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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 07.05.2003
Aktenzeichen: 5 Sa 297/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 305
BGB § 307
BGB § 310
BGB § 315
1. Freistellungsklauseln in vorformulierten "Vertragsbedingungen Außertariflicher Mitarbeiter" unterliegen gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB.

2. Bei der Angemessenheitskontrolle von Freistellungsklauseln gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB muss der allgemeine Beschäftigungsanspruch als Leitbild iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB berücksichtigt und ein genereller Prüfungsmaßstab angelegt werden.

3. Demnach sind generelle, einschränkungslose Freistellungsklauseln gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.

4. Freistellungsklauseln für den Fall der Kündigung außertariflicher Mitarbeiter sind jedoch dann nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, wenn die Ausübung des Freistellungsrechts der Billigkeitskontrolle iSv. § 315 BGB unterliegt.

5. Die Ausübung des in einer Freistellungsklausel vereinbarten Freistellungsrechts unterliegt auf Grund einer Auslegung gemäß § 315 Abs. 1 BGB oder, wenn eine solche Auslegung nicht möglich ist, auf Grund einer sog. geltungserhaltenden Reduktion der Billigkeitskontrolle iSv. § 315 BGB, wenn anders die Freistellungsklausel gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist.

6. Die gemäß § 315 BGB erforderliche Billigkeit der auf Grund einer Freistellungsklausel erklärten Freistellung setzt zwar eine Interessenabwägung voraus, aber nicht ein das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers überwiegendes, schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers iSd. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum allgemeinen Beschäftigungsanspruch.

7. Die Freistellung muss gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB ggf. wegen einer unbillig langer Dauer auf das angemessene Maß verkürzt werden.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 297/03

Verkündet am: 07. Mai 2003

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bachmann sowie die ehrenamtlichen Richter Geißler und Hirschmann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 28.02.2003 - 6 Ga 59/03 - abgeändert und der Antrag der Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zur Beschäftigung der Klägerin zu unveränderten Vertragsbedingungen bis zum 31. Juli 2003 kostenpflichtig abgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den Anspruch der Klägerin auf vertragsgemäße Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, nachdem die Beklagte die Klägerin auf Grund einer arbeitsvertraglichen Freistellungsklausel von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt hat.

Die Beklagte ist ein Elektrotechnikunternehmen, das in M. vier Betriebe unterhält. In dem Betrieb M. sind zurzeit (noch) etwa 5.600 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich Information and Communicaton Networks (ICN) und etwa 1.700 Arbeitnehmer in dem Geschäftsbereich Information and Communication Mobile (ICM) beschäftigt.

Die am 29.03.1955 geborene Klägerin ist Diplom-Ingenieur und seit 15.10.1984 bei der Beklagten als Softwareentwicklerin beschäftigt. Seit 01.09.1989 ist die Klägerin sog. außertarifliche Mitarbeiterin. Gemäß Schreiben der Beklagten vom 01.08.1996 und der Einverständniserklärung der Klägerin auf diesem Schreiben haben die Parteien eine Neuregelung des Arbeitsverhältnisses nach den "Vertragsbedingungen der Außertariflichen Mitarbeiter 1. Oktober 1996" vereinbart. Diese Vertragsbedingungen enthalten in Nr. 12 Abs. 3 eine Freistellungsklausel.

Wegen eines erheblichen Auftrags- und Umsatzrückgangs beschloss der ICN-Be- reichsvorstand im Juli bzw. September 2002, die Personalkapazität an den Bedarf anzupassen und das so genannte Carrier-Geschäft (mit Telefonanlagen und -systemen für Telefongesellschaften im Festnetzbereich) neu zu organisieren.

Diesbezüglich vereinbarte die Beklagte mit dem Betriebsrat M. den Interessenausgleich "Kapazitätsanpassung ICN M. 2002 und Neuausrichtung des ICN-Carrier-Geschäfts" vom 23.10.2002. Gemäß Nr. 3.1 dieses Interessenausgleichs wurde "mit Wirkung zum 01.11.2002" die "neue ICN Carrier-Organisation eingeführt" und gemäß Nr. 4.3 sollten 1.100 Arbeitnehmer "- so weit möglich - einvernehmlich ... ausscheiden" und dementsprechend "höchstens 1.100 betriebsbedingte Kündigungen ausgesprochen" werden.

Auf der Grundlage dieses Interessenausgleichs kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 15.01.2003 im Geschäftsbereich ICN - gegen den Widerspruch des Betriebsrats - insgesamt 154 Arbeitnehmern, die sie alle "ab sofort" unter Fortzahlung der Vergütung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist freistellte.

Die mit Schreiben vom 15.01.2003 zum 31.07.2003 gekündigte Klägerin wurde "ab sofort" "unter voller Anrechnung der Urlaubstage und Gleitzeitsalden" von der "Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt", nachdem sie zuletzt in dem schon nach Maßgabe des Interessenausgleichs neu organisierten Geschäftsgebiet ICN CP (Forschung und Entwicklung) im Betrieb M. beschäftigt worden war.

Die Klägerin hat mit ihrer Antragsschrift vom 05.02.2003 beantragt, die Beklagte durch einstweilige Verfügung zu verurteilen, sie "bis zum Ablauf des 31.07.2003 bei unveränderten Vertragsbedingungen als Software-Entwicklerin zu beschäftigen".

Dagegen hat sich die Beklagte im ersten Rechtszug nur auf die vereinbarte Freistellungsklausel berufen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte auf Grund mündlicher Verhandlung antragsgemäß durch die einstweilige Verfügung vom 27.02.2003 verurteilt, die Klägerin "bis zum Ablauf des 31.07.2003 bei unveränderten Vertragsbedingungen als Software-Entwicklerin zu beschäftigen." Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass sich die Beklagte durch die interne Anweisung im "Merkblatt über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen vom 3. April 1989" dahingehend gebunden habe, von einem Freistellungsrecht nur beim Vorliegen zwingender betrieblicher Gründe Gebrauch zu machen, und dass keine entsprechenden Gründe dargelegt worden seien. Im Übrigen wird auf dieses Urteil Bezug genommen.

Seit Erlass dieses Urteils wird die Klägerin wieder vertragsgemäß beschäftigt.

Die Beklagte hat aber gegen dieses Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung ihrer Berufung macht sie im Wesentlichen geltend, dass die streitige Freistellung sowohl durch die vereinbarte Freistellungsklausel als auch durch zwingende betriebliche Gründe gerechtfertigt sei und dass es für den Erlass einer einstweiligen Verfügung außerdem an dem erforderlichen Verfügungsgrund fehle.

Die Beklagte beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Abweisung des Verfügungsantrags der Klägerin.

Die Klägerin hält die Berufung für unschlüssig.

Hinsichtlich des sonstigen Sach- und Rechtsvortrags im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründung, die Berufungsbeantwortung und das Protokoll über die Berufungsverhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Der Antrag der Klägerin, die Beklagte durch Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verurteilen, sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2003 zu unveränderten Vertragsbedingungen als Softwareentwicklerin zu beschäftigen, ist zwar zulässig. Insbesondere ist dieser Antrag auch gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO inhaltlich hinreichend bestimmt (vgl. BAG 15.03.2001 AP KSchG 1969 § 4 Nr. 46 = EzA KSchG § 4 n. F. Nr. 61, zu B V 3 der Gründe).

Die Klägerin hätte auf Grund ihres allgemeinen Beschäftigungsanspruchs an sich auch den geltend gemachten Verfügungsanspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung und es gäbe auch einen Verfügungsgrund für die beantragte Beschäftigungsverfügung, obwohl diese als so genannte Befriedigungsverfügung die Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorwegnähme (vgl. insoweit das in einem Parallelrechtsstreit ergangene Kammerurteil vom 07.05.2003 - 5 Sa 344/03).

Entgegen dem angefochtenen Urteil ist der von der Klägerin geltend gemachte allgemeine Beschäftigungsanspruch aber deswegen jedenfalls jetzt nicht mehr begründet, weil die mit der betriebsbedingten Kündigung vom 15.01.2003 ausgesprochene sofortige Freistellung der Klägerin auf Grund der von den Parteien vereinbarten Freistellungsklausel jedenfalls jetzt wirksam ist (im Ergebnis ebenso in einem Parallelrechtsstreit LAG München 14.03.2003 - 6 Sa 184/03).

Die mit der Einverständniserklärung der Klägerin auf dem Schreiben der Beklagten vom 01.08.1996 vereinbarten "Vertragsbedingungen Außertariflicher Mitarbeiter 1. Oktober 1996" enthalten in Nr. 12 Abs. 3 folgende Freistellungsklausel:

"Für den Fall der Vertragsauflösung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses steht es der S. AG frei, den Mitarbeiter von der Dienstleistung unter Fortzahlung seines Entgeltes und unter Anrechnung des anteiligen Urlaubs und eventueller zusätzlicher Freizeitansprüche freizustellen."

Diese Freistellungsklausel hat eine etwaige frühere diesbezügliche Regelung gemäß dem von der Klägerin geltend gemachten "Merkblatt über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen vom 03. April 1989" nach dem kollisionsrechtlichen Ordnungsgrundsatz - lex posterior derogat legi priori - jedenfalls abgelöst.

Diese Freistellungsklausel ist auch nicht später durch die von der Klägerin geltend gemachten Erklärungen des Konzernpersonalleiters Ende 2002 wieder eingeschränkt worden, weil diese Erklärungen sich an den Betriebsrat bzw. den sog. Führungskreis der Beklagten gerichtet und schon deswegen gemäß § 133 BGB jedenfalls nicht den Inhalt der Arbeitsverträge - zumal außertariflicher Mitarbeiter - geändert haben (vgl. auch LAG München vom 14.03.2003 - 6 Sa 184/03).

Auch wenn in dieser Freistellungsklausel davon die Rede ist, dass es der Beklagten "frei" steht, "den Mitarbeiter freizustellen", muss die Beklagte dieses Freistellungsrecht allerdings gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen ausüben, weil der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers als Teil seines Persönlichkeitsrechts gemäß § 242 BGB durch die für die gesamte Rechtsordnung grundlegenden Wertentscheidungen der Art. 1, 2 GG geschützt ist (vgl. dazu BAG GS 27.02.1985 AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 14 = EzA BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 9, zu C I 2 der Gründe ; ferner das Kammerurteil vom 07.05.2003 - 5 Sa 344/03) und weil mit Rücksicht auf diesen Rechtsschutz ausreichende Anhaltspunkte für den Ausschluss der Billigkeitskontrolle gemäß § 315 BGB fehlen (vgl. BAG 27.02.2002 AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 36 = EzA TVG § 4 Rundfunk Nr. 23, zu B II 3 b dd der Gründe; vgl. auch ErfK/Preis 3. Aufl. BGB § 611 = Rn. 707).

Die von den Parteien vereinbarte Freistellungsklausel ist jedenfalls insofern wirksam, als der allgemeine Beschäftigungsanspruch dispositiv ist (vgl. BAG GS 27.02.1985 aaO).

Die Freistellungsklausel unterliegt gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB - seit 01.03.2003 (Art. 229 § 5 EGBGB) - aber insbesondere auch der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB, weil es sich bei den "Vertragsbedingungen Außertariflicher Mitarbeiter ..." samt der Freistellungsklausel um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. §§ 305 ff. BGB handelt. Die Beklagte hat nämlich diese "Vertragsbedingungen Außertariflicher Mitarbeiter ..." - iSd. Legaldefinition der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB - für eine Vielzahl von Verträgen mit außertariflichen Mitarbeitern vorformuliert und dann der Klägerin bei Abschluss des Änderungsvertrags gemäß Schreiben der Beklagten vom 01.08.1996 gestellt und nicht etwa gemäß § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB im Einzelnen mit der Klägerin ausgehandelt, so dass es jedenfalls insofern auf die Anwendbarkeit des § 310 Abs. 3 BGB auf Arbeitsverträge im vorliegenden Fall nicht ankommt.

Gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 BGB unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Und gemäß § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung

1. mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, oder

2. wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist.

Bei dieser Angemessenheitskontrolle ist dem richterrechtlich anerkannten allgemeinen Beschäftigungsanspruch die Leitbildfunktion des § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zuzumessen (vgl. allg. Gotthard Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform Rn. 267) und ein genereller Prüfungsmaßstab anzulegen und dementsprechend von einer generalisierenden Betrachtungsweise auszugehen (vgl. Gotthard aaO Rn. 266; Preis NZA Sonderbeilage zu Heft 16/2003 S. 19, 26 f.).

Demnach sind generelle, einschränkungslose Freistellungsklauseln - mit Rücksicht auf die auf § 242 BGB iVm. Art. 1, 2 GG gestützte persönlichkeitsrechtliche Begründung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs - gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam (so etwa Küttner/Kania Personalhandbuch 2003 Beschäftigungsanspruch Rn. 5; ErfK/Preis 3. Aufl. BGB § 611 Rn. 707). Auch generelle, einschränkungslose Freistellungsklauseln für den Fall der Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder einer sonstigen Vertragsbeendigung sind demnach unwirksam (so auch Preis Der Arbeitsvertrag II F 10 Rn. 21; a. A. jedoch etwa LAG München 14.03.2003 - 6 Sa 184/03; Küttner/Kania aaO Rn. 6). Unwirksam sind demnach auch außertarifliche Mitarbeiter betreffende einschränkungslose Freistellungsklauseln für den Fall der Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder einer sonstigen Vertragsbeendigung, wenn der Kreis dieser Mitarbeiter so weit gezogen ist wie im vorliegenden Fall und auch etwa diplomierte Softwareentwickler erfasst.

Die von den Parteien vereinbarte Freistellungsklausel hält aber der gemäß § 307 BGB gebotenen Angemessenheitskontrolle stand. Der Arbeitnehmer wird durch diese Freistellungsklausel auch unter Berücksichtigung von 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB "entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt". Dagegen spricht schon, dass diese Freistellungsklausel nur für den "Fall der Vertragsauflösung oder Kündigung des Arbeitsverhältnisses" gilt und in einem solchen Fall erstens das Interesse des Arbeitnehmers an der Beschäftigung im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses - auch mit Rücksicht auf die Vorteile der Freistellung - generell geringer ist, zweitens auch unabhängig von einer Freistellungsklausel ein Freistellungsrecht des Arbeitgebers eher in Betracht kommt als in einem auf noch unbestimmte Zeit fortbestehenden Arbeitsverhältnis (vgl. Walker Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozess und im arbeitsgerichtlichen Verfahren Rn. 677) und drittens die Freistellung jedenfalls zeitlich begrenzt ist, wenngleich auch alle diese Gesichtspunkte zusammen eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wohl noch nicht ausschießen. Gegen eine solche Benachteiligung spricht aber über diese Gesichtspunkte hinaus, dass die von den Parteien vereinbarte Freistellungsklausel nur für die außertariflichen Mitarbeiter gilt und der Arbeitgeber gegenüber solchen Mitarbeitern als sog. Führungskräften (vgl. Preis aaO I B Rn. 5) bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses generell wenigstens ein gewisses sachlich begründetes Interesse an der Freistellung des Arbeitnehmers hat (zur Zulässigkeit solcher gruppentypischer Differenzierungen vgl. Preis aaO I C Rn. 73), wenngleich auch diese zusätzlichen Gesichtspunkte eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wohl noch nicht ausschließen. Gegen eine solche Benachteiligung spricht aber letztlich ausschlaggebend, dass die Ausübung des von den Parteien vereinbarten Freistellungsrechts der Beklagten gemäß § 315 Abs. 1 BGB einer Billigkeitskontrolle unterliegt, die jedenfalls zusammen mit allen anderen schon angeführten Gesichtspunkten eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB durch die Freistellungsklausel als solche ausschließt.

Ohne diese Einschränkung des Freistellungsrechts gemäß § 315 Abs. 1 BGB würde die Freistellungsklausel der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB also nicht standhalten, so dass diese Einschränkung jedenfalls durch eine entsprechende "geltungserhaltende Reduktion" dieser Klausel vorgenommen werden müsste (vgl. hierzu allg. Preis NZA aaO S. 19, 28 f.).

Die streitgegenständliche Freistellung ist jedenfalls jetzt auch nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB mangels der gemäß § 315 Abs. 1 BGB erforderlichen Billigkeit unwirksam.

Der Billigkeit iSv. § 315 BGB entspricht eine Leistungsbestimmung wie die Ausübung eines Freistellungsrechts ganz allgemein dann, wenn der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falles und die beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien angemessen berücksichtigt hat (vgl. etwa BAG 07.12.2000 AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 61 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 23, zu I 2 der Gründe). Zu berücksichtigen ist demnach im vorliegenden Fall insbesondere die vereinbarte Freistellungsklausel selbst. Mit Rücksicht auf diese Freistellungsklausel setzt die Billigkeit einer auf diese Klausel gestützten Freistellung iSv. § 315 BGB jedenfalls kein - das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers - überwiegendes, schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers iSd. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. auch etwa BAG 15.03.2001 aaO, zu B V 4 der Gründe) voraus. Denn sonst wäre die vom Bundesarbeitsgericht (GS 27.02.1985 aaO) anerkannte Dispositivität des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs für Freistellungsklauseln im Widerspruch zu dieser Dispositivität ja völlig bedeutungslos, weil im Falle eines solchen - das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers - überwiegenden, schutzwürdigen Interesses des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (aaO) auch ohne Freistellungsklausel ein Freistellungsrecht gegeben ist (vgl. auch Hoß/Lohr BB 1998, 2575). Der Billigkeit iSv. § 315 BGB entspricht eine Freistellung auf Grund der von den Parteien vereinbarten Freistellungsklausel, nach der dem Arbeitgeber die Freistellung sogar "frei" stehen soll, demzufolge schon dann, wenn es wenigstens einen sachlichen Grund für die Freistellung gibt.

Dementsprechend muss in dem Interessenausgleich vom 23.10.2002, der einen Personalabbau von 1.100 Arbeitnehmern vorsieht, jedenfalls jetzt ein ausreichender Grund für die Billigkeit der streitgegenständlichen Freistellung der Klägerin iSv. § 315 BGB gesehen werden, weil diese Freistellung anlässlich der betriebsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin erfolgt ist, diese Kündigung zum Zwecke des in dem Interessenausgleich geregelten Personalabbaus erklärt worden ist, dieser Personalabbau der Anpassung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer an den Personalbedarf dient und die streitgegenständliche Freistellung dem durch den Personalabbau bedingten Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit Rechnung tragen soll, auch wenn ein - das Beschäftigungsinteresse der Klägerin - überwiegendes, schutzwürdiges Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin iSd. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (aaO) damit nicht gegeben ist.

Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn diese Kündigung offensichtlich unwirksam oder im Kündigungsschutzprozess schon die Unwirksamkeit dieser Kündigung festgestellt worden wäre (ebenso LAG München 14.03.2003 - 6 Sa 184/03), weil dann sogar der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch nach Ablauf der Kündigungsfrist anerkannt werden müsste (vgl. dazu BAG GS 27.02.1985 aaO, zu C II der Gründe), was aber nicht der Fall ist.

Etwas anderes würde entgegen der Auffassung der Klägerin dagegen nicht schon dann gelten, wenn der gesetzliche Weiterbeschäftigungsanspruch gemäß § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG in Betracht käme, weil die Beklagte sich womöglich gemäß § 102 Abs. 5 Satz 2 BetrVG von der gesetzlichen Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen kann.

Eine weitergehende Einschränkung des Freistellungsrechts der Beklagten ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus einer sog. Selbstbindung bzw. aus der Verletzung eines durch Selbstbindung begründeten Gleichbehandlungsgebotes, weil die von der Klägerin diesbezüglich behaupteten Erklärungen des Konzernpersonalleiters Ende 2002 schon mit Rücksicht auf die Adressaten dieser Erklärungen außerhalb der Arbeitsverhältnisse auch keine im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien verbindliche Selbstbindung begründet haben (so auch schon LAG München 14.03.2003 - 6 Sa 184/03).

Allerdings ist die streitgegenständliche Freistellung zunächst deswegen unbillig iSv. § 315 BGB gewesen, weil die Klägerin praktisch schon einen Monat vor der Kündigung und ausdrücklich dann mit der Kündigung vom 15.01.2003 für weitere sechseinhalb Monate bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freigestellt worden ist. Eine so lange Freistellung hat wegen ihrer langen Dauer diskriminierenden Charakter, auch wenn sie sich weitgehend an der Kündigungsfrist orientiert, weil die längere Kündigungsfrist typischerweise und so auch im vorliegenden Fall die Folge einer längeren Dauer des Arbeitsverhältnisses ist und die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers vor Diskriminierung durch Nichtbeschäftigung mit der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht sinkt, sondern steigt.

Infolge der ursprünglichen Unbilligkeit und Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Freistellung gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB muss das Gericht gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB über die der Billigkeit iSv. § 315 BGB entsprechende Dauer der Freistellung entscheiden. Jedenfalls ab dem für diese Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung am 07.05.2003 bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 31.07.2003 entspricht die Freistellung der Klägerin aber auch der Billigkeit iSv. § 315 BGB, zumal diese Freistellung auf Grund der Freistellungsklausel auch "unter Anrechnung der Urlaubstage und Gleitzeitsalden" erfolgt ist.

Sonstige Umstände, die die Billigkeit der streitgegenständlichen Freistellung iSv. § 315 BGB - auch jetzt noch - in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich.

Dieses Urteil ist gemäß § 72 Abs. 4 ArbGG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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