoch damit auf eine etwaige übergangsweise Geltung des Art. 1 Nr. 35 lit. b bis e dieses Gesetzes (also die komplementären Neuregelungen als Folge der Aufgabe des Gruppenprinzips) -, so dass bis zur Neuwahl des unter der Maßgabe des Gruppenprinzips des Betriebsverfassungsgesetzes aF gewählten Betriebsrates die dortigen Regelungen über die gruppendifferenzierte Entsendung (§ 47 Abs. 2 S. 1 bis 3 BetrVG aF) und die Abberufung der hiernach entsandten Betriebsratsmitglieder (§ 47 Abs. 2 S. 4 BetrVG aF) weitergelten würden.

bb) Aus dem systematischen Zusammenhang der Neuregelung in Art. 1 u. 14 des BetrV-ReformGes und dessen Sinn und Zweck ergibt sich jedoch nach Auffassung der Beschwerdekammer, dass diese allerdings, wie der angefochtene Beschluss unter Bezugnahme auf das vorgelegte Gutachten von ... ausführt, nur die Zahl der in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Betriebsratsmitglieder und die zum Zeitpunkt des in-Kraft-Tretens dieses Gesetzes zunächst gegebene gruppenspezifische Entsendungssituation unverändert läßt, nicht aber eine gruppenunabhängige Abberufung verhindert. Wie das Arbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Gutachten von Hanau (Bl. 27 f d. A., undatiert, lt. Gutachten von ... v. 12.03.2002 - BL 12 f. d. A. - von Februar/März 2002 stammend) zu Recht ausgeführt hat, würde eine Fortgeltung des Gruppenprinzips während der Übergangszeit auch bei einer - nach der unverändert gebliebenen Regelung des § 49 BetrVG nach wie vor jederzeit und grundlos möglichen - Abberufung der in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder des Einzelbetriebsrates, nicht aber der gruppenspezifischen Stimmenrepräsentation in § 47 Abs. 7 BetrVG aF, zu einer im Ergebnis tendenziell dramatischen Verfälschung des Wählerwillens führen können und Sinn und Zweck der Neuregelung widersprechen, weil die Aufgabe des Gruppenprinzips durch das zur Parität erhobenen Stimmengewicht des Vertreters der Minderheitengruppe (§ 47 Abs. 7 S. 2 BetrVG nF) konterkarierend.

Die Neuregelung des Betriebsverfassungsgesetzes durch das BetrVG-ReformG vom 27.07.2001 hat die im bisherigen Gruppenprinzip bei der repräsentativen Wahl ihren Ausdruck gefundene, überholte, Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten konsequent durchgängig aufgehoben - so dass die üblicherweise zwei in den Gesamtbetriebsrat entsandten Mitglieder des Einzelbetriebsrates wiederum konsequent nunmehr paritätisches Stimmengewicht hinsichtlich der Wahlberechtigten des entsendenden Betriebes besitzen (§ 47 Abs. 7 S. 2 BetrVG nF), nicht mehr, wie zuvor, die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer ihrer jeweiligen Gruppe repräsentieren und deshalb über ebenso viele Stimmen verfügen. Der Gesetzgeber hat in der Übergangsregelung in Art. 14 S. 2 des BetrV-ReformGes nicht, wie eigentlich konsequent, auch Art. 1 Nr. 35 lit. c = § 47 Abs. 7 BetrVG nF für bestehende Betriebsräte bis zur Neuwahl für unanwendbar erklärt, sondern die Neuregelung mit der Ersetzung des gruppenspezifischen durch das paritätische Stimmengewicht von der Übergangsregelung ausgenommen, also auch im Rahmen der Übergangsregelung für sofort anwendbar erklärt. Dass dies aber sowohl im Widerspruch steht zu einer demokratisch legitimierten Wahl, den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt (vgl. auch BAG, B. v. 15.08.2001, AP Nr. 10 zu § 47 BetrVG 1972 - III. 1. b aa d. Gründe), als auch insbesondere der Intention des Gesetzgebers widerspricht, die Repräsentation von Gruppeninteressen aufzugeben, liegt auf der Hand, wie sich an einem einfachen - nicht teleologisch konstruierten - Beispiel zeigt:

Ein Unternehmen hat, angenommen, zwei Betriebe einen Produktionsbetrieb mit, angenommen, 5.000 Arbeitern und 1.000 Angestellten sowie einen weiteren Betrieb (etwa Verwaltung, Forschung) mit, angenommen, 1.000 Angestellten und 100 Arbeitern (jeweils wahlberechtigte Arbeitnehmer). Nach der bisherigen Regelung bestand der 4-köpfige Gesamtbetriebsrat aus zwei Vertretern jeder Gruppe, von denen die beiden Vertreter der Arbeitergruppen über insgesamt (5.000 + 100 =) 5.100 Stimmen und die beiden Vertreter der Angestelltengruppen über insgesamt (1.000 + 1.000 =)2.000 Stimmen verfügten - die Vertreter der Arbeitergruppe somit über eine deutliche Mehrheit.

Nach der Neuregelung haben die beiden vom Betriebsrat des größeren Betriebes entsandten Mitglieder des Gesamtbetriebsrates dort jeweils 3.000 Stimmen und die beiden vom kleineren Betrieb entsandten Mitglieder jeweils 550 Stimmen. Lässt der größere Betrieb die Entsendung in den Gesamtbetriebsrat nach In-Kraft-Treten des Betriebsverfassungsgesetztes nF unverändert - oder hat er bei einer Abberufungsentscheidung vorerst weiter das Gruppenprinzip zu beachten -, so hat der Vertreter der Angestelltengruppe des größeren Betriebes das dreifache Stimmengewicht im Verhältnis zu den Wahlberechtigten der von ihm repräsentierten Gruppe (was, je nach Repräsentationssituation beim kleineren Betrieb, den gruppenspezifisch vorselektierten Wählerwillen tendenziell umdrehen könnte) - im vorliegenden Fall würde sich nach den zuletzt von den Beteiligten zu 4. und 5. dokumentierten Zahlen der wahlberechtigten Angestellten und Arbeiter bei der Betriebsratswahl 2001 das Stimmengewicht des Vertreters der Arbeitergruppe sogar auf das 6,66-fache seiner bisherigen Stimmenzahl erhöhen ...

Diese eklatante Verfälschung des Wählerwillens kann auch nicht deshalb hingenommen werden, weil - wie ... im von den Beteiligten zu 1. bis 3. vorgelegten Gutachten vom 12.03.2002 (dort S. 12, Bl. 17/Rückseite d. A.) argumentiert - es sich um eine "Auslaufregelung" handelt. Auch in einer, immerhin bis zu vier (und mehr) Jahre dauern könnenden, Übergangsperiode kann eine potentiell derartig eklatante Verfälschung des Wählerwillens, die zumal auch die im einschlägigen Zusammenhang essentielle Intention des Gesetzgebers zur Aufgabe des Gruppenprinzips nachgerade ins Gegenteil zu verkehren geeignet wäre, nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht hingenommen werden.

cc) Deshalb bezieht sich die Übergangsregelung in Art. 14 S. 2 des BetrV-ReformGes vom 27.07.2001 hinsichtlich des Verweises auf die übergangsweise Weitergeltung des § 47 Abs. 2 BetrVG aF lediglich auf die zahlenmäßige Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrates, nicht auch eine - gruppenresistente - Abberufung. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Übergangsregelung lediglich die nach bisherigem Recht festgelegte Entsendung von zwei der drei Betriebsratsmitglieder eines Betriebs mit bis zu 50 wahlberechtigten Arbeitnehmern - wenn diesem, wie regelmäßig, Vertreter sowohl der Angestellten- als auch der Arbeitergruppe angehören - zahlenmäßig zunächst konservieren und die Reduzierung auf in diesem Fall nur eines in den Gesamtbetriebsrat zu entsendendes Betriebsratsmitglied nach § 47 Abs. 2 BetrVG nF vermeiden, nicht aber die gruppenunabhängige Auswechslung der in den Gesamtbetriebsrat zu entsendenden Betriebsratsmitglieder verhindern.

Deshalb handelt es sich bei der durch Art. 14 S. 2 i. V. m. Art. 1 Nr. 35 lit. a BetrV-ReformG 2001 an sich angeordneten vorläufigen Weitergeltung der gruppenspezifischen Regelung der Abberufung von in den Gesamtbetriebsrat entsandten Betriebsratsmitgliedern um ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen, das Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung, einschließlich der Übergangsregelung, widersprechen würde und deshalb außer Betracht zu bleiben hat.

Damit stellt sich nicht die Frage, ob etwa § 47 Abs. 7 S. 2 BetrVG nF bei Anwendung der Übergangsregelung des Art. 14 S. 2 BetrV-ReformGes im Wege der teleologischen Reduktion gegen seinen Wortlaut auf die vorläufige Weitergeltung der gruppenspezifischen Stimmengewichtung nach der alten Fassung dieser Bestimmung zu reduzieren wäre.

c) Gründe für eine, gruppenunabhängige, Abberufung durch einfache Mehrheitsentscheidung des entsendenden Einzelbetriebsrates gemäß § 49 BetrVG aF/nF - durch Verhältniswahl statt einfachen Mehrheitsbeschlusses - sind nicht erkennbar - unabhängig davon, ob dies im vorliegenden Fall bei annähernd listenkonformem Abstimmungsverhalten überhaupt zu einer Veränderung des Wahlergebnisses hinsichtlich einer Entsendung in den Gesamtbetriebsrat führen würde ... Die gesetzliche Regelung legt lediglich die Entsendung und damit die einfache Mehrheitsentscheidung des Betriebsratsgremiums fest, nicht den Ausnahmefall einer spezifischen Verhältniswahlentscheidung.

Damit ist die Beschwerde der Beteiligten zu 1. bis 3. zurückzuweisen.

C.

Die Beschwerdekammer hat die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.

Ende der Entscheidung

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